Drucksache 17 / 12 431 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Simon Kowalewski (PIRATEN) vom 12. Juli 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Juli 2013) und Antwort Zwangseinweisungen und freiheitsentziehende Maßnahmen nach Betreuungsrecht und PsychKG Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele nach PsychKG und Betreuungsrecht un- tergebrachte Personen befinden sich derzeit in welchen Einrichtungen in Berlin (bitte nach Einrichtung und Rechtsgrundlage aufschlüsseln)? 2. Wie ist der Personalschlüssel an Pflegekräften in den unter 1. genannten Einrichtungen (bitte nach Einrich- tung und Qualifikation aufschlüsseln)? 3. Wie viele betroffene Menschen sind derzeit mit Be- schluss nach PsychKG und Betreuungsrecht a. kürzer als 14 Tage, b. zwischen 14 Tagen und sechs Wochen, c. zwischen sechs Wochen und sechs Monaten, d. zwischen sechs Monaten und einem Jahr, e. zwischen einem und zwei Jahren, f. zwischen zwei und fünf Jahren, g. zwischen fünf und zehn Jahren bzw. h. länger als zehn Jahre in Einrichtungen in Berlin untergebracht (bitte Auf- enthaltsdauer nach Rechtsgrundlagen differenziert auf- schlüsseln)? Zu 1. bis 3.: Gemeinsam mit den Berliner Chefärztin- nen und Chefärzten aller – nach § 10 des Gesetzes für Psychisch Kranke (PsychKG) – mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt beliehenen Kliniken und Fachabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie wurden 2011 Eckwerte für eine berlinweit transparente Erfassung von Daten zu Unterbringungs- und Sicherungsmaßnahmen formuliert und ein entsprechendes Verfahren zur jährli- chen Datenerhebung abgestimmt. Den Kliniken gelang es mittlerweile (auch unter einem hohen Kosten- und Zeitaufwand), ihre Basisdokumentati- on und Software weitestgehend so umzustellen, dass eine valide Datenerhebung in Zukunft möglich sein wird. Nach der zunächst im Testbetrieb erprobten Einführung der klinikeigenen Software werden nun die Einrichtungen Daten zusammenstellen können, die – beginnend für das Jahr 2013 – im Jahr 2014 in der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales zusammengefasst und ausgewer- tet werden. Eine ad-hoc-Generierung weiterer, noch fein- körnigerer Datensätze ist nicht möglich. Die gewünschte kurzfristige Erhebung der entspre- chenden Daten mit Stichtag 30.6.2013 ist in den Einrich- tungen nicht möglich; diese Daten könnten nur retrospek- tiv nach Entlassung aller zum 30.6.2013 untergebrachten Patientinnen und Patienten erhoben werden. Dies würde allerdings eine händische Auswertung erfordern, die mit einem vertretbaren Aufwand nicht leistbar ist. 4. Wie viele freiheitsentziehende Maßnahmen a. mechanische Fixierungen, b. Medikationen mit Psychopharmaka bzw. c. sonstige Vorkehrungen wurden in den Jahren seit 2008 per richterlichem Be- schluss angeordnet (bitte nach Jahr aufschlüsseln)? Zu 4.: Die hierzu in der Sache befragte Senatsverwal- tung für Justiz und Verbraucherschutz teilt mit, dass in ihrem Geschäftsbereich statistische Erhebungen über richterliche Beschlüsse zu angeordneten freiheitsentzie- henden Maßnahmen (FEM) nicht durchgeführt werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 431 2 Statistisch erfasst werden bei Gericht die anhängig gewordenen Verfahren auf betreuungsgerichtliche Ge- nehmigung zur Unterbringung oder Anordnung der Un- terbringung und zur ärztlichen Zwangsmaßnahme eines volljährigen psychisch kranken Menschen nach § 312 Nr. 