Drucksache 17 / 12 695 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Claudia Hämmerling und Heiko Thomas (GRÜNE) vom 26. September 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. September 2013) und Antwort Praxisnahe Fortbildung für medizinisches Fachpersonal in entspanntem Ambiente im Grünen mit grausamen Tierversuchen Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Die Kleine Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Se- nat nicht allein aus eigener Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher die Vivantes - Netzwerk für Gesundheit GmbH und die Helios- Kliniken um Stellungnahmen gebeten, die von dort je- weils in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurden. Sie sind in die Antworten einbezo- gen. 1. Wie bewertet der Senat, dass Berliner Kranken- häuserträger wie Helios aber auch des landeseigenen Klinikums Vivantes ihrem medizinischen Fachpersonal praxisnahe Fortbildungskurse bei der Firma Hxc Consul- ting in entspannter Freizeit- und Wellnes-Atmosphäre in einem Trainingszentrum im Grünen finanzieren, bei de- nen grausame und überflüssige Tierversuche praktiziert werden? Zu 1.: Die angesprochene Gesellschaft HCx Consul- ting GmbH betreibt eine Fortbildungseinrichtung für medizinisches Fachpersonal, als "Medizinisches Kompe- tenzzentrum" bezeichnet, in 15864 Wendisch Rietz im Land Brandenburg, nicht aber im Land Berlin, so dass hier keine Zuständigkeit gegeben ist. Weiteres ist dem Internet unter http://www.medizin-im-gruenen.de/impressum.php zu entnehmen. HELIOS arbeitet wie Vivantes in der medizinischen Fortbildung mit der HCx Consulting GmbH (Medizin im Grünen) zusammen. In diesem Ausbildungszentrum er- lernen Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen klinisch relevante Techniken. Eingriffe oder Behandlun- gen an Tieren zur Aus-, Fort- oder Weiterbildung richten sich maßgeblich nach den Vorgaben in den §§ 7 – 9 Tierschutzgesetz . Diese gesetzlichen Vorgaben bedingten, dass jedem tierexperimentellen Vorhaben die dazu extra qualifizierten Antragstellerinnen und Antragsteller und späteren Versuchsleiterinnen und Versuchsleiter dem gesetzlichen und gesellschaftlich-moralischen Auftrag nachkommen, Ersatzmethoden zum Tierversuch zu prüfen und diese auch bei nur teilweiser Übereinstimmung mit dem jeweiligen Versuchsziel konsequent einsetzen. Durch das Lernen am Tiermodell wird z. B. bei jungen, noch unerfahrenen Ärztinnen und Ärzten die Lernkurve deut- lich verkürzt, was in der Konsequenz dem Patientennut- zen dient. Auch das Erlernen neuer, innovativer und er- folgversprechender Operationstechniken am Tiermodell erfolgt dort. Dazu werde am Organmodell wie auch an narkotisierten Schweinen operiert. Die Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH hat dazu ausgeführt, dass für entsprechende Veranstaltungen alle erforderlichen Genehmigungen vorliegen. Danach ist die für den Standort im Land Brandenburg für jedes ein- zelne Fortbildungsprojekt in der präklinischen Forschung als auch in der ärztlichen Weiterbildung erforderliche Zu- lassung und Überwachung im Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucher-schutz angesiedelt. Das medizinische Kompetenzzentrum „Medizin im Grünen“ HCx Consuling GmbH hat versichert, dass ausschließlich im Rahmen der gültigen Gesetze und Verord- nungen agiert werde, insbesondere in konsequenter Um- setzung der Vorgaben des Tierschutzgesetzes. Dementsprechend setzten die tätigen wissenschaftli- chen Versuchsleiterinnen und Versuchsleiter jeweils na- hezu alle adäquaten Methoden ein, von der technischen Simulation über die Arbeiten mit einfachen Organmodel- len bis hin zu komplexen Trainings-Szenarien mit narko- tisierten Nutztiermodellen als notwendigen Patientener- satz. Das im europäischen Tierschutz anerkannte „Konzept der 3 R“ (Replacement, Reduction, Refinement) ist dem Kompe-tenzzentrum „Medizin im Grünen“ C/o HCx Consuling GmbH nach eigenen Angaben langjährig und konsequent etabliert. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 695 2 2. Ist dem Senat bekannt, dass Schätzungen von Tier- schutzorganisationen zufolge im Rahmen dieser Weiter- bildungskurse jährlich mehr als 1000 Schweine bzw. Ferkel zu Trainings- und Demonstrationszwecken getötet werden? Zu 2.: Nein, der Senat hat keine Kenntnisse darüber, wie viele Schweine zu Trainings- und Demonstrations- zwecken im Rahmen der in Rede stehenden Weiterbil- dungskurse im Land Brandenburg getötet werden. 3. Wie bewertet der Senat z.B. die dort unter der Be- schreibung „In-Vivo-Modelle“ oder „Tiermodelle“ angebotenen patophysischen Demonstrationen, bei denen lebenden Schweinen Salzsäure in die Lungen appliziert wird, um ein Aspirationssyndrom (Einatmen von Magen- säure) mit anschließender Ausbildung eines Lungenver- sagens (ARDS) und die damit einhergehenden Beat- mungsprobleme zu simulieren vor dem Hintergrund, dass das Tierschutzgesetz nach Abschnitt VI, §10 (1), 2 fest- legt: „Zur Aus-, Fort- oder Weiterbildung dürfen Eingriffe oder Behandlungen an Tieren, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sind, nur durchgeführt werden (...), soweit ihr Zweck nicht auf andere Weise, insbeson- dere durch filmische Darstellungen, erreicht werden kann.