Drucksache 17 / 12 045 Kleine Anfrage 17.17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 07. Mai 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Mai 2013) und Antwort Sorgerechtsentzug und Pflegefamilien mit Migrationshintergrund Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Sind dem Senat die Vorwürfe der Regierung der Türkei bekannt, dass in europäischen Staaten Kinder ihren türkeistämmigen Eltern – zum Teil grundlos – entzogen und diese assimiliert werden? Falls ja, wie bewertet der Senat diese Vorwürfe? 8. Teilt der Senat die Auffassung, dass es für das Kindeswohl grundsätzlich sinnvoll wäre, Kinder in Fami- lien mit gleicher kultureller Herkunft unterzubringen? Falls nein, warum nicht? Zu 1. und 8.: In unterschiedlichen Zusammenhängen sind dem Senat entsprechende Befürchtungen im Zusam- menhang mit Inobhutnahmen bekannt geworden. Die für Jugend und Familie zuständige Senatsverwaltung hat in Gesprächen mit dem Generalkonsul der Republik der Türkei sowie einer Delegation von Mitgliedern des türki- schen Parlaments, des Ministeriums für Familie und Sozi- alpolitik sowie der Ministerialbehörde des Ministerpräsi- denten die Rechtslage im Zusammenhang mit Kinder- schutz und der familiengerichtlichen Maßnahmen aus- führlich dargelegt. Diese Delegation führte auch im Ju- gendamt Neukölln und in anderen Jugendämtern zu die- sem Thema Gespräche und es wurden einzelfallbezogene Aspekte erörtert. Dabei wurde insbesondere verdeutlicht, wie in jedem Einzelfall der Spannungsbogen zwischen den Erfordernissen des Kinderschutzes (ggf. auch mit der Notwendigkeit der Herausnahme aus der Familie) und einem erforderlichen migrationssensiblem Umgang zum Erfolg eines Hilfeprozesses beiträgt. Zum Gelingen einer Hilfe in einer Pflegefamilie kommt es besonders auf eine kooperative Zusammenar- beit und Akzeptanz zwischen Herkunfts- und Pflegefami- lie an. Wenn z.B. ein Kind aus unterschiedlichen Gründen ggf. zeitlich befristet oder auf Dauer nicht mehr bei seinen leiblichen Eltern leben kann, und die stationäre Unter- bringung in einer Pflegefamilie als die geeignete und notwendige Hilfe zur Erziehung befunden worden ist, wird in jedem Einzelfall im Rahmen der Hilfeplanung eine geeignete Pflegefamilie (soweit möglich und fachlich geeignet mit dem selben Migrationshintergrund wie das Pflegekind) ausgewählt. Die Herkunftseltern sind in den Hilfeplanprozess einbezogen und an dessen Fortentwick- lung beteiligt. 2. Wie viele vernachlässigte oder missbrauchte Kinder oder Jugendliche mit Migrationshintergrund – insbesondere Kinder und Jugendliche von türkeistämmi- gen Eltern – wurden in den letzten fünf Jahren auf eigenen Wunsch der Kinder/Jugendlichen oder aufgrund aku- ter Kindeswohlgefährdung von den Berliner Behörden in Obhut genommen? Zu 2.: Die angefragte Differenzierung der Angaben wird in der Berliner Hilfeplanstatistik nicht erhoben. 3. Inwieweit und in welcher Weise wird in diesem Verfahren der kulturelle Hintergrund berücksichtigt? Besitzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der zustän- digen Behörden die entsprechende interkulturelle Kom- petenz? 4. Wurden bzw. werden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Behörden entsprechende interkultu- relle Schulungsmaßnamen angeboten? Falls nicht, warum nicht und wäre dies nicht angebracht? Zu 3. und 4.: Die Bedeutung und Beachtung der fami- liären Hintergründe mit deren Wertebezügen und Erzie- hungsnormen sind für die Gestaltung gelingender Hilfe- prozesse entscheidend. Die Ausführungsvorschriften für den Prozess der Planung und Durchführung von Hilfe zur Erziehung und Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche und Hilfe für junge Volljährige (AV-Hilfeplanung) sieht vor, dass die Beratung der El- tern, Kinder, Jugendlichen und jungen Volljährigen das Ziel hat, eine Verständigung über die Ziele der Hilfe zu erreichen. Sie erfolgt in einem kooperativen Prozess und soll sich an dem Willen der Betroffenen orientieren. Kin- der und Jugendliche sind altersgemäß zu beteiligen. Im Mittelpunkt steht die Stärkung der Erziehungsverantwor- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 045 2 tung der Eltern. Dabei ist die Gewährleistung der Partizi- pation und Beteiligung von Menschen mit Migrations- hintergrund ein besonderes Anliegen der Jugendhilfe und wird als zusätzlicher Hinweis in die Neufassung der AV- Hilfeplanung aufgenommen. Das Sozialpädagogische Fortbildungsinstitut Berlin- Brandenburg (SFBB) bietet darüber hinaus für alle in der Jugendhilfe tätigen Fachkräfte seit vielen Jahren regelmä- ßig Fortbildungsangebote zur interkulturellen Sensibilisie- rung an:  Interkulturelles Fallmanagement für die Regionalen Sozialen Dienste der Jugendämter  Vielfalt wahrnehmen und wertschätzen: Den Diversity-Ansatz für die pädagogische Arbeit nutzbar machen,  Diversity als Teambildungsaufgabe im Jugendamt,  Kulturelle Wertekonflikte und deren Bearbeitung in der transkulturellen Jugendarbeit,  Gesprächsführung mit Eltern nichtdeutscher Herkunft in der offenen Kinder- und Jugendarbeit,  Migration, Integration, Benachteiligung: Die Potenziale der internationalen Jugendarbeit  Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung als inklusives Praxiskonzept in Kindertagesstätten. 