Drucksache 17 / 11 959 Kleine Anfrage 17.17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 22. April 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. April 2013) und Antwort Perspektiven der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ ab 2014 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie beurteilt der Senat die bisherigen Ergebnisse der Arbeit des Projekts QUEERFORMAT zur Sicherung einer weiteren Qualifizierung des pädagogischen Perso- nals in Schulen, Kindertagesstätten und Jugendhilfeein- richtungen gemäß den Vorgaben der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Viel- falt“ (ISV)? a. Welche Schwierigkeiten und Probleme gibt es bei der Umsetzung des Angebots, um die Akzeptanz durch und Wahrnehmung seitens der pädagogischen Fachkräfte zu erhalten und zu erhöhen? b. Was unternimmt der Senat, um derartige Schwie- rigkeiten ggf. zu überwinden? c. Beabsichtigt der Senat, das Angebot des Projekts auch über 2014 hinaus abzusichern? Wenn ja, wie und in welcher Weise? Ist eine institutionelle Sicherung der Ar- beit durch eine Projektförderung geplant? Zu 1.: Die Ergebnisse der Bildungsinitiative QUEER- FORMAT werden laufend evaluiert. Die angebotenen Veranstaltungen treffen den Bedarf und das Interesse der Fachkräfte in Schule und Kinder- und Jugendhilfe. Die Veranstaltungen werden von 87 % der Teilnehmenden mit gut und sehr gut bewertet. Zu 1a. und 1b.: Schlüsselpersonen der Kinder- und Jugendhilfe (Stadträtinnen und Stadträte, Jugendamtsdi- rektorinnen und Jugendamtsdirektoren, Verbandsvertre- tungen usw.) wurden in 37 Veranstaltungen hinsichtlich der Themen der „Initiative Sexuelle Vielfalt“ qualifiziert, um mit einer Top-Down-Strategie eine weitgehende In- formation der Leitungskräfte zu erreichen. Zu 1.c.: Es ist vorbehaltlich der laufenden Haushalts- beratungen beabsichtigt, die erforderlichen Fortbildungs- veranstaltungen bedarfsgerecht weiterhin mit der Bil- dungsinitiative QUEERFORMAT durchzuführen. 2. Wie beurteilt der Senat die Notwendigkeit der verwaltungsinternen Koordinierungsstelle für die bil- dungs- und jugendhilfepolitischen Aspekte im Rahmen der Umsetzung der ISV? Zu 2.: Die Koordinierungsstelle in der Senatsverwal- tung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat sich über die Umsetzung der im Jahr 2010 beschlossenen Maßnah- men hinaus zu einer wichtigen Verortung und Zuständig- keit für alle Anfragen zu den Themenfeldern Geschlechts- identität, Gender, sexuelle Orientierung, Diversity und vielfältige Lebensweisen entwickelt. Die hohe Akzeptanz der Koordinierungsstelle in der Verwaltung und in der Zivilgesellschaft ermöglicht es, Maßnahmen zielführend in den komplexen Strukturen umzusetzen. 3. Wird seitens des Senats bei den Vorbereitungen für die Haushaltsplanaufstellung 2014/2015 im Rahmen der „Fortsetzung und Weiterentwicklung“ der ISV (Koalitionsvereinbarung und Richtlinien der Regierungspolitik) endlich eine kontinuierliche und durch den Stellenplan abgesicherte Koordinierungstätigkeit in der zuständigen Senatsverwaltung für den Schwerpunkt „Bildung und Aufklärung“ angestrebt, um die nachhaltige Begleitung der Arbeit auf Dauer abzusichern? Zu 3.: Die Tätigkeit der Koordinierungsstelle für die Initiative sexuelle Vielfalt (ISV) in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft ist seit 2010 im Stellenplan meiner Verwaltung etatisiert und wird auch in den Jahren 2014/2015 kontinuierlich fortgeführt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 959 2 4. In welchen inhaltlichen Themenbereichen der ISV plant der Senat von Berlin im Rahmen ihrer „Fortsetzung und Weiterentwicklung“ welche Schwerpunktsetzung und wie sollte sich das aus der Sicht des Senats perspektivisch in der Ressourcenbemessung