Drucksache 17 / 12 643 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Alexander Spies und Dr. Simon Weiß (PIRATEN) vom 10. September 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. September 2013) und Antwort Kein Bock auf „Querulanten“? – Kundenreaktionsmanagement in den Berliner Jobcentern Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Die Fragen betreffen Sachverhalte, die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Daher hat der Senat die Regionaldirektion Berlin- Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit (RDBB) zu- sätzlich um Auskunft gebeten. 1. Hält der Senat die Praxis des Jobcenters Berlin Lichtenberg für legitim, Leistungsbezieher_innen in in- ternen Weisungen als „Querulanten“ und „Dauerkunden“ zu bezeichnen und ihre Anliegen daher mit der niedrigs- ten Priorität zu behandeln (vgl. Jobcenter Berlin Lichten- berg Festlegung Nr. 01/2011 Anlage 2: http://redmine.piratenfraktion- berlin.de/dmsf_files/7299?download=)? a. Wenn ja, wieso (bitte begründen)? b. Wenn nein, wird sich der Senat dafür einsetzen, dass diese Praxis des Jobcenters Berlin Lichtenberg been- det wird? Zu 1., 1a. und 1b.: Zunächst sollte qualitativ unter- schieden werden zwischen der erfolgten missverständli- chen Wortwahl in der benannten internen Arbeitsanwei- sung und dem Sinn und Zweck der Arbeitsanweisung für Praxis im Kundenreaktionsmanagement des Jobcenters Berlin Lichtenberg. Zur erfolgten Wortwahl ist festzustellen, dass es nicht die Absicht des Jobcenters Berlin Lichtenberg war, mit der umgangssprachlichen Betitelung „Querulanten/Dauerkunden “, eine inhaltliche Wertung vorzunehmen. Insoweit hat das Jobcenter zwischenzeitlich eine geeignete Modifizierung der Arbeitshilfe vorgenommen und die beiden Begriffe ersatzlos gestrichen. Sinn und Zweck der besagten internen Arbeitsanwei- sung ist es, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jobcenters Berlin Lichtenberg einen Handlungs- und Orientierungsrahmen zur Bearbeitung von Kundenreakti- onen im Rahmen des Kundenreaktionsmanagements an die Hand zu geben. Neben dem allgemeinen Umgang mit allen Kundenreaktionen beinhaltet die Arbeitsanweisung organisatorische Abläufe. Grundsätzlich sollen danach alle Kundenreaktionen als individuelle Anliegen gewertet und zeitnah beantwortet werden. Eine Priorisierung der Anliegen soll darüber hinaus dafür Sorge tragen, dass etwa besonders prekäre und eilbedürftige Sachverhalte bei engen Personalressourcen bevorrechtigt geklärt werden sollen. Da bereits eine geeignete Modifizierung vorgenom- men wurde, erübrigt sich die Frage nach einem Einsatz des Senats. 2. Wie definiert das Jobcenter Berlin Lichtenberg „Querulanten“ und „Dauerkunden“? Zu 2.: Es wurden unter dieser Bezeichnung vom Job- center Berlin Lichtenberg ausschließlich Beschwerdefüh- rende verstanden, welche wiederholt unbegründete Anträ- ge zum selben Sachverhalt stellten bzw. deren mehrfaches misstrauisches Vorgehen in kaum einem Verhältnis zum geringen oder vermeintlichen Anlass steht (vgl. Duden). Dies gilt auch für den Begriff „Dauerkunden“, wobei hier im Sinne des Kundenreaktionsmanagements der Perso- nenkreis bezeichnet wurde, welcher sich zur selben Sache mehrfach wiederholt - trotz vorheriger eingehender Prü- fung des Sachverhaltes - an das Jobcenter Berlin Lichten- berg wendete. 3. Kann der Senat mit Sicherheit ausschließen, dass weitere Berliner Jobcenter eine solche Kategorisierung von Leistungsbezieher_innen und dadurch eine niedrige Priorisierung bei der Behandlung ihrer Anliegen vorneh- men? 6. Welche Vorgaben der Bundesagentur für Arbeit – Zentrale und/oder Dienststellen – bezüglich des Kundenreaktionsmanagements gelten aktuell für die Berliner Jobcenter (bitte im Originalwortlaut beifügen/verlinken)? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 643 2 11. Wie bewertet der Senat die inhaltlichen wie ver- fahrensrechtlichen Mindeststandards sowie die Organisa- tionsweise des Kundenreaktionsmanagements in den Berliner Jobcentern? Wo sieht er ggf. Verbesserungsbe- darf? Zu 3., 6. und 11.: Dem Senat sind die internen Dienst- anweisungen zum Kundenreaktionsmanagement (KRM) der einzelnen Jobcenter nicht bekannt. Wenn eine Träger- versammlung im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständig- keit eine interne Arbeitsanweisung behandeln würde, würde sich der in diese Trägerversammlung entsendete Vertreter bzw. die Vertreterin des Senats im Falle dort enthaltener fragwürdiger Inhalte selbstverständlich für deren Korrektur einsetzen. Das gilt auch hinsichtlich der inhaltlichen Bewertung von verfahrensrechtlichen Min- deststandards sowie der Organisation des Kundenreakti- onsmanagements in den Berliner Jobcentern. 