Drucksache 17 / 12 833 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Behrendt (GRÜNE) vom 06. November 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. November 2013) und Antwort Gewalt in den Berliner Knästen – ein Dunkelfeld? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Zu wie vielen Gewaltvorfällen in den Berliner Strafvollzugsanstalten ist es im Jahr 2012 und im ersten Halbjahr 2013 gekommen? Bitte aufschlüsseln nach Mo- naten und Strafvollzugsanstalten. Zu 1.: Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbrau- cherschutz erstellt eine jährliche Statistik zu folgenden drei Bereichen betreffend Gewalt in Berliner Justizvoll- zugsanstalten: a) Zum einen wird die Anzahl der Tätlichkeiten durch Strafgefangene gegen Bedienstete ermittelt. Dabei zählen als Tätlichkeiten alle vorsätzlichen, vollendeten Körper- verletzungen im Sinne von §§ 223 ff Strafgesetzbuch (StGB). Auch vollendete Geiselnahmen und vollendete Freiheitsberaubungen werden als Tätlichkeiten erfasst. Die statistische Erfassung erfolgt unabhängig von der Einleitung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren. Im Jahre 2012 wurde folgende Anzahl von Tätlichkei- ten durch Strafgefangene gegen Bedienstete - aufge- schlüsselt nach Justizvollzugsanstalten (JVA) - erfasst: JVA Anzahl der Tätlichkeiten gegen Bedienstete 2012 Tegel 4 Moabit 11 Plötzensee inkl. Charlottenburg und Justizvollzugskrankenhaus (JVK) 1 Offener Vollzug 0 Jugendstrafanstalt 0 Jugendarrestanstalt 0 Frauen 1 Gesamt: 17 b) Zum anderen wird die Anzahl körperlicher Angriffe von Gefangenen auf andere Gefangene erfasst. Hierzu zählen alle wie unter a) definierten Tätlichkeiten, die gegen Bedienstete gerichtet sind und zu einer dienstlichen Meldung geführt haben oder auf andere Weise bekannt wurden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 833 2 Im Jahre 2012 wurde folgende Anzahl von körperli- chen Angriffen von Gefangenen auf andere Gefangene - aufgeschlüsselt nach JVA‘en - erfasst: JVA Anzahl der körperlichen Angriffe von Gefangenen auf andere Gefangene Tegel 59 Moabit 24 Plötzensee inkl. Charlottenburg und JVK 24 Offener Vollzug 1 Jugendstrafanstalt 102 Jugendarrestanstalt 6 Frauen 10 Gesamt: 226 c) Außerdem wird die Anzahl solcher bekannt gewor- dener Vorkommnisse unter Gefangenen erfasst, die sich nach dem Geschehensablauf als Nötigung (§ 240 StGB), Raub (§ 249 StGB), räuberischer Diebstahl (§ 252 StGB), Erpressung (§ 253 StGB), räuberische Erpressung (§ 255 StGB) oder als Straftaten gegen die sexuelle Selbstbe- stimmung (13.Abschnitt des StGB) darstellten. Für die Erhebung ist unerheblich, ob das Vorkommnis unter die Berichtspflicht gegenüber der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz fiel, von der Staatsanwaltschaft angeklagt wurde oder es zu rechtskräftigen Verurteilun- gen kam. Im Jahre 2012 wurde folgende Anzahl von Nötigungs, Erpressungs- oder Missbrauchshandlungen Gefangener untereinander - aufgeschlüsselt nach JVA‘en - erfasst: JVA Anzahl der Nötigungs-, Erpressungs-, Missbrauchshandlungen Gefangener untereinander Tegel 5 Moabit 2 Plötzensee inkl. Charlottenburg und JVK 1 Offener Vollzug 0 Jugendstrafanstalt 25 Jugendarrestanstalt 0 Frauen 0 Gesamt: 33 Die Zahlen zum ersten Halbjahr 2013 sind wegen der noch laufenden Erhebung für dieses Jahr noch nicht er- mittelt. Eine Aufschlüsselung der für 2012 beziehungs- weise 2013 vorhandenen Zahlen nach Monaten würde das Auszählen aller Einzelfälle erfordern und ist damit als unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand nicht zu leis- ten. 2. Wie viele Personen wurden Opfer dieser Vorfälle? Wie viele Personen waren insgesamt an den Vorfällen beteiligt? Bitte jeweils aufschlüsseln nach Inhaftierten und Bediensteten. Zu 2.: Zu diesen Fragen werden keine Zahlen zur Er- stellung einer Statistik erhoben. 3. In wie vielen Gewaltvorfällen aus dem Jahr 2012 wurde ein Strafverfahren eingeleitet? In wie vielen Fällen kam es zu einer Anklage, in wie viele Fällen zu einer Verurteilung? Zu 3.: Auch zu diesen Fragen werden keine Zahlen zur Erstellung einer Statistik erhoben. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 833 3 Es sei aber darauf hingewiesen, dass die Justizvoll- zugseinrichtungen aufgrund der geltenden Verfügungsla- ge jedem Hinweis auf Gewalt unter Gefangenen bzw. gegenüber Bediensteten nachgehen. Sobald Anhaltspunk- te für ein strafbares Verhalten vorliegen, wird Strafanzei- ge bei den Strafverfolgungsbehörden erstattet. Der Ausgang der jeweils daraufhin eingeleiteten Er- mittlungsverfahren kann ohne unverhältnismäßigen Ver- waltungsaufwand nicht ermittelt werden. 4. Ist dem Senat die vom Kriminologischen For- schungsinstitut Niedersachsen verfasste Studie zur Ge- waltproblematik in den bundesdeutschen Vollzugseinrich- tungen bekannt, wonach etwa ein Viertel aller erwachse- nen Inhaftierten und fast die Hälfte der jugendlichen In- haftierten angeben, Opfer psychischer oder physischer Gewalt geworden zu sein? Wie bewertet der Senat die Ergebnisse dieser Studie mit Blick auf den Berliner Straf- vollzug? Plant der Senat für Berlin eine vergleichbare Untersuchung? Wenn nein, warum nicht? Zu 4.: Die am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. (KFN) erstellte Studie “Viktimisierungserfahrungen im Justizvollzug” ist in der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz seit Sommer 2012 bekannt. Ungeachtet mancher methodischen Un- schärfen und der ungeklärten Frage, inwieweit die Befun- de der Studie im Einzelnen repräsentativ für den Berliner Justizvollzug sind, sind die Kernaussagen der Untersu- chung sehr ernst zu nehmen. Die Durchführung einer vergleichbaren Studie für den Berliner Justizvollzug ist allerdings nicht geplant. Anstatt Ressourcen in eine eige- ne wissenschaftliche Studie zu investieren wurde bzw. wird die Veröffentlichung des Forschungsberichts des KFN zum Anlass genommen zu prüfen, welche Schluss- folgerungen für die Praxis aus den Erkenntnissen der Studie zu ziehen sind und auf welchem Wege die Dienst- kräfte in den Vollzugsanstalten für die Thematik sensibi- lisiert werden können. Diesbezüglich wurde unter maß- geblicher Beteiligung des Kriminologischen Dienstes eine Reihe von Maßnahmen initiiert. Die Beschäftigung mit der Thematik wird durch den Umstand unterstützt, dass einer der Autoren der KFN-Studie seit dem 1. Oktober 2012 als Mitarbeiter des hiesigen Kriminologischen Dienstes tätig ist. Der Forschungsbericht des KFN und eine vom Krimi- nologischen Dienst erstellte Kurzzusammenfassung mit den wichtigsten Schlussfolgerungen für die Praxis wurden den Vollzugsanstalten mit der Anweisung zur Kenntnis gegeben, ihn allen Dienstkräften zugänglich zu machen. Die Ergebnisse der Studie wurden in den regelmäßigen Besprechungen mit den nachgeordneten Behörden erörtert und in den anstaltsinternen Dienstbesprechungen mit den Bediensteten aller Berufsgruppen intensiv diskutiert. Darüber hinaus wurde eine interdisziplinär besetzte Ar- beitsgruppe mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den Vollzugsanstalten und der Senatsverwaltung für Jus- tiz und Verbraucherschutz eingesetzt, die sich mit der Frage beschäftigte, wie gefährdete Gefangene frühzeitig identifiziert und mit welchen Maßnahmen sie vor Über- griffen durch Mitgefangene geschützt werden können. Auf der Grundlage der erarbeiteten Vorschläge wird gegenwärtig eine anstaltsübergreifende Konzeption ver- fasst. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema "Gewalt unter Inhaftierten" bietet eine Reihe von Fortbil- dungsveranstaltungen für Vollzugsbedienstete, die vom Kriminologischen Dienst geleitet werden. An diesen Ver- anstaltungen haben bisher 29 Dienstkräfte teilgenommen. Für eine weitere Fortbildung noch in diesem Jahr gibt es 19 Anmeldungen. Darüber hinaus wurde eine halbtägige Veranstaltung in der Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzuges mit ca. 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt, in der Befunde speziell bezogen auf den offenen Vollzug vorgestellt und Implikationen erarbeitet wurden. Eine vergleichbare Veranstaltung in der Jugend- strafanstalt ist in Planung. Der Kriminologische Dienst bereitet ein Dossier zu entsprechenden Befunden und Präventionsansätzen vor, das in die Vollzugsanstalten gegeben wird und einen - vom Kriminologischen Dienst moderierten - internen Diskussionsprozess anregen soll. Berlin, den 04. Dezember 2013 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Dez. 2013)