Drucksache 17 / 12 500 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 01. August 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. August 2013) und Antwort Refugees welcome! Zur Gefährdungssituation in den Not- und Sammelunterkünften für Flüchtlinge in Berlin (Teil I – Hellersdorf) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat den Verlauf der „Bürgerversammlung “ zur Eröffnung einer Sammelunterkunft für Flüchtlinge im Ortsteil Hellersdorf am 9. Juli 2013, bei der es zu diversen rassistischen Äußerungen sowie zu aggressivem Auftreten von Personen aus dem organisier- ten Rechtsextremismus kam? Zu 1.: Transparenz und Bürgerorientierung sind für den Senat wichtige Aspekte für den verantwortungsbe- wussten Umgang mit der Frage der Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern. Daher ist die gezielte Einbeziehung der Wohnbevölkerung im Einzugs- bereich der Unterkünfte ein unverzichtbarer Beitrag, um der systematischen Stimmungsmache durch extremisti- sche Vereinigungen wie auch der Verbreitung fremden- feindlicher Stammtischparolen nachhaltig entgegen zu wirken. Der Senat bedauert den Verlauf der Informationsver- anstaltung, deren ordnungsgemäße Durchführung durch gezielte Störmanöver destruktiv auftretender Gruppen und Einzelpersonen massiv beeinträchtigt wurde. Diese Erfahrungen bei der Durchführung der in Rede stehenden Veranstaltung führten bereits zu Überlegungen, wie bei zukünftigen vergleichbaren Anlässen zuverlässig die Unterwanderung und Beeinträchtigung seitens anti- demokratisch gesinnter und nicht an einer konstruktiven Lösung interessierter, insbesondere rechtsextremer Grup- pierungen oder Einzelpersonen verhindert werden kann. 2. Waren dem Senat die Aktivitäten und personellen Hintergründe der sich gegen die Unterkunft richtenden sog. „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ (siehe: https://www.facebook.com/pages/B%C3%BCrgerinitiativ e-Marzahn-Hellersdorf/470302906396050) vor der Bür- gerversammlung bekannt und wenn ja, wann und durch wen wurde der Senat informiert? Zu 2.: Dem Senat lagen vor der Durchführung der Veranstaltung Hinweise auf eine rechtsextremistische Beeinflussung der „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf “ durch ein Flugblatt der „Bürgerinitiative“ vor. Durch die Polizei Berlin wurde daraufhin eine Gefah- renanalyse durchgeführt, die im Ergebnis zu polizeilichen Maßnahmen führte. 3. Hat der Senat bzw. das LaGeSo Maßnahmen ergrif- fen, um im Vorfeld gemeinsam mit dem Bezirksamt eine Eskalation der „Bürgerversammlung“ zu verhindern und wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? 4. Hat sich das LaGeSo im Vorfeld der „Bürgerversammlung “ mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) sowie Polis* - Bezirkliche Koordinie- rungsstelle für Demokratieentwicklung am Ort der Viel- falt Marzahn-Hellersdorf ins Benehmen gesetzt, um Handlungsstrategien zum Umgang mit rassistischen Paro- len und dem Auftreten von Rechtsextremen zu beraten? Wenn nein, warum nicht? 5. Hat der Senat dem Bezirksamt empfohlen, sich mit MBR sowie Polis ins Benehmen zu setzen? Wenn nein, warum nicht? Zu 3. bis 5.: Der Senat (Senatsverwaltung für Inneres und Sport) hat den Bezirk im Vorfeld der Veranstaltung über die in Antwort zu Frage 2 geschilderten Informatio- nen unterrichtet. Grundsätzlich haben sich die Bezirke gemeinsam mit dem Senat darauf verständigt, dass die Information der Anwohnerinnen und Anwohner im Umfeld von Flücht- lingsunterkünften vor Ort durch die Bezirke erfolgt. Daher wurde auch die in Rede stehende Informations- veranstaltung in eigener Zuständigkeit vom Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin organisiert. Diese Orga- nisationshoheit des Bezirks bezieht auch die Prüfung ein, Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 500 2 ob und ggf. welche begleitenden Maßnahmen erforderlich sind. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LA- GeSo) wurde lediglich bei der Ausrichtung beteiligt, um fachliche Unter-stützung für den Fall leisten zu können, dass von anwesenden Anwohnerinnen und Anwohnern weitergehende Fragen zur Wohnheimunterbringung, zum aufgenommenen Personenkreis oder zu ähnlichen Aspek- ten, die die Fachkompetenz des LAGeSo betreffen, ge- stellt werden sollten.“ 6. Welche Erkenntnisse hat der Senat über a. Anzahl der aktiven Personen und die personellen Hintergründe der „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf “? b. Personen aus der „Bürgerinitiative“ oder deren Umfeld , die dem Spektrum des organisierten Rechtsextre- mismus, insbesondere dem Berliner Landesverband der NPD, zugeordnet werden können? c. strafrechtlich relevante Aktivitäten der „Bürgerinitiative “ und/oder Inhalte auf dem Facebook-Profil? d. die auf der Facebook-Seite der „Bürgerinitiative“ diskutierte Bildung von „Bürgerwehren“ gegen die neue Unterkunft? Zu 6 a: Angaben zum absoluten Personenpotenzial der „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ können vor dem Hintergrund, dass die Aktivitäten der „Bürgerinitiative“ nahezu ausschließlich anonym und im virtuellen Raum stattfinden, nur geschätzt werden. Diese Schätzung wird zudem dadurch erschwert, dass die „Bürgerinitiative“ weder formale Mitgliedschaften noch eine feste Organisa- tionsstruktur aufweist. Ihre Internet-Aktivitäten zugrunde gelegt, dürften sich organisatorisch unmittelbar weniger als zehn Personen an der „Bürgerinitiative“ beteiligen, deren Sympathisantenkreis sich im unteren bis mittleren zweistelligen Bereich bewegen dürfte. Zu 6 b : Die in den Medien und besonders im Internet publizierte Nähe der „Bürgerinitiative“ zu Rechtsextremisten resultiert u. a. aus dem zeitgleichen Auftreten von vermeintlichen oder tatsächlichen Anhängerinnen und Anhängern der Bürgerinitiative und Rechtsextremisten bei verschiedenen Veranstaltungen und Versammlungen zum Thema Gemeinschaftsunterkünfte. Hierbei macht sich z. B. die NPD unverhohlen die auch von der „Bürgerinitiative“ getragenen Vorbehalte gegen die Schaffung weiterer Gemeinschaftsunterkünfte zu eigen. Darüber hinaus agiert die „Bürgerinitiative MarzahnHellersdorf “ über einen eigenen Facebook-Account, auf dem diverse Einträge mit zum Teil strafrechtlich relevan- ten Kommentaren verschiedener Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer veröffentlicht wurden. Mit Wirkung vom 3. September 2013 tritt die „Bürgerinitiative für ein lebenswertes Marzahn-Hellersdorf e. V.“ auf der Internetpräsenz www.bi-mh.de in Erscheinung . Ein mit Datum vom 4. September 2013 veröffent- lichter Artikel trägt die Überschrift „Die Bürgerinitiative für ein lebenswertes Marzahn-Hellersdorf e. V. distanziert sich von der Bürgerinitiative Marzahn Hellersdorf“. Bezüglich eines möglicherweise rechtsextremen Hin- tergrundes liegen der Polizei Berlin zwar keine konkreten Erkenntnisse vor. Jedoch wird in einem Artikel der Berli- ner Zeitung vom 4. Juli 2013 mit der Überschrift „Asylheim Hellersdorf - Anonyme Hetze gegen Asylbewerber“ ein Zusammenhang zwischen den Aktivitäten der „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ und „…Thomas Crull, 2011 erfolglos Kandidat für die NPD in Marzahn- Hellersdorf. …“ thematisiert. Weiterhin erstattete ein Mitglied der NPD am 1. Au- gust 2013 Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Kun- sturheberrechtsgesetz, nachdem es auf einer „linken“ Internetpräsenz als Mitglied der „Bürgerinitiative Marzahn -Hellersdorf“, seiner Meinung nach zu Unrecht, thematisiert worden war. Zu 6 c: Im Zusammenhang mit der Eröffnung der Gemeinschaftsunterkunft in Hellersdorf und dem Auftre- ten der beiden Bürgerinitiativen liegen der Polizei Berlin mehrere Strafanzeigen vor. Auch wurden Ermittlungsver- fahren gegen einzelne Nutzerinnen und Nutzer von Face- book wegen Kommentierungen inkriminierten Inhalts eingeleitet. Wegen derzeit laufender Ermittlungen wird zu weiteren Details zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Stellung genommen. Zu 6 d: Dem Senat ist ein konkreter Aufruf zur Bil- dung von Bürgerwehren bisher nicht bekannt geworden. Jedoch wurde am 4. September 2013 auf der Internet- präsenz des Berliner Landesverbandes der NPD ein Ein- trag mit der Überschrift „Hellersdorf wehrt sich! – Antigewalt -Bürgerwehr Marzahn-Hellersdorf bilden!“ veröffentlicht . Erkenntnisse, dass es im Kontext zu diesem Aufruf tatsächlich zur Bildung von Bürgerwehren kam, liegen der Polizei Berlin bislang nicht vor. Ein gleicher Eintrag befand sich ebenfalls auf dem privaten Facebook- Account des Berliner Landesvorsitzenden der NPD. In den Kommentarspalten auf der Seite der „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ wurde von einzelnen Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern diskutiert, eine Bür- gerwehr zu bilden. Als Vorstufe dazu werden bereits Bilder von Personen, die aus Sicht der Bürgerinitiative aufgrund optischer Merkmale verdächtig sind, gepostet und zur Denunziation aufgerufen. 7. Wie bewertet der Senat die auf der Facebook-Seite getätigten Äußerungen, die sich gegen Flüchtlinge und Asylsuchende, aber auch allgemein gegen Migrantinnen und Migranten sowie gegen zivilgesellschaftlich und antirassistisch engagierte Menschen richten? Zu 7.: Eine Bewertung von Facebook-Seiten erfolgt durch den Senat nicht. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 500 3 Besteht der Verdacht, dass eine Straftat nach § 130 Strafgesetzbuch (StGB) – Volksverhetzung – vorliegt, so prüfen die zuständigen Strafverfolgungsbehörden von Amts wegen, ob ein Strafverfahren einzuleiten ist. Der Polizei Berlin liegen im Zusammenhang mit in- kriminierten Kommentaren einzelner Nutzerinnen und Nutzer von Facebook auf der Seite der „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ derzeit sieben Strafanzeigen wegen der Öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, der Beloh- nung und Billigung von Straftaten sowie Nötigung vor. Der Senat wirbt bei der Bevölkerung kontinuierlich um Verständnis und Unterstützung für die sowohl recht- lich verpflichtende als auch humanitär begründete Auf- nahme von Asylbegehrenden und Flüchtlingen in Berlin und verurteilt alle ausländerfeindlichen, diskriminieren- den und rassistischen Äußerungen und Aktivitäten ent- schieden und vorbehaltlos. 8. Prüft der Senat rechtliche Schritte gegen die ano- nym, d.h. ohne Impressum auf Facebook und Twitter agierende „Bürgerinitiative“ oder wurde bereits Strafanzeige erstattet? Wenn nein, warum nicht? Zu 8.: Die Prüfung der Erforderlichkeit eines Impres- sums ist noch nicht abgeschlossen. Berlin, den 03. Dezember 2013 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Dez. 2013)