Drucksache 17 / 12 461 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 23. Juli 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Juli 2013) und Antwort Fall BAIZ – Wo hört gesetzmäßige Polizeiarbeit auf und fängt die Kriminalisierung demokratischen Engagements an? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie erklärt sich der Senat, dass es – entgegen der Antwort zu Nr. 1 auf die Kleine Anfrage 17/12004 – einen Anruf der Berliner Polizei bei dem Eigentümer und Vermieter der Liegenschaft Christinenstr. 1 gegeben hat, bei dem die Polizei Informationen über die demokratischen Aktivitäten eines Betreibers der Kultur- und Schankwirtschaft BAIZ an den Eigentümer weitergegeben hat, nämlich über die Werbung für die Teilnahme an einer versammlungsrechtlich geschützten Demonstration? Zu 1.: Der Eigentümer der Liegenschaft Christinen- straße 1 wurde am 12. April 2013 telefonisch in Kenntnis gesetzt, dass im Internetportal „indymedia“ ein Artikel der „BAIZ-Unterstützer_innen“ veröffentlicht wurde, in dem er namentlich benannt wurde. Auf Anfrage des Ei- gentümers wurde der Artikel per E-Mail übersandt. Dieser Artikel enthielt unter anderem einen Link zur Internetseite des BAIZ, auf der zur Teilnahme an der Demonstration am 13. April 2013 in Berlin aufgerufen wurde. 2. Was macht die Verlinkung eines Aufrufs auf der Homepage zu einer versammlungsrechtlich geschützten Demonstration, die auch die Belange des Verlinkenden – Erhaltung einer privat betriebenen alternativen Kultur- stätte in Mitte – unterstützt, zu einem „gefährdungsrelevanten Sachverhalt“ angesichts der Tatsache, dass sich der Firmensitz der Informierten ca. 30 km von der Demonstrationsroute entfernt in Zossen befindet? Zu 2.: In Anlehnung an die Beantwortung der Kleinen Anfrage 17 / 12 004 vom 29. April 2013 ist anzumerken, dass die Polizei Berlin öffentlich zugängliche Informatio- nen nach möglichen Gefährdungsinhalten bewertet und die darin thematisierten Personen, Firmen und Institutio- nen ggf. unterrichtet. Der Eigentümer der Liegenschaft Christinenstraße 1 wur- de ausschließlich darüber informiert, dass er in dem o. g. Artikel thematisiert wurde. Im Ergebnis der anlass- bezogenen Bewertung konnte ihm mitgeteilt werden, dass derzeit keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung vorliegen. 3. Welche weiteren „gefährdungsrelevanten Sachverhalte“ über Aktivitäten des Betreibers der Kulturund Schankwirtschaft BAIZ sind im Rahmen der In- formation an den Eigentümer der Liegenschaft weitergegeben worden – angesichts der Tatsache, dass die Information der Berliner Polizei um den 1. Mai 2013 zur Bestellung eines Wachschutzes führte, der das Objekt rund um die Uhr observierte, damit das Eigentum nach Auskunft des Wachschutzes gegen Sachbeschädigungen oder Brandanschläge geschützt sei? Zu 3.: Dem Eigentümer der Liegenschaft wurden kei- ne Aktivitäten des Betreibers des BAIZ mitgeteilt. Über die Bestellung eines Wachschutzes zur Sicherung des Ob- jektes liegen hier keine Erkenntnisse vor. 4. Wann und nach welchen Kriterien wird dem Grundsatz nach demokratisches Engagement von Berlinerinnen und Berlinern auf dem Boden des Grundge- setzes in den Augen der Berliner Polizei zu einem „gefährdungsrelevanten Sachverhalt“, der aus ihrer Sicht im Rahmen zivilrechtlicher Beziehungen zwischen den Engagierten und ihren Vermietern in direkter Ansprache des Vermieters offen gelegt werden muss? Zu 4.: Der Eigentümer der Liegenschaft Christinen- straße 1 wurde im Zusammenhang mit der Gentrifizie- rungsdebatte konkret benannt. Daraus ergab sich zumin- dest eine abstrakte Gefährdungssituation, die Grundlage einer konkreten polizeilichen Bewertung war. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 461 2 5. Ist dem Senat der hohe Stellenwert der Kommuni- kationsgrundrechte und insbesondere des Versammlungs- rechts bekannt? Ist dem Senat in diesem Zusammenhang bekannt, dass die Einschränkung der Kommunikations- grundrechte nur zugunsten gleichwertiger Rechtsgüter und unter besonders strenger Wahrung des Verhältnismä- ßigkeitsgrundsatzes zulässig ist (vgl. dazu: BVerfG, Be- schluss vom 14.5.1985, 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – Brokdorf –)? Zu 5.: Ja. 6. Teilt der Senat die Einschätzung, dass die Teil- nahme an Demonstrationen und die freie Äußerung einer Meinung vom Grundgesetz gedeckt sind, und dass die Weitergabe von Informationen zum demokratischen En- gagement in diesem Rahmen durch die Polizei (!!) an Dritte zu einer Erschwerung und damit ggf. zur Nicht- wahrnehmung der Grundrechtsausübung führen kann (Abschreckungseffekt), insbesondere weil die Betroffenen unter Umständen existenzielle Folgen für ihre privat- rechtlichen Rechtsbeziehungen (Kündigungen o.ä.) be- fürchten müssen? Zu 6.: Die Weitergabe der Information war aus den oben zu 2. genannten polizeifachlichen Erwägungen er- forderlich. Dabei war im Rahmen der Interessenabwä- gung zu berücksichtigen, dass der Betreiber des BAIZ selbst sein Engagement für die Demonstration im Internet der Allgemeinheit und somit auch dem Eigentümer der Liegenschaft öffentlich zugänglich gemacht hat; etwaige mit der Veröffentlichung verbundene Nachteile hat er damit in Kauf genommen. 7. Wenn 6. ja: Wie will der Senat künftig in Bezug auf die Weitergabe von Informationen an private Dritte zum durch die Kommunikationsgrundrechte gedeckten demo- kratischen Engagement von Berlinerinnen und Berlinern im Rahmen ihrer privaten Sphäre und Geschäftsbeziehun- gen verfahren? Zu 7.: Die Weitergabe von Informationen an private Dritte wird weiterhin nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Datenübermittlung und unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsat- zes seitens der Polizei Berlin erfolgen. Der hohe Stellen- wert des Grundrechts der Versammlungs- und Meinungs- freiheit wird dabei auch künftig stets berücksichtigt. Berlin, den 27. August 2013 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Sep. 2013)