Drucksache 17 / 12 660 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Behrendt (GRÜNE) vom 16. September 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. September 2013) und Antwort Die Anwältin mit Kopftuch im Berliner Gerichtssaal Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Ist dem Senat bekannt, dass es in Berliner Gerichts- sälen zu Zurückweisungen von Anwältinnen mit Kopf- tuch kam? Seit wann besteht die Kenntnis? Zu 1.: Dem Senat sind vier Fälle bekannt, in denen es in der beschriebenen Konstellation zu einem Konflikt gekommen ist. Vom ersten Fall erhielt die für Justiz zu- ständige Senatsverwaltung Kenntnis im Februar 2011, vom zweiten Fall im Oktober 2012, vom dritten Fall und vierten Fall im April 2013. 2. In wie vielen Fällen kam es zu solchen Zurückwei- sungen? Zu 2.: Ich verweise auf die Antwort zu Frage 1. 3. Wie viele Richter sind betroffen? Zu 3.: Es sind insgesamt vier Richterinnen und Rich- ter betroffen. 4. Wie beurteilt der Senat solche Zurückweisungen rechtlich und politisch? Zu 4.: In den angefragten Fällen ist nicht offensicht- lich ausgeschlossen, dass es sich um Entscheidungen handelt, die der richterlichen Unabhängigkeit unterfallen. Um schon jeden Anschein eines Eingriffs in die durch die Verfassung gewährleistete Unabhängigkeit der Recht- sprechung zu vermeiden, sieht der Senat davon ab, die in Rede stehenden richterlichen Entscheidungen zu kom- mentieren. 5. Wurde erwogen, dienstrechtlich auf die RichterIn- nen einzuwirken? Weshalb nicht? Zu 5.: Die Frage lässt sich nur unter Verwertung von Daten aus den Personalakten der betroffenen Richterinnen und Richter beantworten. Denn zu den Personalaktenda- ten gehören gemäß § 71 Deutsches Richtergesetz i. V. m. § 50 des Beamtenstatusgesetzes alle Unterlagen, die die Richterin oder den Richter betreffen, soweit sie mit dem Dienstverhältnis in einem unmittelbaren inneren Zusam- menhang stehen. Ob erwogen wurde, dienstrechtlich auf die betroffenen Richterinnen und Richter einzuwirken, ist ein unmittelbar dem Dienstverhältnis der Richterin oder dem Richter zuzuordnendes Personalaktendatum. Dem- entsprechend kann die erbetene Antwort nicht ohne eine Offenbarung von Personalaktendaten erfolgen, sofern sich die Frage auf eine bestimmte Richterin oder einen be- stimmten Richter bezieht. So liegt der Fall aber hier. Die Frage ist auf die Ertei- lung einer Auskunft aus den Personalakten der Richterin- nen und Richter gerichtet, die die bei Antwort 1 genann- ten Entscheidungen getroffen haben. Dem Senat ist des- halb nach § 10 Berliner Richtergesetz i. V. m. § 88 Abs. 2 Satz 1 Landesbeamtengesetz (LBG) die Antwort auf die Frage verwehrt. Nach dieser Vorschrift dürfen Auskünfte aus der Personalakte einer Richterin oder eines Richters an Dritte nur mit Einwilligung der Richterin oder des Richters erteilt werden, es sei denn, dass die Abwehr einer erheblichen Beeinträchtigung des Gemeinwohls oder der Schutz berechtigter, höherrangiger Interessen der oder des Dritten die Auskunftserteilung zwingend erfor- dert. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Die betroffenen Richterinnen und Richter haben ihre Einwilligung auf Nachfrage nicht erteilt. Es ist nicht er- sichtlich, dass die Abwehr einer erheblichen Beeinträchti- gung des Gemeinwohls oder der Schutz berechtigter, höherrangiger Interessen der oder des Dritten die Aus- kunftserteilung zwingend erfordert. Die Bestimmung des § 88 Abs. 2 LBG wird auch nicht durch die Vorschrift des Artikels 45 Abs. 2 der Verfassung von Berlin verdrängt, der lediglich für die Einsichtnahme in Akten gilt. Im Übrigen müsste auch die danach vorzunehmende Interes- senabwägung zu Gunsten der betroffenen Richterinnen und Richter ausfallen, weil der Landesgesetzgeber mit § 88 Abs. 2 Satz 1 LBG zum Ausdruck gebracht hat, dass Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 660 2 dem Geheimhaltungsinteresse der Bediensteten hinsicht- lich der sie betreffenden Personalaktendaten ein beson- ders hohes Gewicht beizumessen ist. 6. Was rät der Senat Anwältinnen, die wegen ihres Kopftuchs zurück gewiesen werden? Zu 6.: Der Senat erteilt grundsätzlich keine Rechtsbe- ratung. 7. Sind dem Senat Fälle bekannt, in denen es zu Zu- rückweisungen von anderen Verfahrensbeteiligten mit Kopftuch (z.B. Zeuginnen, Schöffinnen) in Berliner Ge- richten kam? Zu 7.: Dem Senat ist nur ein Fall bekannt: In einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten trug eine in der Hauptverhandlung anwesende und an der Urteils- findung beteiligte Schöffin ein sogenanntes Hidschab- Kopftuch. Die Staatsanwaltschaft Berlin legte gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten Sprungrevision ein und rügte u. a. die Verletzung formellen Rechts nach § 338 Nr. 1 Strafprozessordnung. Das Kammergericht ver- warf mit Urteil vom 9. Oktober 2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), veröffentlicht in NStZ-RR (Neue Zeitschrift für Strafrecht-Rechtsprechungs-Report) 2013, 156 f. – die Revision. Es sah in dem Tragen des Kopftuches keinen Umstand, der die Unfähigkeit der Schöffin begründete, das Schöffenamt zu bekleiden. 8. Sind dem Senat Fälle bekannt, in denen es zu Zu- rückweisungen von AnwältInnen wegen des Tragens anderer religiöser Symbole (z.B. Kipa, Turban oder Kreuz) kam? Zu 8.: Nein. Berlin, den 04. Oktober 2013 In Vertretung Thomas Heilmann Senatsverwaltung für Justiz Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Okt. 2013)