Drucksache 17 / 11 919 Kleine Anfrage 17.17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Susanna Kahlefeld (GRÜNE) vom 12. April 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. April 2013) und Antwort Interkulturelle Öffnung der Feuerwehr Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund bezo- gen auf den mittleren, gehobenen und höheren Dienst bei der Berliner Feuerwehr? (Bitte getrennt tabellarisch auf- listen auch nach Geschlecht und Alter) Zu 1.: Zum prozentualen Anteil der Dienstkräfte mit Migrationshintergrund können keine Angaben gemacht werden, weil ein möglicher Migrationshintergrund nicht erfasst wird. Die Berliner Feuerwehr hat Anfang des Jahres 2010 eine interne Umfrage über Fremdsprachenkenntnisse und Migrationshintergrund unter den Beschäftigten der Be- rufsfeuerwehr und der Freiwilligen Feuerwehr durchge- führt. Bei dieser freiwilligen Umfrage gaben 16 v.H. der Teilnehmenden an, dass mindestens ein Elternteil nicht aus Deutschland stammt. Da sich nur 20 v.H. der Dienst- kräfte an der Umfrage beteiligten, ist dieses Ergebnis sta- tistisch allerdings nicht aussagekräftig. 2. Was hat sich an der Einstellung in eine Laufbahn des feuerwehrtechnischen Dienstes seit dem Zweiten Ge- setz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften geän- dert? Zu 2.: Mit der Neufassung der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten des feuerwehr- technischen Dienstes (FwLVO) vom 20. November 2012 wurden keine wesentlichen Änderungen der Einstellungs- voraussetzungen vorgenommen. Die Änderungen in § 3 Abs. 1 und 2, § 7 Abs. 1 und 2 und § 20 Abs. 1 FwLVO betrafen lediglich Anpassungen an neue Rechtsbegriffe oder Konkretisierungen. 3. Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Auszubil- denden mit Migrationshintergrund? (Bitte für die letzten fünf Jahre angeben.) Wie hoch war der Anteil bei den Bewerberinnen und Bewerbern und bei den Auszubilden- den, die die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben? Zu 3.: Zu den prozentualen Anteilen der Brandmeis- ter-Anwärterinnen und -Anwärter mit Migrationshinter- grund können keine Angaben gemacht werden, weil die Angabe eines möglichen Migrationshintergrunds weder für die Ernennung noch während des Dienstverhältnisses erforderlich ist und deshalb auch nicht erfasst wird. Lediglich Bewerberinnen und Bewerber werden seit dem Bewerbungsjahr 2011 gebeten, im Zusammenhang mit ihrer Bewerbung freiwillig einen Migrationshinter- grund anzugeben. Die nachfolgenden Angaben beziehen sich auf die Bewerbungen für den mittleren feuerwehrtechnischen Dienst in den beiden Zugangsmöglichkeiten 112Classic (mit zuvor abgeschlossener Berufsausbildung) und 112Direkt (Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit mittlerem Schulabschluss, aber ohne abgeschlossene Be- rufsausbildung). Immer zum 01. September eines jeden Jahres werden Nachwuchskräfte für die Ausbildungsgän- ge 112Classic und 112Direkt eingestellt. Zum 01. März eines jeden Jahres erfolgt ausschließlich die Einstellung im Ausbildungsgang 112Classic, so dass die Bewer- bungszahlen zum März niedriger sind. Für den Einstellungstermin 01. September 2011 haben sich insgesamt 1354 Personen online registriert. Davon gaben 459 Personen (davon 12 Frauen) einen Migrations- hintergrund an. Dies entspricht einem Anteil von 33,9 v.H. der Bewerbungen. Für den Einstellungstermin 01. März 2012 haben sich insgesamt 726 Personen online registriert. Davon gaben 127 Personen einen Migrationshintergrund an. Dies ent- spricht einem Anteil von 17,5 v.H. der Bewerbungen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 919 2 Für den Einstellungstermin 01. September 2012 haben sich insgesamt 1063 Personen online registriert. Davon gaben 254 Personen einen Migrationshintergrund an. Dies entspricht einem Anteil von 23,9 v.H. der Bewerbungen. Für den Einstellungstermin 01. März 2013 haben sich insgesamt 666 Personen online registriert. Davon gaben 96 Personen (davon 5 Frauen) einen Migrationshinter- grund an. Dies entspricht einem Anteil von 14,4 v.H. der Bewerbungen. Für den Einstellungstermin 01. September 2013 haben sich insgesamt 1023 Personen online registriert. Davon gaben 210 Personen (davon 4 Frauen) einen Migrations- hintergrund an. Dies entspricht einem Anteil von 20,5 v.H. der Bewerbungen. 