Drucksache 17 / 13 063 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Susanne Graf (PIRATEN) vom 16. Januar 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Januar 2014) und Antwort Geschlossene und teilgeschlossene Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Aufgrund welcher rechtlichen, finanziellen, oder sozialpädagogischen Grundlagen und Einsichten und aufgrund welcher Anlässe hat das Land Berlin beschlos- sen, keine geschlossene Einrichtungen über Tag und Nacht gemäß der §§ 34, 35 und 42 SGB VIII sowie ge- mäß § 1631b BGB mehr anzubieten? a) Wann geschah dies? b) Wie wurden die Einrichtungen abgewickelt? c) Was geschah mit den betreuten Kindern und Ju- gendlichen? d) Welche Auswirkungen hat dies auf die verantwort- lichen Träger? 2. Handelt es sich bei dem im August 2012 in der Nähe des Tegeler Sees eröffneten Heim für „kriminelle Kinder“ um eine geschlossene Einrichtung über Tag und Nacht gemäß der §§ 34, 35 und 42 SGB VIII sowie ge- mäß § 1631b BGB? a) Wenn ja, wie verhält sich diese Tatsache mit der Aussage des Senats am 14. November 2013 im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie, es gä- be in Berlin keine geschlossenen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe? b) Wie viele Plätze bietet das Heim für betroffene Kinder bis 13 Jahren und wie viele für betroffene Jugendliche von 14 bis 18 Jahren an? c) Wie ist das Heim seit der Eröffnung im August 2012 ausgelastet? d) Wie viele Mitarbeiter*innen sind in dem Heim zurzeit für wie viele betroffene Kinder und Ju- gendliche zuständig? 3. Gibt es teilgeschlossene Einrichtungen über Tag und Nacht gemäß der §§ 34, 35 und 42 SGB VIII sowie gemäß § 1631b BGB in Berlin? a) Wenn ja, wie viele und in welchen Regionen Ber- lins befinden sich diese? b) Wenn ja, welche Träger bieten in welchen Regio- nen wie viele Plätze jeweils an? c) Wenn ja, wie hoch ist aktuell die Auslastung dieser Einrichtun- gen und wie hat sich diese in den letzten zwei Jah- ren entwickelt? c) Wenn ja, wie hoch ist aktuell die Auslastung dieser Einrichtungen und wie hat sich diese in den letzten zwei Jahren entwickelt? Zu 1., 2. und 3.: Die für Jugend und Familie zustän- dige Senatsverwaltung verfolgt das Ziel, mit intensivpä- dagogischen Konzepten im Sinne einer „verbindlichen Betreuung“ (vgl. fachliche Positionierung 8/2006: “Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen im Rahmen geschlossener Unterbringung“) besonderen Betreuungsbedarfen Rechnung zu tragen. Eine ggf. auf längere Zeit angelegte Heimerziehung im Rahmen der Hilfen zur Er- ziehung gemäß §§ 27, 34 Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII) zielt immer auf eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten, die Kinder und Jugendliche entsprechend ihrem Alter und Entwicklungsstand in ihrer Entwicklung fördern und nach Möglichkeit eine Verbesserung der Erziehungsbe- dingungen in der Herkunftsfamilie erreichen soll. Frei- heitsentziehende Maßnahmen können daher grundsätzlich kein Mittel der Erziehung sein. Sie sind im SGB VIII ausdrücklich nur im Rahmen der Inobhutnahme zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes oder des Jugendlichen oder eine Gefahr für Leib oder Leben Dritter abzuwenden und bedürfen in jedem Einzelfall der Genehmigung des Fami- liengerichtes (vgl. § 42 Abs. 5 SGB VIII in Verbindung mit § 1631b Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Die für Jugend und Familie zustände Senatsverwal- tung hat bei der Implementierung der Berliner Krisen- und Clearingeinrichtung großen Wert darauf gelegt, dass freiheitsentziehende Maßnahmen nur als ultima ratio bei Selbst- und Fremdgefährdung angewandt werden. Die Krisen- und Clearingeinrichtung ist auf Grundlage des § 42 SGB VIII (Inobhutnahme) konzipiert. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 063 2 Sie richtet sich an massiv gefährdete/straffällige Minder- jährige im Alter zwischen 13 und 16 Jahren. 11,25 Mitar- beiterinnen und Mitarbeiter betreuen entsprechend der intensivpädagogischen Konzeption bis zu 7 Kinder und Jugendliche. In der Regel sind zwischen drei und fünf Plätze belegt. Der Aufenthalt ist auf bis zu drei Monate begrenzt. 