4. Wie bewertet der Senat die Kategorisierung und Priorisierung von „Kundenreaktionen“ im Jobcenter Berlin Lichtenberg insgesamt, etwa dass es Anfragen von Medien und Arbeitgeber_innen als „Kundenreaktionen“ auffasst und im Rahmen seines Kundenreaktionsmana- gements mit höchster Priorität bearbeitet (vgl. Jobcenter Berlin Lichtenberg Festlegung Nr. 01/2011 Anlage 2)? Zu 4.: Grundsätzlich müssen Vorgänge mit höchster Priorität im individuellen Kontext gesehen werden. Die seitens des Jobcenters Berlin Lichtenberg vorgenommene oberste Priorisierung mit sofortigem Handlungsbedarf bei Kundenreaktionen mit erheblichen Risiken zielt darauf, besonderen Notlagen oder Eskalationsgefahren in Einzel- fällen schnellstmöglich abzuhelfen. Dies ist durch das SGB II und andere Gesetze gedeckt und daher auch grundsätzlich dringend geboten. Vorgänge, denen sich die Medien nach eigener sorgfältiger Recherche annehmen und danach an das Jobcenter herantragen, sind sehr häufig mit dringlichen individuellen Problemlagen einzelner leistungsberechtigter Personen verbunden, so dass hier- über wiederum der beschriebene dringende Handlungsan- satz gegenüber der betroffenen leistungsberechtigten Person gegeben ist. Auch wenn sich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die ebenfalls eine Kundengruppe des Jobcenters darstellen, an das KRM des Jobcenters wen- den, stehen dahinter zumeist die beschriebenen besonde- ren einzelfallbezogenen Problemlagen und erforderlichen Handlungserfordernisse. 5. Welche internen Weisungen, Richtlinien und Hin- weise gelten aktuell in den einzelnen Berliner Jobcentern zum Kundenreaktionsmanagement und wie lauten diese jeweils (bitte im Originalwortlaut beifügen/verlinken)? Zu 5.: Die internen Dienstanweisungen der Berliner Jobcenter liegen dem Senat nicht vor. Sie können aber nach vorheriger Terminvereinbarung bei der Regionaldi- rektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit eingesehen werden. 7. Wie sind die Aufbewahrungs-und Löschfristen für Kundenreaktionen in elektronischer wie in Papierform? Zu 7.: Gemäß dem Aktenplan der Bundesagentur für Arbeit (BA) zum SGB II umfassen die Aufbewahrungs- fristen 10 Jahre (vgl. http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A01- Allgemein-Info/A015- Oeffentlichkeitsarbeit/Publikation/pdf/Aktenplan-SGB- II.pdf ). 8. Welche Daten werden im IT-Tool KRM2 erfasst und inwiefern sind diese auswertbar darstellbar? Zu 8.: Die Datenbank „KRM2“ wurde zum 15.05.2013 vom Netz genommen, da sie nicht mehr dem BA-Standard entsprach. Demnach steht die genannte Anwendung den Jobcentern, die sich seinerzeit im Rah- men der Freiwilligkeit für die Nutzung entschieden hat- ten, nicht mehr zur Verfügung. Folglich werden im „KRM2-Tool“ keine Daten erfasst und ausgewertet. 9. Ist es seit 2005 zu Maßnahmen der Aufsicht durch den zuständigen Träger bezüglich der Praxis einzelner Jobcenter im Bereich des Beschwerde- und Kundenreak- tionsmanagements gekommen (bitte einzeln auflisten nach Datum, Maßnahmen der Aufsicht, zuständigem Träger und ergriffenen Maßnahmen)? Zu 9.: Grundsätzlich ist der Trägerversammlung über die Ergebnisse des lokalen Kundenreaktionsmanagements zu berichten. Dieser obliegt die Entscheidung, ob indivi- duelle organisatorische Änderungen eingeleitet werden müssen. Es gibt im Übrigen keinen gesetzlichen Auftrag eine Datenbank über Aufsichtsmaßnahmen zu führen. 10. Welche Ziele verfolgt das Kundenreaktionsma- nagement in den Berliner Jobcentern und welche inhaltli- chen wie verfahrensrechtlichen Mindeststandards gelten dafür? Zu 10.: Die Hauptzielsetzung des KRM in den Job- centern liegt in der konsequenten Verbesserung der Dienstleistungsqualität und der Steigerung der Kundenzu- friedenheit. Dabei geht es darum, in der Außenwirkung einen Bei- trag zur Kundenorientierung der gemeinsamen Einrich- tung zu leisten, d.h. die Kundenzufriedenheit (wieder-) herzustellen bzw. zu erhöhen und in der Innenwirkung dazu beizutragen, die Geschäftsprozesse zu optimieren und als Bestandteil des Qualitätsmanagements die Dienst- leistungsqualität der Jobcenter zu verbessern. Das KRM fokussiert sich dabei auf Kunden, die Defizite des Jobcen- ters aufzeigen, Anregungen geben, aber auch Lob äußern. Beschwerden liefern wichtige Informationen zur Qualität von Produkten, Programmen und Dienstleistungen, zur Prozessoptimierung und zur Kundenorientierung der Mitarbeiterschaft. Das KRM kann frühzeitig als Seismo- graph auf Kundenreaktionen reagieren und damit dazu beitragen, Eskalationen zu vermeiden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 643 3 Soweit die Jobcenter die zwischen dem Bundesminis- terium für Arbeit und Soziales (BMAS), den kommunalen Spitzenverbänden (KSpV) und der BA abgestimmten „Mindeststandards bei der Leistungserbringung“ für sich als verbindlich anerkannt haben, sind sie zu folgenden „Mindeststandards“ verpflichtet: • ein KRM einzurichten, • Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für das KRM zu benennen, • sicher zu stellen, dass eine sachgerechte Auseinandersetzung mit Kundenanliegen innerhalb von zwei Wochen gewährleistet wird, • dass die Geschäftsführerin/der Geschäftsführer regelmäßig der Trägerversammlung über Erkennt- nisse des Kundenreaktionsmanagements berichtet. Berlin, den 07. Oktober 2013 In Vertretung Boris V e l t e r ______________________ Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Okt. 2013)