Drucksache 17 / 12 972 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Oliver Friederici und Danny Freymark (CDU) vom 11. Dezember 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Dezember 2013) und Antwort Studien, Konsequenzen und Entwicklungen der Berliner Umweltzone Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie bewertet der Senat die Wirksamkeit der Umweltzone in Berlin vor allem hinsichtlich des Erfah- rungsaustauschs mit anderen Großstädten und ihren Um- weltzonen in Deutschland? Antwort zu 1: Berlin war zusammen mit Köln und Hannover im Jahr 2008 Vorreiter bei der Einführung der Umweltzone und hat auch als eine der ersten Städte die Umweltzone auf die grüne Plakette verschärft. Dem Bei- spiel Berlins sind inzwischen 58 Städte gefolgt. In 34 Umweltzonen ist die grüne Plakette erforderlich, in den anderen Städten mindestens die gelbe Plakette. Bis auf wenige Ausnahmen werden zum 1. Juli 2014 alle Um- weltzonen auf die grüne Plakette umgestellt sein. Zwischen Kommunen und Ländern findet ein regel- mäßiger Erfahrungsaustausch zu Umweltzonen statt, z.B. beim Städtetag, beim Länderausschuss Immissionsschutz und bei den Umwelt- und Verkehrsministerkonferenzen. Die Wirksamkeit und Notwendigkeit von Umweltzo- nen in Berlin, aber z.B. auch für Hannover wurde von den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten bestätigt. Dies hatte zur Folge, dass inzwischen aufgrund von Kla- gen von Bürgerinnen und Bürgern oder Umweltverbänden für Wiesbaden eine Umweltzone vom Verwaltungsgericht angeordnet wurde, weil sie vom Gericht als die wirk- samste der kurzfristig umsetzbaren Maßnahmen zur Re- duzierung der Luftbelastung durch gesundheitsschädliche Stoffe (Feinstaub und Stickstoffdioxid) eingestuft wurde. Im Vergleich zu anderen Städten ist die Umweltzone Berlin besonders wirksam, weil hier konsequent kontrol- liert wird. Aber auch andere Städte wie Leipzig konnten gerade für die besonders gesundheitsgefährdenden Ultrafeinpartikel, für die Dieselabgase eine der wichtigs- ten Quellen sind, einen signifikanten Rückgang feststel- len. Systematische Untersuchungen zur Veränderung der Fahrzeugflotte auf der Grundlage von Kennzeichenerfas- sungen im Straßenverkehr wurden zuerst und im größten Umfang in Berlin durchgeführt. Anhand der Kennzeichen können detaillierte technische Daten der Fahrzeuge vom Kraftfahrtbundesamt und von der Berliner Zulassungsbe- hörde bereitgestellt werden. Aus diesen Daten sowie aus den langjährigen Messreihen des Berliner Luftgütemess- netzes lässt sich die Reduzierung des Schadstoffausstoßes der Fahrzeugflotte in Berlin und die Wirkung auf die Luftqualität bestimmen. Für die Stufe 2 der Umweltzone ergaben sich folgende Ergebnisse:  Fast 90 % aller Dieselfahrzeuge haben ein Partikelminderungssystem .  Gut 98 % der Pkw und über 85 % der Lkw haben eine grüne Plakette.  Der Rußausstoß des Straßenverkehrs konnte im Vergleich zum Trend ohne Umweltzone um et- wa 60 %, der Stickoxidausstoß um etwa 20 % gesenkt werden.  Die gesundheitsschädliche Ruß-Zusatzbelastung der Luft an Hauptverkehrsstraßen durch den dort fahrenden, lokalen Verkehr konnte halbiert wer- den. Nach Untersuchungen des Epidemiologien Prof. Dr. Wichmann vom Helmholtz-Institut München wurden durch die reduzierte Diesel- rußbelastung etwa 144 vorzeitige Todesfälle pro Jahr vermieden.  