Drucksache 17 / 13 009 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Fabio Reinhardt und Martin Delius (PIRATEN) vom 17. Dezember 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Dezember 2013) und Antwort „Willkommensklassen“ an Berliner Schulen II – Ausgrenzung statt Inklusion und Chancengerechtigkeit ? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat die Kritik zahlreicher Ver- bände und Vereine an den “Willkommensklassen”, diese “Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse“ würden die Ausgrenzung und die Diskriminierung neu zugewanderter Kinder und Jugendliche aufgrund der räumlichen und sozialen Trennung zu den Regelklassen fördern? Zu 1.: Alle Kinder und Jugendlichen, die aufgrund ei- ner schulinternen Feststellung die Sprache Deutsch nicht ausreichend beherrschen, um dem Unterricht zu folgen, erhalten Sprachförderung. Das gilt sowohl für Schülerin- nen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache als auch für einsprachig Deutsch aufgewachsene Schülerinnen und Schüler. Die Sprachfördermaßnahmen können sowohl im Rahmen des Fachunterrichts (integrativ) als auch zusätz- lich zum Unterricht der Stundentafel (additiv) durchge- führt werden. In § 15 Absatz 2 Schulgesetz für das Land Berlin (SchulG) heißt es: „Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache, die die deutsche Sprache so we- nig beherrschen, dass sie dem Unterricht nicht ausrei- chend folgen können und eine Förderung in Regelklassen nicht möglich ist, sollen in besonderen Lerngruppen zu- sammengefasst werden, in denen auf den Übergang in Regelklassen vorbereitet wird.“ Der Besuch der Lerngruppe für Neuzugänge ist zeit- lich befristet und gibt den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich in der neuen Umgebung zunächst sprachlich einzugewöhnen. Die Konzentration auf Spracherwerb ist in einer Regelklasse nicht umsetzbar. Die räumliche Trennung ist eine temporäre. Ziel des Un- terrichts ist die schnellstmögliche Integration der Kinder und Jugendlichen in den regulären Unterricht, d.h. in Regelklassen. 2. Wie bewertet der Senat den Widerspruch der “Willkommensklassen ” zum Art. 24 Abs. 1 der UN-BRK, in dem ausgeführt wird, dass die Vertragsstaaten auf Grund- lage der Chancengleichheit das Recht auf Bildung ohne Diskriminierung anerkennen und ein inklusives Bildungs- system verwirklichen? Zu 2.: Temporäre Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse stehen nicht im Widerspruch zur UN- Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinde- rungen. 3. Liegen dem Senat Kenntnisse oder Berichte vor, dass Kinder und Jugendliche, die „Willkommensklassen“ besuchen von Schülerinnen und Schülern, als auch von Lehrkräften oder Schulleitungen benachteiligt oder dis- kriminiert werden? 4. Wenn ja: Sieht der Senat zwischen den Diskrimini- sierungsvorfällen und der Segregation neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler in “Willkommensklassen” Zusammenhänge? 5. Was unternimmt der Senat, um diese Vorfälle zu mindern oder zu verhindern? Zu 3. – 5.: Es liegen dem Senat keine Kenntnisse oder Berichte dazu vor. 6. Welche Fortbildungen zur Aufklärung und zur Sen- sibilisierung und zur interkulturellen Bildung, Didaktik und Pädagogik bietet der Senat präventiv den Schullei- tungen und Lehrkräften an? a) Wie häufig fanden diese Fortbildungen in den Schuljahren 2007/2008 bis 2012/2013 statt? b) Wie viele Lehrkräfte nahmen an den Fortbildungen jeweils teil? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 009 2 Zu 6.: Grundlage für jedes erzieherische und unter- richtliche Handeln von Berliner Lehrkräften, auch für die Interkulturelle Bildung und Erziehung, ist das Schulgesetz für Berlin. Für die Umsetzung an Schulen und anderen Einrichtungen hat der Senat im Jahr 2001 die Handrei- chung „Interkulturelle Bildung und Erziehung“ herausgegeben http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bil- dung/politische_bildung/interkult.pdf?start&ts=11573140 58&file=interkult.pdf Ergänzungen und Erläuterungen sind im Fachbrief „Interkulturelle Bildung und Erziehung“, der seit Dezember 2006 regelmäßig erscheint, zu finden http://bildungsserver.berlin-branden- burg.de/fachbriefe_interkulturelle_bildung_und_erzie- hung.html Zur Sensibilisierung von Lehrkräften finden zahlrei- che überregionale und regionale Fortbildungen und Fach- tagungen zu diesen Themen statt. Auf Grund der zahlrei- chen Veranstaltungen zu diesen Themen werden hier nur exemplarisch Beispiele aufgeführt: 23.11.2011 Fachtagung „Sinti- und Roma-Schülerinnen /Schüler“ 22.10.2012 "Neu zugezogene Schülerinnen und Schü- ler - Umgang mit Heterogenität in Unterricht, Schul- alltag und –umfeld“ 21.03.2013 Fachtagung „Interkulturelle Bildung als Herausforderung und Chance – Eine Schule für alle entwickeln“ 16.09.2013 "Für eine inklusive Schulkultur - Vielfalt fördern, Chancengleichheit in Unterricht und Schulall- tag schaffen" 7. Wie setzten der Senat, die Schulaufsicht, die Be- zirke und die Schulen § 2 Abs.1 SchulG um? a) Hält der Senat diese Anti-Diskriminierungsricht- line im SchulG weiterhin für aktuell und für aus- reichend, um Diskriminierungstatbestände gegen zugewanderte Kinder und Jugendliche zu erfassen und um diese nachzuweisen? Zu 7.: § 2 Absatz 1 SchulG ist verbindliches Recht und wird von allen staatlichen Behörden beachtet und umgesetzt. Jeglicher Diskriminierung oder Verzögerung bei der Aufnahme in eine Berliner Schule wird nachge- gangen. 8. Wie bewertet der Senat die Idee einer zentralen An- ti-Diskriminierungsstelle für neu zugewanderte Kinder, Jugendliche und ihre Erziehungsberechtigten, um den § 2 Abs. 1 SchulG umzusetzen? Zu 8.: Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat eine eigene Beschwerdestelle. Darüber hinaus können sich Bürgerinnen und Bürger an die Lan- desstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS) wenden. Die Einrichtung einer weiteren Stelle ist nicht erforderlich. 9. Ist dem Senat die Studie „From Segregation to Inclusion “ des Roma Education Fund aus dem Jahr 2011 bekannt, die in ihren Ergebnissen feststellt, dass Kinder aus Roma-Familien, die in der Tschechischen Republik oder in der Slowakei in separaten Schulen unterrichtet wurden und dort schlechte bis mittlere Schulleistungen vorwiesen nach der Inklusion in die Regelschule so gut gefördert werden konnten, dass innerhalb von ein bis zwei Jahren lediglich 2 bis 4 Prozent von ihnen einen Förder- bedarf aufwiesen? a) Wenn ja, wie bewertet der Senat diese Ergebnisse? 10. Welche Schlussfolgerungen schließt der Senat aus den Ergebnissen dieser Studie für die Beschulung von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen ohne Sprach- kenntnisse? Zu 9. und 10.: Der Senat möchte die Ergebnisse dieser Studie nicht kommentieren, da sie für Berliner Verhält- nisse keine Relevanz haben. In dieser Studie wird die Entwicklung von Kindern der ethnischen Minderheit Roma, die aus der Tschechischen Republik und der Slo- wakei nach Großbritannien ausgewandert sind, unter- sucht. Die Kinder sind in ihren Herkunftsländern aus- schließlich in separaten Schulen untergebracht und unter- richtet worden. Die Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkennt- nisse in Berlin werden in der Regel in den bestehenden Schulbetrieb einer Schule integriert. Sie sind in jedem Fall temporär. 11. Welche Senatsverwaltungen, welche Abteilungen, welche Referate, welche Ämter in welchen Bezirken und welche weiteren Stellen waren an der Beantwortung die- ser Kleinen Anfrage beteiligt? 12. Haben Sie noch etwas hinzuzufügen? Zu 11. und 12.: Zuständig für die Bearbeitung ist der Senat, vertreten durch die federführende Senatsverwal- tung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Berlin, den 13. Januar 2014 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Feb. 2014)