Drucksache 17 / 12 565 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Wolfgang Albers (LINKE) vom 22. August 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. August 2013) und Antwort Stromlinie statt Sozialkompetenz – Wer darf an der Charité Medizin studieren? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Abiturientinnen und Abiturienten haben an Berliner Schulen 2012 und 2013 einen Notendurch- schnitt erreicht, der zur Zulassung zum Medizinstudium in Berlin notwendig ist? 2. Wie hoch ist dieser zur Zulassung notwendige Notendurchschnitt zurzeit? Zu 1. und 2.: Im Auswahlverfahren vergibt die Stif- tung für Hochschulzulassung 20 % der Studienplätze nach den Kriterien der Abiturnote. Die Auswahlgrenze für Berliner Abiturientinnen und Abiturienten lag im Wintersemester 2012/13 bei 1,1, im Sommersemester 2013 bei 1,0, im Wintersemester 2013/14 bei 1,1. In den u. g. Schuljahren erzielte folgende Anzahl von Schülerinnen und Schülern die notwendigen Durch- schnittsnoten: 1,0 1,1 2011/12 223 174 Für das Schuljahr 2011/12 ist zu berücksichtigen, dass es in dem Jahr den doppelte Abitur- jahrgang und somit insgesamt mehr Prüflinge gab. 2012/13 140 106 3. Wie viele Abiturientinnen und Abiturienten mit Migrationshintergrund an den Berliner Oberschulen und Gymnasien haben diesen Notendurchschnitt erreicht? Zu 3.: Hierzu findet seitens der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft keine Auswertung statt. 4. Hält der Senat die Beantwortung mathematischer und naturwissenschaftlicher Spitzfindigkeiten in vorge- schriebener Zeit unter akribischer Beobachtung, inklusive Begleitung zur Toilette, tatsächlich für ein Kriterium, auch sozialkompetente Medizinstudentinnen und -stu- denten auszuwählen? 5. Hält der Senat es für das geeignete Verfahren und ist es in seinem Sinne, dass auch die Zulassung zur Teil- nahme an dem speziellen Test für Bewerber um einen Medizin-Studienplatz an der Charité weiterhin allein von der Abitur-Durchschnittsnote abhängig gemacht wird? Zu 4. und 5.: Der Studiengang Humanmedizin ist in das zentrale Vergabeverfahren der Stiftung für Hoch- schulzulassung einbezogen (§ 1 S. 2 i.V.m. Anlage 1 VergabeVO Stiftung). In diesen Studiengängen werden die nach Abzug der Vorabquoten (vgl. § 7 Berliner Hoch- schulzulassungsgesetz - BerlHZG) verbleibenden Stu- dienplätze zu 20 % durch die Stiftung für Hochschulzu- lassung nach dem Grad der Qualifikation für das gewählte Studium („Abiturbestenquote“), zu 20 % durch die Stiftung für Hochschulzulassung nach der Dauer der Zeit seit dem Erwerb der Qualifikation für den gewählten Studien- gang (Wartezeit) und im Übrigen durch die Hochschule nach dem Ergebnis eines von der Hochschule festzule- genden Auswahlverfahrens („AdH-Quote“) vergeben (§ 8 Abs. 1 BerlHZG). Die Charité ist danach ausschließlich für die Vergabe der Studienplätze im Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH) zuständig (ca. 60 % der zu vergebenden Studien- plätze). Die nähere Ausgestaltung dieses Vergabeverfah- rens und die Auswahl der Kriterien hat sie durch Satzung zu regeln (§ 8 Abs. 3 S. 6 BerlHZG). § 8 - Sonstiges Auswahlverfahren - BerlHZG normiert die rechtlichen Vorgaben für die Auswahlsatzung in Ab- satz 3 wie folgt: „(3) Die Hochschule vergibt die Studienplätze im Rahmen des Auswahlverfahrens nach Absatz 1 Nr. 3 und Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 565 2 1. nach dem Grad der in der Hochschulzugangsberechtigung ausgewiesenen Qualifikation (Durchschnittsnote ), 2. nach den gewichteten Einzelnoten oder nach einer Gewichtung von Fächern der Qualifikation, die über die fachspezifische Motivation und Eignung Auskunft geben, 3. nach dem Ergebnis eines fachspezifischen Studierfähigkeitstests , 4. nach der Art einer studienrelevanten Berufsausbil- dung, Berufstätigkeit oder praktischen Tätigkeit, die über die besondere Eignung für den gewählten Studiengang Aufschluss geben können, 5. nach Vorbildungen auf Grund des erfolgreichen Besuchs eines besonderen studienvorbereitenden Kurses einer Schule oder Hochschule, 6. nach einer auf dem Niveau des europäischen Refe- renzrahmens (mindestens C 1) nachgewiesenen bi- lingualen Sprachkompetenz, 7. nach dem Ergebnis eines von der Hochschule durchzuführenden Gesprächs mit den Bewerberin- nen und Bewerbern, das Aufschluss über deren Motivation und über die Identifikation mit dem gewählten Studium und dem angestrebten Beruf geben sowie zur Vermeidung von Fehlvorstellun- gen über die Anforderungen des Studiums dienen soll, 8. auf Grund einer Verbindung von Maßstäben nach den Nummern 1 bis 7. Bei der Auswahlentscheidung der Hochschule muss dem Grad der Qualifikation ein maßgeblicher Einfluss gegeben werden. Daneben ist mindestens ein weiteres Auswahlkriterium zugrunde zu legen. Die Gewichtung nach Einzelnoten oder von Fächern der Qualifikation nach Satz 1 Nr. 2 oder das Gespräch nach Satz 1 Nr. 7 dürfen nicht das einzige Auswahlkriterium im Sinne des Satzes 3 sein. Soll die Teilnehmerzahl an dem Auswahlverfahren begrenzt werden, entscheidet die Hochschule über die Teilnahme nach einem der in Satz 1 Nr. 1 bis 7 genannten Maßstäbe, in Verfahren nach Absatz 1 Nr. 3 auch nach dem Grad der Ortspräferenz, oder nach einer Verbindung dieser Maßstäbe. Die nähere Ausgestaltung des Verfah- rens und die Auswahl der Kriterien regelt die Hochschule durch Satzung, die der Bestätigung der für die Hochschu- len zuständigen Senatsverwaltung bedarf. Verfahren und Kriterien sind in der Satzung so zu gestalten, dass nie- mand mittelbar oder unmittelbar auf Grund des Ge- schlechts, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, der Behinderung oder sexuellen Identi- tät diskriminiert wird. Das Bestätigungsverfahren er- streckt sich auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit und der Zweckmäßigkeit der Satzung. Gebühren für die Durchführung des Auswahlverfahrens nach Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 werden nicht erhoben. Soweit Gebühren für die Durchführung des Auswahlverfahrens erhoben werden, dürfen diese 25 Euro pro Aufnahmeverfahren nicht über- steigen. Im Falle der Immatrikulation wird die Aufnah- megebühr mit der Immatrikulationsgebühr verrechnet.“ Die Charité hat die Satzung über das Auswahlverfah- ren der Charité - Universitätsmedizin Berlin für die Studi- engänge Humanmedizin und Zahnmedizin (Auswahlsat- zung) – Amtliches Mitteilungsblatt Nr. 100 vom 11.01.2013 erlassen und die Satzung wurde von der Se- natsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft bestätigt; www.charite.de/charite/presse/publikationen/amtlichemitt eilungsblaetter/. Die von der Charité durchgeführten Auswahlverfahren sind damit nicht zu beanstanden, da sie der Rechtslage entsprechen und auch zweckmäßig sind; die Rahmenbe- dingungen entsprechen auch international üblichen Ge- pflogenheiten bei Staatsexamina und vergleichbaren Prü- fungen. 6. Wenn der Leiter des Referats für Studienangelegenheiten an der Charité im „Tagesspiegel“ vom 13.8.2013 zu Recht konstatiert, dass er derzeit keine Mög- lichkeit sehe, soziale Kompetenzen gerichtsfest abzufra- gen, warum werden dann nicht zumindest bei der Aus- wahl der zum Test Eingeladenen andere Kriterien ange- legt als die unsägliche Abitur-Durchschnittsnote. Zu 6.: Die Auswahlsatzung der Charité beachtet die oben zitierten Vorgaben. Insbesondere wird der maßgeb- liche Einfluss der Durchschnittsnote gewahrt. Gleichzeitig sorgt sie für die absolute Gleichbehandlung aller Bewer- berinnen und Bewerber, die nunmehr die Chance erhalten, ihr Abiturergebnis durch ein gutes Ergebnis im Studierfä- higkeitstest des Hamburger Auswahlverfahrens für Medi- zinische Studiengänge – Naturwissenschaftsteil (HAMNat ) zu verbessern. Die Charité hat im Rahmen ihres Auswahlverfahrens stets einen Schwerpunkt auf die na- turwissenschaftlichen Fächer gelegt. Diese „Tradition“ setzt sie durch den Einsatz des HAM-Nat, durch den die medizinisch relevanten Aspekte der Fächer Mathematik, Physik, Chemie und Biologie überprüft werden, fort. 7. Nutzt die Charité die Chance, über ihr spezielles Auswahlverfahren auch solchen Bewerbern eine Chance zu geben, die vor ihrem Studium z.B. eine Ausbildung im Pflege- oder medizinischem Assistenzbereich abgeschlos- sen haben? Zu 7.: Nein, die Zeiten der Ausbildung werden ledig- lich als Wartesemester angerechnet. 