Drucksache 17 / 11 992 Kleine Anfrage 17.17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Möller und Hakan Taş (LINKE) vom 29. April 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. April 2013) und Antwort Erkennungsdienstliche Behandlung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Berlin II – bei der Polizei Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. In welchen Fällen und aus welchen Gründen wer- den unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) im Rahmen der erkennungsdienstlichen (ED-)Behandlung in eine Polizeidienststelle gebracht? Zu 1.: Besteht der Verdacht einer illegalen Einreise, ist die Polizei verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren ein- zuleiten und im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens erkennungsdienstliche Maßnahmen durchzuführen. Diese dienen zur Sicherung bzw. Überprüfung der Identitäts- und Altersangaben für das laufende Verfahren und umfas- sen u. a. das Anfertigen von Lichtbildern, die Abnahme von Fingerabdrücken sowie die Vornahme von Messun- gen. Diese Verfahrensweise ist nur in speziell ausgestatte- ten Polizeidienststellen durchführbar. 2. Wie und durch wen werden die UMF über den Ab- lauf und die Dauer der ED-Behandlung bei der Polizei sowie über die ihnen zustehenden Rechte informiert? Zu 2.: Die Betroffenen werden bereits während der Erstbefragung bei der Ausländerbehörde über ihre Rechte und den weiteren Verfahrensablauf informiert. Die Polizei nimmt bei Einleitung des Strafermitt- lungsverfahrens eine Rechtsbelehrung vor und informiert zusätzlich über Art und Umfang der erkennungsdienstli- chen Behandlung. Sofern es erforderlich ist, werden Dol- metscherinnen oder Dolmetscher hinzugezogen. 3. Zu welcher oder welchen Polizeidienststelle/n werden die UMF gebracht und wie erfolgt der Transport dorthin (Gefangenentransport oder Zivilfahrzeug)? Zu 3.: Zur erkennungsdienstlichen Behandlung erfolgt die Zuführung zum Gewahrsam Tempelhof oder zum Gewahrsam City unter Nutzung eines Gefangenentrans- portwagens. 4. Trifft es zu, dass den Minderjährigen beim Trans- port Handfesseln angelegt werden und wenn ja, zu wel- chem Zweck und auf welcher rechtlichen Grundlage ge- schieht dies? Zu 4.: Eine Fesselung der Personen auf der Grundlage des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwangs bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbe- amte des Landes Berlin (UZwG Bln) erfolgt ausschließ- lich in begründeten Einzelfällen zur Vermeidung einer Fremd- oder Eigengefährdung oder zur Verhinderung der Flucht der Personen. 5. Stehen für die ED-Behandlung durch die Polizei Dolmetscherinnen und Dolmetscher zur Verfügung? Zu 5.: Sofern erforderlich können jederzeit Dolmetscherin- nen und Dolmetscher hinzugezogen werden. 6. Wie lange dauert die ED-Behandlung durch die Polizei in der Regel? Zu 6.: Die erkennungsdienstliche Behandlung dauert in der Regel bis zu 45 Minuten. 7. Inwieweit müssen sich die UMF im Rahmen der ED-Behandlung auf der Polizeidienststelle entkleiden und aus welchem Grund ist diese Maßnahme notwendig? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 992 2 Zu 7.: Zur Vermeidung einer Fremd- oder Eigenge- fährdung ist grundsätzlich eine (ggf. auch wiederholte) Durchsuchung von Personen erforderlich, die in einen Gewahrsam eingebracht werden. Die Durchsuchung er- folgt immer durch gleichgeschlechtliches Personal. Hier- bei kann es in Einzelfällen erforderlich sein, dass auch Minderjährige sich teilweise bis auf die Unterwäsche ent- kleiden müssen. In diesen Einzelfällen ist jedoch keine vollständige Entkleidung vorgesehen. Bei einer Entklei- dung bis auf die Unterwäsche wird die Durchsuchung erst dann fortgesetzt, wenn der Oberkörper wieder bedeckt ist. 8. Unter welchen Umständen erfolgt a) eine sofortige Entlassung nach ED-Behandlung? b) die Entlassung erst nach erfolgtem Abgleich der Daten und wie und mit wem werden die UMF dann un- tergebracht? Zu 8.: a) Eine sofortige Entlassung der Personen nach der er- kennungsdienstlichen Behandlung erfolgt grundsätzlich nicht. b) Eine Entlassung ist grundsätzlich erst nach Ab- schluss des Datenabgleichs vorgesehen. Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge werden im Gewahrsam in offenen Sammelzellen ohne Kontakt zu anderen einge- brachten Personen untergebracht. 9. Wie lange dauert es i.d.R., bis die Ergebnisse der ED-Behandlung/Eurodac-Abfrage vorliegen, wenn a) die Minderjährigen die Ergebnisse auf der Polizei- dienststelle abwarten? b) die Minderjährigen zuvor entlassen werden und die Ergebnisse nicht auf der Polizeidienststelle abwarten? Zu 9.: a) Die Dauer beträgt in der Regel bis zu vier Stunden. b) Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor. 10. Trifft es zu, dass die UMF im Rahmen der ED- Behandlung in Gewahrsam genommen werden und wenn ja, a) zu welchem Zweck und auf welcher Rechtsgrund- lage? b) wie lange dauert dies in der Regel? c) wird zur Durchführung dieser freiheitentziehenden Maßnahme der Beschluss eines Haftrichters einge- holt und wenn nein, warum nicht? d) hält der Senat eine Ingewahrsamnahme von UMF für vereinbar mit dem Kindeswohl und dem be- sonderen Schutz- und Fürsorgeauftrag? e) Wie werden die Minderjährigen in dieser Zeit ver- pflegt? f) Wer ist für die Minderjährigen in dieser Zeit An- sprechpartner/in? Zu 10.: a) Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden zur Sicherung und Feststellung der Identität auf Grundlage des Aufenthaltsgesetzes in Gewahrsam ge- nommen. b) Hierzu liegt keine Erhebung vor. Unter Berücksich- tigung der erforderlichen Zeitspanne für die erkennungs- dienstliche Behandlung einschließlich des Datenabgleichs kann davon ausgegangen werden, dass der Gewahrsam in der Regel nicht länger als sechs Stunden andauert. c) Nein. Es handelt sich um eine freiheitsbeschrän- kende Maßnahme, die keiner richterlichen Anordnung bedarf. d) Bei Vorliegen eines ausländerrechtlichen Straftat- bestandes ist die erkennungsdienstliche Behandlung un- verzichtbarer Bestandteil zur Sicherung des Verfahrens. Auf Initiative der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft wird das Verfahren derzeit ressortüber- greifend evaluiert. Ein Ergebnis liegt noch nicht vor. e) Die Verpflegung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Polizeigewahrsam unterscheidet sich nicht von der, die andere eingebrachte Personen erhalten. Sie besteht je nach Tageszeit aus Warm- oder Kaltver- pflegung. f) Die Minderjährigen können jederzeit mit den Poli- zeidienstkräften im Gewahrsam in Kontakt treten. Wei- terhin kann bei entsprechendem Bedarf jederzeit eine fachkundige rechtliche oder ärztliche Beratung sowie ein Kontakt zur Clearingstelle ermöglicht werden. 11. Trifft es zu, dass die ED-Behandlungen bei Schwangeren ohne Aufenthaltsstatus, die die Duldungsre- gelung in Anspruch nehmen, grundsätzlich ohne Inge- wahrsamnahme ablaufen und wenn ja, ist eine solche Re- gelung aus Sicht des Senats auch für UMF möglich? Zu 11.: Ist zur Feststellung der Identität oder zur Si- cherung des Verfahrens eine erkennungsdienstliche Be- handlung erforderlich, unterscheiden sich diese Verfah- rensweisen nicht. 12. Wer wird bei der Entlassung der Minderjährigen nach Abschluss der ED-Behandlung informiert, wie wird die Abholung sichergestellt und was geschieht, wenn die Abholung durch das Betreuungspersonal der Erstaufnah- me- und Clearingstelle nicht sichergestellt werden kann? Zu 12.: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wer- den in Absprache mit der Clearingstelle nach Abschluss der Maßnahmen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern der Clearingstelle übergeben oder soweit erforderlich dieser zugeführt. Berlin, den 11. Juni 2013 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Juli 2013)