4. Wie viele Teilnehmende wurden im Projekt „Einsatz Berlin – Perspektiven für junge Menschen in der Feuerwehr“ ausgebildet? (Bitte getrennt nach Jahren, Geschlecht und Migrationshintergrund auflisten.) Wie viele Bewerberinnen und Bewerber gab es und wie viele Teil- nehmerinnen und Teilnehmer haben einen erfolgreichen Abschluss gemacht? Zu 4.: Erster Probelauf (1. März 2010 – 31. August 2011): Von zehn Teilnehmern (sämtlich männlich) haben alle die erste Stufe bestanden und wurden zu Brandmeis- ter-Anwärtern ernannt. Kein Teilnehmer hatte einen Mig- rationshintergrund. Zweiter Probelauf (1. September 2010 – 29. Februar 2012): Von einer Teilnehmerin und siebzehn Teilnehmern hatten fünf Teilnehmer einen Migrationshintergrund (1 x arabisch, 1 x russisch, 1 x serbisch, 2 x türkisch). Alle haben die erste Stufe bestanden und wurden zur Brand- meister-Anwärterin bzw. zu Brandmeister-Anwärtern ernannt. Dritter Probelauf (1. September 2011 – 28. Februar 2013): An dem dritten Probelauf nahmen neun Nach- wuchskräfte teil (darunter einer mit polnischem und einer mit türkischem Migrationshintergrund). Alle neun Nach- wuchskräfte (darunter keine Frau) bestanden die erste Stufe und wurden zu Brandmeister-Anwärtern ernannt. Als zweite Stufe schließt sich der reguläre Vorberei- tungsdienst für den mittleren feuerwehrtechnischen Dienst an. Dieser Vorbereitungsdienst dauert zwei Jahre. Die Teilnehmer des ersten Probelaufs werden den Vorbe- reitungsdienst daher erst am 31. August 2013 beenden (1. September 2011 bis 31. August 2013). 5. Wie hoch ist der Prozentsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Berliner Feuerwehr, die in den letzten 5 Jahren an einer interkulturellen Schulung teilge- nommen haben? (Bitte getrennt nach Alter, Dienstgrad und Umfang der Schulung auflisten.) Zu 5.: Die Berliner Feuerwehr schult seit 2009 sämtli- che Nachwuchskräfte bereits während des Vorbereitungs- dienstes in verschiedenen Aspekten interkultureller Kom- petenz. Der Vorbereitungsdienst des mittleren feuerwehrtech- nischen Dienstes enthält drei Module, in denen interkultu- relle Kompetenz vermittelt wird: 1. Kommunikative und soziale Kompetenzen: The- men: Islamische Religion, Struktur islamischer Familien, Verhaltensregeln, Rolle Mann und Frau, Ehre der Frau. 2. Kommunikation und Umgang mit türkischen Mit- bürgerinnen und Mitbürgern im Einsatz: Themen (nur als Beispiel): Familienoberhaupt einbeziehen, Dolmetscher finden, Schuhe in der Wohnung tragen. 3. Einsatztraining Eigensicherung: Situationstraining „verletzte strenggläubige muslimische Frau“ mit anschließender Videoauswertung (Themen: Rolle des Ehe- mannes, Ehre der Frau, medizinische Untersuchung, Erör- terung möglicher Lösungsansätze) Diese Module werden von allen Nachwuchskräften während ihrer Laufbahnausbildung besucht. Bei einer durchschnittlichen Einstellungszahl von 120 Brandmeis- teranwärterinnen und Brandmeisteranwärtern wurden somit in den vergangenen fünf Jahren rund 600 Nach- wuchskräfte geschult. Allein diese Schulungen erreichten derzeit bereits rund 20 v.H. aller Einsatzkräfte (bezogen auf die in Funktionen des Einsatzdienstes eingesetzten rund 3000 Einsatzkräfte). Der von der Feuerwehr einge- schlagene