Drucksache 17 / 12 427 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Pavel Mayer (PIRATEN) vom 10. Juli 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Juli 2013) und Antwort Geheimdienstaktivitäten fremder verbündeter Mächte in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat die Informationen, nach denen der amerikanische Geheimdienst NSA sein größtes Nachrichtenaufkommen in Europa aus dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland bezieht und Berlin als Hauptstadt in besonderem Maße betroffen sein dürfte? 2. Wie bewertet der Senat die Informationen, dass der englische Geheimdienst sämtlichen durch sein Gebiet laufenden Daten- und Telefonverkehr auch von Berliner Bürgern speichert und auswertet? 2. a) Ist der Senat der Einschätzung, dass ein solches Vorgehen nach 2. völkerrechtlich zulässig ist? 2. b) Ist der Senat der Einschätzung, dass ein solches Vorgehen nach 2. mit Geist und Buchstaben europäischen Unionsrechts vereinbar ist? 2. c) Hält der Senat eine solche Vorgehensweise nach 2. mit Artikel 10 des deutschen Grundgesetzes für verein- bar? Zu 1. bis 2.c): Der Senat verfügt über keine belastba- ren Erkenntnisse, die eine politische und rechtliche Be- wertung erlauben würden. 3. Sind dem Senat deutsche Gesetze, Staatsverträge, Verordnungen, Verwaltungsvereinbarungen oder andere in Berlin gültige Rechtsvorschriften bekannt, die eine geheimdienstliche Tätigkeit von Personen im Auftrag einer fremden Macht in Berlin erlauben? Wenn ja, wel- che? 4. Sind dem Senat deutsche Gesetze, Staatsverträge, Verordnungen, Verwaltungsvereinbarungen oder andere in Berlin gültige Rechtsvorschriften bekannt, die es frem- den Mächten erlauben, ohne Mitwirkung der Betroffenen oder Verschleierung des Verwendungszwecks personen- bezogene Daten von Berliner Bürgern zu erheben? Wenn ja, welche? 5. Hat der Berliner Senat Kenntnis von noch geltenden geheimen Vereinbarungen mit ehemaligen Besatzungs- mächten, die ausländischen Sicherheitsbehörden das Recht zum Zugriff auf „Rohdaten“ von Telekommunikationsüberwachung oder Komponenten von TKÜ- Einrichtungen deutscher Sicherheitsbehörden geben, oder das Recht einräumen, eigene TKÜ-Einrichtungen in Deutschland zu betreiben? Falls nicht, kann der Senat ausschließen, dass derartige Geheimverträge existieren und Berliner davon betroffen sind? Zu 3. bis 5.: Nein. 6. Liegen dem Senat oder den Berliner Sicherheitsbe- hörden Informationen über eine gegenwärtige oder in jüngster Zeit stattgefundene geheimdienstliche Tätigkeit verbündeter Staaten in Berlin vor? Zu 6.: Erkenntnisse für geheimdienstliche Aktivitäten der Nachrichtendienste befreundeter Staaten in Berlin liegen dem Senat nicht vor. Im Rahmen der Spionageab- wehr beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Zusammenwirken mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz nachrichtendienstliche Aktivitäten fremder Staaten gegen Deutschland. Das Ziel ist dabei die Beendigung jeglichen unerlaubten nachrichtendienstli- chen Agierens fremder Staaten in Deutschland. Im Zusammenhang mit den aktuellen Spionagevor- würfen gegen die USA, Großbritannien und Frankreich leistet das BfV seinen Beitrag zur Aufklärung. Für die Kontakte mit den Nachrichtendiensten dieser Staaten ist grundsätzlich das BfV zuständig. Dort besteht eine ver- trauensvolle und enge Zusammenarbeit mit den Nachrich- tendiensten dieser Staaten, die auf Grund von Spekulatio- nen nicht in Frage gestellt werden darf. Vor jeder weite- ren Bewertung muss daher die Sachverhaltsaufklärung stehen, die bislang noch nicht abgeschlossen ist. