Drucksache 17 / 12 392 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Heiko Thomas (GRÜNE) vom 02. Juli 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Juli 2013) und Antwort Hobbyärzte in Berlin? Tätigkeitsumfänge in der vertragsärztlichen Versorgung Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin hat die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV Berlin) um Stellungnahme gebeten. Die KV Berlin nimmt zu den Fragen Nr. 1 bis 5, 7 und 9 bis 13 wie folgt Stellung: 1. Mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) wurde 2006 Paragraph 95 Sozialgesetzbuch Fünf (SGB V) geändert und die Möglichkeit eingeführt, auch Zulassungen mit hälftigen Versorgungsaufträgen zu erteilen (Abs. 3) bzw. bei bestehenden Zulassungen das hälftige Ruhen (Abs. 5) bzw. den hälftigen Entzug (Abs. 6) einer hauptberuflichen Tätigkeit vorzunehmen. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV) Dr. Andreas Köhler äußerte Kritik an so- genannten „Hobbyarztpraxen“, die nur wenige Scheine abrechnen und weniger als 20 Stunden für die Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten zur Verfügung stehen. In wie vielen Fällen wurden in Berlin (absolut sowie prozentual, aufgeschlüsselt nach Arztgruppen und darin nach Geschlecht) sogenannte Teilzulassungen erteilt? Zu 1.: In Berlin bestehen Teilzulassungen im folgen- den Umfang (Stand 01.07.2013): Fachgruppe Ärztinnen und Ärzte bzw. psy- chologische Psychotherapeutin- nen und psychologische Psycho- therapeuten mit einem halben Versorgungsauftrag Anteil an den insgesamt Zugelassenen Allgemeinmediziner/Praktiker/Hausärztlicher Internist 56 2,76 % Ausschließlich psychotherapeutisch tätige Ärzte 21 9,59 % Facharzt für Pathologie 1 2,63 % Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 15 6,25 % Fachärzte (FÄ) Internist 26 7,62 % FÄ Nervenheilkunde/Nervenärzte oder FÄ Neurologie u. Psychiatrie/ FÄ Neurologie 11 5,16 % FÄ Physiotherapie od. FÄ Physikalische u. Rehabilitative Medizin 1 1,75 % FÄ Psychiatrie oder FÄ Psychiatrie u. Psy- chotherapie 4 5,48 % FÄ Radiologie, FÄ Radiologische Diagnos- tik oder Diagnostische Radiologie 12 9,76 % FÄ für Anästhesiologie 5 4,13 % FÄ für Augenheilkunde 12 4,53 % FÄ für Chirurgie 24 13,41 % FÄ für Dermatologie 6 3,49 % FÄ für Gynäkologie 30 6,26 % FÄ für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde 10 4,61 % Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 392 2 FÄ für Humangenetik 1 12,5 % FÄ für Laboratoriumsmedizin od. Mikrobio- logie 7 26,92 % FÄ für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie 2 3,33 % FÄ für Orthopädie 29 9,57 % FÄ für Phoniatrie u. Pädaudiologie 1 16,67 % FÄ für Urologie 9 6,21 % Kinder- u. Jugendlichenpsychotherapeut 9 3,35 % Kinderarzt 17 6,34 % Psychologischer Psychotherapeut 95 6,53 % Eine geschlechtsspezifische Aufschlüsselung war mit vertretbarem Verwaltungsaufwand zum Bedauern der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin nicht möglich. 