Drucksache 17 / 12 436 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Monteiro (SPD) vom 12. Juli 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Juli 2013) und Antwort Was, wenn das Formular nicht passt: Wie passt der individuelle, assistenzbedürftige Mensch in die „Individuelle ambulante Pflegegesamtplanung“ (IAP)? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Warum werden im IAP-Erhebungsbogen, Hilfebe- darfe die bereits vom Medizinischen Dienst der Kranken- kassen im Rahmen der Feststellung der Pflegebedürftig- keit erhoben wurden, ein weiteres Mal erhoben? Zu 1.: Das IAP-Formular ist Ergebnis eines fast ein- jährigen Abstimmungsprozesses zwischen der für Sozia- les zuständigen Senatsverwaltung, der Senatsverwaltung für Finanzen und den Bezirksämtern von Berlin – Geschäftsbereich Soziales. Es wurde im Rahmen des Steue- rungsprojektes „Organisationsentwicklung in der ambulanten Pflege“ erarbeitet, mit allen Bezirksämtern diskutiert und anschließend flächendeckend adaptiert. Wesent- liche Zielstellungen des Instruments sind:  einen berlinweit einheitlichen und damit möglichst weitgehend standardisierten Geschäftsprozess für die ambulante Hilfe zur Pflege zu implementieren  die jeweiligen personenzentrierten („individuellen “) pflegerischen Bedarfe zu erkennen und zu dokumentieren  gemeinsam aus den festgestellten Bedarfen eine Ziel- und Leistungsplanung zu entwickeln  die erreichten Wirkungen der bewilligten Leistungen zu analysieren und für Folgebewilligungen abzustimmen und zu berücksichtigen. Damit verfolgt die IAP einen ganzheitlichen Ansatz, der auf partizipativer und kommunikativer Kooperations- struktur mit den leistungsberechtigten Menschen, ihrem jeweiligen sozialen Umfeld und der leistungserbringenden Infrastruktur setzt. Zu dieser zu berücksichtigen Koope- rationsstruktur gehört auch das Gutachten des Medizini- schen Dienstes der Krankenkassen, sofern es zum Zeit- punkt der Bedarfsfeststellung des Sozialhilfeträgers be- reits vorliegt. Die dort erhobenen Informationen werden bei der Bedarfsfeststellung des Sozialhilfeträgers insofern berücksichtigt. Für ergänzende Leistungen oder Leistun- gen im Rahmen der so genannten Stufe „0“, die der Sozi- alhilfeträger aus Steuermitteln finanziert, besteht nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus gesellschaftspolitischer und ökonomischer Perspektive heraus eine Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Erhebung und Bewertung des individuellen Hilfebedarfs. 2. Wie und wo werden im IAP-Erhebungsbogen wei- tergehende Hilfebedarfe, wie z.B. Eingliederungshilfe und persönliche Assistenz erfasst? 7. Wie passt die im IAP-Bogen vorgenommene Anei- nanderreihung von Einzelleistungen zur einvernehmlich zwischen Land Berlin und assistenzbedürftigen Menschen vereinbarten Leistungsbeschreibung im Rahmen des Leis- tungskomplexes 32, in der es heißt: "Persönliche Assis- tenz sind die am individuellen Bedarf orientierten Hilfen bei den täglichen Verrichtungen, bestimmt durch die Lebensrealität der auf Assistenz angewiesenen Menschen, die eine kontinuierliche Arbeitstätigkeit erforderlich macht, deren Ausdifferenzierung in Einzelleistungen nicht sinnvoll ist. Dies insbesondere, weil nicht planbare pfle- gerische Leistungen im großen Umfang parallel zu ande- ren Leistungen anfallen." Zu 2. und 7.: Da die Bedarfsfeststellung im IAP-For- mular vom Grundsatz der ganzheitlichen Betrachtungs- weise des Pflegebedarfs geprägt ist, werden auch weiter- gehende Bedarfe wie die der Eingliederungshilfe oder der medizinischen Versorgung, Bedarfe zu Hilfsmitteln, zu wohnungsverbessernden Anforderungen usw. im IAP dokumentiert und anschließend fachlich bewertet. Teil- weise können die Einschätzungen, insbesondere bei Fra- gen die das Leistungsspektrum der Hilfe zur Pflege über- schreiten, aber nur soweit bewertet werden, wie diese Leistungen bereits gewährt werden. Hintergrund der Vor- gehensweise ist es, Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Leistungen zu erkennen und entsprechend zu berücksichtigen. Im Zuge der Erarbeitung und Imple- mentierung des Instrumentes wurde seinerzeit allerdings ausdrücklich darauf verzichtet, eigenständige Regelungen zum LK 32 / Persönliche Assistenz in den IAP-Vordruck Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 436 2 aufzunehmen. Um diese und weitere besondere Bedarfe der Hilfe zur Pflege mit zu berücksichtigen, wurde ver- einbart, nach der Sommerpause 2013 eine generelle Qua- litätssicherung des Verfahrens vorzunehmen. In diesem Zusammenhang soll auch geklärt werden, ob für den Leistungsbereich LK 32 / Persönliche Assistenz er- gänzende bzw. eigenständige Regelungen überhaupt er- forderlich sind. Diese Klärung wird mit assistenzbe- dürftigen Menschen herbeigeführt. 3. Wann und mit welchem Ergebnis wurde der IAP- Feststellungsbogen dem Berliner Datenschutzbeauftragten zur Prüfung vorgelegt? Zu 3.: Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit hat am 09. Januar 2012 schriftlich mitgeteilt, dass keine datenschutzrechtlichen Bedenken gegen den IAP-Bogen bestehen. Das entsprechende vo- rausgehende Gespräch fand am 30.November 2011 statt. 4. In welcher Form berücksichtigt der IAP-Feststel- lungsbogen die UN-Behindertenrechtskonvention, die u.a. vorsieht, selbstbestimmtes Leben durch eine freie Wahl von Unterstützungsangeboten und Assistenzen zu ermög- lichen? Zu 4.: Die Wahlfreiheit des pflegebedürftigen Men- schen bei Unterstützungsangeboten ist bereits in § 9 SGB XII geregelt und abgesichert. Zielstellung des IAP-Bo- gens ist die Schaffung einer gesicherten Informations- grundlage für eine bedarfsgerechte und möglichst passge- naue Leistung. Die Entscheidung, welcher Anbieter wel- che Leistung in welcher Leistungsform zur Unterstützung erbringt, kann nur in Kooperation mit dem leistungsbe- rechtigten Menschen, seinen Angehörigen bzw. sonstigen Personen aus dem sozialen Umfeld und weiteren wichti- gen Akteuren, die das Leistungsarrangement mitgestalten, getroffen werden. Die Wünsche und Selbstbestimmung des pflegebedürftigen Menschen sind dabei als entschei- dende Maßstäbe zu berücksichtigen. Vor dem Hinter- grund dieser Unterstützungskultur wurde das IAP – Formular entwickelt (s. auch Antwort zu Frage 1.). 5. Welche Qualifikationen haben diejenigen Mitar- beiter_innen, die mit dem Feststellungsbogen IAP arbei- ten? Zu 5.: Grundsätzlich sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bezirksämtern, die den individuellen Bedarf feststellen, Pflegefachkräfte. Darüber hinaus setzt die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales bereits seit zwei Jahren ein umfangreiches Qualifizierungspro- gramm für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bezirksämtern um, in dem ein wesentlicher Schulungsteil die Anwendung des IAP-Bogens ist. 6. Welche Studien oder wissenschaftliche Arbeiten stützen das in Berlin praktizierte Verfahren, per Augen- schein valide Aussagen über Versorgungssituation und individuelle Hilfebedarfe der Antragsteller_innen zu tref- fen? Zu 6.: Wichtige Bestandteile der Hilfebedarfsfeststel- lung in Berlin sind Einschätzungen zu gesundheitlichen Fragen, zur körperlichen und kognitiven Situation, zur Wohnungs- und Umfeldgestaltung sowie zu sonstigen Einflussfaktoren der persönlichen Lebenssituation des pflegebedürftigen Menschen. Um diese Bewertungen fundiert und individuell treffen zu können, sind neben der Augenscheinnahme auch Prüfungen zur Fähigkeit der Bewältigung von Alltagsabläufen und insbesondere eine intensive Kommunikation mit dem pflegebedürftigen Menschen von entscheidender Bedeutung. Mit dieser Vorgehensweise befindet sich Berlin bun- desweit im Trend einer an der individuellen Situation des pflegebedürftigen Menschen orientierten Ausgestaltung der Hilfe zur Pflege. Berlin, den 20. August 2013 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Aug. 2013)