für ihre Umsetzung nieder- schlagen? Zu 4.: Der Senat entwickelt derzeit vorbehaltlich der laufenden Haushaltsberatungen folgende Schwerpunkte weiter: Handlungsfeld Bildung und Aufklärung stärken  Verstetigung bzw. weitere fachliche Unterstützung der Schulen und Jugendämter durch Informati- onsveranstaltungen für Schlüsselpersonen und Fortbildungen für die Fachkräfte mit mittel- und langfristiger Perspektive unter Stärkung des Top- Down-Ansatzes (Information in den Gremien durch Leitungsebene, Betonung der Wichtigkeit des Themas für Facharbeit, weitere Diskussion in Fachgremien),  „Vielfalt fördern von klein auf“: Schwerpunktsetzung /Ausbau im Bereich Kindertagesbetreuung (in Verbindung mit vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung, Inklusionspädagogik, Diversity Educa- tion, Berliner Bildungsprogramm, Kindertagsför- derungsgesetz) und in Jugendeinrichtungen unter Einbeziehung von Eltern,  Verstetigung bzw. weitere fachliche Unterstützung der Schulen durch Informationsveranstaltungen für Schlüsselpersonen und Fortbildungen für pädago- gische Fachkräfte (insbesondere die schulischen Kontaktpersonen für die Akzeptanz verschiedener Geschlechtsidentitäten und sexueller Orientierun- gen) weiterhin auch durch die Erstellung und Ver- breitung von alters- und zielgruppenspezifischen Materialien,  Erstellung von Bildungskonzepten wie die Einführung des „Queer History Month“ in Schulen und Jugendeinrichtungen ab Februar 2014 Unterstützend wurden u. a. die Entwicklung eines Webportals „Queer History“ beauftragt und Seminare im Bereich Geschichtsdidaktik an der FU Berlin in aktuelle und künftige Lehrpläne integriert. Weiterhin werden Maßnahmen zur Befähigung von Lehrkräften und anderen pädagogischen Fachkräften im Umgang mit verschiedenen Geschlechtsidentitäten, sexu- eller Orientierung und Diversity im Allgemeinen im Rahmen der Ausbildung verfolgt sowie die Implementati- on der Inhalte im Rahmen der Ausbildung an den Hoch- und Fachschulen.  Erforschung und Dokumentation der Geschichte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und in- tergeschlechtlichen Menschen (LSBTI) nach 1945 (Senatsbeschluss) Das Koordinierungsgremium „LSBTI-Geschichte nach 1945“ hat eine erste Bestandsaufnahme und dringende Forschungsbedarfe erörtert. Erste Eckpunkte für ein Konzept wurden erarbeitet. Es geht dabei um die Ak- tensicherung und –sichtung (Archivwesen), ein Projekt Zeitzeugenbefragung, Bildungskonzepte (Queer-history- month) und spezifische Herangehensweisen zur Lesben- forschung. Eine Kooperationsvereinbarung meiner Ver- waltung mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und weiteren Institutionen soll im laufenden Jahr abgeschlos- sen werden. Handlungsfeld Diskriminierung und vorurteilsmotivierte Kriminalität bekämpfen  Bundesrat Die von Berlin initiierte Entschließung des Bundesra- tes über „Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteil- ter“ wird weiterverfolgt. Zur Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Aufhebung der betreffenden Strafurteile hat der Staatssekretär für Justiz einen rechtswissenschaftli- chen Aufsatz in der Zeitschrift für Rechtspolitik veröf- fentlicht (ZRP 2013, S. 76 ff.).  