2. In wie vielen Fällen (aufgeschlüsselt nach Arzt- gruppen und darin nach Geschlecht) wurde in der Kassen- ärztlichen Vereinigung Berlin seit Inkrafttreten des im VÄndG veränderten § 95 SGB V der Antrag gestellt, Zulassungen hälftig ruhen zu lassen oder zu entziehen und in wie vielen Fällen wurde diesen Anträgen gefolgt? Zu 2.: Der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin hat bisher in vier Fällen beschlossen, einen Antrag auf eine hälftige Entziehung der Zulassung zu stellen. In zwei Fällen liegt der Antrag bereits beim Zulassungsaus- schuss vor. In den beiden weiteren Fällen werden die Anträge in Kürze beim Zulassungsausschuss eingereicht. Bislang liegen noch keine Entscheidungen des Zulas- sungsausschusses vor. 3. Wie groß ist landesweit der Anteil an Vertragsärz- tInnen mit voller Zulassung (aufgeschlüsselt nach Arzt- gruppen und darin nach Geschlecht), die in der Versor- gung von GKV-Patienteninnen und -patienten a weniger als ein Viertel der durchschnittlichen Fall- zahlen, b zwischen einem Viertel und der Hälfte der durch- schnittlichen Fallzahlen, c zwischen der Hälfte und Dreiviertel der durch- schnittlichen Fallzahlen d zwischen Dreiviertel und den durchschnittlichen Fallzahlen, e zwischen hundert und hundertfünfundzwanzig Prozent der durchschnittlichen Fallzahlen, f mehr als hundertfünfundzwanzig Prozent der durchschnittlichen Fallzahlen abrechnen? 4. Wie groß sind die unter Frage 3 erfragten Anteile bei einer Aufschlüsselung nach a Arztgruppe und darin Geschlecht b Arztgruppe und darin Altersgruppen (bis 34, 35 - 44, 45 - 54, 55 - 59, 60 - 64, 65 Jahre und älter)? 5. Wie groß ist bezogen auf den Bezirk der Kassen- ärztlichen Vereinigung Berlin (nach Geschlecht) der An- teil an Psychologischen PsychotherapeutInnen sowie Kinder- und JugendpsychotherapeutInnen mit voller Zu- lassung, die in der Versorgung von GKV-Patienteninnen und -patienten (gemäß Prüfzeiten des EBM Anhang 3) a weniger als 8 Stunden b mehr als 8 und weniger als 16 Stunden c mehr als 16 und weniger als 24 Stunden d 24 und mehr Stunden abrechnen? Zu 3. bis 5.: Zur Beantwortung dieser Fragen wären aufwändige Verknüpfungen von Arztstammdaten und Abrechnungsdaten erforderlich. Diese Daten liegen der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin nicht vor. Sie könn- ten nur mit einem unvertretbaren Verwaltungs- und Kos- tenaufwand bereitgestellt werden. 6. Welche Gründe sind aus Sicht des Senats für die sehr große Bandbreite der von ÄrztInnen abgerechneten Fallzahlen ausschlaggebend und wie lassen sich diese Gründe belegen? Zu 6.: Die Gründe für die sehr große Bandbreite der von Ärztinnen und Ärzten abgerechneten Fallzahlen sind vielfältig. Ärztinnen und Ärzte mit Teilzulassungen und Praxen in der Gründungsphase versorgen eher weniger Patientinnen und Patienten und weisen geringere Fallzah- len auf. Auch die Lage der Praxen und die Verkehrsan- bindung sind für das Patientenaufkommen und die Fall- zahl von Bedeutung. Veränderungen in der Versorgungs- situation in der Umgebung wirken sich ebenfalls auf die Fallzahlen aus. Praxisschließungen werden z. B. durch andere Ärztinnen und Ärzte kompensiert, indem sie die betroffenen Patientinnen und Patienten mitversorgen und sich dadurch Fallzahlsteigerungen ergeben. Die Ursachen für die unterschiedlichen Fallzahlen der Ärztinnen und Ärzte werden nicht systematisch erfasst. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 392 3 7. Wie groß ist bezogen auf den Bezirk der Kassen- ärztlichen Vereinigung Berlin der Anteil an Vertragsärz- tInnen sowie VertragspsychotherapeutInnen mit voller Zulassung (aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Arzt- gruppe, die Arztgruppe Psychotherapie zusätzlich aufge- schlüsselt nach Psychologischen sowie Kinder-und Ju- gendpsychotherapeutInnen), die (gemäß Prüfzeiten des EBM Anhang 3) a weniger als 10 Stunden, b weniger als 15 Stunden c weniger als 20 Stunden in der Woche bei Kassen- patientinnen und -patienten abrechnen? Zu 7.: Hier gelten die Anmerkungen zu den Fragen 3 bis 5 entsprechend. 