Drucksache 17 / 12 030 Kleine Anfrage 17.17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Simon Weiß (PIRATEN) vom 02. Mai 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Mai 2013) und Antwort Ganz unbefangen? Genehmigungen von richterlichen Nebentätigkeiten Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Nebenbeschäftigungen von Richtern au- ßerhalb des öffentlichen Dienstes im Sinne § 4 Richterne- bentätigkeitsverordnung (RiNebVO) wurden seit 2010 in den Berliner Gerichten und den Fachobergerichten Berlin- Brandenburg angezeigt? (Bitte Einzelaufschlüsselung nach Jahr und Gericht.) Zu 1.: Wenngleich Gegenstand des zitierten § 4 der Verordnung über die Nebentätigkeit der Richter (Ri- NebVO) lediglich die geringfügigen Nebenbeschäftigun- gen sind, deren Vergütung jeweils 51,13 Euro nicht über- steigt, verstehe ich die Anfrage dahingehend, dass zu Zif- fer 1 Auskunft über sämtliche Nebenbeschäftigungen außerhalb des öffentlichen Dienstes erbeten wird. Hierzu berichte ich für die Berliner Gerichte sowie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wie folgt: 2010 2011 2012 2013 Ordentliche Gerichtsbarkeit (Kammergericht, Landge- richt Berlin, Berliner Amts- gerichte) 28 25 17 k. A. Verwaltungsgerichtsbarkeit Verwaltungsgericht Berlin Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 9 3 10 3 11 2 11 3 Sozialgerichtsbarkeit (nur Sozialgericht Berlin) 7 1 6 2 Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsgericht Berlin Landesarbeitsgericht Ber- lin-Brandenburg 130 162 125 158 106 157 44 47 Die im Verhältnis zur ordentlichen Gerichtsbarkeit deutlich höhere Anzahl von Nebentätigkeiten in der Ar- beitsgerichtsbarkeit ergibt sich aus unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen. Von Bedeutung ist in- soweit insbesondere das Einigungsstellenverfahren nach § 76 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), das nach der Konzeption des Gesetzes für eine möglichst zügige Streitbeilegung in betrieblichen Mitbestimmungsangele- genheiten vorgesehen ist. Der Vorsitz von Einigungsstel- len wird in der Praxis wegen deren besonderer Sachkunde häufig Richterinnen oder Richtern aus der Arbeitsge- richtsbarkeit übertragen, die diesen im Rahmen einer Ne- bentätigkeit wahrnehmen. Diesem Umstand wird im Üb- rigen auch in den Geschäftsverteilungsplänen Rechnung getragen. Weiter kommen Nebentätigkeiten im Bereich der Vermittlung spezifischer arbeitsrechtlicher Kenntnisse an Betriebsräte oder Mitarbeiterinnen sowie Mitarbeiter von Personalabteilungen vor, die eine möglichst sachdienliche und ideologiefreie Anwendung arbeitsrechtlicher Vor- schriften in der betrieblichen Praxis fördern. Ein gesetzli- cher Anknüpfungspunkt dafür findet sich in § 37 BetrVG. 2. Wie viele der angezeigten Nebentätigkeiten über- schritten jeweils die dort geregelte Vergütungsgrenze und waren somit genehmigungspflichtig? Zu 2.: Sämtliche von Richterinnen und Richtern am Sozialgericht Berlin sowie am Verwaltungsgericht Berlin angezeigten Nebenbeschäftigungen außerhalb des öffent- lichen Dienstes waren genehmigungspflichtig. Im Gegen- satz dazu überschritt keine der von Richterinnen und Richtern am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg angezeigten Nebentätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes die in § 4 Abs. 1 RiNebVO gesetzte Vergü- tungsgrenze. In der ordentlichen Gerichtsbarkeit werden die aus Nebentätigkeiten erzielten Nebeneinkünfte als solche nicht gesondert statistisch erfasst. Angaben hierzu sind daher nicht möglich. Für die Arbeitsgerichtsbarkeit berichtet die Senats- verwaltung für Arbeit, Integration und Frauen: Unabhän- gig von der Vergütungsgrenze werden in der