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 427 2 7. Hat der Berliner Senat Informationen über Einrich- tungen verbündeter Staaten im Land Berlin, die mutmaß- lich der Gewinnung nachrichtendienstlicher Informatio- nen durch technische Mittel (etwa durch Abhöreinrich- tungen im Bezug auf drahtlose und drahtgebundene Kommunikationsnetze) dienen und um welche Einrich- tungen handelt es sich? Zu 7.: Nein. 8. Sind im Zusammenhang mit der Causa Edward Snowden oder WikiLeaks von Bundes- oder ausländi- schen Behörden in den letzten Monaten personenbezoge- ne Daten an Berliner Behörden oder von Berliner Behör- den an Bundes- oder ausländische Behörden übermittelt worden? Wenn ja, auf welcher gesetzlichen Grundlage erfolgte die Datenübermittlung, an welche Behörden wurden Daten übermittelt, und betreffen die Daten in Berlin lebende oder sich aufhaltende Personen? Zu 8.: Im Landeskriminalamt sind in den vergangenen Wochen mehrfach Anzeigen von Personen eingegangen, die mutmaßlich auf Pressedarstellungen beruhen, wonach der Einsatz von Datenerfassungssystemen fremder Nach- richtendienste Bundesbürgerinnen und Bundesbürger beträfe und gegen deutsches Recht verstoße. Diese An- zeigen sind dem Generalbundesanwalt beim Bundesge- richtshof zuständigkeitshalber zugeleitet worden. Insoweit erfolgte eine Übermittlung personenbezogener Daten der Anzeigenden von einer Berliner Behörde an eine Bundes- behörde im Zusammenhang mit der Causa Snowden. Eine darüber hinausgehende Übermittlung personenbezogener Daten im Sinne der Fragestellung erfolgte nicht. 9. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 Berliner Verfassungsschutz- gesetz gehört zu den Aufgaben des Berliner Verfassungs- schutzes auch die Aufklärung über “sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbe- reich des Grundgesetzes für eine fremde Macht”. Bestehen nach Ansicht des Senats Hinderungsgründe rechtli- cher oder sonstiger Art, die dem Berliner Verfassungs- schutz eine Aufklärung von Parlament und Öffentlichkeit über derartige geheimdienstliche Tätigkeiten auch ver- bündeter Mächte verwehren könnten? Wenn ja, welche? Wenn nein, sind Mitarbeiter von Berliner Sicherheitsbe- hörden auch mit Vorfeldaufklärung in diesem Bereich befasst oder besteht die Absicht, zukünftig Mitarbeiter mit einer solchen Aufgabe zu befassen? Zu 9.: Der Aufklärung von Parlament und Öffentlich- keit über geheimdienstliche Tätigkeiten, von welchen Mächten auch immer, können im Einzelfall Geheimhal- tungsgründe entgegenstehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn durch eine Offenlegung die Informationsquellen oder Arbeitsweisen der Verfassungsschutzbehörde für die Zukunft gefährdet wären. Im Regelfall ist eine Informati- on der besonderen Gremien des Abgeordnetenhauses in geheimer Sitzung möglich. Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter der Berliner Verfassungsschutzbehörde sind auch mit der Vorfeldaufklärung im Bereich der Spionageab- wehr befasst. 10. Teilt der Senat die Auffassung, dass das elektroni- sche Einwirken (auch aus der Ferne) auf in Deutschland befindliche Datenverarbeitungsanlagen oder Kommunika- tionseinrichtungen durch ausländische Mächte einen völ- kerrechtswidrigen Hoheitsakt auf dem Gebiet eines ande- ren Staates darstellt? 