Drucksache 17 / 12 815 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Vogel (CDU) vom 07. November 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. November 2013) und Antwort Prostitution in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Gewerbeanmeldungen für bordellartige Einrichtungen lagen im Jahr 2012 in Berlin vor? Zu 1.: Die Anzahl der in Berlin gewerblich registrier- ten Prostitutionsbetriebe kann nicht ermittelt werden, da diese Betriebstätigkeit nicht in der hierfür erforderlichen Wirtschaftszweigsystematik des Statistischen Bundesam- tes enthalten ist. Das bedeutet, dass im Rahmen der Ge- werbeanzeige nicht die Angabe einer bestimmten Be- zeichnung für diese Art der gewerblichen Betätigung (z. B. "Bordellbetrieb" oder "Prostitutionsstätte") vorge- sehen ist. Da die Anzeigenden somit selbst eine Bezeich- nung für die Art der von ihnen ausgeübten Tätigkeit aus- wählen und angeben, wird hier eine Viel- zahl unterschiedlicher Begriffe verwendet, die eine aussa- gekräftige statistische Auswertung nicht möglich machen. 2. Wie viele einschlägige, selbständige Dienstleiterin- nen (Prostituierte, Hostessen, Masseusen, sonstige Erotik- anbietende) waren 2012 bei den Finanzämtern registriert? Zu 2.: Über die Anzahl der in Berlin offiziell steuer- lich erfassten Prostituierten kann keine Aussage getroffen werden, da zahlreiche in der Prostitution tätige Personen sich steuerlich unter einer anderen Bezeichnung (z.B. Tänzerin, Masseurin) anmelden. 3. Wie viele nichtselbständige Prostituierte wurden 2012 durch Betreiberinnen und Betreiber von bordellarti- gen Einrichtungen bei den zuständigen Ämtern gemeldet? Zu 3.: Die Beantwortung dieser Frage ist nicht mög- lich, da es in Berlin keine Anmeldepflicht für die Aus- übung der Prostitution gibt. Betreiber und Betreiberinnen von Prostitutionsstätten sind zwar gehalten, ihr Gewerbe anzuzeigen, es bestehen jedoch derzeit keine Vorschriften bezüglich der Führung eines entsprechenden Betriebes, somit auch keine Anmeldepflicht für nichtselbständig beschäftigte Prostituierte. Angaben zu der Zahl von Pros- tituierten, die in sozialversicherungsrelevanten Zusam- menhängen bei Bundesbehörden gemeldet sind, liegen dem Senat nicht vor. 4. Wie hoch ist der Anteil der Steuereinnahmen aus bordellartigen Einrichtungen, die nach dem „Düsseldorfer Verfahren“ im Jahr 2012 erhoben wurden? Zu 4.: Im Jahr 2012 wurden rd. 679.000 € vereinnahmt . 5. Welche Beratungsstellen und -angebote sowie Selbstvertretungsmöglichkeiten gibt es für Prostituierte in Berlin, wie sind diese personell und finanziell ausgestattet und wie erfolgt deren Finanzierung? Zu 5.: In Berlin werden mit Hydra e.V. (Treffpunkt und Beratung für Prostituierte), dem Frauentreff Olga in der Trägerschaft des Notdienstes für Suchtmittelabhängi- ge und –gefährdete Berlin e.V. sowie subway (HILFEFÜR -JUNGS e.V.) drei spezialisierte Einrichtungen, die als Anlauf- und Beratungsstelle für Prostituierte dienen, von den Berliner Senatsverwaltungen gefördert. Zu den Einzelheiten wird auf die Beantwortung der Kleinen An- frage 17/12627 (Frage 4) verwiesen. Die genannten Projekte werden im Rahmen der Fehl- bedarfsfinanzierung durch Zuwendungen der für Gesund- heit und für Frauen zuständigen Senatsverwaltungen gefördert. Die Zuwendungsvergabe richtet sich nach den Maßgaben der Landeshaushaltsordnung (LHO). Daher ist eine