4. Wie viele offene Einrichtungen über Tag und Nacht gemäß der §§ 34 und 35 SGB VIII gibt es in Berlin? a) In welchen Regionen befinden sich diese? b) Welche Träger bieten wie viele Plätze jeweils an? c) Wie hoch ist aktuell die Auslastung dieser Einrich- tungen und wie hat sich diese in den letzten zwei Jahren entwickelt? Zu 4.: Zum Stichtag 31.12.2012 gab es in Berlin 5763 stationäre Betreuungsplätze gemäß §§ 34, 35 ggf. in Ver- bindung mit 35a SGB VIII. 115 Leistungsanbieter (Trä- ger) haben Leistungsangebote im Umfang von 2 Plätzen bis 625 Plätzen an zahlreichen verschiedenen Standorten in allen Bezirken eingerichtet. 5. Wie viele geschlossene Einrichtungen über Tag und Nacht gemäß der §§ 34, 35 und 42 SGB VIII sowie ge- mäß § 1631b BGB in welchen Bundesländern sind dem Senat bekannt? a) Welche Träger zeichnen sich für welche geschlos- senen Einrichtungen in welchen Bundesländern verantwortlich? b) Gibt es spezialisierte Einrichtungen für bestimmte Fallgruppen? Wenn ja, diese bitte in der Auflis- tung angeben. 6. In wie vielen geschlossenen Einrichtungen über Tag und Nacht in Deutschland werden aktuell wie viele Berli- ner Kinder und Jugendliche gemäß der §§ 34, 35 und 42 SGB VIII sowie gemäß § 1631b BGB betreut, erzogen oder resozialisiert? (bitte sofern möglich nach Bundeslän- dern und nach den im § 7 SGB VIII betroffenen Alters- gruppen aufschlüsseln) a) In wie vielen teilgeschlossenen? b) In wie vielen offenen? Zu 5. und 6.: Die gewünschten Daten werden vom Land Berlin nicht erfasst. Das Deutsche Jugend Institut e.V. München (DJI) veröffentlicht in seinem Internetan- gebot eine Liste der Jugendhilfe-Einrichtungen mit der Möglichkeit der Unterbringung nach § 1631b BGB, aus der die erfragten Angaben hervorgehen bzw. zu ermitteln sind (vgl. www.dji.de). Nach Auskunft der Berliner Jugendämter waren im Verlauf des Jahres 2013 insgesamt 24 Berliner Minder- jährige aufgrund einer Selbst- und Fremdgefährdung in Verbindung mit § 1631b BGB untergebracht. Davon wurden 12 in der Berliner Krisen- und Clearingeinrich- tung, 5 in Brandenburg, 3 in Bayern, 2 in Nordrhein- Westfalen und jeweils 1 Minderjähriger in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz betreut. 7. Welche konkreten Anhaltspunkte, welche Kriterien und welche Gründe führen in den bezirklichen Jugend- ämtern und im Familiengericht regelmäßig zu Entsendung von Berliner Kindern und Jugendlichen zur Erziehung in geschlossene Einrichtungen über Tag und Nacht und zur Freiheitsentziehung gemäß der §§ 34, 35 und 42 SGB VIII sowie gemäß § 1631b BGB? a) Was versteht der Senat, was verstehen die bezirkli- chen Jugendämter und was versteht das Familien- gericht in Berlin konkret unter der häufig als Grund aufgeführten „Selbst- und Fremdgefährdung “? b) Gibt es zur Entsendung von Berliner Kindern und Jugendlichen in geschlossene Einrichtungen ande- rer Bundesländer in den bezirklichen Jugendäm- tern einschlägige Zielvereinbarungen oder interne Arbeitsanweisungen? Wenn ja, bitte diese nennen und beifügen. c) Falls diese nicht beigefügt werden können: Auf- grund welcher Kriterien und welcher Grundlagen wird ein Geheimhaltungsinteresse angenommen? 8. Welche Alternativen zur geschlossenen Unterbrin- gung bzw. zur Freiheitsentziehung betroffener Kinder und Jugendlicher stehen den bezirklichen Jugendämtern in Fällen der „Selbst- und Fremdgefährdung“ zur Verfügung ? a) Wie häufig werden welche Alternativen in wel- chen bezirklichen Jugendämtern genutzt? 9. Wie bezeichnet der Berliner Senat und wie bezeich- nen die bezirklichen Jugendämter die Kinder und Jugend- lichen, die gemäß der §§ 34, 35 und 42 SGB VIII sowie gemäß § 1631b BGB in geschlossenen Heimen unterge- bracht werden? a) Wie begründet der Senat diese Bezeichnung? b) Wie bewertet der Senat den am 14. November 2013 im Ausschuss für Bildung, Jugend und Fa- milie und die in der Roten Nr. 0353 verwendeten Begriff „kriminelle Kinder“ hinsichtlich der Strafunmündigkeit der Betroffenen bis 14 Jahren ge- mäß § 19 StGB? Zu 7., 8. und 9.: Eine freiheitsentziehende Unterbrin- gung ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Meist sind dieser Entscheidung erhebliche Anstrengungen von den Eltern, den zuständigen Jugendämtern und anderen Beteiligten vorausgegangen, um eine geeignete Hilfe im Vorfeld zu finden. Das Familiengericht kann die Ent- scheidung des bzw. der Personensorgeberechtigten (bzw. Vormünderin/Vormunds oder Pflegerin