Arbeitsge- richtsbarkeit im Hinblick auf die typischen Nebentätigkei- ten im Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit (z. B. Tätigkei- ten im Bereich des Betriebsverfassungs- und Personalver- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 030 2 tretungsgesetzes, Schulungsveranstaltungen für Betriebs- räte, Personalräte, ehrenamtliche Richterinnen bzw. Rich- ter und Rechtsanwältinnen bzw. Rechtsanwälte) diese auch dann genehmigungspflichtig, wenn bei der (ersten) beabsichtigten Nebentätigkeit die Vergütung unter der Grenze des § 4 RiNebVO bleibt, es sei denn, die Richterin oder der Richter stellte mit dem Antrag klar, dass es nur bei dieser einen Nebentätigkeit im Jahr bleiben werde. Dies sind jedoch Ausnahmefälle. 3. Wie viele dieser Nebentätigkeiten wurden jeweils genehmigt bzw. versagt? a) Wie verteilen sich die versagten Nebentätigkeiten jeweils auf die verschiedenen Versagungsgründe? Zu 3.: Sämtliche von Richterinnen und Richtern des Sozialgerichts Berlin, des Verwaltungsgerichts Berlin sowie des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg angezeigten Nebenbeschäftigungen wurden genehmigt. Gleiches berichtet die Senatsverwaltung für Arbeit, In- tegration und Frauen für das Arbeitsgericht Berlin und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Für die ordent- liche Gerichtsbarkeit existiert auch hierzu kein der Aus- kunft dienendes Zahlenmaterial. Zu 3 a): Entfällt. 4. Wie viele der als genehmigt geltenden Nebentätig- keiten unterhalb der Vergütungsgrenze wurden trotzdem untersagt, und wie verteilen sich diese Entscheidungen wiederum auf die Versagungsgründe? Zu 4.: Nebentätigkeiten unterhalb der Vergütungs- grenze im Sinne von § 4 Abs. 1 RiNebVO wurden - wie gesagt - lediglich beim Oberverwaltungsgericht Berlin- Brandenburg angezeigt bzw. überhaupt statistisch erfasst; keine dieser Nebenbeschäftigungen wurde untersagt. Gleiches berichtet - für die wenigen dort angezeigten Fäl- le geringfügiger Nebentätigkeit - die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen für das Arbeitsgericht Ber- lin und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. 5. Wie viele mit der Nebenbeschäftigung des betroffe- nen Richters begründete Befangenheitsanträge wurden jeweils in gerichtlichen Verfahren gestellt und wie oft waren diese erfolgreich? Falls Befangenheitsanträge er- folgreich waren, hat dies zu einer Neubewertung der Ge- nehmigung geführt? Zu 5.: Es existiert kein statistisches Material, dem sich die erfragten Angaben entnehmen ließen. Insbesondere wird ein etwaiger Zusammenhang zwischen einer Neben- tätigkeit und einem Befangenheitsantrag statistisch nicht erfasst. Das entsprechender Auskunft dienende Zahlenma- terial müsste im Hinblick auf die große Anzahl der inso- weit zu erfassenden Personalaktendaten fortwährend au- tomatisiert verarbeitet werden, wozu zunächst ein Mitbe- stimmungsverfahren gemäß §§ 41 Abs. 2 Nr. 1 Richterge- setz Berlin (RiGBln), 85 Abs. 2 Nr. 8 Personalvertre- tungsgesetz Berlin (PersVGBln) einzuleiten wäre. Der Aufwand einer nachträglichen, händischen Auswertung der Personalakten sämtlicher Richterinnen und Richter in Abgleich mit einer Vielzahl von Prozessakten aber über- stiege deutlich das von den einzelnen Dienststellen leist- bare Maß. Durch die Geschäftsverteilungspläne sowohl beim Arbeitsgericht Berlin als auch beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ist jedoch sichergestellt, dass in Ver- fahren, in denen der Spruch einer Einigungs-, Schlich- tungs- oder Schiedsstelle oder eine in dieser Stelle ge- troffene Vereinbarung zu überprüfen, auszulegen oder anzuwenden oder über die Zuständigkeit dieser Stelle zu entscheiden