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) bzw. bis zum 31.08.2009 nach § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Gesetzes über die Angelegenheiten der frei- willigen Gerichtsbarkeit (FGG). Diese Eingangszahlen stellen sich wie folgt dar: 2008 = 1.342 Verfahren 2009 = 1.530 Verfahren 2010 = 2.405 Verfahren 2011 = 2.448 Verfahren 2012 = 2.055 Verfahren Eine Aussage hinsichtlich der tatsächlich genehmigten Unterbringungen oder ärztlichen Zwangsmaßnahmen kann aus diesen Zahlen nicht abgeleitet werden. Tabelle 1: Statistische Informationen über die Dauer und Art der Maßnahme liegen den Gerichten nicht vor. Eine Sonder- auswertung im fraglichen Zeitraum ist mit vertretbarem Aufwand nicht leistbar. 5. Wie viele und welche freiheitsentziehenden Maß- nahmen wurden in den Jahren seit 2008 auf Grundlage des PsychKG verhängt (bitte nach Jahr, Dauer und Art der Maßnahme aufschlüsseln)? a. Wie viele dieser Maßnahmen wurden durch Ärzt*innen und wie viele durch Pflegekräfte ange- ordnet? b. Wie viele dieser Maßnahmen wurden gerichtlich mit welchem Ergebnis überprüft? Zu 5.: Die Sozialpsychiatrischen Dienste der Bezirke melden jährlich die Anzahl der Unterbringungen nach PsychKG und BGB (Betreuungsrecht), aufgeschlüsselt nach Geschlecht. Tabelle 1 zeigt die absoluten Häufigkei- ten der Unterbringungen der Jahre 2003 bis 2011. Zu Zwecken der Vergleichbarkeit ist zusätzlich die Zahl pro 100.000 Einwohner/innen ausgewiesen. weiblich männlich insgesamt weiblich männlich insgesamt 2003 1) . . 2.027 . . 68 2004 1) . . 1.333 . . . 2005 1) 757 914 1.671 99 140 239 2006 1) 842 862 1.851 102 134 241 2007 1) 749 761 1.700 94 105 210 2008 851 919 1.770 97 99 196 2009 2) 985 971 1.956 86 69 155 2010 779 884 1.663 20 31 51 2011 867 942 1.809 23 36 59 2003 1) . . 71,0 . . 2,4 2004 1) . . 46,6 . . . 2005 1) 51,0 65,6 58,1 6,7 10,1 8,3 2006 1) 56,5 61,4 63,9 6,8 9,5 8,3 2007 1) 50,0 53,9 58,4 6,3 7,4 7,2 2008 56,4 64,5 60,4 6,4 7,0 6,7 2009 65,1 67,9 66,5 5,7 4,8 5,3 2010 51,4 61,7 56,4 1,3 2,2 1,7 2011 56,8 65,1 60,8 1,5 2,5 2,0 (Datenquelle: SenGesSoz Berlin / Berechnung: SenGesSoz - I A -) je 100.000 1) Die jeweils unter "insgesamt" ausgewiesenen Meldungen sind unvollständig; für die erfolgten Meldungen fehlt (2003 und 2004 komplett, in den Jahren 2005 - 2007 teilweise) die geschlechtsspezifische Trennung. 2) In Pankow gab es zusätzlich 11 mehrfache Unterbringungen nach PsychKG. Die Unterbringungen nach Betreuungsgesetz wurden in absolut Von den Sozialpsychiatrischen Diensten gemeldete Einweisungen nach PsychKG und Betreuungsgesetz in Berlin 2003 - 2011 nach Geschlecht - absolut und je 100.000 der durchschnittlichen Bevölkerung ab 18 Jahren Jahr Unterbringung nach dem PsychKG Betreuungsrechtliche Unterbringungen einem Bezirk statistisch nicht erfasst. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 431 3 Nähere Angaben zu Dauer, anordnender Berufsgruppe und gerichtlicher Überprüfung der Unterbringung liegen nicht vor. Die Zahlen in den Statistiken der Amtsgerichte und in denen der Sozialpsychiatrischen Dienste (SpD) weichen voneinander ab, da bei den Amtsgerichten auch Verfahren erfasst werden, bei denen die SpD nicht betei- ligt sind (Verfahren im Rahmen des Betreuungsrechts). 