Drucksache 17 / 12 457 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Benedikt Lux (GRÜNE) vom 24. Juli 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Juli 2013) und Antwort Lehren aus dem Einsatz am Neptunbrunnen 28. Juni 2013 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele BeamtInnen waren zu welchem Zeit- punkt am Neptunbrunnen eingesetzt? Nach welchen Kri- terien wurden sie zu dem Einsatz gerufen? Zu 1.: Zur besseren Nachvollziehbarkeit wird das Ein- satzgeschehen im zeitlichen Verlauf dargestellt. Vor Schussabgabe: Nach Alarmierung der Polizei durch eine Dienstkraft im Objektschutz vor dem Roten Rathaus trafen etwa zeitgleich ein Einsatzwagen des Ab- schnittes 32 (A 32) mit zwei Dienstkräften sowie eine Gruppenstreife der 13. Einsatzhundertschaft mit acht Dienstkräften ein, wobei eine Dienstkraft am Gruppen- wagen verblieb. Kurz vor der Schussabgabe trafen ein Rettungswagen der Berliner Feuerwehr sowie ein weiterer Einsatzwagen des A 32 mit zwei Dienstkräften ein, wobei auch hier eine Dienstkraft zunächst im Wagen verblieb. Nach Schussabgabe: In der Folge erschienen ein Ein- satzwagen des A 31 mit zwei Dienstkräften, ein Wachha- bender des A 32, ein Notarztwagen der Berliner Feuer- wehr, sechs Dienstkräfte der Sofortbearbeitung der örtli- chen Kriminalinspektion der Direktion 3 sowie zwei Dienstkräfte der Pressestelle. Im Anschluss erschienen zunächst vier Dienstkräfte der 1. Mordkommission am Neptunbrunnen und über- nahmen den Tatort. Später wurde der Tatort zudem von zwei Staatsanwälten, der zuständigen Dezernatsleiterin des Landeskriminalamtes (LKA) 11 sowie der Kommissa- riatsleiterin des LKA 111 aufgesucht. Eine Alarmierung von Dienstkräften der kriminalpoli- zeilichen Sofortbearbeitung, der Mordkommission sowie der Staatsanwaltschaft ist bei Tötungsdelikten bzw. Schusswaffengebrauchsfällen mit Schädigung Dritter nach den entsprechenden Zuständigkeitsregularien vorge- schrieben. 2. Wem oblag die Einsatzleitung? Wie gestaltete sich die Organisationsstruktur vor Ort? Welche Stellen der Staatsanwaltschaft und der Polizei ermitteln nunmehr nach dem tödlichen Schusswaffengebrauch? Zu 2.: Das Zusammenwirken der Teilkräfte unter- schiedlicher Gliederungseinheiten der Polizei erfolgte aus der „Allgemeinen Aufbauorganisation (AAO)“ heraus und basierte auf der geltenden Vorschriftenlage. Eine „Besondere Aufbauorganisation (BAO)“ wurde nicht gebildet. Nach Einstellung des Verfahrens durch die Staatsan- waltschaft Berlin obliegt es nun dem Dienstvorgesetzten des betroffenen Beamten über die Einleitung eines Dis- ziplinarverfahrens nach § 17 Disziplinargesetz zu ent- scheiden. Hierzu prüft eine Dienstkraft des höheren Dienstes den Schusswaffengebrauch. Erst dieses Prüfer- gebnis ist für die weitere disziplinarrechtliche Würdigung entscheidend. Bis zum Abschluss dieses Prüfberichtes dürfen keine Auskünfte zum Geschehen erteilt werden. 3. Welche Vorgehensweise ist für Einsätze gegen verhaltensauffällige Personen und/oder Personen mit psychischen Erkrankungen vorgesehen? Existiert eine entsprechende Geschäftsanweisung o.ä.? Zu 3.: Im Rahmen der Aus- und Fortbildung an der Landespolizeischule werden Regelbeispiele der Eigensi- cherung trainiert, um Handlungssicherheit für solche Einsatzlagen zu erlangen. Abweichungen von den Regel- beispielen können nicht bzw. nicht intensiv trainiert wer- den, weil sich die Lebenssachverhalte in der Realität sehr vielfältig darstellen. Der Umgang mit mutmaßlich psy- chisch kranken Personen richtet sich nach dem  Gesetz für psychische Kranke (PsychKG) vom 08.03.1995 (Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) S. 586), zuletzt geändert durch Art. III Nr. 2 Krankenhausrecht -NeuregelungsG vom 18.09.2011 (GVBl. S. 483) und der internen Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 432 2  Geschäftsanweisung des Stabes des Polizeipräsidenten (PPr Stab) Nr. 5/2007 (GA) über die polizeiliche Behandlung von psychisch kranken Personen. Das PsychKG befindet sich nach Aussage der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (SenGesSoz) in der Überarbeitung. Eine Neufassung der GA wurde daher vorerst ausgesetzt. Im vorliegenden Sachverhalt haben die eingesetzten Dienstkräfte - auf Grund der konkreten Gefahrensituation - zusätzlich auch eine Garantenstellung gegenüber der betroffenen Person und umstehenden Passantinnen und Passanten, also die gesetzliche Pflicht, den Einzelnen und die Allgemeinheit vor Schäden zu schützen. 