Drucksache 17 / 12 227 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 11. Juni 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Juni 2013) und Antwort Evaluation der Einweisungspraxis im offenen Vollzug Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Hat der Senat mit der von ihm im Juli 2012 in Auf- trag gegebenen "Evaluation der Einweisungspraxis im offenen Vollzug unter besonderer Berücksichtigung der Zusammenarbeit zwischen der Staatsanwaltschaft Berlin und der Anstalt des Offenen Vollzuges Berlin" erste Er- kenntnisse erzielt und wenn ja, welche? 2. Hat sich die Einschätzung der Vereinigung Berliner Staatsanwälte (VBS) als zutreffend herausgestellt, dass die Berliner Einweisungspraxis in den offenen Vollzug "zu großzügig" ist? Zu 1. und 2.: Gegenstand der Evaluation war die Überprüfung der Einweisungspraxis von Verurteilten in den offenen Männervollzug im Land Berlin. Dabei war ein Schwerpunkt der Analyse die Betrachtung der Zu- sammenarbeit zwischen der Staatsanwaltschaft Berlin (StA) als Strafverfolgungs- und Strafvollstreckungsbe- hörde und der Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzu- ges Berlin (JVA OVB). Der Bericht gibt einen umfassenden Einblick in die Vollzugsform des Offenen Vollzuges, analysiert die be- stehenden Regelungen und wertet die Praxis der Voll- zugslockerungen aus. So wird z. B. dargelegt, dass im Jahr 2011 bei einer Jahresdurchschnittsbelegung von 995 Gefangenen 97.720 Vollzugslockerungen aus dem offenen Vollzug heraus gewährt wurden. Dabei sind 72 der Gefangenen nicht oder nicht rechtzeitig in die Anstalt zurückgekehrt. Dies ergibt eine auf die Lockerungsmaßnahmen bezogene Missbrauchsquote von 0,07 %. Vergleicht man die Miss- brauchsquote im Zeitraum 1990 bis 2011 ist festzustellen, dass diese Quote kontinuierlich von 0,56 % im Jahr 1991 über 0,32 % im Jahr 1996 und 0,16 % im Jahr 2001 auf 0,09 % im Jahr 2006 gesunken ist und, wie oben ausge- führt, im Jahr 2011 auf 0,07 % reduziert werden konnte. Der Bericht analysiert auch, ob aus der JVA OVB heraus schwere Straftaten begangen worden sind. Dazu wurden alle Verdachtsfälle der Jahre 2005 bis 2012 aus- gewertet. Danach waren in diesem Zeitraum 19 Fälle zu verzeichnen, in denen der Verdacht bestand, der Gefan- gene habe aus dem Offenen Vollzug heraus eine schwere Straftat (schwere Gewalttat, Sexualstraftat, schwere Be- täubungsmittelstraftat - Handeltreiben - oder Straftat aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität) begangen. In 9 dieser 19 Verdachtsfälle kam es zu einer erneuten Ver- urteilung. Dabei handelte es sich um 7 Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß §§ 29, 29a, 30, 30a Betäubungsmittelgesetz (BtMG), einen Fall der Hehlerei gemäß § 259 Strafgesetzbuch (StGB) - der Tat- verdacht hatte zunächst auf Geiselnahme gelautet - sowie einen Fall eines Totschlags gemäß § 212 StGB. Das Tö- tungsdelikt resultierte aus einer spezifischen Beziehung zwischen stark alkoholisiertem Täter und Opfer. Zu Ver- urteilungen wegen eines Sexualdelikts ist es nicht ge- kommen. Wie der Bericht mittels vorgenommener Akten- auswertung analysiert, ergaben sich in keinem Fall Hin- weise auf ein Versäumnis der Anstalt bei der Eignungs- prüfung der Gefangenen. In dem Bericht wird weiter ausgeführt, dass in dem Untersuchungszeitraum (2005 bis 2012) 9.345 Gefangene im offenen Männervollzug untergebracht waren, denen innerhalb dieses Zeitraumes 700.129 Vollzugslockerun- gen (einschließlich Urlaub) gewährt wurden. Vor diesem Hintergrund stellt der Bericht fest, dass keine Belege für eine mögliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bestehen. Allerdings macht der Bericht deutlich, dass neben ei- ner schnelleren Strafvollstreckung, insbesondere die Kommunikationsstrukturen zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und der JVA OVB verbessert werden müssen. Dazu gibt der Bericht eine Reihe von Empfehlungen ab. Beispielhaft soll hier die Benennung weiterer OK (Orga- nisierte Kriminalität)-Beauftragter in den Behörden oder Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 227 2 die Einrichtung einer Kommunikationsstelle bei der Staatsanwaltschaft genannt werden. Insoweit wird jetzt eine fachübergreifende Umsetzung geprüft und ein kon- kreter Zeit-Maßnahmeplan erarbeitet. Ziel ist es, durch eine Verbesserung der Kooperation zwischen Staatsan- waltschaft, Polizei und auch der Ausländerbehörde, die Missbrauchsfälle im Offenen Vollzug weiter zu minimie- ren. Dabei soll besonderes Augenmerk auf die Bereiche Organisierte und Betäubungsmittelkriminalität gelegt werden. Der Bericht unterbreitet weitere Empfehlungen und daraus abzuleitende Maßnahmen zur Verbesserung der Gefangenenpersonalaktenführung oder zur Strafvollstre- ckung, z. B. zur Änderung der Gnadenordnung. Zu Letz- terer wird im Hinblick auf eine schnellere Vollstreckung ein Gesetzentwurf erarbeitet, wonach das erste Gnadenge- such in Vollstreckungsangelegenheiten grundsätzlich keine hemmende Wirkung mehr entfalten soll. Als Resümee aus dem Bericht ist damit einerseits fest- zuhalten, dass insbesondere die festgestellten Kommuni- kationsdefizite zu beheben und weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Abläufe und Entscheidungsgrundlagen umzusetzen sind. Andererseits wird deutlich, dass der offene Vollzug seine Aufgabe verantwortungsvoll wahr- nimmt. Denn durch die Erprobung im offenen Vollzug lernen Gefangene sich an Regeln zu halten und sind nach ihrer Entlassung auf ein Leben in Freiheit besser vorbe- reitet. Das Risiko neuer Straftaten und Opfer ist damit geringer. 3. Wann ist mit der Veröffentlichung des Evaluations- ergebnisses zu rechnen? Zu 3.: Der Bericht wurde den Mitgliedern des Aus- schusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung in der 27. Sitzung am 4. September 2013 vorgestellt. Berlin, den 06. September 2013 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Sep. 2013)