6. Hat die Heimaufsicht in den Jahren seit 2008 Jah- ren Mängel bei freiheitsentziehenden Maßnahmen festge- stellt und wenn ja, welche Mängel wurden in welchen Einrichtungen festgestellt (bitte einzeln aufschlüsseln)? Zu 6.: Im Rahmen der jährlichen Prüfung von Pflege- einrichtungen wird die Durchführung von FEM von der Heimaufsicht in unregelmäßigen Abständen stichpunktar- tig überprüft. Dabei wurden in der Vergangenheit verein- zelt Mängel in der Dokumentation der FEM oder das Fehlen eines entsprechenden Beschlusses des Betreu- ungsgerichts festgestellt. Dies wurde von der Heimauf- sicht zumeist bei Bewohnerinnen und Bewohnern mit Demenz festgestellt und beanstandet. Im konkreten Ein- zelfall wurden die betreffenden Einrichtungen umfassend beraten und zur Mängelbeseitigung aufgefordert. Die Mängelbeseitigung wurde durch Vorlage der fehlenden Beschlüsse oder Nachprüfung vor Ort von der Heimauf- sicht festgestellt. Welche Mängel bei der Durchführung von FEM wann und in welcher Einrichtung festgestellt worden sind, wur- de bzw. wird in der Datenbank der Heimaufsicht statis- tisch nicht erfasst. Eine detaillierte Aufstellung der festge- stellten Mängel und der betroffenen Einrichtungen ist daher nicht möglich. 7. Wie häufig und inwiefern wurden in den Jahren seit 2008 Krankenhäuser und sonstige Einrichtungen, in denen freiheitsentziehende Maßnahmen verhängt werden können, kontrolliert? Zu 7.: Gemäß Krankenhausaufsicht-Verordnung (KhAufsVO) vom 02.01.1985 (GVBl.) S. 55, sind gemäß § 1 (1) alle Krankenhäuser in Berlin vom zuständi- gen Bezirksamt (Gesundheitsamt) mindestens einmal jährlich abwechselnd zu verschiedenen Jahreszeiten zu besichtigen. Dabei werden auch die Bereiche der Kran- kenhäuser begangen, in denen sich geschlossen unterzu- bringende Patientinnen und Patienten befinden. Die Be- sichtigungen erfolgen im Rahmen der nach dem Zustän- digkeitskatalog für Ordnungsaufgaben (ZustKat Ord) Nr. 16 (7) gegebenen Zuständigkeit (Anordnung zur Beseiti- gung von Mängeln). Zur Häufigkeit der Besichtigungen der Krankenhäu- ser durch die Bezirksämter werden in der Krankenhaus- aufsicht keine Statistiken geführt. Hinsichtlich der Kontrolle sonstiger Einrichtungen s. Antwort zu Frage 6. 8. Wie viele psychisch erkrankte Menschen wurden in den letzten fünf Jahren aus welchen Pflegeheimen entlas- sen, weil durch ihre Genesung die Pflegebedürftigkeit wegfiel (bitte nach Jahr und Einrichtung aufschlüsseln)? Zu 8.: Dem Senat liegen Daten in dieser Differenziert- heit nicht vor. Für die Pflegeheime ist eine Sonderauswer- tung im fraglichen Zeitraum mit vertretbarem Aufwand nicht leistbar. 9. Welche Kosten, unter Berücksichtigung aller Kos- tenträger, entstehen pro Patient*in und Monat durch- schnittlich insgesamt für die Unterbringung in einem Pflegeheim Zu 9.: Die Aufwendungen für die Pflege in einem Pflegeheim bewegen sich auf Grund der Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren in einer großen Bandbreite. Die Kosten sind zum einen an die Stufe der Pflegebe- dürftigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner geknüpft. Zum anderen sind sie von den zwischen den Kostenträ- gern und dem Einrichtungsträger in Vergütungsvereinba- rungen vertraglich verankerten Pflegesätzen abhängig. Die Pflegesätze sind individuell je Einrichtung - nach Pflegestufen gestaffelt - vereinbart. So ergeben sich im mittleren Bereich der in Berlin für vollstationäre Pflegeeinrichtungen vereinbarten Pflege- vergütungen beispielsweise folgende Pflegekosten je