Ohne die Umweltzone wäre die Feinstaubbelastung an Hauptverkehrsstraßen im Jahresmittel um etwa 2 - 3 µg/m³ oder bis zu 10 % höher. Damit wären ohne Umweltzone circa 10 zusätz- liche Tage mit Überschreitungen des Tages- grenzwertes von 50 µg/m³ zu erwarten. Nur so konnten die Feinstaubgrenzwerte in 2012 und 2013 an allen Verkehrsstationen eingehalten werden.  Ohne die Umweltzone wäre die NO2-Belastung an Hauptverkehrsstraßen etwa 2 µg/m³ oder etwa 5 % höher. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 972 2 Frage 2: Beabsichtigt der Senat über die Auswirkun- gen der Berliner Umweltzone eine externe, wissenschaft- liche Studie in Auftrag zu geben (ggf. auch mit Koopera- tionen aus Wirtschaft und Wissenschaft zur Kostenmini- mierung der Studie)? Antwort zu 2: Sowohl zur Stufe 1 als auch zur Stufe 2 der Umweltzone wurden Studien zur Wirksamkeit mit externer Unterstützung durchgeführt. Die wesentlichen Ergebnisse sind zu Antwort 1 zitiert. Vorgehensweise und Ergebnisse der Studien sind in Fachkreisen und bei den Verwaltungsgerichten anerkannt. Die Beauftragung weiterer Untersuchungen ist derzeit nicht vorgesehen. Die sehr begrenzten finanziellen Res- sourcen werden für die Umsetzung weiterer Maßnahmen des Luftreinhalteplans 2011-2017 benötigt. Auf Anfrage wissenschaftlicher Einrichtungen wurden und werden alle verfügbaren Daten zur Umweltzone (Zu- sammensetzung der Fahrzeugflotte und Messwerte der Luftqualität und Meteorologie) zur Verfügung gestellt. Frage 3: Wie viele Verstöße im Rahmen einer Ord- nungswidrigkeit konnten ab dem Jahr 2010 registriert werden? Antwort zu 3: Vom 1.1.2010 bis zum 30.11.2013 wurden insgesamt 212.747 Ordnungswidrigkeiten regis- triert, davon 167.724 bei auswärtigen, d.h. nicht in Berlin zugelassenen Fahrzeugen. Frage 4: Gibt es in diesem Zusammenhang signifikan- te Verstöße von angemeldeten Fahrzeugen mit ausländi- schen KFZ-Kennzeichen (wenn ja, Länderstatistik erbeten und wie wirkt der Senat den Verstößen entgegen)? Antwort zu 4: Hierzu liegen keine Daten vor. Verstöße von Fahrzeugen mit ausländischen Kennzeichen werden regulär geahndet, aber nicht separat erfasst. Um Fahrzeughalterinnen und Fahrzeughalter aus dem Ausland zu informieren, wurden Informationen zur Um- weltzone und zur Plakettenpflicht in sieben Sprachen übersetzt und sind online unter www.berlin.de/umweltzone abrufbar. Die Zulassungsbehörde bietet in englischer Sprache ihre Online-Bestellmöglichkeit für Plaketten auch für ausländische Fahrzeuge an. Frage 5: Wie bewertet der Senat das aktuelle Utrechter Modell zur Einrichtung einer Umweltzone, wonach mit- tels einer sogenannten Abwrackprämie die Verschrottung von älteren Dieselfahrzeugen prämiert wird und dadurch zusätzlicher Anreiz zum Erwerb umweltfreundlicher Fahrzeuge gegeben wird? Antwort zu 5: Eine Umweltzone gibt es in Utrecht be- reits seit 2007 für schwere Nutzfahrzeuge > 3,5 t und seit 2013 auch für leichte Nutzfahrzeuge < 3,5 t. Gefordert wird für Dieselfahrzeuge mindestens der Abgasstandard 4, eine Nachrüstung älterer Fahrzeuge wird nicht aner- kannt. Damit ist die Regelung strenger als in Berlin. Ab 1.1.2015 gilt diese Anforderung in Utrecht auch für Pkw. Dabei werden Fahrzeughalterinnen und Fahrzeughalter mit älteren Fahrzeugen durch eine Abwrackprämie unter- stützt, wenn sie ein Neufahrzeug mit dem Abgasstandard Euro 6 oder ein Elektrofahrzeug anschaffen. Die Prämien sind gestaffelt nach Art des Fahrzeugs und dem Anschaf- fungszeitpunkt und liegen für Pkw bei 1500 € für ein Euro-6-Fahrzeug und ca. 3000.