Drucksache 17 / 12 831 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Möller (LINKE) vom 07. November 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. November 2013) und Antwort Ambulante Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) – Stand und Perspektiven (3) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat aus der Sicht der Kinderund Jugendhilfe Überlegungen, die bezirkliche Jugendge- richtshilfe aus dem Bezirksamt auszulagern und an einen freien Träger zu übertragen? 2. Welche Rechtsauffassung vertritt der Senat bezüglich der Zulässigkeit einer Auslagerung der bezirk- lichen Jugendgerichtshilfe an freie Träger und welche rechtlichen Voraussetzungen müssen ggf. erfüllt sein? 3. Wie bewertet es der Senat, wenn Überlegungen für eine Auslagerung der Jugendgerichtshilfe allein aus der Not des von der SPD-CDU-Koalition beschlossenen Personalabbaus motiviert sind und keine fachlichen Gründe vorliegen? Welche fachlichen Gründe gäbe es nach Auffassung des Senats für eine Auslagerung? Zu 1., 2. und 3.: Bei der Jugendgerichtshilfe handelt es sich um eine andere Aufgabe der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 3 Nr. 8 des Sozialgesetzbuches – Achtes Buch – (SGB VIII). Diese Aufgaben können übertragen werden, wenn hierzu eine Regelung im SGB VIII besteht. Nach § 76 Abs. 1 SGB VIII kann der Träger der öffentlichen Jugendhilfe anerkannte Träger der freien Jugendhilfe an der Durchführung dieser Aufgabe beteiligen oder ihnen diese Aufgaben zur Ausführung übertragen. Damit ist die Übertragung grundsätzlich rechtlich möglich. Bei einer sog. „anderen Aufgabe“ im Sinne des § 2 Abs. 3 SGB VIII bleibt das Jugendamt in unmittelbarer Verantwort- lichkeit. Der freie Träger wird im Rahmen eines öffent- lich-rechtlichen Auftragsverhältnisses tätig. Der Senat hat, gemeinsam mit den Bezirken, das Für und Wider einer Auslagerung abgestimmt und eine zu- sammenfassende Bewertung vorgenommen. Für einen Verbleib im öffentlichen Verantwortungsbe- reich spricht insbesondere die enge Verbindung innerhalb der Organisationseinheit Jugendamt zwischen Regionalen Sozialdiensten und Jugendgerichtshilfe und die damit verbundene Fallsteuerung. Für eine Auslagerung könnte insbesondere der Weg- fall von Schwellenängsten gegenüber Behörden sowie die höhere Flexibilität sprechen. Seitens der Jugendrichterinnen und Jugendrichter wird eine Ausgliederung der Jugendgerichtshilfen kritisch gesehen. Befürchtet wird zum einen, dass sich hierdurch die erforderliche enge Zusammenarbeit zwischen den Jugendgerichtshilfen und den Regionalen Sozialen Diens- ten erheblich erschweren und zum anderen die Ver- antwortung der Jugendhilfe für die betroffenen Jugendli- chen und Heranwachsenden nicht mehr ausreichend wahrgenommen werden könnte. Entscheidungen zur Auslagerung von Leistungsver- pflichtungen der Jugendhilfe werden als Teil der Organi- sationsstruktur und Personalentwicklung der Berliner Jugendämter unter Beachtung der bestehenden rechtlichen und fachlichen Rahmenbedingungen von den Bezirks- verwaltungen eigenverantwortlich getroffen. 4. Welche Bezirke haben im Rahmen ihrer Personalabbaukonzepte eine Auslagerung der Jugendge- richtshilfe vorgesehen und wie ist ggf. der Stand der Rea- lisierung dieser Pläne? Zu 4.: Der Bezirk Lichtenberg beabsichtigt im Rah- men seines Personalabbaukonzeptes eine Auslagerung der Jugendgerichtshilfe. Das Konzept wurde von der Bezirks- verordnetenversammlung (BVV) am 16.05.2013 be- schlossen und beinhaltet die Auslagerung. Die Auslage- rung soll bis Ende 2015 erfolgt sein. Derzeit erfolgt die konzeptionelle Ausarbeitung und Vorbereitung einer Übertragung. Die Ergebnisse der Abstimmung zwischen der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissen- schaft und den Bezirken zu einer möglichen Auslagerung der Jugendgerichtshilfe werden dabei berücksichtigt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 831 2 5. Wie ist die personelle Ausstattung der Jugendgerichtshilfe in den einzelnen Bezirken (bitte bezirklich aufschlüsseln) und wie viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten im Land Berlin insgesamt in diesem Bereich der Jugendhilfe? Zu 5.: Die personelle Ausstattung der Jugendgerichts- hilfe in den einzelnen Bezirken ist der folgenden Über- sicht zu entnehmen: Bezirk Personelle Ausstattung Charlottenburg-Wilmersdorf 5 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, zzgl. 1 Verwaltungs- fachkraft/Geschäftsstelle Friedrichshain-Kreuzberg 7 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, zzgl. 1 Verwaltungs- fachkraft/Geschäftsstelle Lichtenberg 5,22 Vollzeitäquivalente (VZÄ) Sozialarbeiterinnen und Sozi- alarbeiter und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen¹ Marzahn-Hellersdorf 7 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter Mitte 10 Stellen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und Sozialpä- dagoginnen und Sozialpädagogen in der bezirklichen Jugendge- richtshilfe (Gruppe 1) und 7 Stellen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in der Zentralen Jugendgerichtshilfe (Gruppe 2) Neukölln 7 Stellen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter (1 Stelle zzt. unbesetzt), zzgl. 1 Verwaltungsfachkraft/ Geschäftsstelle Pankow 8 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter / Vollzeitäquivalente, davon: 1 Koordinatorin Reinickendorf 6 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter Spandau 6,88 VZÄ (und 1 Praktikantin) - Sozialarbeiterinnen und Sozi- alarbeiter des gehobenen. Dienstes Steglitz-Zehlendorf 4,5 Stellen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter Tempelhof- Schöneberg 6 Stellen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, zzgl. 1 Ver- waltungsfachkraft/Geschäftsstelle Treptow-Köpenick 4 Stellen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter Insgesamt 86,5 (Datenquelle: Abfrageergebnis aus den Bezirken– Stand 19.11.2013) 1 Der Personaleinsatz orientiert sich an den Fallzahlen (sinkende Zahlen von Jugendlichen und Heranwachsenden und zu- rückgehende Zahlen für die Strafverfahren) 6. Welcher Personalausstattungsstandard (qualitativ und quantitativ) liegt der Personalbemessung in den Be- zirken zugrunde und wie soll dieser bei der Auslagerung berücksichtigt werden? Zu 6.: Der Personalausstattungsstandard (qualitativ) richtet sich nach den Vorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch (§ 72 SGB VIII i.V. mit § 74 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII) zum Fachkräftegebot, der für die öffentliche und freie Jugendhilfe gleichermaßen gilt. Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe sind sozial- pädagogische Fachkräfte mit staatlich anerkanntem Dip- lom. Die fachlichen Anforderungen und Standards sind maßgeblich in den Ausführungsvorschriften über die Mitwirkung der Jugendhilfe in Verfahren nach dem Ju- gendgerichtsgesetz (AV-JGH) vom 15. Juni 2011 be- schrieben. Bei der Personalbemessung (quantitativ) orientieren sich die Bezirke an der Fallzahlentwicklung und den Ergebnissen der Kosten-Leistungs-Rechnung. Der die Auslagerung beabsichtigende Bezirk Lichten- berg sieht vor, im Konzept für die Auslagerung Aufgaben zu beschreiben, die auf den freien Träger der Jugendhilfe übergehen können. Hoheitliche Aufgaben und Aufgaben der Steuerung sind hiervon ausgenommen. Für die Sicherung der hoheitlichen Aufgaben und der qualita- tiven und quantitativen Steuerung wird 1 VZÄ im Ju- gendamt auch nach einer Übertragung vorgehalten wer- den. Dazu wird ein Anforderungsprofil erarbeitet, das im Frühjahr 2014 vorliegen wird. Für die fachlichen Stan- dards wird auf die Ausführungsvorschriften über die Mitwirkung der Jugendhilfe in Verfahren nach dem Ju- gendgerichtsgesetz (AV-JGH) vom 15. Juni 2011 Bezug genommen. Darüber hinaus sieht der Bezirk vor, ein Steuerungsgremium einzuberufen, das die Auslagerung und die Erbringung der Aufgabe durch den freien Träger begleiten wird. 7. Welche Fachstandards und welche personelle und finanzielle Ausstattung sollen bei der Auslagerung zugrunde gelegt werden? 8. Welches Budget erhält der ggf. mit den Aufgaben der Jugendgerichtshilfe beauftragte freie Träger und wer trägt die Verantwortung, wenn dieses überschritten wird? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 831 3 Zu 7. und 8.: Die Auslagerung der in Rede stehenden Aufgaben lässt die ordnungemäße Sicherstellung der erforderlichen Leistungsinhalte unberührt. Ob und welche diesbezüglichen Vereinbarungen die Bezirke mit dem/den Träger/n abschließen, bleibt abzuwarten. Dies gilt auch für die Frage der ggf. vereinbarten Trägerbudgets. 9. Plant der Senat eine mögliche Auslagerung der Jugendgerichtshilfe fachlich zu begleiten und die Folge- wirkungen auf Umfang, Qualität und Finanzierungsauf- wand der JGG-Maßnahmen zu untersuchen und wenn nicht, warum ist eine fachliche Begleitung nicht vorgese- hen? Zu 9.: Der Senat hat bereits im Vorfeld möglicher Auslagerungen - wie bereits dargestellt - die fachliche Begleitung begonnen. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft wird diesen Prozess soweit erforderlich fortsetzen und mögliche Schritte zur Evalua- tion mit den Bezirken abstimmen. Berlin, den 06. Dezember 2013 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Dez. 2013)