Drucksache 17 / 12 924 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Gabriele Hiller (LINKE) vom 02. Dezember 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Dezember 2013) und Antwort Integration durch Radio – erfüllt der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Auftrag? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Im bundesweiten Diskurs spricht man oft über Pa- rallelgesellschaften in Berlin, nirgendwo ist der Anteil von Migrant/-innen ohne Bildungsabschluss höher als in Berlin, und die 23 Prozent der Berliner/-innen nichtdeut- scher Herkunft sind zu wenig in das kulturelle Leben der Stadt eingebunden – welche Maßnahmen hat der öffentlich -rechtliche Rundfunk seit Inkrafttreten des Partizipa- tions- und Integrationsgesetzes unternommen, um seinen sich daraus ergebenden Verpflichtungen nachzukommen? Zu 1.: Der Senat führt keine Programmbeobachtung der Hörfunkangebote des öffentlich-rechtlichen Rund- funks insgesamt oder des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) im Besonderen über die Einbindung von Berlinerin- nen und Berlinern nichtdeutscher Herkunft in das kultu- relle Leben der Stadt durch. Der um Auskunft gebetene rbb hat hierzu Folgendes ausgeführt: „Das am 29. Dezember 2010 in Kraft getretene Partizipations - und Integrationsgesetz gilt nach seinem § 3 Abs. 1 unter anderem für die Berliner Verwaltung, für landesunmittelbare öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Zwar ist der rbb eine gemein- nützige Anstalt des öffentlichen Rechts, er ist jedoch kein Organ der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwal- tung. Demzufolge findet das Partizipations- und Integrati- onsgesetz auf den rbb keine Anwendung. Gleichwohl ist es dem rbb ein großes Anliegen, in sei- nem Zuständigkeitsbereich für eine gleichberechtigte Teilhabe und interkulturelle Öffnung zu sorgen: Seit 2009 kümmert sich im rbb die in der Intendanz angesiedelte AG Integration darum, dieses Thema vor allem in den Programmen des rbb, aber auch in der Per- sonalentwicklung zu verankern. Vertreten sind in der AG neben der Intendanz Journalistinnen und Journalisten aus verschiedenen Redaktionen und der zentralen Programm- direktion, die Abteilung Presse & Information, die Abtei- lung Personalstrategie und -entwicklung sowie die Pro- duktions- und Betriebsdirektion. In unterschiedlicher personeller Besetzung hat die AG Integration in den ver- gangenen Jahren verschiedene Projekte angestoßen, orga- nisiert und durchgeführt – hier einige Beispiele, die sich insbesondere auf Weiterbildung in interkultureller Kom- petenz durch Fortbildungsangebote und Qualifizierungs- maßnahmen beziehen: • Zentraler ganztägiger Workshop zum Thema Integration : Überblick über die Situation von Mig- rantinnen und Migranten in Berlin und Branden- burg und Untersuchung ihres Medienverhaltens • Zentraler ganztägiger Workshop „Integration und Sozialstaat“ mit Podiumsdiskussion und Arbeitsgruppen • Dezentrale ganztägige Workshop-Reihe „Vielfalt für Profis, Vielfalt fürs Programm“ für Planer, Redakteure und Reporter • rbb im Wandel: „Vielfalt und Integration – welches Berlin und welches Brandenburg wollen wir zeigen?“ • Kooperation mit verschiedenen Bildungseinrich- tungen, etwa dem Bildungswerk Kreuzberg, dem Deutsch-Russischen Journalistenforum sowie dem Studierendenförderprogramm „Medienvielfalt anders “ der Heinrich-Böll-Stiftung • Gespräche mit der electronic media school (ems) über Mittel und Wege, die Zahl der Volontärinnen und Volontäre mit Migrationshintergrund zu erhö- hen Die Stellenausschreibungen des rbb enthalten seit ei- niger Zeit folgenden Satz: „Zudem möchten wir die kulturelle Vielfalt im rbb fördern und begrüßen daher Bewerbungen von Menschen aller Nationalitäten.“ Hinsichtlich der laut Gesetz angestrebten stärkeren Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern mit Migra- tionshintergrund in den Gremien ist festzuhalten, dass nicht der rbb selbst über die Zusammensetzung des Rund- funkrates entscheidet; diese legt der rbb-Staatsvertrag fest, für den die beiden Länder Berlin und Brandenburg verantwortlich zeichnen. Dort ist geregelt, dass die aus- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 924 2 ländische Bevölkerung Berlins und Brandenburgs vertre- ten ist, und zwar durch ein von den Ausländerbeauftrag- ten von Berlin und Brandenburg entsandtes Mitglied. Der Rundfunkrat wiederum wählt die Mitglieder des Verwal- tungsrates.