Drucksache 17 / 12 936 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Marion Platta (LINKE) vom 03. Dezember 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Dezember 2013) und Antwort Energiewende voranbringen - Rückgewinnung von Wärme aus Haushalten und aus dem Ab- wasser in der Kanalisation Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Die Kleine Anfrage betrifft zum Teil Sachverhalte, die der Senat nicht in eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher u.a. die Berliner Wasserbetriebe (BWB) um eine Stellungnahme gebeten, die von dort in eigener Verant- wortung erstellt und dem Senat übermittelt wurde. Sie wurde der Beantwortung zugrunde gelegt. 1. Welche Anstrengungen hat der Senat unternommen , um die vorhandenen Potenziale der bisher na- hezu ungenutzten Energie aus der Wärme aus Haushalten und aus dem Abwasser in der Kanalisation nutzbar zu machen? Zu 1.: Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Techno- logie und Forschung fördert Projekte zur Nutzung von Abwasserwärme sowohl zur Nutzung der im Gebäude produzierten Abwasserwärme als auch der Nutzung der im öffentlichen Abwassernetz anfallenden Wärme. Die Voraussetzungen für Projektrealisierungen sind hierbei unterschiedlich, da bei einer Abwasserwärmenutzung im Gebäude Gebäudeeigentümerinnen und Gebäudeeigentü- mer selbst über die Projektumsetzung entscheiden kön- nen, während im öffentlichen Abwassernetz der hoheitli- che Aufgabenträger - in Berlin die Berliner Wasserbe- triebe Anstalt öffentlichen Rechts (BWB) - verantwortlich ist. Die BWB haben insgesamt fünf Abwasserwärmenut- zungsprojekte im öffentlichen Entwässerungsnetz um- gesetzt. Dies stellt ca. 20 % der bundesweit erfolgten Projektumsetzungen in diesem Bereich dar. Bislang haben die BWB in Zusammenarbeit mit den von der Senatsver- waltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung ge- förderten Netzwerken (z.B. Netzwerk E.) beispielsweise das Projekt „Wärmebereitstellung des Schwimmbades Sachsendamm der Berliner Bäder-Betriebe“ realisiert. Hierbei wird Wärme aus einem Abwasserkanal der BWB genutzt. Das gemeinsame Projekt der Netzwerk- partner beruht auf einer von den BWB und dem Netzwerk E. erstellten Studie zum Wärmebedarf. Die Wärmetau- scher im Kanal entziehen dem Abwasser ein bis zwei Grad Wärme, woraus die Wärmepumpe im Schwimmbad eine Nutztemperatur von rund 50°C erzeugt. In die An- lage mit einer möglichen Heizleistung von 167 kW wur- den rund 500.000 € investiert. Das Projekt wurde zu 60 % aus dem Umweltentlastungsprogramm II (UEP II), kofi- nanziert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und zu 40 % von den BWB finan- ziert. Zuwendungsgebende Stelle war die Senatsverwal- tung für Stadtentwicklung und Umwelt. Das Pilotprojekt wird durch wissenschaftliche Untersuchungen begleitet. Weitere Informationen sind erhältlich unter http://www.berliner-netzwerk- e.de/projekte/netzwerkprojekte3/abwassserwaerme-sach- sendamm/abwasserwaerme-sachsendamm. Als zweites Projekt im UEP II zur Nutzung von Ab- wasserwärme wurde die Wärmeversorgung einer Sport- halle und einer Jugendfreizeiteinrichtung in der Oder- straße im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit einer Abwasserwärmerückgewinnungsanlage ausgestattet. Nach einer Anlageoptimierung findet nun ein einjähriges Betriebsmonitoring statt. Für 2014 ist von den BWB in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk e.qua die Strukturierung eines Erfassungs- projektes geplant. Damit sollen die Nutzungspotenziale öffentlicher Gebäude (z.B. Liegenschaften/Grundstücke des Landes Berlin, Schulen, Kindertagesstätten, Immobi- lien des Bundesministeriums der Finanzen in Berlin und der Deutschen Bahn) mit der möglichen Nutzung des Kanalnetzes abgeglichen werden. Weiterhin führt das Netzwerk e.qua seit 2010 einen bundesweiten Fachkongress „en3“ (Energy. Environment. Engineering.) für die Wasser- und Energiewirtschaft in Berlin durch, bei dem die Nutzung der Energiequelle Abwasser zentrales Thema ist und u.a. die BWB ihre praktischen Umsetzungserfahrungen erläutern. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 936 2 Hinsichtlich der Nutzung der Wärmeenergie von Abwasser aus Haushalten bzw. Gebäuden siehe die Antwort zu Frage Nr. 3. 2. Welche Fortschritte haben die Berliner Wohnungsunternehmen bei der energetischen Nutzung des Abwassers in dieser Legislaturperiode erreicht, um einer- seits die Umwelt zu entlasten und andererseits Betriebs- kosten für Anwohner und Nutzer zu reduzieren? Zu 2.: Vgl. Antwort zu Frage Nr. 3 und 6. 3. Welche Beispielprojekte sind in Berlin entwickelt worden, die darauf abzielen, warmes Brauchwasser direkt in den Häusern zur Wärmerückgewinnung zu nutzen? Liegen dazu Kosten-Nutzen-Analysen vor, die Auf- schlüsse für eine breite Anwendung geben können? Zu 3.: Für eine wirtschaftlich vertretbare Nutzung von Wärme aus dem Brauch- bzw. Abwasser unmittelbar in Gebäuden sind entsprechende Abwassermengen eine wesentliche Voraussetzung. Hierfür sind Gebäude mit einem hohen Abwasseranfall, z.B. zu Wohnzwecken genutzte Hochhauskomplexe oder Hotels, erforderlich. Die Abwärme kann im Keller des Gebäudes über einen entsprechenden Wärmeübertrager in Verbindung mit einer Wärmepumpe nutzbar gemacht werden. In Berlin sind bislang folgende drei Abwasserwärme- nutzungsanlagen in Gebäuden umgesetzt worden: 1) Wohnhaus Ernst-Ludwig-Heim Straße /Berlin-Pankow 2) Wohnhaus Bruno-Apitz Straße / Berlin-Buch 3) Wohnhaus Seefelder Straße / Berlin-Hohenschönhau- sen 4) Passivhaus Arnimplatz 5) BSR-Betriebshof Gradestraße Bei dem Projekt in Hohenschönhausen handelt es sich um ein Doppelhochhaus der Berliner Wohnungsbauge- sellschaft HOWOGE mit ca. 300 Wohneinheiten, das seit Dezember 2008 von der HOWOGE Wärme GmbH mit einer Abwasserwärmenutzungsanlage betrieben wird. Aus zwei Abwassersammelleitungen wird Wärme zurückge- wonnen und mittels einer Wärmepumpe (8 kW) zur Trinkwasservorerwärmung genutzt. Das von der Senats- verwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung geförderte Netzwerk E. hat diese Abwassernutzungsan- lage in Bezug auf technische, wirtschaftliche und ökologi- sche Aspekte untersucht und Empfehlungen zur Verbesse- rung der Anlagenkonfiguration gegeben. Ökologisch betrachtet kann bei der Kombination der gebäudeintegrierten Abwasserwärmenutzungsanlage mit einem Gasbrennwertkessel eine Einsparung von über 10 % sowohl primärenergetisch als auch hinsichtlich der CO2-Emissionen erzielt werden. Die wirtschaftliche Be- trachtung zeigt, dass bei den momentanen Energiepreisen die Kostenparität noch – wenn auch gering – verfehlt wird. Weitere Informationen zu diesem Projekt sind in der vom Netzwerk E. veröffentlichten Publikation „Gebäude- bezogene Nutzung von Abwasserwärme“ erhältlich unter http://www.berliner-netzwerk-e.de/service/downloads. Allerdings liegen bislang noch keine detaillierten Kos- ten/Nutzen-Analysen oder langfristige Projektstudien vor, die Aufschluss über eine breite Anwendung geben könn- ten. 4. Hält es der Senat für erforderlich, das Abwasserrecht zu reformieren, um eine praktische Nutzung der Wärme aus der Kanalisation zu befördern? Wenn ja, wel- che Vorschläge werden dazu gegenwärtig bzw. in naher Zukunft durch wen erarbeitet? Zu 4.: Nein. Die Abwassermenge, die in einzelnen Wohn- oder Gewerbeeinheiten entsteht, ist in der Regel nicht ausreichend, um wirtschaftlich sinnvoll für den Wärmeentzug genutzt zu werden. Zudem weisen einzelne Gebäudeeinheiten ein unstetiges Abwasseraufkommen auf, was die wirtschaftliche Nutzung dieser Technologie zusätzlich erschwert. Die öffentliche Kanalisation bietet an ausgewählten Stellen mit Hauptkanälen und Abwasserdruckleitungen bessere Nutzungsmöglichkeiten. An den Orten, an denen aufgrund ausreichend hoher Abwassermengen im Kanal oder der Druckleitung auch aus betrieblichen Gründen nichts gegen die Nutzung spricht, können Investorinnen und Investoren in Kooperation mit den BWB einen Wär- metauscher planen und errichten. 