Drucksache 17 / 12 566 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 22. August 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. August 2013) und Antwort Richterliche Unabhängigkeit vs. Lobbyarbeit für Vermieter Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Ist aus Sicht des Senats das Amt einer unabhängi- gen Richterin oder eines unabhängigen Richters einer Zivilkammer am Landgericht, die u.a. für Mietsachen zuständig ist, vereinbar mit einer Nebentätigkeit als Vor- tragende/r auf einer Tagung des Verbands nordrhein- westfälischer Immobilienverwalter (VNWI), der sich als Lobbyorganisation für Immobilienverwalter versteht? Zu 1.: Nach § 10 des Berliner Richtergesetzes (RiG Bln) i. V. m. § 63 Abs. 1 Nr. 2 des Landesbeamtengeset- zes (LBG) sind schriftstellerische, wissenschaftliche, künstlerische oder Vortragstätigkeiten, die als Nebentä- tigkeit ausgeübt werden, nicht genehmigungspflichtig. Sie sind anzeigepflichtig, wenn für sie ein Entgelt oder ein geldwerter Vorteil geleistet wird (§ 10 RiG Bln i. V. m. § 63 Abs. 3 Satz 1 LBG). Die Nebentätigkeit ist der Dienst- behörde (§ 10 RiG Bln i. V. m. § 4 LBG) anzuzeigen, regelmäßig also dem Gericht bei dem die Richterin oder der Richter tätig ist, nicht aber der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz. Nach § 10 RiG Bln i. V. m. § 63 Abs. 5 LBG ist eine nicht genehmigungspflichtige Nebentätigkeit ganz oder teilweise zu untersagen, wenn die Richterin oder der Richter bei ihrer bzw. seiner Aus- übung dienstliche Pflichten verletzt. Zu den Dienst- pflichten einer Richterin oder eines Richters gehört es nach § 39 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG), dass sie bzw. er sich innerhalb und außerhalb ihres oder seines Amtes so zu verhalten hat, dass das Vertrauen in ihre oder seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. Die Richterin oder der Richter darf nach § 1 der Richternebentätigkeits- verordnung eine Nebentätigkeit (deshalb) nur ausüben, wenn dadurch das Vertrauen in ihre bzw. seine Unabhän- gigkeit, Unparteilichkeit oder Unbefangenheit nicht ge- fährdet wird. Die erbetene Prüfung der Vereinbarkeit der mit der Fragestellung beschriebenen, nicht anzeigepflichtigen Nebentätigkeit mit dem Richteramt kann nicht ohne die genaue Kenntnis von Inhalt und Umfang der Nebentätig- keit erfolgen. Diese Kenntnis kann sich der Senat von Berlin jedoch nur durch eine Verwertung der ggf. bereits zu den Personalakten einer Richterin oder eines Richters gelangten oder im Rahmen der Dienstaufsicht anzufor- dernden und zum Inhalt der Personalakten zu machenden Angaben der Richterin oder des Richters über den ge- nauen Inhalt der von ihr oder ihm ausgeübten Nebentätig- keit verschaffen. Auch das Ergebnis dieser Prüfung wäre wiederum ein unmittelbar dem Dienstverhältnis der Rich- terin oder dem Richter zuzuordnendes Personal- aktendatum. Denn zu den Personalaktendaten gehören gemäß § 71 DRiG i. V. m. § 50 des Beamtenstatusgeset- zes (BeamtStG) alle Unterlagen, die die Richterin oder den Richter betreffen, soweit sie mit dem Dienstverhältnis in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang stehen. Dementsprechend kann die erbetene Äußerung nicht ohne eine Offenbarung von Personalaktendaten erfolgen, sofern sich die Frage auf eine bestimmte Richterin oder einen bestimmten Richter bezieht. So liegt der Fall aber hier. Die Frage ist auf die Ertei- lung einer Auskunft aus der Personalakte der Richterin P. gerichtet. Anlass der Kleinen Anfrage ist offenbar eine am 12. August 2013 in der ARD gesendete Reportage über Rechtsstreitigkeiten wegen Modernisierungsarbeiten in der Calvinstraße 21, in denen die 63. Kammer des Landgerichts unter Vorsitz der Richterin P. angeblich zu Lasten der Mieterinnen und Mieter entschieden haben soll. Aus dem Zusammenhang mit Frage 4 ergibt sich, dass Frage 1 ebenso wie die Fragen 2 und 3 von der An- nahme ausgehen, es handele sich bei den aufgeführten Tätigkeiten um Nebentätigkeiten der Richterin P. Ob es sich bei der aufgeführten Vortragstätigkeit um eine von der Richterin P. ausgeübte Nebentätigkeit handelt und ob sie mit dem Amt einer Richterin vereinbar ist, kann je- doch aus den genannten Gründen ohne eine Verwertung und Offenbarung von Personalaktendaten der Richterin über die genauen Inhalte etwaiger Nebentätigkeiten