Zuwendungsförderung prinzipiell auf ein Haushalts- jahr beschränkt. Um den Projekten darüber hinaus eine Form der Planungssicherheit zu gewähren, hat die für Gesundheit zuständige Verwaltung einen Kooperations- vertrag mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin mit einer Laufzeit von 2011 bis 2015 abgeschlossen, in dem die insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel für das Integrierte Gesundheitsprogramm (IGP) festgeschrie- ben sind. Nach Auslaufen des IGP ist von einer weiteren Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 815 2 Förderung der betreffenden Projekte auszugehen, wobei die Rahmenbedingungen noch auszuhandeln sind. Neben den o.g. Angeboten freier Träger bieten vier der insgesamt fünf Berliner Zentren für sexuelle Gesund- heit und Familienplanung Beratung zu sexueller Gesund- heit sowie Untersuchungen und ggf. die Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten an. Die Zentren mit den Standorten Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichs- hain-Kreuzberg, Marzahn-Hellersdorf und Mitte über- nehmen diese Aufgabe für alle Berliner Bezirke. Darüber hinaus hat das Bündnis der Fachberatungs- stellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufas e.V., www.bufas.net) seinen Sitz in Berlin. Der Bufas e.V. finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge und bietet eine mittelbare Form der Selbstvertretung. Als direkte Selbst- vertretung hat sich im Oktober 2013 der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (www.sexwork- deutschland.de) gegründet, in dem auch Berliner Prostitu- ierte aktiv sind und der bundesweit agiert. 6. Gibt es spezielle Ausstiegsprojekte für Prostituier- te in Berlin, wer finanziert diese und gibt es Statistiken zu den Ausstiegen aus der Branche? Zu 6.: Seit dem 1.9.2010 existiert in Berlin das Projekt „DIWA – Der individuelle Weg zur Alternative“ als dritter Standort des vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Modellprojektes zur Unterstützung des Ausstiegs aus der Prostitution. DIWA wird von Goldnetz e.V. in Kooperation mit Gold- rausch e.V. KONTOUR und Hydra e.V. durchgeführt. Als Modellprojekt wird DIWA für vier Jahre über das Bun- desfrauenministerium gefördert, wobei eine Kofinanzie- rung durch die Senatsverwaltungen für Arbeit, Integration und Frauen sowie für Gesundheit und Soziales erfolgt. Zu gegebener Zeit wird geprüft, wie Beratungsangebote zur beruflichen Neuorientierung für ausstiegswillige Prostitu- ierte auch über DIWA hinaus vorgehalten werden können. 7. Ist die Finanzierung für solche Projekte langfristig sichergestellt, falls diese durch die öffentliche Hand er- folgt bzw. mitgetragen wird? Zu 7.: Vgl. hierzu die Ausführungen zu den Fragen 5 und 6. 8. Gibt es Bemühungen berufliche Standards einzu- führen, wie Gesundheitspass und regelmäßige HIV-Tests? 9. Welche Entwicklungen lassen sich in Berlin hin- sichtlich HIV/STI Infektionen beobachten und welchen Stellenwert nimmt die Aufklärungsarbeit in der aufsu- chenden Gesundheits- und Sozialarbeit ein? Zu 8. und 9.: Bis zum Jahr 2000 war eine amtsmedizi- nische Untersuchung für „Personen mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“ vorgeschrieben. Vor dem Hintergrund der überaus erfolgreichen Präventionsstrategie gegen die Ausbreitung von HIV und Aids in der Bundes- republik Deutschland wurde in der Neufassung des