Drucksache 17 / 12 869 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Heiko Thomas (GRÜNE) vom 18. November 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. November 2013) und Antwort Gemeinsame Arbeitsanweisung der Berliner Bezirksämter - Sozialämter - über den Einsatz von Einkommen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) (GA-ESH)Ü Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Mit den Änderungen vom 23.08.2013 hat sich in- folge des geänderten Absatzes 1.3.4.1 "Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege" in der Nr. 25. für die dort be- nannten Zuverdiener*innen Entscheidendes verändert. Bisher blieben die gesamten erzielten Zuwendungen im Rahmen der Grundsicherung anrechnungsfrei. Nun soll, auch rückwirkend zum 01.08.2013, ein Teil der Zuwen- dungen (oberhalb der Grenze von 1/8 der Regelbedarfs- stufe 1 zuzüglich 25 % des übersteigenden Einkommens) auf die Grundsicherung angerechnet werden. Ist diese Einschätzung zutreffend? Zu 1.: Ja. 2. Welche Überlegungen bewogen den Senat, die GA- ESH zu überarbeiten? 3. Ist dem Senat das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 28.2.2013 (AZ B 8 SO 12/11 R) bekannt? Teilt der Senat den Tenor des Urteils und fühlt er sich an den Be- schluss gebunden? 4. Wie interpretiert und bewertet der Senat die Ergeb- nisse der Besprechung des "Arbeitskreis Bundesauftrags- verwaltung" am 26. Juni 2013, die mit Schreiben des BMAS vom 18. Juli 2013 versendet worden sind? Zu 2., 3. und 4.: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat in Ausübung seiner Richtlini- enkompetenz im Zusammenhang mit der Bundesauftrags- verwaltung für das Vierte Kapitel des SGB XII gem. Artikel 85 Absatz 3 Grundgesetz mit Schreiben vom 18.07.2013 den Obersten Landessozialbehörden und Kommunalen Spitzenverbänden die Ergebnisse der Be- sprechung des Arbeitskreises Bundesauftragsverwaltung vom 26.06.2013 zur Weiterleitung an die zuständigen Leistungsträger mitgeteilt. Darin hat es unter Bezugnah- me auf die Feststellung des Bundessozialgerichts in der Urteilsbegründung, dass das wesentliche Kriterium der Zuwendungsabsicht (hier die Motivation zur Teilnahme an einer Arbeitstrainingsmaßnahme) an Bedeutung verlie- re, je höher die Zuwendung sei, für den Regelfall einen Mindestfreibetrag in Höhe von einem Achtel der Regel- bedarfsstufe I nach der Anlage zu § 28 SGB XII festge- legt. Diese fachlich-rechtliche Vorgabe ist den Bezirksäm- tern mit Schreiben der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales vom 19.07.2013 zur Kenntnis gegeben wor- den. Dieser Weisung war, da sie für die Anwendung des Vierten Kapitels SGB XII unmittelbar verbindlich ist, zu folgen. Eine eigene Interpretation und Bewertung der Weisung erübrigt sich mithin. Die o. g. Gemeinsame Arbeitsanweisung der Berliner Bezirksämter – Sozialämter – über den Einsatz von Einkommen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) (GA-ESH) ist daraufhin durch die hierfür federführende Arbeitsgruppe der Bezirksämter im Ein- vernehmen mit der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales um den Passus ergänzt worden, die Zuverdienste seien „in der Regel“ mindestens bis zur Höhe eines Achtels der Regelbedarfsstufe 1 zuzüglich 25 vom Hundert des übersteigenden Einkommens nicht als Einkommen anzurechnen. Diese Formulierung ermöglicht eine im Einzelfall abweichende Entscheidung. 5. Wie viele Menschen in den Berliner Zuverdienstbe- trieben sind von den Maßnahmen der Anrechnung ihrer Zuwendungen auf ihre Grundsicherung betroffen? Zu 5.: Die Gesamtanzahl der Zuverdienstnutzerinnen und Zuverdienstnutzer, die von der Anrechnungsregelung betroffen sind bzw. sein könnten, war in der Kürze der Zeit nicht valide zu ermitteln. Nach ersten Recherchen scheint die Anzahl in den Bezirken sehr unterschiedlich zu sein und liegt zwischen ca. sieben und 60 Menschen pro Bezirk und damit bei bis zu 50 % der Zuverdienstnut- zerinnen und Zuverdienstnutzer eines Bezirks. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 869 2 6. Wie hoch schätzt der Senat die Einsparungen in der Grundsicherung, die aufgrund dieser neuen Maßnahmen einsetzen? Bitte pro Bezirk auflisten. Zu 6.: Darüber liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. Da der Bund in 2013 zu 75 % und ab dem 01.01.2014 vollständig die Aufwendungen für Geldleis- tungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII trägt, kämen etwaige Einsparungen weit überwiegend dem Bundes- haushalt zugute. 