Drucksache 17 / 12 611 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 03. September 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. September 2013) und Antwort Kooperation zwischen der Landespolizeischule und NGO´s – Fortbildung beim Rechtsextremismus Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Fortbildungsmaßnahmen finden an der Landespolizeischule im Bereich Rechtsextremismus statt? Zu 1.: In der Ausübung ihres Dienstes sind alle Poli- zeibeamtinnen und Polizeibeamten der Achtung und Wahrung der unantastbaren Menschenwürde als oberstem Wert der rechtsstaatlichen Ordnung verpflichtet. Um die politisch-moralische Urteilsbildung sowie antirassistische und menschenrechtliche Überzeugungen zu stärken, wer- den in Maßnahmen zur Aus- und Fortbildung über bloßes Faktenwissen hinaus entsprechende berufsethische Wer- tehaltungen vermittelt. Der Fachbereich Politik an der Landespolizeischule verknüpft damit die Intention, demokratische Prinzipien zu verdeutlichen, um jedweden fremdenfeindlichen, nati- onalistischen und rassistischen Einstellungen und Ideolo- gien entschieden entgegentreten und wirksam handeln zu können. Für den Bereich der Ausbildung ist Folgendes anzu- merken: Innerhalb der 2 ½-jährigen Ausbildung für den mittle- ren Polizeivollzugsdienst wird im Unterricht ein detail- liertes Faktenwissen vermittelt. Die grundlegende Bedeu- tung der Menschenrechte steht im Vordergrund polizeili- chen Handelns und wird in folgenden Leitthemen des Lehrplans vermittelt: • Die Bedeutung der Grundrechte im Rechtsstaat • Antisemitismus und Rassismus vor dem Hintergrund der jüdischen Geschichte • Die freiheitliche demokratische Grundordnung als wertgebundene Verfassungsordnung der Bundesre- publik Deutschland • Erscheinungsformen von politischem Extremismus und Rassismus, Fremden-feindlichkeit und Antise- mitismus mit Bezügen zur deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts • Integration und Migration - Herausforderungen und Perspektiven. Die Auszubildenden befassen sich mit dem Erkennen von Menschenrechtsverstößen und ihrer gesellschaftli- chen und strafrechtlichen Bezüge und lernen diese im Rahmen der polizeilichen Aufgabenstellung zu sanktio- nieren. Gerade Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte als sichtbare Repräsentanten des Staates und Garanten für den Schutz und die Geltung der Menschenrechte haben die wehrhafte Demokratie gegen Verfassungsfeinde durchzusetzen. Ziel ist, während der Ausbildung Vorurtei- le abzubauen und potenziellen Verhaltensweisen, die zu Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen füh- ren können, schon im Vorfeld konsequent zu begegnen und eine Identifikation mit den Grundwerten der freiheit- lichen demokratischen Grundordnung zu festigen. In diesem Zusammenhang wird die exzessive Miss- achtung der Menschenrechte und der Machtmissbrauch durch die Polizei sowie ihre Verstrickung in die national- sozialistischen Verbrechen im Unterricht behandelt. Die dabei erworbenen Kenntnisse werden in weiterführenden unterrichtsbegleitenden Aktivitäten reflektiert und an- schaulich vertieft: • Besuch der Ausstellung „Ordnung und Vernichtung - Die Polizei im NS-Staat“ im Deutschen Historischen Museum mit allen Ausbildungsklassen im Jahr 2011 • Regelmäßige Projektarbeit in der Polizeihistorischen Sammlung Berlin • Projekttage in der Topographie des Terrors zum Thema „Gestapo - Mythos und Realität“ Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 611 2 • Regelmäßige Teilnahme am Jugendkongress des Bündnisses für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt (seit 2009) • Projekttage in der Gedenkstätte Sachsenhausen (seit 1984) • Exkursionen zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas • Jährliche Teilnahme an Gedenkveranstaltungen zur Erinnerung an die Geschehnisse des 09.11.1938 am „Gleis 17“ des Bahnhofs Grunewald • Kooperationsveranstaltungen mit dem Antisemitis- musbeauftragten der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und dem Centrum Judaicum • Projekttage mit dem verstorbenen Zeitzeugen Isaak Behar (von 1994 bis 2010) • Teilnahme am europaweiten Projekt „Züge in das Leben – Züge in den Tod“ zur Erinnerung an die lebensrettenden