5. Falls ja, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben an diesen Schulungen teilgenommen (bitte absolute Zahlen und in Prozent der potentiellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer angeben)? 6. Wie viele Personen sind mit diesen Aufgaben (Kindeswohl, Sorgerechtsentzug) betreut? Wie viele ha- ben einen Migrationshintergrund und welchen? 7. Wie viele der Kinder wurden in die Obhut von Familien aus dem gleichen Kulturkreis übergeben? 9. Wie viele Pflegeeltern mit Migrationshintergrund – insbesondere türkeistämmige Eltern– gibt es in Berlin? Zu 5., 6., 7. und 9.: Eine Statistik zu den Fragen 5. bis 7. und 9. wird nicht geführt. Das Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg führt für al- le Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes im Zeitraum 2011-2014 ein zweitätiges Grundlagenseminar zur interkulturellen Sensibilisierung durch. Die Seminare werden von einem dafür eigens geschulten Trainingsteam – überwiegend selbst Trainerinnen und Trainer mit einem Migrationshintergrund – vom SFBB durchgeführt. Die Seminare sind verpflichtend; sie sollen die spezifischen Anforderungen im Umgang mit Familien mit Migrations- hintergrund verdeutlichen und ein vorurteilsfreies Han- deln der Fachkräfte befördern. Die Jugendämter Neukölln und Reinickendorf haben ebenfalls derartige Inhouse- Seminare geplant bzw. in Kooperation mit dem SFBB teilweise durchgeführt. 10. Gibt es in Berlin eine ausreichende Zahl von potentiellen Pflegefamilien mit Migrationshintergrund – insbesondere mit türkischem Migrationshintergrund? Falls nein, welche speziellen Maßnahmen werden ergrif- fen, um Menschen mit Migrationshintergrund für die In- pflegenahme von Kindern und Jugendlichen insbesondere aus dem eigenen Kulturkreis zu motivieren und zu schu- len? Zu 10.: Der Senat hat das Ziel, die kulturelle Vielfalt der Stadt in seinen sozialen Unterstützungsangeboten abzubilden. Deshalb wird von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft gemeinsam mit dem für gesamtstädtische Werbung gefördertem Träger Fami- lien für Kinder gGmbH in Zusammenarbeit mit den Pfle- gekinderdiensten der Bezirke aktuell eine Werbekam- pagne vorbereitet, um für Kinder entsprechende Pflege- familien zu gewinnen. Eine Auftaktveranstaltung ist für den 01.09.2013 auf dem diesjährigen Pflegefamilientag geplant. Zur Vorbereitung der Veranstaltung wurden Ge- spräche mit dem Beauftragten für Integration und Migra- tion der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen und u.a. mit der Türkisch-Deutschen Frauenverei- nigung zu Berlin e.V. BETAK und dem Präsidenten der Türkischen Gemeinde geführt. Gemeinsames Ziel ist es, bestehende Vorurteile abzubauen und gemeinsam ein po- sitives Image der Pflegekinderhilfe zu stärken. Um Fami- lien mit Migrationshintergrund für die Aufnahme von Pflegekindern, insbesondere aus dem eigenen Kulturkreis, zu motivieren und zu schulen, wurden in diesem Jahr 12 Mitarbeiterinnen des Vereins BETAK als Multiplikato- rinnen zum Thema Pflegekinderhilfe in Berlin vom Trä- ger Familien für Kinder gGmbH geschult. 11. Werden spezielle Maßnahmen, z.B. Schulungen zur Förderung der interkulturellen Kompetenz, angeboten, damit Pflegeeltern ohne Migrationshintergrund für die Inpflegenahme von Kindern und Jugendlichen mit Migra- tionshintergrund vorbereitet und beratend begleitet wer- den? Zu 11.: Zur Vorbereitung auf die Aufnahme eines Pflegekindes nehmen alle Pflegeeltern an einem Kurspro- gramm des SFBB teil (Pflegeelternschule). Die Teilneh- merinnen und Teilnehmer werden im Rahmen des Pro- gramms vorbereitet, Sensibilität für die Herkunft des Pflegekindes zu entwickeln. Dabei werden insbesondere die Anforderungen, Aufgaben und Bedarfe bei der Auf- nahme eines Pflegekindes mit Migrationshintergrund in einer Pflegefamilie ohne Migrationshintergrund bearbei- tet. Die Pflegepersonen werden nach Aufnahme des Pfle- gekindes im gesamten Hilfeverlauf durch geschulte Fach- kräfte beraten und begleitet. Berlin, den 12. Juni 2013 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Juni 2013)