“ 2. Wie werden Menschen mit Migrationshintergrund in Konzeption und Produktion der Sendungen einbezogen und wo findet der öffentliche Diskurs zu entsprechenden Themen statt? Zu 2.: Dem Senat sind die personellen Entscheidungen über die Beteiligung von Menschen mit Migrationshinter- grund bei der Entwicklung und Herstellung der Radioan- gebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt oder des rbb im Besonderen nicht bekannt. Der um Aus- kunft gebetene rbb hat hierzu Folgendes ausgeführt: „Integration und Migration sind – wie unter 1. beschrieben - Themen, die alle Radioprogramme des rbb immer wieder aufgreifen. Und zwar in allen Facetten, ohne dabei den unangenehmen Fragen auszuweichen: Wo gelingt Integration in Berlin und Brandenburg – und wo nicht? Wo sie nicht gelingt, welche Ursachen gibt es – in der deutschen Gesellschaft, aber auch im Verhalten der Migrantinnen und Migranten? Welchen Chancen bieten sich uns durch Integration und Migration – und welche negativen Entwicklungen dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren? An der Themenfindung und an der Konzeption von Sendungen und Programmen sind in praktisch allen Redaktionen des rbb Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund beteiligt. Es würde den Rahmen sprengen, hier alle entspre- chenden Produktionen, Features und Sendungen der rbb- Radioprogramme der vergangenen Monate aufzulisten. Beispielhaft seien folgende Themen und Sendungen ge- nannt, die den öffentlichen Diskurs abbilden und beför- dern: • Die Radioprogramme haben sich in den vergangenen Monaten intensiv mit dem Thema Flüchtlinge beschäftigt. Unter anderem hat Fritz im November dazu eine Reportagereihe gesendet: „Hoffnung Berlin - Tagebuch eines Flüchtlings“. Zum Thema „Flüchtlinge“ ist Anfang 2014 auch ein Schwerpunkttag im rbb geplant. • Ausführlich hat radioeins vom 18. Karneval der Kulturen berichtet. Die Kollegen streamten den traditionellen Umzug live auf ihre Internetseite. Zudem kommentierte Moderatorin Hadnet Tesfai abends eine einstündige Zusammenfassung mit den schönsten Bildern des Tages im rbb Fernse- hen. • Den rbb Science Slam Award – eine multimediale Zusammenarbeit von Radio, Fernsehen und Online – gewann Nuria Cerdá-Esteban, Wissenschaftlerin am Berliner Max-Delbrück-Centrum. • Im Oktober veröffentlichte radioeins eine eigene Recherche über Alltagsrassismus in Deutschland. Eine Woche lang berichtete das Programm jeden Tag über die Ergebnisse (u.a. Erfahrungen bei der Arbeit, im Bildungssystem). • Inforadio hat gerade die Serie „Neue Vielfalt in Berlin“ produziert: über Zugezogene aus aller Welt, die hier ihre neue Heimat gefunden haben, sich treffen, hier arbeiten; begleitet wird die Reihe auch mit einer eigenen Seite auf inforadio.de. • kulturradio beschäftigte sich in den vergangenen Wochen unter anderem mit den Themen „Antisemitismus heute - Wie judenfeindlich ist Deutsch- land?“, „Transnational‘ statt nicht integriert“ und mit „Musik, Vielfalt, Integration - Fachtagung zur Förderung der kulturellen Vielfalt“ • Als Interviewpartner tauchen Menschen mit Migrationshintergrund regelmäßig in den rbb- Radioprogrammen auf: zuletzt etwa Max Tuchten- hagen zum Integrationsprojekt Köpenick, Kenan Kolat zum Integrationsgipfel, Änis Ben Hatira zum Integrationsprojekt „Mitternachtssport“, der Comedian Murat Topal zur ,,Culti Multi Show“ oder Tagesschau-Sprecherin Linda Zervakis zur ARD- Themenwoche „Zum Glück“. Allen Redaktionen im rbb ist bewusst, wie zentral die Themen Migration und Integration für die künftige Ent- wicklung der Gesellschaft in der Region Berlin- Brandenburg ist. Der rbb beteiligt sich weiter am Pro- gramm Funkhaus Europa; er produziert dafür die Sendun- gen in arabischer, griechischer, polnischer, russischer und spanischer Sprache sowie u.a. die „World Music Night“. Wöchentlich liefert der rbb insgesamt 68 Stunden Wort- und Musikprogramm für Funkhaus Europa zu; die jeweils zuständigen Redaktionen leiten Muttersprachler. In Zusammenarbeit mit der oben erwähnten AG In- tegration haben die Radioprogramme, das rbb Fernsehen und Online Thementage zur „Integration“ organisiert und gesendet. (bislang: „Zusammen leben“, „Angekommen! 50 Jahre Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei“, für Anfang 2014 geplant: Schwerpunkttag Flüchtlinge) Außerdem hat der rbb vor zwei Jahren den „AMIKO – der rbb-Medienpreis für Vielfalt“ ausgelobt und seitdem zwei Mal vergeben. Er ging u.a. an Fritz-Reporterin Susanne Bruha für „Türkiye 3G“; darin sammelte sie OTon -Porträts von türkischen Jugendlichen aus Kreuzberg, die „keinen Bock auf Klischees“ haben.“ Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 924 3 3. Ungelöste Probleme wie zum Beispiel der Dop- pelpass werden in den öffentlich rechtlichen Medien oft nicht ausreichend und in den kommerziellen häufig nur einseitig thematisiert. Der Integrationsgipfel scheiterte wiederholt am fehlenden interreligiösen und interkulturel- len Dialog mit den Betroffenen. – Welche Möglichkeiten sieht der Senat, durch die Förderung eines Radiosenders wie multicult.fm eine Plattform für den Diskurs dazu zu bieten? Zu 3.: Es ist Ansichtssache, ob die sich zum Beispiel aus der doppelten Staatsbürgerschaft ergebenden Proble- me in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht ausrei- chend und in den privaten kommerziellen wie nicht- kommerziellen Medien nur einseitig thematisiert werden. Da der „Doppelpass“ ein zentrales Thema der Koalitionsverhandlungen zur Bundestagswahl 2013 war, geht der Senat jedoch davon aus, dass über das Thema insbesonde- re in den letzten Monaten sowohl in den öffentlich- rechtlichen als auch in den privaten Medien informiert und es unter Darstellung aller Argumente thematisiert wurde. Der Senat geht daher nicht davon aus, dass es der Förderung eines einzelnen Radiosenders bedarf, um eine Plattform für den Diskurs über das Thema „Integration“ zu bieten. Die Länder Berlin und Brandenburg haben im Staats- vertrag über die Zusammenarbeit der Länder Berlin und Brandenburg im Bereich der Medien (Medienstaatsver- trag - MStV) eine finanzielle Förderung von lokalen Rundfunkanbietern durch Rundfunkgebührenmittel nicht vorgesehen. In Berlin existiert mit über 30 kommerziellen Radiosendern und zahlreichen nicht-kommerziellen Hör- funkangeboten auch ohne öffentliche Förderung eine vielfältige und reichhaltige Radiolandschaft. Laut der von der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) in Auftrag gegebenen Studie „Wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 2012/2013“ vom 03.12.2013 erzielten die lokalen Radioprogramme in 2012 sogar um 8 % höhere Umsätze als 2012 und erreichten damit eine Kostendeckung von 110 %. Auch multicult.fm ist seit nunmehr über vier Jahren ohne staatliche Förderung auf Sendung. 4. Spiegelt aus Sicht des Senats die Medienlandschaft in Berlin und Brandenburg die Vielfalt der Hauptstadtre- gion hinreichend wider, so dass ein nicht-kommerzielles Radio mit dieser Ausrichtung verzichtbar ist? Zu 4.: Die Abbildung von Vielfalt in den Medienan- geboten und der Ausbau und der Erhalt dieser vielfältigen Medienlandschaft ist kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer Prozess. Nach Einschätzung des Senats spiegeln die Angebote in Berlin und Brandenburg in allen Mediengattungen, wie zum Beispiel Film, Fernsehen, Hörfunk (einschließlich der nicht-kommerziellen Radios) und auf dem Verbreitungsweg Internet sowie auf sonsti- gen Medienplattformen die reiche Vielfalt der Region wider. Neue Angebote kommen hinzu, andere Angebote verschwinden und das Gesamtangebot bildet das multi- kulturelle Berlin und Brandenburg ab. Daher ist der Senat nicht der Auffassung, dass einzelne Angebote verzichtbar oder unverzichtbar wären. 5. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, ein werbe- freies Radioprojekt zu unterstützen, hinter dessen Entste- hung eine zivilgesellschaftliche Bewegung steht (31.000 Unterschriften gegen die Schließung des rbb-Senders Radio Multikulti) und das nunmehr seit einem halben Jahrzehnt ehrenamtlich ein 24-Stunden-Programm sen- det? Zu 5.: Möglichkeiten zur Unterstützung von nicht- kommerziellen Radioprojekten bestehen z.B. durch den Medienstaatsvertrag (MStV). § 8 MStV sieht in der Auf- gabenbeschreibung der Medienanstalt Berlin-Branden- burg (mabb) vor, dass die mabb unter anderem für die Förderung und den Ausbau der Rundfunkversorgung ungeachtet des technischen Verbreitungsweges für einen chancengleichen Wettbewerb innerhalb eines dualen Rundfunksystems zuständig ist. Des Weiteren veranstaltet die mabb durch den Offenen Kanal ALEX auf der Hör- funkwelle 88vier eine Plattform für nicht-kommerzielle Radioangebote. Berlin, den 06. Januar 2014 K l a u s W o w e r e i t Regierender Bürgermeister (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Jan. 2014)