Infek- tionsschutzgesetzes im Jahr 2001 eine Schwerpunktver- schiebung von der Kontrolle zur Prävention vorgenom- men. Im Ergebnis davon sind verpflichtende Untersu- chungen nicht mehr vorgesehen. Ein Gesundheitspass und/oder regelmäßige HIV-Antikörper-Tests werden aus fachlicher Sicht nicht als sinnvoller Weg betrachtet. Ein solches Vorgehen verlagert einseitig die Verantwortung des „Nachweises der Gesundheit“ auf Prostituierte. Das Ziel einer möglichst geringen Anzahl an sexuell übertrag- baren (Neu-)Infektionen (einschließlich HIV) wird aber nur erreicht, wenn beide Seiten (Freier und Prosituierte) ihrer Selbstverantwortung nachkommen. Das Robert Koch-Institut (RKI) erhebt in Deutschland die meldepflichtigen Daten zu Syphilis und HIV und erarbeitet Studien zu sexuell übertragbaren Infektionen (STI). „In den Jahren 2010/2011 hat das RKI mit 29 Gesundheitsämtern aus 12 Bundesländern eine Integrierte Biologische und Verhaltenssurveillance bei Sexarbeite- rinnen, KABP (Knowledge, Attitude, Behaviour, Prac- tices) -Surv STI, durchgeführt. Ziel war es, zu untersu- chen, welche Sexarbeiterinnen von den Gesundheitsäm- tern erreicht werden, sowie die Prävalenz von STI und STI-Risikofaktoren bei Sexarbeiterinnen abzuschätzen. Im Studienzeitraum wurden 9.289 Untersuchungen bei Sexarbeiterinnen in den teilnehmenden Gesundheitsäm- tern durchgeführt und 23.033 Tests auf HIV, Syphilis, Chlamydien, Gonorrhö und Trichomonas gemacht, von denen 3% positiv (723 Diagnosen) waren. Für insgesamt 1.425 Sexarbeiterinnen wurde ein Arzt- bogen mit Angaben zu Demographie, Sprachkenntnissen, Untersuchungsgrund, Ort des Kundenkontakts, Verhü- tung, HIV- und PAP-Test 1 , STI-Anamnese und STI- Laborergebnissen ausgefüllt. Mit den Arztbögen korres- pondierten 518 (36%) von den Frauen ausgefüllte Verhal- tensbögen (verfügbar in 10 Sprachen), mit denen Daten zum Wissen über HIV/STI, zu Sexualkontakten, Kon- domgebrauch, Drogen und Misshandlung erhoben wur- den. Die Positivraten der erhobenen STI sind vergleichbar mit Daten aus anderen europäischen Ländern: HIV 0,2%; Syphilis 1,1%; Chlamydien 6,9%; Gonorrhö 3,2%; Trichomonas 3,0%.“ (www.rki.de/DE/Content/InfAZ/S/STI/Studien/KABP survSTI/KABPsurvSTI_inhalt.html ) Zu keinem Zeitpunkt wurde bisher seitens des RKI die Notwendigkeit gesehen (auch im Hinblick darauf, dass diese Zahlen hohe Relevanz für die Entwicklung von Präventionsstrategien und –maßnahmen haben), Prostituierte als erhöht gefährdete Gruppe zu erfassen. Prostituier- te werden in der Statistik also nur unter der Kategorie „weiblich“ mit erfasst. 1 Abstrich zur Erkennung von Gebärmutterhalskrebs Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 815 3 Für die Syphilis in Berlin ergibt sich folgende Tabelle (zit. nach: Robert Koch-Institut: SurvStat, http://www3rki.de/SurvStat, Datenstand: 19.11.2013): Da die Datenbank des Robert Koch-Instituts aufgrund technischer Probleme bezüglich HIV-Daten zurzeit nicht abgefragt werden kann, können exakte Daten hierzu nicht genannt werden. Für die zurückliegenden Jahre lässt sich aber die Auskunft treffen, dass Frauen bei den erkannten Neuinfektionen jährlich unter 10% ausmachen. Die personalkommunikative Informationsvermittlung und Unterstützung zur Umsetzung dieser Informationen in praktisches Handeln stellen zentrale Zielstellungen der aufsuchenden Arbeit in Settings der Prostitution dar. Dass neben den oben genannten zuwendungsgeförderten Pro- jekten auch weitere Projekte sowie die Zentren für sexuel- le Gesundheit und Familienplanung als Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) aufsuchende Arbeit mit der genannten Zielstellung anbieten, unter- streicht den hohen Stellenwert, den die Präventionsarbeit in der aufsuchenden, settingbezogenen Arbeit hier ein- nimmt. 