Bewohnerin und Bewohner: Pflegestufe Pflegesatz täglich in € monatliche Pflegekosten in € abzüglich SGB XI-Leistungen in € monatliche Pflegekosten nach Abzug der SGB XI- Leistungen in € 0 52,60 1599,04 0,00 1599,04 I 68,87 2093,65 1023,00 1070,65 II 87,88 2671,55 1279,00 1392,55 III 101,45 3084,08 1550,00 1534,08 III H 113,55 3451,92 1918,00 1533,92 Neben den Pflegesätzen können die Pflegeheime den Bewohnerinnen und Bewohnern Investitionsaufwendun- gen gemäß § 82 Abs. 3 SGB XI gesondert berechnen, wenn diese durch öffentliche Förderung nicht vollständig gedeckt sind. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 431 4 Eine Übersicht über die Höhe der Pflegesätze und der Investitionskosten der Berliner Pflegeheime ist auf den Internetseiten der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales veröffentlicht: http://www.berlin.de/sen/soziales/vertraege/verguetung/Ei nrichtungskatalog/EinrichtungenNachTyp/PVOLL.shtml 10. Welche Kosten entstehen pro Patient*in und Mo- nat durchschnittlich für Wiedereingliederungsmaßnah- men? Zu 10.: Menschen mit psychischen Behinderungen er- halten ihren Hilfebedarf individuell nach Hilfebedarfs- gruppen. Insofern wird kein Durchschnittssatz gebildet. 11. Wie lange verbleiben psychisch erkrankte Men- schen durchschnittlich in einer Pflegeeinrichtung und wie lange in einer Wiedereingliederungsmaßnahme? Zu 11.: In den jährlichen Sachberichten der entgeltfi- nanzierten Einrichtungen und Dienste für seelisch behin- derte Menschen wird auch die Verweildauer der Klientin- nen und Klienten erfragt. Nachstehend sind die Daten aus den Sachberichten 2012 (betrifft Betreutes Einzelwohnen (BEW), Therapeutische Wohngruppen (TWG), Therapeu- tische Wohngemeinschaften mit Nachtwache für seelisch Behinderte (TWA), Wohnverbünde, Heime, Übergangs- wohnheime (ÜWH), Tagesstätten) dargestellt: Verweildauer (jeweils Anzahl der Klientinnen und Klienten) bis zu 6 Monaten bis zu 1 Jahr bis zu 2 Jahren bis zu 4 Jahren bis zu 8 Jahren über 8 Jahre ambulantes Wohnen (BEW, TWG, TWA, Verbund) 990 908 1.030 1.089 730 593 5.340 18,5 % 17,0 % 19,3 % 20,4 % 13,7 % 11,1 % 100,0 % stationäres Wohnen (Heim, ÜWH) 29 27 46 62 50 39 253 11,5 % 10,7 % 18,2 % 24,5 % 19,8 % 15,4 % 100,0 % Tagesstätten 209 183 221 228 217 144 1.202 17,4 % 15,2 % 18,4 % 19,0 % 18,1 % 12,0 % 100,0 % 12. Aufgrund welcher Datensätze bzw. Unterlagen wurden oben stehende Fragen beantwortet und inwieweit wäre es möglich, diese (ggf. in aufbereiteter Form) auf dem Berliner Open-Data-Portal einzustellen und fortlau- fend zu aktualisieren? Zu 12.: Die statistischen Grundlagen ergeben sich aus den Antworten zu 1. bis 11. Zur Frage der Veröffentlichung von Daten zu Zwangseinweisungen und FEM im Berliner Open-Data- Portal ist der Senat der Ansicht, dass eine entsprechende Veröffentlichung derzeit nicht in Betracht kommt, zumal zurzeit nicht alle Daten in elektronischer Form zur Verfü- gung stehen. 13. An der Beantwortung welcher Fragen dieser Klei- nen Anfrage waren welche Senatsverwaltungen mit wel- chen Referaten/Abteilungen und welche weiteren Stellen jeweils beteiligt. Zu 13.: Zuständig für die Bearbeitung ist der Senat, vertreten durch die federführende Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales. Berlin, den 27. August 2013 In Vertretung Emine D e m i r b ü k e n - W e g n e r _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. August 2013)