Weg, alle Nachwuchskräfte zu schulen, ist sinnvoll. Das Alter der Teilnehmerinnen und Teilnehmer liegt bei der Teilnahme aufgrund der Einstellungskriterien in der Regel zwischen 20 und 30 Lebensjahren. Darüber hinaus wurden anlassbezogen Fortbildungen zur Verbesserung der interkulturellen Kompetenz durch- geführt, so zum Beispiel unter anderem für die Mentorin- nen und Mentoren in dem Projekt „Einsatz Berlin“. Die Inhalte vermittelten den Kulturbegriff, Werte, Generali- sierungen, Stereotype und Vorurteile, kulturbedingte Un- terschiede der Wahrnehmung und interkulturelle Kon- fliktstile. Die Ausbildungsteile sind jeweils mehrstündig und werden während des Vorbereitungsdienstes in geeigneter Weise immer wieder aufgegriffen. Die Fortbildungen in interkultureller Kompetenz sind ein- bis zweitägig. Da die weitere Verbesserung der interkulturellen Öff- nung auch von den Führungskräften der Berliner Feuer- wehr umgesetzt werden soll, wird es in diesem Jahr eine Schulung des gesamten höheren Dienstes zum Thema Interkulturelle Öffnung geben. 6. Hält der Berliner Senat die Bemühungen der Ber- liner Feuerwehr bezüglich der interkulturellen Öffnung für ausreichend? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 919 3 Zu 6.: Die Berliner Feuerwehr hilft allen Hilfebedürf- tigen schnell, zuverlässig und professionell und gänzlich unabhängig von dem religiösen Bekenntnis, der ethni- schen Herkunft oder dem Geschlecht. Diese Offenheit und der gelebte Wille zur Gleichbehandlung ist – wenn man „ausreichend“ auf Schulnoten bezieht – deutlich besser als ausreichend. 7. Was gedenkt der Berliner Senat zu tun, um die Berliner Feuerwehr bei der interkulturellen Öffnung zu unterstützen? Zu 7.: Schon im Jahr 2009 wurde in der Verordnung über die Ausbildung und die Prüfung für den mittleren feuerwehrtechnischen Dienst (APOmDFw) verankert, dass die interkulturelle Kompetenz der Nachwuchskräfte bereits während der Ausbildung berufsbezogen erweitert wird (§ 6 Abs. 1 APOmDFw). Der Ansatz, bereits die Nachwuchskräfte in die interkulturelle Öffnung einzube- ziehen, wird nach wie vor als richtig angesehen. Darüber hinaus bietet die Berliner Feuerwehr auch erfahrenen Kräften entsprechende Fortbildungsmaßnahmen an. Obgleich die zielgerichtete und aufwändige Werbung im Rahmen des Projektes „Einsatz Berlin“ nicht in dem erwarteten Umfang zu Bewerbungen von jungen Men- schen mit Migrationshintergrund geführt hat, wird ein Ansatz zur interkulturellen Öffnung weiterhin die Gewin- nung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund sein. Ein weiterer Ansatz ist es, Menschen mit Migrations- hintergrund verstärkt für den ehrenamtlichen Einsatz bei der Freiwilligen Feuerwehr in Berlin zu motivieren. Im Jahr 2011 hat die Senatsverwaltung für Inneres und Sport das Projekt "PROTECT - Lernen und helfen im Ehrenamt" initiiert. Hauptziel des von der Europäischen Kommission geförderten Verbundprojektes ist es, die Leistungsfähigkeit des Katastrophenschutzes in Berlin durch eine gezielte Nachwuchsgewinnung für das Ehren- amt im Katastrophenschutz sicherzustellen. An diesem Projekt ist die Berliner Feuerwehr als Katastrophen- schutzbehörde beteiligt. Zielgruppe sind Migrantinnen und Migranten. Personen mit Migrationshintergrund kön- nen durch ihren Einsatz im Katastrophenschutz nicht nur zwischenmenschliche Kontakte knüpfen und sich als Teil einer wichtigen Gemeinschaft erfahren. Sie erwerben auch Kenntnisse und Fertigkeiten, die Perspektiven für Berufswahl und -qualifizierung eröffnen können. Ziel dieses Projektes ist es aber auch, die im Katastrophen- schutz Berlins aktiven Hilfsorganisationen im interkultu- rellen Bereich zu sensibilisieren und die interkulturellen Kompetenzen der jeweiligen Führungskräfte zu entwi- ckeln und zu stärken. 