Stärkung der Opferberatung Durch die Implementierung einer Ansprechperson bei der Staatsanwaltschaft Berlin für Opfer homo- bzw. transphob motivierter Straftaten im August 2012 hat der Senat strukturelle Voraussetzungen geschaffen, die An- zeigenbereitschaft perspektivisch zu erhöhen. Parallel dazu wird die Staatsanwaltschaft bei solchen Taten re- gelmäßig das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung annehmen. Auch dies unterstützt die Anzeigebereitschaft und trägt zur Erhellung des Dunkelfeldes bei. Die Zusammenarbeit der Ansprechperson mit den vom Senat zuwendungsgeförderten Opferberatungsstel- len, Präventionsprojekten und weiteren Anlaufstellen der LSBTI-Szenen sowie der Ansprechpersonen bei der Ber- liner Polizei, wird kontinuierlich vertieft und trägt wesent- lich zur Vertrauensbildung bei. Zudem fördert der Senat die Stärkung community-basierter Unterstützungskonzep- te für Gewaltopfer innerhalb der Szenen. Die Sensibilisie- rung der an der Verfolgung homo- und transphob moti- vierter Straftaten Beteiligten bei den Strafverfolgungsbe- hörden ist ein weiteres Handlungsfeld des Senats und wird fortgeführt. Der Justizsenator hat erstmals einen Opferbeauftragten berufen. Der Opferbeauftragte des Landes Berlin setzt sich auch für die Belange von LSBTTI ein. Neue Handlungsfelder  Erweiterung der Initiative durch das Handlungsfeld Stärkung der Selbstbestimmung von transge- schlechtlichen Menschen Hierzu hat die Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung bereits im Dezember 2012 einen Fachtag zum Thema Trans*-Kinder und -Jugendliche in Kooperation mit dem Sozialpädagogischen Fortbildungs- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 959 3 institut Berlin-Brandenburg durchgeführt. Vorgesehen sind des Weiteren die Überprüfung rechtlicher Diskrimi- nierungspotentiale gegenüber transgeschlechtlichen Men- schen sowie die Entwicklung von Maßnahmen zur Förde- rung der Akzeptanz transgeschlechtlicher Menschen in der Arbeitswelt.  Erweiterung fachbezogener Kooperationen auf europäischer und internationaler Ebene. 5. Wie beurteilt der Senat insbesondere die angelau- fene Tätigkeit der von ihm benannten Ansprechpart- ner*innen für LSBTTI* bei der Staatsanwaltschaft Ber- lin? Welche materielle Untersetzung und Ausstattung sollte deren Tätigkeit ab dem Jahr 2014 aus Sicht des Se- nats erfahren? Zu 5.: Die Ansprechpartnerin bei der Staatsanwalt- schaft für gleichgeschlechtliche Lebensweisen und für Opfer sexuell vorurteilsmotivierter Hasskriminalität hat am 14. August 2012 ihre Tätigkeit mit spürbarem Erfolg aufgenommen. Die Arbeit wird von Einzelpersonen sowie von Behörden, Verbänden und Parteien positiv ange- nommen. Die Ansprechpartnerin konnte Kontakt zu di- versen Interessenvertretungen und Beratungsstellen her- stellen. Sie hat einen ständigen Vertreter, um eine zuver- lässige Erreichbarkeit auch im Urlaubs- und Krankheits- fall zu gewährleisten. Die Notwendigkeit eines eigenen Budgets besteht für diese Funktion bisher nicht. Die Kosten für Flyer und Dienstreisen etc. werden aus dem Haushalt getragen. 6. Was hat der Senat während der laufenden Doppel- haushaltsperiode unternommen, um die Aktivitäten für den Themenbereich „Wandel der Verwaltung vorantreiben “ bei der „Fortsetzung und Weiterentwicklung“ der ISV auszubauen? Welche Schritte plant der Senat für die Zeit ab dem Jahr 2014 und welche Untersetzung mit Haushaltsmitteln hält er aufgrund dieser Planung für nö- tig? Zu 6.: Die Sensibilisierung für LSBTI-Themen in der Verwaltung wurde in 2012/2013 schwerpunktmäßig fort- gesetzt. So haben an den Diversity-Trainings der LADS- Akademie zu den thematischen Schwerpunkten „Sexuelle Identität“ sowie „Geschlecht/Gender“ in 2012 und laufend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen der Berliner Senatsverwaltungen und der Be- zirksverwaltungen teilgenommen. Auch wurde in Koope- ration mit der Landeszentrale für politische Bildung eine Jahresfortbildung zum Thema „Diversity-Projektkoordinator /-in“ durchgeführt. Ab 2014 sind weitere Fortbildungs- und Sensibilisie- rungsmaßnahmen zum Thema „Diversity“ mit dem Schwerpunkt „Sexuelle Identität“ sowie „Geschlecht /Gender“ in ausgewählten Bereichen der Berliner Verwaltung denkbar. Mit Informationsveranstaltungen für die Aus- und