Drucksache 17 / 12 866 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Dirk Behrendt und Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 12. November 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. November 2013) und Antwort Jugendarrest und Warnschussarrest Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat den Vorstoß des Branden- burgischen Justizministers, den Jugendarrest gesetzlich zu regeln? 2. Gibt es aus Sicht des Senates aus verfassungsrecht- lichen Gründen eine Pflicht zur gesetzlichen Regelung des Vollzugs des Jugendarrest als staatliche freiheitsent- ziehender Maßnahme? Zu 1. und 2.: Gesetzliche Regelungen zu Anordnung, Grundsätzen und auch Ausgestaltung des Jugendarrests finden sich in §§ 16, 16a, 82 ff, 90 und 105 Jugendge- richtsgesetz (JGG) unter Verweis auf weitere, allgemeine Vorschriften zum Vollzug. Allerdings entspricht es einem zeitgemäßen Verständ- nis, dass insbesondere die Ausgestaltung des Jugendarres- tes durch ein eigenes Landesgesetz geregelt wird. Nach- dem für Berlin das Jugendstrafvollzugsgesetz, das Unter- suchungshaftvollzugsgesetz, das Justizvollzugsdaten- schutzgesetz und das Gesetz zum Vollzug der Siche- rungsverwahrung in Kraft getreten sind, wird ein Entwurf des Jugendarrestvollzugsgesetzes im Verlauf des Jahres 2014 erarbeitet werden. 3. Wie bewertet der Senat den Inhalt des Vorschlags, den Jugendarrest stärker zu pädagogisieren? Zu 3.: Nach Auffassung des Senats muss der Jugend- arrest vor allem pädagogisch ausgerichtet sein. Dies ist in der Praxis des Berliner Jugendarrests auch der Fall. Zu den Einzelheiten der pädagogischen Ausgestaltung kann auf den Inhalt der Antwort zur kleinen Anfrage Nr. 17/12846 verwiesen werden. 4. Was ist der genaue Inhalt des Programms für den Berliner Jugendarrest, das der Justizsenator in der Plenar- sitzung am 24. Oktober 2013 erwähnt hat? In welchen Punkten wurde das Programm in den vergangenen Mona- ten „ausgebaut“? Zu 4.: Der Justizsenator hat sich in der Plenarsitzung insbesondere auf das sogenannte Modulare Kompetenz- training (MKT) bezogen. Diese strukturierte Pädagogik dient vorrangig den Zielen, durch die breite inhaltliche Mischung an jugendspezifischen Themen und Fragestel- lungen mit den Arrestantinnen und Arrestanten ins Ge- spräch zu kommen, sich mit der begangenen Straftat aus- einander zu setzen und soziale Kompetenzen hin zu einer verantwortungsbewussten Lebensführung zu vermitteln. Dabei sind die einzelnen Module nicht statisch festge- legt, vielmehr werden sie ständig weiter entwickelt. Es handelt sich um einen Prozess, der von neuen Erfahrun- gen und daraus gewonnenen Erkenntnissen lebt und profi- tiert. Zurzeit findet das MKT im Wochenrhythmus statt, beginnt dienstags mit einem Einführungsmodul und endet am Samstag mit einer Abschluss- und Feedbackrunde. Von Dienstag bis Samstag werden täglich in der Regel 2 bis 3 Module mit jeweils 1,5 Std. Dauer von sowohl in- ternen als auch externen Trainerinnen und Trainern ange- boten. Die Teilnahme ist für die vom Sozialdienst ausge- wählten Arrestantinnen und Arrestanten Pflicht. Der Trainingsplan ist wöchentlich variabel und enthält folgende Module: • Einführung, Vor- und Nachbereitung der Hauptverhandlung , • Drogen und Gewalt, • wer denkt an die Opfer? – zivilrechtliche Haftung der Täterin/des Täters, • Schuldenprävention und Umgang mit Geld, • Berufsberatung in Einzelgesprächen, • Berufsfindungstest und Erstellen einer Bewerbung, • Praktisches Bewerbungstraining, • Blick in die Zukunft, • Selbst- und Fremdwahrnehmung, • Präventionsarbeit der Berliner AIDS-Hilfe, • Präventionsarbeit der Berliner Polizei, • Sinn und Zweck einer Strafe, • Abschlussgespräch mit Überreichung der Teil- nahmebescheinigung und Feedback-Runde, • ab Januar 2014 Erste-Hilfe-Training. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 866 2 Durch die vielseitige Themenzusammenstellungen wird angestrebt, intensiv auf die unterschiedlichen Per- sönlichkeiten, Entwicklungen und Lebenslagen der Arres- tantinnen und Arrestanten einzugehen und Denkanstöße für Einstellungs- und Verhaltensänderungen zu geben. Bereits vorhandene Ressourcen werden gestärkt, sozial erwünschte Kompetenzen werden entwickelt und geför- dert. Das Training bedient sich aus verschiedenen Metho- den der sozialen Gruppenarbeit, um jede Arrestantin und jeden Arrestanten erreichen zu können und um Abwechs- lung zum Erhalt der Konzentration zu schaffen. 