Drucksache 17 / 12 841 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 13. November 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. November 2013) und Antwort Drugchecking – noch ein Thema für den Senat? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Sind dem Senat die Entscheidungen des Amtsge- richts Tiergarten und des Landgerichts Berlin zur betäu- bungsmittelrechtlichen Straffreiheit des 1995-96 durchge- führten Drugcheckingprogramms in Kooperation zwi- schen E. & R. e.V. und dem Gerichtsmedizinischen Insti- tut der Charité bekannt? Wenn ja: welche Schlussfolge- rungen zieht er daraus hinsichtlich perspektivischer Drugcheckingprogramme? Zu 1.: Die Entscheidungen sind dem Senat bekannt. Im Zusammenhang mit dem in den Jahren 1995 bis 1996 durchgeführten Drugcheckingprogramm wurde ein Er- mittlungsverfahren gegen zwei Mitglieder des Vereins E. & R. e. V. wegen des Verdachts des unbefugten Besitzes von Betäubungsmitteln geführt. Nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft lehnten jedoch sowohl das Amtsgericht Tiergarten im Jahr 1998, als auch – auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft – das Landgericht Berlin im Jahr 1999 die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts ab. Beide Gerichte waren der Auffassung, dass bei der Substanzanalyse kein strafbarer Besitz von Betäubungsmitteln vorliege, da der Untersuchende zwar die faktische Verfügungsgewalt über die Substanz erhalte, dabei jedoch nicht mit dem für eine Strafbarkeit erforderlichen Besitzwillen handele. Konkrete Schlussfolgerungen hinsichtlich etwaiger zukünftiger Drugcheckingprogramme können aus den beiden Gerichtsentscheidungen nicht gezogen werden. Die Rechtslage ist nach wie vor komplex und umstritten (siehe dazu auch die Antwort zu Frage 2). Die Frage der Zulässigkeit bzw. Straffreiheit des Drugchecking in Deutschland richtet sich insbesondere nach dem Betäu- bungsmittelgesetz (BtMG) in seinen verwaltungsrecht- lichen und strafrechtlichen Bestandteilen. Für den Ver- kehr mit Betäubungsmitteln gilt ein generelles Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Anders als das Amtsge- richt Tiergarten und das Landgericht Berlin in den vorge- nannten Entscheidungen vertritt das BfArM die Rechts- auffassung, dass die Untersuchende oder der Untersu- chende durch die Annahme des Betäubungsmittels den erlaubnispflichtigen Tatbestand des Besitzes bzw. Erwer- bes von Betäubungsmitteln erfülle. Seitens des BfArM wird zudem davon ausgegangen, dass die oder der Unter- suchende durch eine Rückgabe der Betäubungsmittel an die Konsumentin oder den Konsumenten – sei es auch über eine Botin oder einen Boten – den erlaubnispflichtigen Tatbestand der Abgabe oder des Inverkehrbringens von Betäubungsmitteln verwirklicht. 2. Ist dem Senat das Gutachten der Wissenschaftli- chen Dienste des Deutschen Bundestages zu den rechtli- chen Implikationen des Drugchecking (H. D. und S. M.; 2009) bekannt? Wenn ja: wie bewertet der Senat die in diesem Gutachten dargelegten legalen Umsetzungsoptio- nen für Drugchecking im geltenden Rechtsrahmen? Zu 2.: Dem Senat ist das Gutachten bekannt. Es kommt zu dem Ergebnis, dass sich rechtssichere Aussa- gen über die Zulässigkeit des Drugchecking nicht treffen lassen. Deshalb ist aus Sicht des Senats eine legale Umset- zung zurzeit schwierig. Da nach dem geltenden Betäu- bungsmittelrecht der unerlaubte Besitz von Betäubungs- mitteln strafrechtlich relevant ist, wäre beim BfArM – wie bereits in der Antwort zu Frage 1 erwähnt - eine entspre- chende Erlaubnis gem. § 3 Abs. 2 BtMG zu beantragen. Damit könnte beispielsweise ein Modellprojekt zu wis- senschaftlichen und oder anderen im öffentlichen Interes- se liegenden Zwecken durchgeführt werden. Von Seiten des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) als über- geordnete Behörde des BfArM wurde diese Möglichkeit - auf Nachfrage der damaligen Senatsverwaltung für Ge- sundheit, Umwelt und Verbraucherschutz im Jahre 2010 - als nicht unterstützenswert gesehen. Ob sich bei dem BfArM diese Auffassung seitdem geändert hat, vermag der Senat nicht zu sagen. Das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes weist außerdem auf die Möglichkeit einer Gesetzesänderung Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 841 2 des BtMG durch Einfügung einer neuen Norm, die Sub- stanzanalysen/Tests im Rahmen eines Drugcheckingpro- grammes erlaubt, hin. Der Gesetzgeber hatte hierzu be- reits vor einigen Jahren mit der Einführung des § 10a BtMG die Möglichkeit der Substanzanalyse in Drogen- konsumräumen abgelehnt und sich somit zum Thema „Substanzanalyse“ ablehnend positioniert. 3. Hat der Senat mittlerweile die von Senator Czaja beim dritten Round Table Queerpolitik der SPD- und der CDU-Abgeordnetenhausfraktion angekündigte eigene rechtliche Bewertung zur Straffreiheit bzw. Strafwürdig- keit von Drugchecking vorgenommen? Wenn ja: welche Ressorts waren daran beteiligt und was ist das Ergebnis? Zu 3.: Die auf der genannten Veranstaltung durch Se- nator Czaja getroffenen Aussagen beziehen sich auf den Koalitionsvertrag. Dieser sieht vor, dass eine gesetzliche Klarstellung der Straffreiheit des "Drugcheckings" voran- getrieben wird. Es erfolgte keine Zusage einer eigenen rechtlichen Bewertung. 