4. Entspricht es „ex ante“ polizeilichem Lehrbuchverhalten , wenn ein Polizist sich in den Angriffsbereich einer mit einem Messer bewaffneten Person unter erschwerten Rückzugsmöglichkeiten begibt? Zu 4.: Gerade bei offenkundig psychisch beeinträch- tigten Personen ist es zunächst erforderlich, nach Mög- lichkeit beruhigend auf die Person einzuwirken und kommunikative Mittel einzusetzen. Hierbei kann es unter Inkaufnahme eines kalkulierbaren Risikos zur Eigenge- fährdung in Einzelfällen durchaus Situationen geben, die den Grundlagen der Eigensicherung und den damit ver- bundenen Verhaltensempfehlungen nicht vollumfänglich entsprechen. Der Grundsatz, Distanz zu halten, ist nicht in jeder Einsatzsituation gleich zu bewerten bzw. zu berücksichti- gen. Regelbeispiele der Eigensicherung ergeben sich so- wohl aus den praktischen Erfahrungen der Einsatztrainer als auch aus Lehrbüchern. Dennoch sind die Trainings- sachverhalte mit der Realität nicht immer vergleichbar. Dynamik, Örtlichkeit, Wetter, Persönlichkeit der Han- delnden u.v.m. beeinflussen das Einschreitverhalten der Dienstkraft. Jede Abweichung des tatsächlichen Einsatzgeschehens vom Lehrbeispiel erfordert ein flexibles und angepasstes Einschreiten der polizeilichen Dienstkräfte. 5. Wie stark waren die Verletzungen, die sich Manuel F. selbst zugefügt hat? Zu 5.: Bei der Obduktion wurden bei Manuel F. eine größere Wunde im Bereich des Halses unter Freilegung des Skeletts und multiple überwiegend kratzerartige Wunden an den Unteramen festgestellt. 6. Wurde erwogen Pfefferspray einzusetzen? Wurde das Spezialeinsatzkommando angefordert? Wenn nein, weshalb nicht? Zu 6.: Die Frage ist Bestandteil der laufenden Prüfung der Einleitung eines Disziplinarverfahrens, sodass eine Beantwortung bis zum Abschluss dieser Prüfung nicht erfolgen kann. . 7. Trifft es zu, dass der Ausweis von Manuel F. vor Ort von PressevertreterInnen gefunden wurde? Falls ja, wie ist dies zu erklären? Zu 7.: Der Personalausweis von Manuel F. befand sich in seiner von ihm auf einer Parkbank abgelegten Jacke. Diese Jacke wurde von einer Reporterin entdeckt und durchsucht. Anschließend benachrichtigte sie eine vor Ort befindliche Dienstkraft der 1. Mordkommission. Die Parkbank ist mehrere Meter vom Neptunbrunnen entfernt und lag zunächst nicht im polizeilichen Absperrbereich. 8. Wurde der Berliner Krisendienst oder andere psychosoziale bzw. (sozial)psychiatrische Dienste in formiert bzw. angefordert und wenn nein, weshalb nicht? Zu 8.: Die Frage ist Bestandteil der laufenden Prüfung der Einleitung eines Disziplinarverfahrens, sodass eine Beantwortung bis zum Abschluss dieser Prüfung nicht erfolgen kann. 9. Verfügt die Berliner Polizei über speziell psychologisch geschultes Personal und wenn ja, wie viele Personen sind dies und wie gestaltet sich deren Ausbildung? Wurde dieses ggf. informiert bzw. angefordert? Über welche psychologische Ausbildung verfügt ein Schutzpolizist im mittleren Dienst? Zu 9.: Im Bereich der Landespolizeischule sind im psychologischen Dienst (ZSE IV C 3) fünf Psychologin- nen bzw. Psychologen und eine klinische Psychologin beschäftigt. Im Bereich des Verhaltenstrainings der Poli- zei Berlin sind insgesamt 27 Verhaltenstrainerinnen und Verhaltenstrainer (Polizeivollzugsbeamtinnen und Voll- zugsbeamte) u.a. auch mit der Vermittlung von psycholo- gischen Aspekten im Rahmen der Aus- und Fortbildung der Polizeidienstkräfte des mittleren und gehobenen Dienstes befasst. Hierzu gehört die Vermittlung von Ver- haltensmustern, wie bei Erstkontakten auf in Ausnahme- situationen befindliche Personen reagiert werden kann. Ob diese Dienstkräfte angefordert bzw. informiert wurden, ist Bestandteil der laufenden Prüfung der Einlei- tung eines Disziplinarverfahrens, sodass eine Beantwor- tung bis zum Abschluss dieser Prüfung nicht erfolgen kann. Berlin, den 24. September 2013 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Okt. 2013)