Drucksache 17 / 11 991 Kleine Anfrage 17.17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Möller und Hakan Taş (LINKE) vom 29. April 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. April 2013) und Antwort Erkennungsdienstliche Behandlung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Berlin I – das Verfahren Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Nach welchen rechtlichen und verwaltungsinternen Vorgaben und Anweisungen richten sich Zuständigkeiten und Ablauf von erkennungsdienstlichen (ED-)Behand- lungen nach der Einreise von unbegleiteten minderjähri- gen Flüchtlingen (UMF) in Berlin? Zu 1.: Die Überprüfung, Feststellung und Sicherung der Identität ist in § 49 des Aufenthaltsgesetzes (Auf- enthG) geregelt. Verwaltungsinterne Vorschriften zur Umsetzung der Norm finden sich in Verfahrenshinweisen der Ausländerbehörde Berlins. Gemäß § 49 Abs. 4 AufenthG ist die Identität einer Ausländerin oder eines Ausländers durch erkennungs- dienstliche Maßnahmen zu sichern, wenn eine Verteilung nach § 15a AufenthG (Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer) stattfindet. Da die Ausländerbehörde für die Durchführung des Verteilverfahrens nach § 15a AufenthG auch zuständig ist, werden diese Maßnahmen durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde durchgeführt. Die erkennungsdienstliche Behandlung von unerlaubt eingereisten Ausländerinnen und Ausländern, die nach § 15a AufenthG verteilt werden sollen, wird darüber hinaus im Rahmen der Strafanzeige u.a. wegen unerlaubter Ein- reise durch die Polizei vorgenommen. Für polizeiliche Maßnahmen bei der Einreise von un- begleiteten minderjährigen Flüchtlingen sind die Bestim- mungen des Asylverfahrensgesetzes, des Aufenthaltsge- setzes, der Eurodac-Verordnung und der Geschäftsanwei- sung des Landeskriminalamts Nr. 5/2007 über erken- nungsdienstliche Maßnahmen einschlägig. 2. Durch welche Stellen erfolgen welche ED-Maßnahmen bei neu eingereisten Minderjährigen und wie stellt sich der Verfahrensablauf der ED-Behandlung von UMF in Berlin im Einzelnen dar (bitte nach über und un- ter 14-Jährigen unterscheiden)? Zu 2.: Die zulässigen Maßnahmen zur Feststellung der Identität bei Verteilverfahren nach § 15a AufenthG sind in § 49 Abs. 6 Satz 1 AufenthG geregelt. Zulässig sind danach das Aufnehmen von Lichtbildern, das Abnehmen von Fingerabdrücken sowie Messungen und ähnliche Maßnahmen, einschließlich körperlicher Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zum Zweck der Feststellung des Alters festgestellt wer- den, wenn kein Nachteil für die Gesundheit der Auslände- rin und des Ausländers zu befürchten ist. Diese Maßnahmen sind allerdings erst zulässig bei Ausländerinnen und Ausländern, die das 14. Lebensjahr vollendet haben; Zweifel an der Vollendung des 14. Le- bensjahres gehen dabei zu Lasten der Ausländerin und des Ausländers, § 49 Abs. 6 Satz 2 AufenthG. Lichtbilder von den Betroffenen werden von den Mit- arbeiterinnen und Mitarbeitern der Ausländerbehörde dann gefertigt, wenn diese keine eigenen Lichtbilder mit sich führen. Ärztliche Maßnahmen zur Altersfeststellung werden von der Ausländerbehörde nicht durchgeführt. Altersfeststellungen werden ggf. durch die Senatsver- waltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft vorge- nommen. Ansonsten werden den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in der Ausländerbehörde die Fingerabdrücke abgenommen. Vor Abnahme der Fingerabdrücke muss sich die/der Betroffene gründlich die Hände waschen. Mit Hilfe einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters wird der/dem Betroffenen Farbe auf die Fingerkuppen aufge- tragen. Anschließend werden die einzelnen Finger auf das sog. „Fingerabdruckblatt“ platziert. Danach erhält die/der Betroffene erneut die Gelegenheit, sich die Finger zu wa- schen. Die Unterlagen werden dann an das Bundeskrimi- nalamt zwecks Auswertung übersandt, § 89 AufenthG. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 991 2 Der Verfahrensablauf der Polizei bei Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen stellt sich wie folgt dar: Nachdem die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlin- ge einem Polizeigewahrsam zugeführt wurden, wird ge- prüft, ob bereits Informationen im Bilddatenverarbei- tungs- und Informationssystem (BIDAVIS) vorliegen. Ist dies der Fall, erfolgt eine Identifizierung der Person mit- tels Abdrucks des rechten Zeigefingers und ggf. die Er- gänzung fehlender bzw. veralteter Datenbestände. Liegt kein erkennungsdienstliches Material vor, wer- den Finger- sowie Handflächenabdrücke, Lichtbilder und eine Personenbeschreibung gefertigt. Anlassbezogen wer- den eine Telebild- und eine Eurodac-Abfrage durchge- führt. Bei Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht voll- endet haben, werden grundsätzlich keine erkennungs- dienstlichen Maßnahmen durchgeführt. 3. Inwiefern unterscheidet sich das Verfahren bei UMF, die bereits in der Erstaufnahme- und Clearingstelle untergebracht und nach § 42 SGB VIII in Obhut genom- men sind gegenüber denen, bei denen das noch nicht ge- schehen ist? Zu 3.: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die be- reits in der Erstaufnahme- und Clearingstelle in Obhut genommen wurden, werden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Jugendhilfeeinrichtung zur Erstbefra- gung beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangele- genheiten (LABO) begleitet. Beim Inobhutnahmege- spräch mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft erfolgt eine ausführliche Schilderung des anstehenden Verfahrens mithilfe einer Sprachmittlerin oder eines Sprachmittlers der jeweiligen Landessprache. Im Übrigen gibt es bei dem Verfahren keinen Unter- schied. 4. In welchen Fällen ist die Bundespolizei bei den Maßnahmen zur Überprüfung, Feststellung und Sicherung der Identität beteiligt? Zu 4.: In der Ausländerbehörde ist die Bundespolizei nicht an den Maßnahmen beteiligt. 5. Sind bei den Maßnahmen zur Identitätsprüfung in der Ausländerbehörde auch Beamte der Berliner Polizei oder der Bundespolizei anwesend und wenn ja, a. aus welchem Grund (bitte nach über und unter 14- Jährigen unterscheiden)? b. in Uniform oder Zivil? c. werden die Minderjährigen darüber aufgeklärt, wenn Zivilbeamte anwesend sind? Zu 5.: In der Ausländerbehörde werden die Maßnah- men zur Identitätsprüfung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde durchgeführt. Weder die Landes- noch die Bundespolizei ist in der Ausländer- behörde an der Durchführung der o.g. Maßnahmen betei- ligt. Soweit sich jedoch Anhaltspunkte für eine Straftat er- geben, werden die Minderjährigen in einem weiteren Ver- fahrensschritt der Polizei Berlin übergeben, die ein Büro im Dienstgebäude der Ausländerbehörde hat und die wei- teren Maßnahmen veranlasst. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei versehen ihren Dienst in bürgerli- cher Kleidung und geben sich durch Dienstausweis und Dienstmarke zu erkennen. Der Transport der Minderjäh- rigen zur erkennungsdienstlichen Behandlung (ED-Be- handlung) erfolgt durch uniformierte Polizeidienstkräfte. 6. Wie lange dauern in der Regel die ED-Maßnahmen bei Minderjährigen bei der Ausländerbehörde und welche Wartezeiten sind üblich? Zu 6.: Die ED-Behandlung dauert ca. 5 Minuten. Die durchschnittliche Wartezeit kann nicht benannt werden, da diese von verschiedenen Faktoren, z.B. vom Publi- kumsaufkommen abhängig ist. 7. Durch wen und wann werden die Minderjährigen über Zweck und Ablauf der ED-Behandlung in Kenntnis gesetzt sowie über ihre Rechte bei diesem Verfahren auf- geklärt? Zu 7.: ED-Maßnahmen werden erst dann durchge- führt, wenn der Ausländerin oder dem Ausländer das In- formationsblatt über die Identitätsfeststellung und -siche- rung ausgehändigt wurde. Dieses wird der oder dem Be- troffenen gleich bei der Anmeldung in der Ausländerbe- hörde ausgehändigt. Das Informationsblatt erhält die oder der Betroffene in einer für sie oder ihn verständlichen Sprache. Während des Verfahrens werden Fragen von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mündlich, ggf. mit Hilfe von Dolmetscherinnen und Dolmetschern, beant- wortet. 8. Bei welchen beteiligten Stellen kommen im Zusammenhang mit der ED-Behandlung Dolmetscher zum Einsatz und wie und durch wen werden diese bestellt? Zu 8.: In der Ausländerbehörde werden je nach Sprachkenntnissen der Ausländerin oder des Ausländers Dolmetscherinnen oder Dolmetscher eingesetzt. Diese Dolmetscherinnen und Dolmetscher sind Honorarkräfte der Ausländerbehörde. Für die Vorsprache in der Erstaufnahme- und Clea- ringstelle wird eine Sprachermittlerin oder ein Sprach- mittler der jeweiligen Landessprache bestellt. . Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 991 3 9. Welche Begleitpersonen dürfen bei den ED-Maßnahmen bei der Ausländerbehörde, bei der Fahrt zur Poli- zeidienststelle und auf der Polizeidienststelle anwesend sein? Zu 9.: In der Ausländerbehörde können auf Wunsch der oder des Betroffenen Vertrauenspersonen, z.B. An- wältinnen und Anwälte, Familienangehörige oder Betreu- erinnen oder Betreuer bei der Durchführung der ED- Maßnahmen anwesend sein. Bei der Berliner Polizei stehen verfahrensimmanent in der Regel keine berechtigten Begleitpersonen zur Verfü- gung. Sofern die Anwesenheit einer vor Ort befindlichen Amtsperson (z. B. der Clearingstelle) im Gewahrsam bei der Durchführung der erkennungsdienstlichen Behand- lung gewünscht wird, kann dies gewährleistet werden. Die Mitnahme einer Begleitperson im polizeilichen Transportfahrzeug findet nicht statt. 10. Mit welchen Maßnahmen wird bei der Durchführung der ED-Behandlung dem besonderen Schutz- und Fürsorgebedürfnis der Betroffenen und den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention Rechnung getragen? Zu 10.: Die Rechte der Minderjährigen werden jeder- zeit gewährleistet. Zum Schutz der Minderjährigen, die das 14. Lebens- jahr noch nicht vollendet haben, wird auf die Durchfüh- rung verzichtet (vgl. § 16 Abs. 1 AsylVfg). Die Minder- jährigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, werden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Auslän- derbehörde bei der Durchführung der ED-Maßnahmen altersgerecht angesprochen und behandelt. Erforderliche Maßnahmen, die aufgrund sprachlicher Barrieren nicht vermittelt werden können, werden ggf. durch Sprachmittlerinnen oder Sprachermittler oder Dol- metscherinnen oder Dolmetscher erläutert. Sollten die zuständigen Behörden (Jugendamt, Berliner Notdienst Kinderschutz, Clearingstelle) nicht bereits informiert sein, wird dies unverzüglich gewährleistet. In den Gewahrsa- men wird durch getrennte Räumlichkeiten sichergestellt, dass die Minderjährigen keinen Kontakt zu Straftäterin- nen/Straftätern haben. 11. Evaluiert der Senat das Verfahren zur EDBehandlung von UMF und wenn ja, auf welche Art und Weise und mit welchen Ergebnissen? Zu 11.: Auf Initiative der Senatsverwaltung für Bil- dung, Jugend und Wissenschaft wird das Verfahren der- zeit ressortübergreifend evaluiert. Ergebnisse liegen noch nicht vor. 12. Welche Ergebnisse brachte die auf Initiative des „Arbeitskreis junge Flüchtlinge“ des Flüchtlingsrats Berlin e.V. von der FSD-Stiftung durchgeführte Befragung von Betroffenen zur ED-Behandlung von UMF und wel- che Schlussfolgerungen zieht der Senat daraus? Zu 12.: Die Befragung diente der Erhebung quantitativ und qualitativ verwertbarer Daten, auf deren Grundlage die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissen- schaft Gespräche mit den am Verfahren der erkennungs- dienstlichen Behandlung beteiligten Behörden und der Erstaufnahme- und Clearingstelle aufgenommen hat, mit dem Ergebnis die Verfahrensabläufe in Abwägung zu den Schutz- und Fürsorgebedürfnissen der unbegleiteten min- derjährigen Flüchtlinge zu überprüfen. 13. Warum erfolgte bislang keine Veröffentlichung der Untersuchung der FSD-Stiftung? Zu 13.: Wie in Antwort zu Nr. 12 erläutert, diente die Befragung der Vorbereitung für eine Verfahrensabstim- mung der beteiligten Behörden. Hierzu wurde im März dieses Jahres eine Arbeitsgruppe installiert. 14. Wann ist damit zu rechnen, dass die Untersuchung unter Berücksichtigung des Datenschutzes der Öffentlich- keit zugänglich gemacht wird? Zu 14.: Nach einer ersten Abstimmungsphase sollen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe inklusive der Befragung mit verschiedenen Non-Governement Organisations (NGOs) und der interessierten Fachöffentlichkeit erörtert werden. Eine vorzeitige Veröffentlichung der Befragung ist nicht vorgesehen Berlin, den 12. Juni 2013 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Aug. 2013)