bzw. Pflegers) für eine freiheitsentziehende Unterbringung genehmigen, wenn diese Maßnahme im Einzelfall zum Wohl des Kin- des als letztes und einziges Mittel erforderlich ist und der Gefahr in diesem Einzelfall nicht auf andere Weise be- gegnet werden kann. Zielvereinbarungen oder Arbeitsan- weisungen zur Entsendung Berliner Kinder in geschlos- sene Einrichtungen anderer Bundesländer sind nicht abge- schlossen worden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 063 3 In Anbetracht der immer individuell im Einzelfall zu klärenden Voraussetzungen wären solche Vereinbarungen für die Zielgruppe der massiv gefährdeten/straffälligen Minderjährigen nicht angemessen. 10. Wie kontrolliert der Senat und wie kontrollieren die bezirklichen Jugendämter die Betreuung, Erziehung und Resozialisierung der Berliner Kinder und Jugendli- chen, die in geschlossenen Einrichtungen über Tag und Nacht in den anderen Bundesländern untergebracht sind? a) Wie stellen der Senat und wie stellen die bezirkli- chen Jugendämter das Kindeswohl der Betroffenen fernab von Berlin sicher? b) Wie häufig werden von wem Kontrollen vor Ort durchgeführt? Zu 10.: Für alle Unterbringungen tragen die Jugend- ämter in den Bezirken die Verantwortung für die indivi- duelle Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII. Mit dem Ju- gend-Rundschreiben 2/2013 hat die für Jugend zuständige Senatsverwaltung die Voraussetzungen und das konkrete Vorgehen bei der Unterbringung in Verbindung mit frei- heitsentziehenden Maßnahmen im Rahmen der Jugend- hilfe auf Grundlage des § 42 Abs. 5 SGB VIII berlinein- heitlich geregelt. Das Rundschreiben wurde in Abstim- mung und Zusammenarbeit mit den Bezirken, den Se- natsverwaltungen für Justiz und Verbraucherschutz, für Inneres und Sport bzw. mit der Polizei erstellt. In dem Rundschreiben wird insbesondere über die rechtlichen Rahmenbedingungen, über den Rechtsschutz der Min- derjährigen, aber auch über das konkrete Vorgehen in- formiert und es sind Arbeitshilfen beigefügt. Ferner erfol- gen Hinweise auf die Verpflichtung zur Aufhebung von freiheitsentziehenden Maßnahmen. Darüber hinaus ist zum 01.02.2014 die Neufassung der Ausführungsvor- schriften zur Hilfeplanung (AV-Hilfeplanung) in Kraft gesetzt worden. In den Ausführungsvorschriften wird ausdrücklich auf die Verfahrens- und Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen hingewiesen und eine auf den Bedarf des Einzelfalls bezogene Hilfeplanung und Hilfeplanüber-prüfung verbindlich vorgegeben. Mit der Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle in der Berliner Jugendhilfe, die im 2. Quartal 2014 ihren Betrieb aufnehmen wird, wird eine weitere Möglichkeit zur Un- terstützung und Beschwerde im Einzelfall eröffnet. 11. Wie ist die Aufsicht der Kinder- und Jugendheime innerhalb und außerhalb Berlins geregelt? a) Wie viele Mitarbeiter*innen sind im Rahmen der Heimaufsicht für wie viele Fälle zurzeit beschäf- tigt? b) Wie viele Mitarbeiter*innen führen im Rahmen der Heimaufsicht in welchen regelmäßigen Ab- ständen wie viele Kontrollen in Kinder- und Ju- gendheimen durch? Zu 11.: Gesetzliche Grundlage für die Einrichtungs- aufsicht des Landes Berlin sind §§ 45 ff SGB VIII in Verbindung mit §§ 30 ff Gesetz zur Ausführung des Kin- der- und Jugendhilfegesetzes (AG KJHG). Die Zustän- digkeit der Einrichtungsaufsichten ist länderbezogen. Die Einrichtungsaufsicht ist mit 4 Vollzeitäquivalenten ausgestattet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungsaufsicht sind zuständig für 192 Träger, die in Berlin betriebserlaubnispflichtige teilstationäre und stati- onäre Angebote mit insgesamt etwa 8200 Plätzen betrei- ben. Sie führen nach Erteilung der Betriebserlaubnis - entsprechend den o.g. gesetzlichen Grundlagen - anlass- bezogene Kontrollen in den Einrichtungen durch. 12. Welche Senatsverwaltungen, welche Abteilungen, welche Referate, welche Ämter in welchen Bezirken und welche weiteren Stellen waren an der Beantwortung die- ser Kleinen Anfrage beteiligt? 13. Haben Sie noch etwas hinzuzufügen? Zu 12. und 13.: Zuständig für die Bearbeitung ist der Senat, vertreten durch die federführende Senatsverwal- tung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Berlin, den 03. März 2014 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Mrz. 2014)