8. Was will die Landesregierung, falls sie von der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin keine eindeutigen Auskünfte zur Beantwortung der Frage 7 erhalten hat, unternehmen, a) um auszuschließen, dass VertragsärztInnen und VertragspsychotherapeutInnen, die weniger als 25 % der durchschnittlichen Fallzahlen abrechnen, nicht in dem im Bundesmantelvertrag vorgegebe- nen Umfang Sprech-/Therapiestunden für Versi- cherte der Gesetzlichen Krankenversicherung an- bieten? b) damit die Kassenärztliche Vereinigung Berlin ihrer Aufgabe der Sicherstellung der ärztlichen Versor- gung tatsächlich nachkommt (etwa durch systema- tische Sammlung und Auswertung der unterschied- liche Tätigkeitsspektren der Ärztinnen und Ärzte)? Zu 8a) und b) : Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales führt gemäß § 78 Abs. 3 SGB V, § 89 SGB IV die Rechtsaufsicht über die KV Berlin und kann auf- sichtsrechtlich nur tätig werden, wenn eine Rechtsverlet- zung der KV Berlin vorliegt. Es bestehen keine Anhalts- punkte dafür, dass die KV Berlin ihrem Sicherstellungs- auftrag nicht nachkommt. Die Beachtung der Vorschriften des Bundesmantelvertrages zählt zu den vertragsärztli- chen Pflichten und ist für die Vertragsärztinnen und Ver- tragsärzte gemäß § 81 Abs. 3 Nr. 1 SGB V in Verbindung mit der entsprechenden Satzungsregelung der KV Berlin ver-bindlich. Erfüllen die Mitglieder der KV Berlin ihre vertragsärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsge- mäß, bestimmt die Disziplinarordnung der KV Berlin die Voraus-setzungen und das Verfahren zur Verhängung von Maßnahmen (§ 81 Abs. 5 SGB V). Gegenüber einzelnen Vertragsärztinnen und Vertragsärzten, die ihren Pflichten aus dem Bundesmantelvertrag nicht nachkommen, hat die Senatsverwaltung für Gesund-heit und Soziales keine Möglichkeit, aufsichtsrechtlich tätig zu werden. 9. a) Wie bewertet der Senat, dass laut Antwort der Bundesregierung auf die oben angeführte Kleine Anfrage keine Kassenärztliche Vereinigung systematisch Daten zum Versorgungsumfang von Ärztinnen und Ärzten so- wie PsychotherapeutInnen erhebt, auswertet und ihren eigenen (Pflicht)Mitgliedern, den Krankenkassen oder der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt? b) Was will der Senat unternehmen, damit die Kas- senärztliche Vereinigung Berlin zukünftig solche Unter- suchungen durchführt und die Ergebnisse zur Erhöhung der Transparenz des ärztlichen Versorgungsgeschehens zur Verfügung stellt? Zu 9a) und b): Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales würde eine systematische Erfassung und Auswertung von Daten zum Versorgungsumfang von Ärztinnen und Ärzten durch die Kassenärztlichen Verei- nigungen begrüßen. Da keine entsprechende gesetzliche Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigungen be- steht, hat die Senats-verwaltung für Gesundheit und Sozi- ales jedoch keine Handhabe, eine systematische Erfas- sung und Auswertung zum Versorgungsumfang der Ärz- tinnen und Ärzte von der KV Berlin zu verlangen. 10. Wie viele VertragsärztInnen mit vollem Versor- gungsauftrag haben nach § 32b der Ärzte-ZV weitere ÄrztInnen angestellt (bitte nach Arztgruppen aufschlüs- seln)? Zu 10.: Zum Stichtag 01.07.2013 waren 465 Ärztin- nen und Ärzte sowie psychologische Psychotherapeutin- nen und Psychotherapeuten nach § 32b der Zulassungs- verordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) angestellt. Eine geschlechtsspezifische Differenzierung war mit verhältnismäßigem Verwaltungsaufwand in der zur Ver- fügung stehenden Zeit leider nicht möglich. 