- Euro für ein Elektrofahr- zeug. Ob eine Prämie auch 2007 zum Start der Umwelt- zone gezahlt wurde, ist nicht bekannt. Grundsätzlich ist eine Prämie für die Neuanschaffung eines besonders emissionsarmen Fahrzeugs im Vorfeld der Einführung einer Umweltzone hilfreich und reduziert die wirtschaftlichen Belastungen für Betroffene. Auch vor Einführung der Stufe 2 der Berliner Umweltzone im Jahr 2010 gab es auf nationaler Ebene in Deutschland eine Abwrackprämie, allerdings nur für Pkw. Im Rahmen des Konjunkturprogramms 2 wurde im Jahr 2009 die An- schaffung von Neufahrzeugen mit 2500.- € gefördert. Gefördert wurde außerdem bis Mitte 2013 die Partikelfil- ternachrüstung bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen. Für Lkw > 12 t sind die Mautsätze für die Autobahn nach Abgasstandards und Nachrüstung gestaffelt. Die finanzi- ellen Anreize für emissionsarme Lkw im Fernverkehr sind dadurch höher als in den Niederlanden. Eine För- derlücke besteht in Deutschland bei kleineren Lkw zwi- schen 3,5 und 12 t, was auch schon von Berlin in ver- schiedenen Gremien thematisiert wurde. Das Land Berlin hat bisher kein eigenes Prämienprogramm aufgelegt. Grundsätzlich ist eine einseitige direkte finanzielle Förderung der Nutzung des motorisierten Straßenverkehrs aus Steuergeldern vor dem Ziel der Entwicklung einer nachhaltigen Mobilität kritisch zu beurteilen. Dies gilt besonders für Berlin, wo nur etwa 32 % der Berlinerinnen und Berliner für ihre Wege ein Auto nutzen, während alle übrigen Wege sehr viel umweltfreundlicher zu Fuß, mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erledigt werden. Im Güterverkehr sind Nachteile für Schienen- und Schiffstransporte zu vermeiden. Eine Förderung von Euro-6- und Elektrofahrzeugen strebt auch der Luftreinhalteplan 2011-2017 an. Aller- dings kann Berlin selbst keine finanziellen Mittel für die Zahlung von Prämien aufbringen. Es werden aber von der Investitionsbank Berlin zinsgünstige Kredite angeboten, die unter Beachtung der Förderrichtlinien teilweise auch für Investition in neue Fahrzeuge genutzt werden können. Im Rahmen der Projekte zur Elektromobilität werden zudem Elektrofahrzeuge im Lieferverkehr unterstützt. Derzeit werden noch Möglichkeiten zur Gewährung anderer Vergünstigungen geprüft, z.B. eine zeitweise Befreiung von Parkgebühren. Allerdings muss dazu erst das Straßenverkehrsrecht geändert werden. Ein entspre- chender Antrag mehrerer Länder im Bundesrat wird von Berlin unterstützt. Der Berliner Senat wird sich außerdem dafür einsetzen, dass Euro-6-Lkw bei der Autobahnmaut begünstigt werden. Hier hat die alte Bundesregierung eine rechtzeitige Anpassung der Mautsätze trotz Aufforderun- gen der Länder versäumt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 12 972 3 Frage 6: Wie beurteilt der Senat darüber hinaus den niederländischen Vorstoß, den grünen Kernbereich der Umweltzone mittel- bis langfristig ausschließlich für E- Fahrzeuge zuzulassen, um die Stadt nachhaltig vor einer CO2-Überbelastung zu schützen und die Beschaffung derartiger PKW´s finanziell zu unterstützen. Antwort zu 6: Der Berliner Senat sieht in der Elekt- romobilität ein wichtiges