5. Inwieweit haben bereits vorliegende Planungshilfen für eine wirtschaftliche Nutzung der Wärme aus der Kanalisation, die nach Aussage der BWB ab einer Leis- tung von 60 kW je Anlage erreicht werden kann, zu Vor- schlägen für geeignete Gebiete in Berlin geführt? Gibt es darüber hinaus Vorschläge zur Verbesserung von Pla- nungs- und Umsetzungshilfen für diesen Bereich der Energienutzung? Zu 5.: Die bisher durch die BWB umgesetzten bzw. unterstützten Projekte zeigen, dass nach deren Auffassung im Durchschnitt für Anlagen < 100 kW Anschlussleistung keine betriebswirtschaftlich sinnvollen Amortisationszeit- räume dargestellt werden können. Unter günstigen Bedin- gungen können nach Einschätzung der BWB für Anlagen ab einer Größe von 500 kW Anschlussleistung auch be- triebswirtschaftlich sinnvolle Lösungen umgesetzt wer- den. Jede Investorin/jeder Investor kann bei den BWB von der Erstanfrage bis zur Umsetzung in jeder Planungsphase umfassende und fachlich kompetente Unterstützung be- kommen. Die BWB planen darüber hinaus, diesen Service weiter auszubauen, um Multiplikatoren wie Planungsbü- ros, Bezirksämter und Fachmedien in der Zukunft noch stärker anzusprechen und damit den Ausbau dieser Tech- nologie weiter zu fördern. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 936 3 6. Wo wurden bisher durch den Senat oder seine nachgeordneten Einrichtungen quartiersbezogene Planun- gen zur Energiegewinnung und -nutzung angeregt bzw. sind entsprechende Gespräche in Vorbereitung, um die bestmögliche (nachhaltige) Ressourcennutzung zur Wär- megewinnung eines Quartiers zu erreichen? Zu 6.: Folgende Quartiere wurden auf die Möglichkeit zur Nutzung von Wärme aus Abwasser hin überprüft: • Tempelhofer Flugfeld • Green Moabit, Tiergarten • Falkenhagener Feld, Spandau • Euref-Campus, Schöneberg • Nachnutzung Flughafen Tegel • Entwicklungsgebiet Heidestraße, Tiergarten Zudem gibt es aktuell verschiedene private Projekte wie • Möckernkiez, Yorckstraße, • Neubau Projekt Bautzener Straße, Schöneberg, • Neubau Dorotheastraße, Karlshorst • Mörchenpark in der Holzmarktstraße, Mitte Zusätzlich wurden auf Anfrage verschiedener großer öffentlicher Wohnungsbaugesellschaften (z.B. HOWO- GE) in den letzten Jahren zahlreiche Standorte auf die Machbarkeit hin überprüft. Im Rahmen des KfW (Kreditanstalt für Wiederauf- bau)-Förderprogramms Nr. 432 "Energetische Stadtsanie- rung" finanziert die Senatsverwaltung für Stadtentwick- lung und Umwelt in 5 Städtebaufördergebieten (Mit- te/Wedding - Müllerstraße, Spandau - Wilhelmstadt, Friedrichshain-Kreuzberg - Südliche Friedrichstadt, Lich- tenberg - Frankfurter Allee Nord und Spandau - Fal- kenhagener Feld) die Erarbeitung energetischer Quar- tierskonzepte. Die Ergebnisse werden Anfang 2014 vor- liegen. 7. Welche Gründe sprechen aus Sicht des Senates für oder gegen eine unabhängige Beratungsstelle für private und öffentliche Hauseigentümer/-innen und Haus- verwalter/-innen, die die Nutzung und Rückgewinnung von Wärme aus Haushalten und aus dem Abwasser in der Kanalisation in Berlin voranbringt? Zu 7: In Berlin gibt es Erfahrungen aus unterschiedli- chen Projekten in der Nutzung von Technologien zur Gewinnung von Wärme aus Abwasser. Die Bewertung der Eignung eines Kanalabschnittes zum Wärmeentzug kann nur durch die Betreiberin/den Betreiber erfolgen. Neben der eigentlichen Abwassermenge sind umfangrei- che Kriterien zu erfüllen, um die Nutzung von Wärme aus Abwasser zuzulassen. Dazu gehören u.a. der bauliche Zustand, die Bewertung geplanter Erneuerungen und betriebliche Aspekte. Gleiches gilt auch für die Bewer- tung einer Nutzung von Wärme aus dem Abwasser in privaten und öffentlichen Gebäuden. Insofern ist eine unabhängige Beratungsstelle für die- sen Themenkomplex derzeit nicht notwendig. Berlin, den 16. Januar 2014 In Vertretung Henner Bunde ....................................................... Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Jan. 2014)