ist, die Richterin oder der Richter, die in den genannten Stellen tätig war, als Vorsitzende ausgeschlos- sen ist. 6. Existieren in den Ländern Berlin oder Brandenburg oder den einzelnen Gerichten Anweisungen, Richtlinien oder anderweitig festgehaltene Kriterien zur Entschei- dung, wann eine Nebentätigkeit zu untersagen ist, da sie das Vertrauen in die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit oder Unbefangenheit des betroffenen Richters gefährdet? Wenn ja, welchen Inhalts? (Bitte im Originalwortlaut beifügen oder Fundstelle angeben.) Zu 6.: Gesonderte Anweisungen, Richtlinien oder Kri- terienkataloge der bezeichneten Art existieren in Berlin nicht. Die allein vom Präsidenten des Landesarbeitsge- richts Berlin-Brandenburg ausdrücklich formulierten in- ternen Hinweise greifen lediglich die bestehenden gesetz- lichen Vorgaben und Verwaltungsrichtlinien auf. Danach ergeben sich - abgesehen von den in § 5 RiNebVO ge- nannten Versagensgründen sowie den dort in Bezug ge- nommenen Vorschriften des Deutschen Richtergesetzes (§§ 4, 39, 40, 41 DRiG) - weitere zeitliche wie monetäre Begrenzungen von Nebentätigkeiten vor allem auch im Rückgriff auf die einschlägigen beamtenrechtlichen Rege- lungen (§§ 60 bis 68 des Landesbeamtengesetzes - LBG - in Verbindung mit der Nebentätigkeitsverordnung - NtVO). 7. Welche Rolle spielt die Senatsverwaltung für Justiz als oberste Dienstbehörde bei der Genehmigungspraxis richterlicher Nebentätigkeiten über den Erlass der Ri- NebVO hinaus? Zu 7.: Gem. § 7 RiNebVO liegt die Zuständigkeit für die Genehmigung einer Nebentätigkeit, deren Widerruf unter Untersagung bei der unmittelbaren Dienstvorgesetz- ten bzw. dem unmittelbaren Dienstvorgesetzten. Als oberste Dienstbehörde übt die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz jedoch auch in diesen Angelegen- heiten - beispielsweise mittels Berichtsaufträgen u. ä. - ihre Dienstaufsicht aus. 8. Welche Unterschiede ergeben sich zwischen den gemeinsamen Fachobergerichten je nach Sitzland in der Genehmigungspraxis von Nebentätigkeiten daraus, dass nach Berliner RiNebVO die Entscheidungszuständigkeit Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 030 3 bei den Dienstbehörden (also den Präsidien der Gerichte), nach Brandenburger RiNebVO bei der obersten Dienstbe- hörde (also dem Brandenburger Justizministerium) liegt? a) Ist nach Ansicht des Senats eine Vereinheitlichung dieser Vorschriften im Sinne von Artikel 4 des Fachober- gerichte-Staatsvertrags anzustreben? Zu 8.: Bedeutsame Unterschiede in der Genehmi- gungspraxis bei den gemeinsamen Fachobergerichten je nach Sitzland und dortiger Entscheidungszuständigkeit treten nicht zu Tage. Zum einen sind die Präsidentinnen und Präsidenten der Fachobergerichte bereits aufgrund ihrer Zuständigkeit als Oberbehörde für erstinstanzliche Gerichte sowohl in Berlin als auch in Brandenburg be- müht, eine nach den Regeln beider Länder tragbare Ge- nehmigungspraxis zu üben. Zum anderen pflegen die Prä- sidentinnen und Präsidenten der Fachobergerichte unter- einander einen regen Austausch über alle dienstlichen Belange. Fragen der Nebenbeschäftigung von Richterin- nen und Richter waren beispielsweise Gegenstand der regelmäßig auf Einladung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz stattfindenden Treffen der Präsi- dentinnen und Präsidenten der gemeinsamen Fachoberge- richte, der Präsidentin des Kammergerichts sowie des Generalstaatsanwalts in Berlin. Zu 8 a): Dementsprechend sehe ich derzeit kein Be- dürfnis für die Vereinheitlichung der Nebentätigkeitsrege- lungen in beiden Ländern. Berlin, den 27. Mai 2013 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Juni 2013)