8. Wie, durch wen und mit Mitteln in welcher Höhe wurde der Prozess der interkulturellen Öffnung der Feu- erwehr evaluiert? Zu 8.: Eine Evaluation wird, wenn sie erforderlich ist, im Rahmen der Qualitätssicherung durch die Feuerwehr selbst durchgeführt oder durch die Senatsverwaltung für Inneres und Sport als aufsichtsführender Stelle. Die Me- thoden sind immer von den zu evaluierenden Maßnahmen abhängig. Sie werden anlassbezogen festgelegt. Im Rah- men des Projektes „Einsatz Berlin“ wurden zum Beispiel statistische Methoden angewandt, Bewerberinnen und Bewerber befragt und Stellungnahmen von beteiligten Dritten angefordert. Daran war der externe Projektpartner „Berliner Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (BGZ)“ wesentlich beteiligt. Die Berliner Feuerwehr nutzt auch in Forschungspro- jekten die Möglichkeit, Aspekte der interkulturellen Öff- nung mit zu untersuchen. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt: „Professionelle Integration von freiwilligen Helfern in Krisenma- nagement und Katastrophenschutz (Inka)“ in ihrem Teilvorhaben „Freiwilligenintegration in Feuerwehren“ sind entsprechende Überlegungen eingeflossen. Die Möglich- keiten, den Teilnehmerkreis durch verstärkte Einbezie- hung von jungen Menschen und Menschen mit Migrati- onshintergrund zu erweitern, ist durch die Erforschung der relevanten Faktoren wie z.B. die Vereinbarkeit von Berufsausbildung, Familie, Freundeskreis und Ehrenamt zu ermitteln. Gleichzeitig müssen die Anreizsysteme für das Ehrenamt aus heutiger Sicht betrachtet, bewertet und in ein Veränderungsmanagement integriert werden. Durch den wissenschaftlichen Vergleich der Verfah- rensweisen mit anderen Ländern soll eine Optimierung der bisher angewendeten Verfahrensweisen und Abläufe erfolgen (Best Practice). Mittel für die Evaluation einzelner Maßnahmen durch externe Anbieter stehen in aller Regel nicht zur Verfü- gung. 9. Welche Erkenntnisse wurden seit Februar 2012 in welcher Art und Weise aus dem Praxishandbuch für die Berliner Verwaltung bei der Berliner Feuerwehr imple- mentiert? Zu 9.: Das im Praxishandbuch für die Berliner Ver- waltung beschriebene Verständnis einer „Dienstleistungsverwaltung “ und die damit einhergehende Kundenorientierung gegenüber Migrantinnen und Migranten werden bei der Berliner Feuerwehr aufgrund der oft lebenswichti- gen Einsätze für hilfebedürftige Migrantinnen und Mig- ranten schon länger thematisiert. Das Projekt „Einsatz Berlin“ war ein erster Zugang zu der Thematik, in dem man versucht hat, Menschen ver- schiedener Herkunft für die Berliner Feuerwehr als Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, um auch auf diesem Wege Sprach- und Kulturbarrieren zu überwin- den. Durch die seit 2001 durchgeführten Ethik-Seminare und die seit 2009 zusätzlich durchgeführten Lehrgänge und Praxisübungen bei den Brandmeisteranwärterinnen und Brandmeisteranwärtern wird der Weg, das Personal Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 919 4 auf die Anforderungen einer durch Vielfalt geprägten Gesellschaft vorzubereiten, weiter verfolgt. Die Berliner Feuerwehr besteht auch bei ihren Aus- wahlverfahren (insbesondere bei Einstellungen) auf ge- schultes Auswahlkommissionspersonal. Die Betroffenen müssen sich einer Beobachterschulung unterziehen, um mögliche Wahrnehmungsverzerrungen durch eigene Ste- reotype zu minimieren, damit Bewerberinnen und Bewer- ber – auch mit Migrationshintergrund – nicht benachteiligt werden. Auch das Projekt „Inka“ sowie das Projekt „Protect“, das von der Senatsverwaltung für Inneres und Sport initi- iert wurde, tragen zur gewünschten interkulturellen Öff- nung der Feuerwehr bei. Berlin, den 20. Mai 2013 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Jun. 2013)