5. Wie kooperieren derzeit die Akteure des Jugendar- restes mit der Jugendhilfe, den Eltern, Schulen und weite- ren Beteiligten? Zu 5.: Die Beschäftigten der Jugendarrestanstalt (JAA), im speziellen der Sozialdienst, kooperieren eng mit den Jugendgerichtshilfen (kurz: JGH) der Berliner Bezirke. In den vergangenen Monaten wurden Standards für die Zusammenarbeit der JAA Berlin und den Jugend- gerichtshilfen entwickelt. Sowohl der JGH als auch der Bewährungshilfe (Bwh) wird der Arrestantritt einer Probandin bzw. eines Proban- den zeitnah per Fax mitgeteilt. Im Arrestverlauf finden Absprachen zur weiteren Hilfeplanung statt. Wichtige Informationen zur Lebenssituation und Problematiken, die während des Arrestes eine Rolle spielen könnten, werden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialdienstes mitgeteilt. Arrestantinnen und Arrestanten erhalten die Möglichkeit, die zuständige Mitarbeiterin bzw. den zu- ständigen Mitarbeiter der JGH bzw. Bwh im Rahmen von gewährten Ausgängen in deren Sprechstunden aufzusu- chen, um entweder den bereits gefestigten Kontakt nicht abbrechen zu lassen oder den bisher schlechten Kontakt zu verbessern. Am Ende des Arrestes wird ein Schlussbericht über die Arrestverbüßung gefertigt, der sowohl der JGH als auch der Bwh per Mail zugesandt wird. Verfasser der Berichte sind die/der Mitarbeitende des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD), des Sozialdienstes und die Vollzugsleiterin/der Vollzugsleiter im Zusammenwirken. Die Kooperation mit den Berliner Schulen läuft weit- gehend positiv. Bei potentiellen Ausgängern besteht ein enger Kontakt zwischen der/dem zuständigen Beschäftig- ten der Schule und dem Sozialdienst der JAA. Häufig werden bereits vor Arrestantritt alle Modalitäten für einen Ausgang besprochen. Vor allem bei schuldistanzierten Jugendlichen wird in der Regel die Eingliederung in den laufenden Schulbetrieb durch enge Absprachen mit der zuständigen Schule angestrebt bzw. in Kooperation mit dem Jugendamt ein passendes Schulprojekt gesucht. Die Zusammenarbeit mit den Eltern wird von Seiten der JAA zwar gewünscht, ist in der Praxis aber mit mas- siven Schwierigkeiten verbunden. Bei minderjährigen Arrestantinnen und Arrestanten werden die Eltern bei Arrestantritt und Arrestende durch den Sozialdienst in- formiert, außerdem stehen die Beschäftigten der JAA den Eltern jederzeit telefonisch beratend zur Seite. Die Erfah- rungen zeigen, dass Eltern die Gespräche in der JAA nur selten wahrnehmen. Als Gründe sind Desinteresse und die Vielzahl der eigenen Probleme zu vermuten. Auch an diesem Punkt setzt das gezielte Übergangs- management im Rahmen des Projekts „Spurwechsel“ unter Federführung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft in Kooperation mit den freien Trägern Gangway und Freie Hilfe an. 6. In wie vielen Fällen wurde seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Hand- lungsmöglichkeiten am 7. März 2013 in Berlin ein sog. „Warnschussarrest“ verhängt? Bitte aufschlüsseln nach Monaten. Zu 6.: Hinsichtlich der Beantwortung dieser Frage wird auf die Antwort zur Kleinen Anfrage Nr. 17/12846 verwiesen. Eine Aufschlüsselung nach Monaten wird nicht vorgenommen. 7. Wie bewertet der Senat vor diesem Hintergrund das Instrument des Warnschussarrestes? Zu 7.: Der sogenannte Warnschussarrest ist ein weite- res Instrument, das der Jugendrichterin und dem Jugend- richter gemäß § 16a JGG für bestimmte jugendliche und auch heranwachsende Straftäterinnen und Straftäter an die Hand gegeben worden ist, um diesen Straftäterinnen und Straftätern neben der Bedeutung der Bewährung auch die Verantwortung für das begangene Unrecht vor Augen zu führen, sie aus den schädlichen Einflüssen ihres Lebens- umfelds herauszunehmen und auf ihre Bewährungszeit vorzubereiten oder eine nachdrückliche erzieherische Einwirkung zur Verbesserung der Erfolgsaussichten der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit zu schaffen. Wegen des seit Einführung des Instruments des soge- nannten Warnschussarrests verstrichenen geringen Zeit- raums und der geringen Zahl der Anordnungen bzw. Vollstreckung kann seitens des Senats noch nicht beurteilt werden, inwieweit diese Arrestform in der Praxis die vom Gesetz gewünschten Wirkungen auch tatsächlich entfalten kann. Zudem erscheint es ohnehin sinnvoll, zur Beurtei- lung dieser Frage die Ergebnisse der länderübergreifenden Evaluation des „Warnschussarrests“ unter Federführung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in Kooperation mit der Universität Kassel abzuwarten. Berlin, den 18. Dezember 2013 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Jan. 2014)