nicht beantwortet werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 566 2 Dem Senat ist deshalb nach § 10 RiG Bln i. V. m. § 88 Abs. 2 Satz 1 LBG die Antwort auf die Frage verwehrt. Nach dieser Vorschrift dürfen Auskünfte aus der Perso- nalakte einer Richterin oder eines Richters an Dritte nur mit Einwilligung der Richterin oder des Richters erteilt werden, es sei denn, dass die Abwehr einer erheblichen Beeinträchtigung des Gemeinwohls oder der Schutz be- rechtigter, höherrangiger Interessen der oder des Dritten die Auskunftserteilung zwingend erfordert. Diese Voraus- setzungen liegen hier jedoch nicht vor. Die Richterin P. hat ihre Einwilligung auf Nachfrage nicht erteilt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Abwehr einer erheblichen Be- einträchtigung des Gemeinwohls oder der Schutz berech- tigter, höherrangiger Interessen der oder des Dritten die Auskunftserteilung zwingend erfordert. Die Bestimmung des § 88 Abs. 2 LBG wird nicht durch die Vorschrift des Artikel 45 Abs. 2 Verfassung von Berlin (VvB) verdrängt, der lediglich für die Einsichtnahme in Akten gilt. Im Übrigen müsste auch die danach vorzunehmende Interes- senabwägung zu Gunsten der betroffenen Richterin aus- fallen, weil der Landesgesetzgeber mit § 88 Abs. 2 Satz 1 LBG zum Ausdruck gebracht hat, dass dem Geheimhal- tungsinteresse des Bediensteten hinsichtlich der ihn be- treffenden Personalaktendaten ein besonders hohes Ge- wicht beizumessen ist. Ohne eine Offenbarung von Personalaktendaten oder sonstiger schutzwürdiger Daten Dritter kann nur ange- merkt werden, dass in der „Rechtsstreitigkeit wegen Modernisierungsarbeiten in der Calvinstraße 21“ bislang kein Urteil zu Gunsten der Vermieterinnen und Vermieter ergangen ist. Am 18. Oktober 2013 wird das Landgericht Berlin in den die Modernisierungsarbeiten betreffenden Verfahren vielmehr erneut verhandeln. 2. Ist aus Sicht des Senats das Amt einer unabhängi- gen Richterin oder eines unabhängigen Richters einer Zivilkammer am Landgericht, die u.a. für Mietsachen zuständig ist, vereinbar mit einer Nebentätigkeit als Do- zentin bzw. Dozent für den Bundesverband Freier Immo- bilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), u.a. für ein Seminar mit dem Titel „Wohnungsmietrecht aktuell. Neueste Rechtsprechung und Praxishinweise für Verwal- ter von Mietwohnungen“? Zu 2.: Insoweit gilt die Antwort zu Frage 1 entspre- chend. 3. Ist aus Sicht des Senats das Amt einer unabhängi- gen Richterin oder eines unabhängigen Richters einer Zivilkammer am Landgericht, die u.a. für Mietsachen zuständig ist, vereinbar mit einer publizistischen Neben- tätigkeit in Form einer regelmäßigen Kolumne in der Zeitschrift „Das Grundeigentum – Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft“, die das Organ der Berliner Haus- und Grundstücksvereine sowie des Landesverbands des Rings deutscher Makler (RDM) ist? Zu 3.: Insoweit gilt die Antwort zu Frage 1 entspre- chend. 4. Sind vor diesem Hintergrund die Nebentätigkeiten der Richterin P. der 63. Kammer am Landgericht, die u.a. in der Rechtsstreitigkeit wegen Modernisierungsarbeiten in der Calvinstraße 21 zugunsten der Vermieter geurteilt hat, nach Ansicht des Senats unbedenklich? Zu 4.: Insoweit gilt die Antwort zu Frage 1 entspre- chend. 5. Wo ist nach Ansicht des Senats die Grenze zu zie- hen zwischen einer zulässigen fachbezogenen Tätigkeit neben dem Richteramt und einer Tätigkeit, die in nicht genehmigungsfähiger Weise auf eine Befangenheit in Rechtsgebieten, die Gegenstand der Richtertätigkeit sind, schließen lässt? Zu 5.: Wie sich aus den zur Antwort der Frage 1 ange- führten Bestimmungen ergibt, kommt es für die Grenz- ziehung darauf an, ob durch das Ausüben der Nebentätig- keit das Vertrauen in die Unabhängigkeit, Unparteilich- keit oder Unbefangenheit der Richterin oder des Richters gefährdet wird oder nicht. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist nach genauer Aufklärung des Sachver- halts, bei der auch der betroffenen Richterin oder dem betroffenen Richter Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben wäre, auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage unter Würdigung aller Umstände in jedem Einzelfall gesondert zu entscheiden. Berlin, den 24. September 2013 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Okt. 2013)