10. Welche Maßnahmen werden getroffen um die steigende Zahl von Zwangsprostituierten in Berlin zu verringern? Zu 10.: Unter der Annahme, dass der Begriff „Zwangsprostituierte“ Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung meint, ist statistisch kein Anstieg der Opferzahlen in Berlin zu registrieren. Im Jahr 2012 wurden 69 Opfer des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung gemäß § 232 Strafgesetzbuch (StGB) in Berlin registriert, im Jahr 2011 79 Opfer und im Jahr 2010 89 Opfer (Quelle: Lagebild Menschenhan- del/Rotlicht Landeskriminalamt (LKA) Berlin 2010, 2011, 2012). Da es sich bei dem Delikt des Menschenhandels hauptsächlich um ein Kontrolldelikt handelt, d.h. die überwiegende Zahl der Ermittlungsverfahren im Rahmen von polizeilichen Maßnahmen eingeleitet wird, ist die Herstellung und Aufrechterhaltung eines polizeilichen Kontrolldrucks zur Bekämpfung dieses Phänomens uner- lässlich. Dies geschieht sowohl durch individuell ange- passte Kontrollmaßnahmen als auch durch Milieukontrol- len der Fachdienststelle des LKA Berlin. Darüber hinaus besteht seitens des LKA Berlin eine enge Kooperation mit den Fachberatungsstellen Menschenhandel und Prostituti- on zur Gewährleistung des Opferschutzes. Die Bekämpfung des Menschenhandels ist bereits seit Langem ein wichtiger Schwerpunkt in der Arbeit des Berliner Senats. Bereits 1995 wurde unter dem Vorsitz der Staatssekretärin für Frauenpolitik die Fachkommissi- on Frauenhandel ins Leben gerufen. Von 2009 bis 2012 war parallel dazu das Berliner Bündnis gegen Menschen- handel zum Zweck der Arbeitsausbeutung unter Beteili- gung der damaligen Senatsverwaltung für Arbeit, Integra- tion und Soziales aktiv. Im Januar 2013 hat sich – angesiedelt bei der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen – die Fachkommission Menschenhandel neu konstituiert, die die Maßnahmen zur Bekämpfung der verschiedenen Ausprägungen des Menschenhandels koor- diniert. Für die Betroffenen existiert in Berlin ein diffe- renziertes Angebot an Beratungs- und teilweise auch geschützten Unterbringungsmöglichkeiten (s. auch http://www.berlin.de/sen/frauen/keine- gewalt/menschenhandel/artikel.21897.php). 11. Welche Maßnahmen werden ergriffen um ein Ausweiten des Straßenstrichs in Berlin einzudämmen? Zu 11.: Gegenstand der polizeilichen Maßnahmen ist nicht die Prostitution an sich, sondern sind die damit zusammenhängenden Beeinträchtigungen und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere Straftaten im Rahmen der Begleitkriminalität. Gewalt- und Ausbeutungsstrukturen sowie der Ban- denkriminalität wird durch restriktive polizeiliche Maß- nahmen und Ermittlungsverfahren gegen Zuhälter und Menschenhändlerbegegnet. Berlin, den 23. Dezember 2013 In Vertretung Barbara Loth Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Jan. 2014) Jahr Anzahl der Fälle gesamt weiblich 2002 472 24 2003 616 15 2004 664 24 2005 566 10 2006 570 22 2007 455 12 2008 654 8 2009 413 11 2010 492 18 2011 621 16 2012 732 16