11. a) Wie viele Ermächtigungen nach § 31 der Ärzte- ZV bestehen derzeit (bitte nach Arztgruppen aufschlüs- seln)? b) Welche Erkenntnisse bestehen zu der durch die Zu- lassungsausschüsse zu bestimmende zeitliche und räumli- che Begrenzung der Ermächtigungen? Zu 11a: Mit Stichtag 01.07.2013 bestanden 33 Er- mächtigungen nach § 31 der Ärzte-ZV. Zu 11b: Die Ermächtigungen wurden befristet auf zwei Jahre ausgesprochen. Eine erneute Ermächtigung nach Ablauf dieser zwei Jahre ist bei unveränderter Ver- sorgungslage möglich. Entsprechende Anträge haben in den vergangenen Jahren eine hohe Erfolgsquote gehabt. In 18 Fällen handelt es sich um die Ermächtigung von Pflegeheimen. Die räumliche Begrenzung ergibt sich hier aus dem Auftrag, Bewohnerinnen und Bewohner dieses Pflegeheimes medizinisch zu versorgen. Weitere Ermäch- tigungen beziehen sich auf besondere Versorgungsaufträ- ge. Hierbei ist namentlich das Behandlungszentrum für Folteropfer zu nennen. Weitere Ermächtigungen beziehen sich auf besondere Versorgungsaufträge, wie z. B. der Betreuung von Wohnungslosen oder einem Kinder- hospiz. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 392 4 12. Wie viele niedergelassene ÄrztInnen sind an mehr als einem Ort vertragsärztlich tätig (bitte nach Arztgrup- pen aufschlüsseln)? Zu 12.: In Berlin sind 1.154 Ärztinnen, Ärzte, psycho- logische Psychotherapeutinnen und psychologische Psy- chotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsycho- therapeutinnen und -therapeuten an zwei oder mehr Leis- tungsorten tätig. Eine geschlechts-spezifische und fach- gruppenspezifische Aufgliederung ist in der zur Beant- wortung zur Verfügung stehenden Zeit zum Bedauern der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin nicht zu realisieren gewesen. 13. Gibt es Aussagen darüber, wie viele ÄrztInnen sowohl in Berlin als auch in Brandenburg in der ambulan- ten medizinischen Versorgung tätig sind (wenn ja, bitte mit jeweiligem Tätigkeitsumfang aufführen und nach Arztgruppen aufschlüsseln)? Zu 13.: KV-bereichsübergreifende Berufsausübungs- gemeinschaften stellen noch eine Ausnahme dar. Aus diesem Grund gibt es sehr wenige Ärztinnen und Ärzte, die in Berlin und gleichzeitig in anderen Bundesländern tätig sind. Die Tätigkeit von Berliner Ärztinnen und Ärz- ten in anderen Bundesländern beschränkt sich nicht auf das Land Brandenburg. 14. Welche Auswirkungen des Zensus sieht der Senat in Bezug auf die Bedarfsplanung der ärztlichen Versor- gung für Berlin und für die Region Berlin-Brandenburg? Welchen Steuerungsbedarf leitet der Senat hieraus ab und wen sieht er in der Verantwortung zu handeln? Zu 14.: Der vor Veröffentlichung der Zensusdaten aufgestellte Bedarfsplan für Berlin 2013 weist für alle Arztgruppen Überversorgung aus, damit ist die Planungs- region Berlin für weitere Arztniederlassungen gesperrt. Die Zensusdaten weisen eine geringere Bevölkerung für Berlin aus, so dass der rechnerische Grad der Überversor- gung steigt. Über Konsequenzen werden die KV Berlin und die gesetzlichen Krankenkassen als Trägerorgani- sation der Bedarfsplanung sowie ggf. das gemeinsame Landesgremium nach § 90a SGB V beraten. Berlin, den 31. Juli 2013 In Vertretung Emine D e m i r b ü k e n - W e g n e r _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Aug. 2013)