Fortbildungsbeauftragten sowie den Führungskräften der Berliner Justizvollzugsanstalten hat eine Sensibilisierung zu den Themen „Gleichgeschlechtliche Lebensweisen /Trans- und Intergeschlechtlichkeit“ begonnen. Im zweiten Halbjahr 2013 werden in Kooperation mit der Landesstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminie- rung (LADS) die themenzentrierten Trainings für die Mitarbeitenden der Berliner Justizvollzugseinrichtungen sowie der Sozialen Dienste der Justiz anlaufen. Für 2013 sind in Kooperation mit dem Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamt der Länder Berlin und Brandenburg (GJPA) Diversity-Trainings im Rahmen der Ausbildung der Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare geplant. Die Zeugenbetreuungsstelle im Kriminalgericht Mo- abit und die Opferberatungsstelle werden von dem Opfer- hilfe e.V. in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz betrieben. Zuwendungen der Justiz an den Opferhilfe e.V. kommen daher sämtli- chen Betroffenen zugute. Aufgrund der personellen Auf- stockung der Zeugenbetreuungsstelle im Kriminalgericht Moabit durch eine weitere Zeugenbetreuerin konnten die Öffnungszeiten der Zeugenbetreuungsstelle ab dem 1. April 2013 verlängert werden. Die Justizverwaltung fördert ferner mit nunmehr jähr- lich rund 15.000 € das Projekt des Mann-O-Meter e.V. zur „Beratung und Information für inhaftierte schwule und bisexuelle Männer sowie inhaftierte Männer mit Missbrauchserfahrungen oder sexuellen Identitätsstörun- gen, Betreuung von Vollzugshelferschaften“. 7. Wie ist der Stand bei der „Umsetzung und Weiterentwicklung “ der ISV in Bezug auf die Maßnahmen, die vom Senat zur Verbesserung der Erkenntnisgrundlagen bezüglich der Diskriminierung von LSBTTI* beschlossen worden sind? Zu 7.: Im Einzelnen wurden vom Land Berlin folgen- de Studien in Auftrag gegeben:  Studie „Akzeptanz sexueller Vielfalt an Berliner Schulen. Eine Befragung zu Verhalten, Einstellun- gen und Wissen zu LSBT und deren Einflussvari- ablen“ (Humboldt-Universität zu Berlin unter wissenschaftlicher Leitung von Dr. Ulrich Klocke) Die Befragung zu Verhalten, Einstellungen und Wissen zu LSBT und deren Einflussvariab- len“ wurde bereits veröffentlicht und steht auf der aktuellen Informationsseite zur ISV http://www.berlin.de/lb/ads/gglw/isv zum Down- load bereit.  Die Studie „Lebenssituation und Diskriminierungserfahrungen schwuler und bisexueller Män- ner“ (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Bernd Simon und Dr. Anne Bachmann) wird am 05.06.2013 in einer Veranstaltung der Öffentlich- keit vorgestellt (Information und Anmeldung unter www.berlin.de/lads/gglw). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 959 4  Studie „Konflikte zwischen der Lesben- und Schwulen-Community und anderen gesellschaftli- chen Teilgruppen“ (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Bernd Simon)  Studie „Wirksamkeit von Strategien und Methoden zur Bekämpfung von homophoben Diskriminie- rungen zum Schutz und zur Förderung der Akzep- tanz sexueller Vielfalt (ces – centrum für qualitative evaluations- und sozialforschung). Eine Veröffentlichung der beiden zuletzt genannten Studien ist für dieses Jahr geplant. 8. Plant der Senat von Berlin einen Bericht über die „Fortsetzung und Weiterentwicklung“ der ISV (vgl. etwa Mitteilungen zur Kenntnisnahme Drs. 16/2978 vom 16. Februar 2010 bzw. Drs. 16/3903 vom 23. Februar 2011) an das Abgeordnetenhaus? Wenn ja: wann ist mit der Vorlage eines solchen Berichts zu rechnen? Zu 8.: Eine weitere Berichtspflicht an das Abgeordne- tenhaus über die genannten Drucksachen hinaus besteht nicht und ist derzeit nicht geplant. Berlin, den 09. Juli 2013 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Juli 2013)