8. Wie hoch ist der Anteil von StudienplatzBewerbern mit im medizinischen Bereich abgeschlosse- nen Berufsausbildungen? 9. Wie hoch ist deren Anteil an den zum MedizinStudium zugelassenen Bewerbern? Zu 8. und 9.: Diese Daten sind nicht bekannt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 565 3 10. Finden an der Charité weiterhin sogenannte Auswahlgespräche statt? 11. Wenn ja: Wer wird nach welchen Kriterien zu diesen Auswahlgesprächen eingeladen? Zu 10. und 11.: Es finden keine Auswahlgespräche statt. 12. Gibt die Charité in ihrem spezifischen Auswahlverfahren auch Bewerberinnen und Bewerbern eine Chance, die bereits längere Wartezeiten auf sich genom- men haben und schon damit beweisen, dass sie ein ernst- haftes Interesse an dem Studium haben? Zu 12.: Die Wartezeit allein erhöht im Auswahlver- fahren nicht die Chancen auf einen Studienplatz, sondern wird bei der 20%igen Wartezeitquote durch die Stiftung für Hochschulzulassung berücksichtigt und beträgt zurzeit in Medizin 13 Wartesemester. 13. Wie hoch ist unter den Eingeladenen der Anteil von Bewerbern mit längeren Wartezeiten und wie viele der Eingeladenen haben eine abgeschlossene Berufsaus- bildung im medizinischen Bereich? Zu 13.: Die Daten sind nicht bekannt. 14. Warum entwickelt die Charité, die mit ihrem Modellstudiengang Medizin ja neue Wege in der Ausbildung gegangen ist, nicht auch beispielhaft neue Zulassungskri- terien, wie z.B. absolvierte Praktika, soziales Engagement oder einschlägige Berufserfahrung, um auch solchen Studierenden eine Chance zu geben, die nicht Muße oder Möglichkeit hatten, bereits in der 10. Klasse auf den ent- sprechenden Notendurchschnitt von mindestens 1,0 für die Zulassung zum späteren Medizinstudium hinzuarbei- ten? Zu 14.: Anpassungen und Überprüfung der Zulas- sungskriterien sind ein dauerhafter Prozess und jüngst durch die Etablierung des Ham-Nat erfolgt. Weitere Kri- terien sind auch zukünftig keinesfalls auszuschließen. 15. Hält der Senat es tatsächlich für angemessen, stattdessen aus der Fächer-Auswahl eines Schülers der 10. Klasse auf die „fachspezifische Motivation und Eignung“ zum Medizinstudium schließen zu können? Zu 15.: Da verschiedene Eignungskriterien bestehen, von denen nur einige valide messbar sind, ist eine Be- schränkung auf diese Kriterien besser als ein vollständiger Verzicht auf Eignungskriterien oder ein Rückgriff auf weit weniger valide. Die zur Verfügung stehenden Stu- dienplätze sind zweckmäßig an diejenigen Studierwilligen zu vergeben, die die entsprechend notwendigen Grund- kenntnisse und Fähigkeiten für die Anforderungen des Medizinstudiums aufweisen. 16. Wird der Senat seinen Einfluss geltend machen und im Sinne seiner Politik der Öffnung der Hochschulen auch für beruflich Qualifizierte auf die Charité einwirken, ihre Zulassungspraxis zum Medizinstudium zu überden- ken? Zu 16.: Die Vergabe der Studienplätze für den Studi- engang Humanmedizin richtet sich nach den Maßgaben des Staatsvertrags über die Einrichtung einer gemeinsa- men Einrichtung für Hochschulzulassung. Der Staatsver- trag eröffnet hierbei in Artikel 9 Abs. 1 die Möglichkeit zur Einrichtung einer Vorab-Quote für beruflich qualifi- zierte Bewerberinnen und Bewerber. Zur Einrichtung normiert der Staatsvertrag wie folgt: „Die Quote soll nur dann gebildet werden, wenn zu erwarten ist, dass der Anteil der ihr unterfallenden Bewerberinnen und Bewer- ber an der Bewerbergesamtzahl mindestens eins von Hundert beträgt; (...)“. Das Land Berlin hat in den Gremien der Stiftung für Hochschulzulassung mehrmals eine Abstimmung zur Bildung einer Quote für beruflich Qualifizierte herbeige- führt. Die Einführung einer Quote scheiterte jedoch in der Regel an der erforderlichen Mehrheit von drei Viertel der Stimmen. Das Land Berlin wird auch weiterhin über die Gremien der Stiftung seinen Einfluss zu diesem Thema geltend machen. Berlin, den 06. September 2013 In Vertretung Dr. Knut Nevermann Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Sep. 2013)