Kindertransporte von 1938 bis 1939 nach England (seit 2007) und im November 2011 an der Einweihungszeremonie der Gedenkskulptur „Kindertransporte“ in Rotterdam / Hoek van Holland . Regelmäßige Teilnahme an der Gedenkveran- staltung vor dem Berliner Denkmal am Bahnhof Friedrichstraße (zuletzt am 30.08.2013) Seminare, Projekttage, Exkursionen und Fachgesprä- che in der Ausbildung der Polizei Berlin dienen der pra- xisorientierten Auseinandersetzung mit den Anforderun- gen einer bürgernahen, interkulturellen Polizeiarbeit auch in Bezug auf die Vielfalt der Lebensstile einer sich wan- delnden Stadtbevölkerung: • Informationsveranstaltungen zum Islam in der Sehitlik Moschee • Viertägige Seminarreihe „Interkulturelle Kompetenz im Polizeidienst“, in Kooperation mit dem Bund für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit (BDB) sowie dem Projekt „HEROES“ für alle Absolventinnen und Absolventen des 3. Ausbildungsabschnitts • Projekttage für alle Dienstanfängerinnen und Dienstanfänger bei der Landes-stelle für Gleichbe- handlung - gegen Diskriminierung (LADS) • Projekttage für alle Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter mit Referenten von Amnesty Internatio- nal • Projekttage für alle Auszubildenden mit Maneo (Schwules Anti-Gewalt-Projekt in Berlin) Für den Bereich der Fortbildung ist Folgendes anzu- merken: Im Jahr 2007 wurde das Projekt „Wissen und Bildung als Schutzfaktoren gegen Rechtsextremismus“ mit der Zielrichtung begonnen, Präventionsbeauftragte der Poli- zeiabschnitte an jeweils drei Tagen zu qualifizieren, um die Prävention gegen rechtsextremistische Ideologien und Erscheinungsformen an Berliner Schulen voranzubringen und auszubauen. Der vertiefenden Auseinandersetzung mit dem The- menfeld Rechtsextremismus dient ein im Jahr 2012 kon- zipiertes Seminar (2 Tage), das umfassend über aktuelle Entwicklungen und Erscheinungsformen in der rechtsext- remen Szene informiert. Zu-dem sollen die Teilnehmen- den in die Lage versetzt werden, rechtsextremistische Phänomene rechtssicher zu erkennen und zu bewerten. Die ausgewählten Tagesseminare zur politischen Bil- dung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gliede- rungseinheiten bei der Polizei Berlin stellen einen aktuel- len Ausschnitt des umfangreichen Fortbildungsangebots der Landespolizeischule dar: • „Neue Entwicklungen im Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus, Konsequenzen in Berlin und im Bund“ unter Beteiligung von Frank Jansen vom „Tagesspiegel “ sowie u. a. Vertretern der Abteilung Verfassungsschutz und des Landeskriminalamtes (LKA) Berlin • „Extremismus in Deutschland“. Erscheinungsformen sowie aktuelle Entwicklungen in den Phänomenbe- reichen des Rechtsextremismus, Linksextremismus und Ausländerextremismus • „Verbrechen an den Juden in Europa während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ in der Holocaust -Gedenkstätte (Stelenfeld) • „Erscheinungsformen des Antisemitismus im Zusammenhang mit Aktivitäten zum so genannten Al- Quds-Tag“; aktuelle Phänomene des Antisemitismus ; Einfluss türkischer, arabischer und iranischer Organisationen des Nahen und Mittleren Ostens auf Berlin; Holocaustleugnung im islamistischen Kon- text, Workshops und Diskussion, Kooperationsver- anstaltung mit dem American Jewish Committee • „Die Verbrechen an den Juden in Europa und die Rolle der Polizei im NS-Staat“; Vortrag und Führung durch die Gedenk- und Bildungsstätte im Haus der Wannseekonferenz mit anschließender Auswer- tung und Diskussion. • „Jüdisches Leben in Berlin - einst und jetzt“; Führung durch das „Scheunenviertel“; Besuch der Ausstellung und Gespräch mit Vertretern des Centrum Judaicum • „Ziviler und militärischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus “ Vortrag, Führung und Besichtigung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Schwerpunkte: Widerstand in Uniform, Grenzen des Gehorsams Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 611 3 • „Die Rolle der Polizei und Geheimen Staatspolizei (Gestapo) im NS-Staat“ Im Rahmen des Themenjahrs 2013 „Zerstörte Vielfalt “ wird an die von den Nationalsozialisten nach 1933 zerstörte gesellschaftliche Vielfalt erinnert. Der 80. Jahrestag der Machtübergabe an die Natio- nalsozialisten am 30. Januar 1933 und der 75. Jah- restag der Novemberpogrome bilden einen besonde- ren Anlass für die Auseinandersetzung und Erinne- rung. Das Seminar wird in diesem Zusammenhang die bedeutsame Rolle der Polizei bei der Verfolgung unterschiedlicher Opfergruppen thematisieren. Füh- rung durch die Ausstellung „Berlin 1933 – Der Weg in die Diktatur“ in der Topographie des Terrors mit anschließender Auswertung und Diskussion, Vortrag zur Rolle der Polizei in der NS-Zeit, Analyse poli- zeilicher Ermittlungsakten zu unterschiedlichen Op- fergruppen • „Welche Chancen bestehen für ein erfolgreiches NPD – Verbot?