“? 4. Wie bewertet der Senat vor dem Hintergrund der Regelungen in § 10 Tierschutzgesetz die Auffassung, dass der Gebrauch von Schweinen als Versuchs- und Trai- ningsobjekte für derartige Übungen weder ethisch noch rechtlich zu begründen ist vor dem Hintergrund, dass bereits sehr präzise Virtual-Reality-Simulatoren für sol- che Modelle existieren, die nachgewiesenermaßen kos- tengünstig und überaus wirkungsvoll alle notwendigen Trainings- und Simulationszwecke für eine diesbezügli- che Weiterbildung medizinischen Fachpersonals erfüllen? Zu 3. und 4.: Der Einsatz von „In-vivo-Modellen“ zum Zwecke der Fort- und Weiter-bildung von in der Intensivmedizin tätigen Ärztinnen und Ärzten ist nur unter den im Tierschutzgesetz vorgegebenen Vorausset- zungen zulässig. Nach Auffassung des Senats sind Ein- griffe und Behandlungen an Tieren zum Zwecke der Fort- und Weiterbildung von Intensivmedizinerinnen und In- tensivmedizinern unter Beachtung dieser Vorgaben grundsätzlich zulässig, da nicht alle intensivmedizinisch erforderlichen Methoden z. B. zur Behandlung eines schweren akuten Organversagens in „In-vitro-Modellen“ trainiert werden können. Der Senat geht davon aus, dass diese Vorgaben bei den hier thematisierten Fort- und Weiterbildungen erfüllt sind, die Beurteilung dessen ob- liegt jedoch der für Tierversuche zuständigen Behörde des Landes Brandenburg. Die Vivantes GmbH hat nach eige- nen Angaben über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur positive Feed-backs über die dort angebotenen Kurse erhalten. 5. Sind dem Senat weitere Fortbildungseinrichtungen für medizinisches Fachpersonal an Berliner Kliniken bekannt, in denen Tiere getötet werden? Zu 5.: Im Land Berlin sind der zuständigen Behörde, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) zwei Gesellschaften (GmbHs) bekannt, die in den vergan- genen fünf Jahren an final betäubten Schweinen praxisna- he Fortbildungsprogramme für Ärztinnen und Ärzte durchführten. Praxisnahe Lehrinhalte und Fertigkeiten erlernten klinikeigene Ärztinnen und Ärzte in diesem Zeitraum an zehn Kliniken oder in deren wissenschaftli- chen Einrichtungen in 26 Lehrprogrammen an final be- täubten Schweinen oder Schafen. Alle anderen Aus-, Fort- und Weiterbildungspro- gramme (Lehrprogramme), die Tierversuche enthalten, fanden an wissenschaftlichen Einrichtungen für Graduier- te und Studentinnen und Studenten im Rahmen des Studi- ums, nicht aber für medizinisches Fachpersonal statt. Ein Großteil der Fortbildungsprogramme mit Tierver- suchen dient Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zum Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten für opera- tiv anspruchsvolle Tierversuchsvorhaben oder dem Er- werb von tierschutzrelevanten Qualifikationen. 6. Wie will der Senat Einfluss auf das landeseigene Krankenhaus Vivantes ausüben, damit künftig die Wei- terbildung für medizinisches Fachpersonal zwar im Grü- nen und in schönem Ambiente aber nicht in Verbindung mit tierschutzwidrigen Tierversuchen finanziert wird? 7. Hält der Senat es für sinnvoll, dass Helios, Vivan- tes und andere Krankenhäuser künftig bei Weiterbil- dungsangeboten für ihr medizinisches Fachpersonal da- rauf achten, dass auf moderne tierversuchsfreie Trainings- und Demonstrationsmethoden gesetzt wird statt auf Tier- versuche? Zu 6. Und 7.: Da es sich um im Sinne des Tierschut- zes rechtlich geprüfte und genehmigte sowie medizinisch wertvolle Fortbildungen und Forschungsprojekte handelt, sieht der Senat dazu keinen Handlungsbedarf. Ersatzmethoden für Versuche an lebenden Tieren ha- ben in der zuständigen Behörde und der für Verbraucher- schutz zuständigen Senatsverwaltung einen hohen Stel- lenwert, wie auch mit der jährlichen Vergabe eines For- schungspreises an Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler, die Ersatzmethoden für Tierversuche entwi- ckeln, nachvollziehbar dokumentiert wird. Das Tierschutzgesetz schreibt im § 7a Abs. 2 Satz 1 vor (siehe auch Frage Nr. 3): Bei der Entscheidung, ob ein Tierversuch unerlässlich ist, sowie bei der Durchführung von Tierversuchen sind folgende Grundsätze zu beachten: ... Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 695 3 2. Es ist zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann. Daran sind die Initiatoren/Anbieter von Lehrprogram- men mit Tierversuchen, die Genehmigungsbehörde und die Durchführenden bundesweit gebunden. Berlin, den 18. November 2013 In Vertretung Emine D e m i r b ü k e n - W e g n e r _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Nov. 2013)