Entwicklungsfeld. Seit April 2012 ist die Region Berlin-Brandenburg eines der vier von der Bundesregierung ausgewählten Schaufenster Elektromobilität. Über einen Zeitraum von drei Jahren werden etwa 60 Projekte mit mehr als 100 beteiligten Partnern gefördert und die verschiedensten Konzepte und Aspekte erprobt und untersucht. Eine Umweltzone nur für Elektrofahrzeuge gehört je- doch nicht zu diesen Projekten. Sofern eine solche lokal eng begrenzte Fahrverbotszone zur Reduzierung von CO2 vorgesehen wird, wird sie aus fachlicher Sicht als wenig sinnvoll und rechtlich nicht zulässig beurteilt. Denn eine Umweltzone dient der lokalen Vermeidung von Luftschadstoffen wie Dieselruß oder Stickstoffdioxid, die direkt beim Einatmen gesundheitsschädlich sind und die in Innenstädten an Hauptverkehrsstraßen in lokal stark erhöhten Konzentrationen auftreten. All dies trifft für CO2 nicht zu. CO2 ist bei den derzeitigen und auch bei den zukünftig zu erwartenden Konzentrationen beim Einat- men unschädlich. Die negative Wirkung auf die Umwelt resultiert aus der Erwärmung des Klimas durch den Treibhauseffekt. Diese Erwärmung kann dann als Folge auch zu Gesundheitsbelastungen führen (z.B. Hitzestress im Sommer). Allerdings spielt dafür der Ort der CO2- Emission überhaupt keine Rolle, da die Wirkung global auftritt. Es gibt daher keine lokale „CO2-Überbelastung“. Eine Beschränkung von Minderungsmaßnahmen auf kleine lokale Gebiete ist daher nicht zielführend. Maß- nahmen zum Klimaschutz sollten großräumig angelegt sein. Im Übrigen ist die CO2-Bilanz von Elektrofahrzeu- gen aufgrund des bundesdeutschen Strommixes derzeit auch nicht besser als die von gleichwertigen Kraftfahr- zeugen mit Verbrennungsmotor. Rechtlich zulässig sind Fahrverbote im Immissions- schutzrecht nur bei Überschreitung von Luftqualitäts- grenzwerten des Bundes-Immissionsschutzrechts, wie es in Berlin bei Stickstoffdioxid derzeit und bei Feinstaub in der Vergangenheit der Fall war. Zur Reduzierung der lokalen Belastung durch Stick- stoffdioxid und Rußpartikel (Feinstaub) sind Elektrofahr- zeuge zwar geeignet, da sie lokal keine motorbedingten Schadstoffe, sondern nur Feinstaub durch Abrieb und Aufwirbelung produzieren. Allerdings sind Verkehrsver- bote für alle anderen Fahrzeuge rechtlich nur zulässig, wenn die Überschreitung nicht mit weniger einschneiden- den Maßnahmen reduziert werden kann. Auch sollte die Zahl der betroffenen Fahrzeuge verhältnismäßig bleiben und ein ausreichend großes Angebot für erlaubte Fahr- zeuge vorhanden sein. In der Regel wird es daher in ei- nem so großen Gebiet wie der Berliner Umweltzone nicht zulässig sein, ein flächenhaftes Verkehrsverbot anzuord- nen, das zumindest noch mittelfristig fast alle Kraftfahr- zeuge, darunter auch Neufahrzeuge, trifft. Eine ausrei- chende Zahl von Elektrofahrzeugen wird selbst 2020 kaum zu erreichen sein. Für diesen Zeithorizont wird aber für Berlin bereits annähernd eine Einhaltung der Grenz- werte für Stickstoffdioxid aufgrund der dann ausreichend hohen Zahl von Fahrzeugen mit dem Abgasstandard Euro 6 prognostiziert. Auch der Beitrag der motorbedingten Partikel zu Überschreitung des PM10-Grenzwertes wird dann so niedrig sein, dass sich damit ein verschärftes Fahrverbot nicht mehr begründen lässt. Berlin, den 15. Januar 2014 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Jan. 2014)