“ Vortrag und Gespräch mit Vertretern aller Fraktionen zum oben genannten Thema • „SA-Gefängnis Papestraße - ein frühes Konzentrationslager in Berlin Führung durch die Ausstellung „Gedenkort SAGefängnis Papestraße“ mit an-schließender Auswertung und Diskussion zur Rolle der Polizei in der NS- Zeit Im Foyer des Polizeipräsidiums wurde im August 2013 die Ausstellung „Berliner Tatorte - Dokumente rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ der Berlinweiten Opferberatungsstelle „ReachOut“ gezeigt. 2. Inwiefern spielt dieser Themenbereich eine Rolle im Rahmenplan zur Aus- und Fortbildung? Zu 2.: Der intensiven und dauerhaften Bildungsarbeit gegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus kommt in der Aus- und Fortbil- dung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ein hoher Stellenwert zu. Sie ist deshalb im Lehrplan als eigenständiges Leitthema sowie als Seminarangebot fest verankert. Dabei stehen im Hinblick auf die Konfrontati- on mit entsprechenden Ausdrucks- und Erscheinungsfor- men der dialogische Zugang, die Diskussion und die Re- flexion im Vordergrund der pädagogischen und didakti- schen Ansätze einer umfassenden Menschenrechtsbil- dung. Die Berliner Polizei engagiert sich über den gesetzli- chen Auftrag hinaus bewusst und kontinuierlich im Zu- sammenwirken mit zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen jegliche Form von Extremismus. 3. Wird eine Kooperation zwischen den NGO’s (beispielsweise MBR oder Falken) und der Landespolizei- schule für sinnvoll gehalten, damit in Fortbildungsmaß- nahmen auch die Zivilgesellschaft eine Rolle einnimmt? Zu 3.: Der Polizei Berlin kooperiert bereits seit vielen Jahren bei der Planung und Umsetzung von themenbezo- genen Aus- und Fortbildungsprojekten mit zivilgesell- schaftlichen Initiativen und Netzwerkpartnern wie der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, dem Centrum Judaicum, dem American Jewish Committee, dem Zentrum für Anti- semitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, der Gedenk- und Bildungs-stätte Haus der Wann- seekonferenz, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Topographie des Terrors, dem Deutschen Institut für Menschenrechte, Amnesty International, dem Mobilen Beratungsteam „Ostkreuz“ und darüber hinaus mit politischen Stiftungen und Trägern interkultureller Arbeit. Um innovative Ansätze der Lehr- und Lernmethodik in den gesellschaftswissenschaftlichen Themenfeldern auch in der Landespolizeischule stetig voranzubringen, legt der Fachbereich Politik großen Wert auf die Stärkung der Netzwerkarbeit und Partnerschaft mit Organisationen der Zivilgesellschaft. Deren Perspektiven und Arbeits- weisen tragen nachhaltig zur Weiterentwicklung des akti- vierenden und methodischen Lernens im Unterricht sowie der Gestaltung von Praxisseminaren bei. 4. Wird ein Besuch von Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Unterrichts bei den Falken oder anderen Gruppen für möglich und sinnvoll gehalten? Zu 4.: Ein Besuch von Polizeischülerinnen und Poli- zeischülern im Zusammenhang mit Exkursionen und Projekttagen zur kreativen Auseinandersetzung mit Inhal- ten und Erscheinungsformen des Rechtsextremismus ist sinnvoll und wird bereits mit den unter Frage 3 genannten Einrichtungen und Institutionen praktiziert. Vor dem Hintergrund der Wahrung der politischen Neutralität der Polizei Berlin wird eine Zusammenarbeit mit den Falken und auch anderen Jugendorganisationen von Parteien zurückhaltend betrachtet. Berlin, den 02. Oktober 2013 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Okt. 2013)