10. a) Teilt der Senat die Meinung, und dass unter die- se Definition nicht nur Handlungen fallen, die nach § 202a und § 202b StGB strafbar sind, sondern auch der Betrieb von TKÜ-Einrichtungen auf deutschem Boden sowie das Veranlassen des Einbaus von „Hintertüren“ in Computersysteme, die auch für den deutschen Markt bestimmt sind? 10. b) Wenn der Senat die Frage 10. a) bejaht, was un- ternimmt der Berliner Senat, um solche Rechtsverstöße zu unterbinden, und welche Möglichkeiten sieht der Senat, insbesondere auf befreundete oder verbündete Staaten einzuwirken, so dass diese entsprechendes Verhalten unterlassen? Zu 10. bis 10.b): Eine (völker-)rechtliche Bewertung hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab und kann nicht abstrakt vorgenommen werden. Sie obläge zudem in erster Linie den zuständigen Stellen des Bundes, da die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten Sache des Bundes ist (Artikel 32 Absatz 1 Grundgesetz). Ergänzend wird auf die Antwort zu 8. verwiesen. 11. Wie hoch schätzt der Berliner Senat den Schaden, der der Berliner Wirtschaft durch Spionage entsteht? Zu 11.: Belastbare Zahlen für Schäden, die der Berli- ner Wirtschaft durch (Wirtschafts-)Spionage entstehen, liegen dem Senat nicht vor. Der Bereich Wirtschafts- schutz des Verfassungsschutzes ist präventiv tätig und verfolgt den Zweck, Schäden durch Wirtschaftsspionage zu vermeiden. Geschädigte Firmen sind nicht verpflichtet, ihre Verluste einer staatlichen Stelle zu melden. Gesamt- deutsche Studien gehen von Schäden von mehreren Mil- liarden Euro (z.B. Corporate Trust Studie: Industriespio- nage 2012: 4,2 Mrd. Euro Schaden) aus. 12. Welche Senatsverwaltungen mit welchen Refera- ten / Abteilungen und welche weiteren Stellen waren an der Beantwortung der Frage unter 11. beteiligt? Zu 12.: Zuständig für die Bearbeitung ist der Senat, vertreten durch die federführende Senatsverwaltung für Inneres und Sport. 13. Aufgrund welcher Datensätze bzw. Unterlagen wurde die Frage unter 11. beantwortet? Zu 13.: Frage 11 wurde anhand der Studie „Industriespionage 2012“ der Corporate Trust beantwortet. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 427 3 12. Hat der Berliner Senat Anhaltspunkte dafür, dass der Auftrag von Geheimdiensten befreundeter Staaten auch die Wirtschaftsspionage in Deutschland umfasst? Welche Bedeutung misst der Senat dabei der US- amerikanischen National Security Council Intelligence Directive 9 (NSCID 9) vom 10. März 1950 zu? Zu 12. (zweite Nennung): Es liegen keine Erkenntnis- se über Wirtschaftsspionage der Geheimdienste befreun- deter Staaten vor. 13. Liegen dem Senat Informationen darüber vor, dass in verbreiteten IT-Produkten, die auch von der Berliner Verwaltung genutzt werden, sogenannte „Hintertüren“ existieren könnten, die es ausländischen Mächten ermög- lichen könnten, Zugriff auf IT-Systeme der Berliner Ver- waltung zu erlangen? Zu 13. (zweite Nennung): Die allgemein geführte Dis- kussion zur möglichen Existenz so genannter "Hintertü- ren" ist dem Senat bekannt. Dem Senat liegen jedoch keine darüber hinausgehenden spezifischen Informationen bezüglich so genannter "Hintertüren" bei den in der Berli- ner Verwaltung eingesetzten IT-Systemen vor. 14. Sind dem Berliner Senat Fälle aus den letzten Jah- ren bekannt, in denen ausländische Mächte versucht ha- ben, mit Hilfe von nachrichtendienstlich erlangter Infor- mationen Einfluss auf Verfassungsorgane oder Politiker des Landes Berlin zu nehmen? Wenn ja, waren unter den Urhebern auch befreundete oder verbündete Mächte? Zu 14.: Es liegen keine Erkenntnisse über Aktivitäten von Geheimdiensten befreundeter Staaten vor, die das Ziel hatten, Einfluss auf Berliner Verfassungsorgane oder Politiker zu nehmen. Berlin, den 11. August 2013 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Aug. 2013)