7. Wie hoch schätzt der Senat den Verwaltungsauf- wand, der durch die neuen Maßnahmen in den Bezirken beim dadurch neu entstehenden Fallmanagement entsteht? Zu 7.: Der zusätzliche Verwaltungsaufwand durch die veränderte Einkommensanrechnung auf die Grundsiche- rung im Alter und bei Erwerbsminderung dürfte eher gering zu veranschlagen sein. Zudem wirkt sich die Um- setzung der Vorgaben des BMAS bei Neuanträgen sofort mit Inkrafttreten, jedoch bei Bestandsfällen aus leistungs- rechtlichen Gründen erst im nächstfolgenden Bedarfszeit- raum aus. 8. Ist dem Senat bekannt, dass die Bezirke die GA- ESH diese neuen Regelungen unterschiedlich auslegen? Wenn nein, warum nicht? 9. Wenn ja, wie sehen die Regelungen pro Bezirk aus? Zu 8. und 9.: Dem Senat ist nicht bekannt, dass die Bezirke die genannte Regelung der Arbeitsanweisung unterschiedlich auslegen. Das ist aber unerheblich, da alle Bezirke an die verbindliche Weisung des BMAS gebun- den sind. Der Wortlaut der Regelung ist eindeutig und lässt keine Abweichungen zu. Abweichende Regelungen der Bezirke sind dem Senat nicht bekannt. Es ist erklärtes Ziel der Gemeinsamen Arbeitsanweisung, eine einheitliche Rechtsanwendung im Lande Berlin zu befördern. Dieses Ziel gilt für die ge- nannte Regelung umso mehr, als es sich um eine bindende Weisung handelt. 10. Ist der Senat der Meinung, dass mit einer Anrech- nung der Zuwendung auf die Grundsicherung der mit der Zuwendung verfolgte Zweck der "Motivierung" weiterhin verfolgt werden kann? Wenn ja, in welcher Form soll eine Motivation erhalten werden, wenn die erzielte Zuwen- dung "einbehalten" wird? Zu 10.: Arbeit und Beschäftigung haben einen hohen Stellenwert insbesondere für psychisch kranke und sucht- kranke Menschen. Durch die Beschäftigung werden Grundkompetenzen gestärkt und ausgebaut und Teilhabe in einer Gemeinschaft erlebt. Die gezahlte Zuwendung stellt dabei keineswegs das einzige Motiv für eine Tätig- keit im Zuverdienst dar, bietet jedoch einen gewichtigen Anreiz, die eigene Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit weiter auszubauen. Gleichwohl besteht hinsichtlich der Anrechnung des im Zuverdienst erzielten Einkommens kein Handlungs- spielraum, weil letztere durch die Bundesregelung be- grenzt wird. Da die Vorschrift weder die vollständige „Einbehaltung “ vorsieht noch als starre Freibetragsregelung ausgestaltet ist, kann bei der Festlegung des anzurechnenden Einkommens flexibel den besonderen Umständen des Einzelfalles Rechnung getragen werden. 11. Ist der Senat der Meinung, dass durch das "Ab- schöpfen" von Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege, die Inklusionsforderung der UN - Behindertenrechtskon- vention Rechnung getragen wird? Zu 11.: Inklusion im Sinne der UN-Behinderten- rechtskonvention (UN-BRK) ist dem Senat ein wichtiges Anliegen. Im Kontext des Gegenstandes dieser Kleinen Anfrage vermag der Senat allerdings nicht nachzuvollzie- hen, inwieweit der Inklusionsforderung der UN-BRK Rechnung getragen wird oder nicht. Die verbindliche Auslegung geltenden Bundesrechts durch das BMAS und die Umsetzung in der GA-ESH laufen im Ergebnis im Regelfall auf die Gleichstellung des betroffenen Personenkreises mit Beschäftigten einer Werkstatt für behinderte Menschen hinaus, obwohl er noch nicht werkstattfähig ist. Insofern wird der betreffen- de Personenkreis durch die Neuregelung im Verhältnis zu anderen behinderten Menschen weder finanziell noch im Hinblick auf seine Chancen auf Inklusion benachteiligt. 12. Mit wie vielen Widersprüchen von Seiten der Be- troffenen rechnet der Senat? Zu 12.: Die Anzahl der zu erwartenden Widersprüche kann nicht abgeschätzt werden. 13. Was bewog den Senat, diese GA-ESH rückwir- kend zum 01.08.2013 in Kraft treten zu lassen? Zu 13.: Die Weisung des BMAS wurde mit dem Schreiben vom 18.07.2013 ohne Einräumung einer Über- gangsfrist erteilt. Dieses Schreiben wurde den Bezirken unverzüglich mit dem Hinweis der verbindlichen Geltung zur Kenntnis gegeben. Im Einklang damit war die Rege- lung mit Wirkung vom nächstmöglichen Änderungszeit- punkt, dem 01.08.2013, in Geltung zu setzen. 14. Hat der Senat den Beirat gem. § 116 SGB XII in das Verfahren einbezogen? Wenn ja, zu welchem Zeit- punkt und wie war dessen Votum? Wenn Nein, warum nicht? Zu 14.: Zwar handelt es sich weder bei den fachlich- rechtlichen Weisungen des BMAS noch bei der GA-ESH um allgemeine Verwaltungsvorschriften des Senats im Sinne des § 116 Absatz 1 SGB XII. Dennoch wurde der Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 869 3 Landesbeirat gem. § 116 Absatz 1 SGB XII - auf Grund der kurzfristig erforderlich gewesenen Umsetzung im Nachgang - informiert. Die Mitglieder haben die Neure- gelung bedauert. 15. Gibt es weitere Regelungskreise die durch die ge- änderte Praxis des Bundes potentiell betroffen sein könn- ten - etwa durch die Reform der Eingliederungshilfe? Zu 15.: Ob weitere Regelungskreise im SGB XII in der Zukunft unter die Bundesauftragsverwaltung fallen könnten, ist gegenwärtig nicht bekannt. Berlin, den 06. Januar 2014 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Jan 2014)