4. Welche Schritte hat der Senat bislang unternom- men oder plant der Senat in Zukunft in welchem Zeitrah- men und welcher Schrittfolge, um die Koalitionsvereinba- rung von SPD und CDU Berlin in Sachen Drugchecking umzusetzen? Wo sind gegebenenfalls welche Schwierig- keiten oder Probleme zu meistern? Zu 4.: In Anbetracht der geltenden Rechtslage sind zurzeit keine weiteren Schritte geplant. 5. Welche gesundheitspolitische Relevanz sieht der Senat im Drugchecking, welche weiteren Möglichkeiten sieht der Senat, um den Gesundheitsschutz beim Konsum illegalisierter Drogen zu verbessern, und welche konkre- ten Projekte sind hierzu in Planung bzw. Realisierung? Zu 5.: Die Schwerpunkte der Berliner Drogen- und Suchtpolitik liegen im Bereich der Prävention und der Hilfen für Betroffene. Das Spektrum der Hilfen reicht von Diamorphinbehandlung und Drogenkonsumräumen, Sub- stitutionsbehandlung bis hin zu ambulanter und stationä- rer Abstinenztherapie. Im Mittelpunkt des Versorgungs- systems stehen die Beratungsstellen, die mit dem Be- troffenen die passende Hilfe finden. Drugchecking wird zurzeit in Deutschland nicht ange- boten, aus Sicht des Senats aus guten Gründen. Das Be- täubungsmittelgesetz verbietet den Besitz, das Inverkehrs- bringen etc. bestimmter Substanzen in erster Linie aus Gründen des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung. Die Selbstverantwortung für die Entscheidung, sich über diese gesetzlichen Regeln hinwegzusetzen, sollte der Staat den Bürgerinnen und Bürgern nicht abnehmen, indem er aus Steuermitteln finanziert, die verbotenen Substanzen im Einzelnen testet und die mit dem möglichen Konsum einhergehenden Risiken veröffentlicht, die sich zudem ständig verändern können. 6. Werden die LKA-Substanzanalysen zu Drogen herangezogen, um sie in Hinblick auf den Gesundheits- schutz und die Suchthilfe auszuwerten und mit den Akt- euren der Suchthilfe zur Verbesserung der Prävention und Suchthilfe kommuniziert? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, innerhalb welcher Zeitspanne wäre ein solcher Prozess umsetzbar? Zu 6.: Die Ergebnisse der forensisch-toxikologischen Untersuchungen von beschlagnahmten betäubungsmittel- suspekten Substanzen dienen in erster Linie der Führung von Ermittlungsverfahren. Sie werden in Form von Untersuchungsberichten an die beantragenden Dienststellen übermittelt. Eine Weitergabe dieser Untersuchungsberichte an Be- hörden oder Stellen außerhalb der ermittlungsführenden Dienststellen der Polizei und der Justiz erfolgt nicht. Die im Jahresverlauf aus den aktuellen Substanzanaly- sen erhobenen Informationen werden an das Bundeskri- minalamt in Wiesbaden zur Erstellung des Statistischen Auswerteprogramms Rauschgift (SAR) übermittelt und für den Jahresabschluss der für Betäubungsmitteldelikte zuständigen Abteilung des Landeskriminalamtes (LKA) bewertet. Dabei stehen die Wirkstoffkonzentrationen der unter- suchten Betäubungsmittel (maximaler und durchschnittli- cher Wirkstoffgehalt) im Fokus. Darüber hinaus besteht seit Jahren eine vertrauensvol- le Zusammenarbeit mit der Drogenbeauftragten des Lan- des Berlin, um so zur Verbesserung der Prävention und Suchthilfe beizutragen. 7. Werden systematisch wissenschaftlich fundierte Daten zur Verbreitung, zu Konsummustern und daraus resultierenden Gefahren durch sogenannte Neue psycho- aktive Substanzen, GHB/GHL und Methamphetamin in Berlin erhoben? Wenn ja: Welche Erkenntnisse werden daraus gewonnen und welche Schlussfolgerungen werden daraus gezogen bzw. Maßnahmen geplant? Zu 7.: Eine systematische Erhebung von Daten erfolgt innerhalb der Polizei Berlin nicht. Wenn sich jedoch aus den im LKA durchgeführten Substanzanalysen Gesundheitsgefährdungen für Drogen- konsumentinnen und Drogenkonsumenten ergeben (z. B. Auftreten von Milzbranderregern) wird selbstverständlich unverzüglich die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit oder das Leben informiert. Gleichermaßen verfahren wird, wenn sich infolge der Analysen Hinweise auf neue Rauschgifte ergeben. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 841 3 Das Land Berlin beteiligt sich in regelmäßigen Ab- ständen am epidemiologischen Suchtsurvey des Bundes. Die letzten Berliner Daten sind aus dem Jahr 2006. Die neue Erhebung findet zurzeit statt, die Zahlen werden voraussichtlich in 2014 zur Verfügung stehen. Für eigene Studien zu neuen psychoaktiven Substanzen hat das Land keine Ressourcen. Derartige Studien werden auf Bundes- ebene durchgeführt. Zurzeit läuft eine Studie im Auftrag des BMG zu dieser Thematik. Wenn die Ergebnisse vor- liegen, werden die Schlussfolgerungen daraus sicher auch in die Planung der Berliner Maßnahmen der Drogen- und Suchtpolitik einfließen. Berlin, den 19. Dezember 2013 In Vertretung Emine D e m i r b ü k e n - W e g n e r _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Jan. 2014)