Drucksache 17 / 13 068 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Lompscher (LINKE) vom 16. Januar 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Januar 2014) und Antwort Umfang, Ergebnisse und Resultate archäologischer Forschungen auf dem Tempelhofer Feld Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Seit wann, wie lange und an welchen kon- kreten Standorten fanden und finden archäologische Gra- bungen auf dem Tempelhofer Feld statt (bitte nach ein- zelnen Grabungsstellen auflisten)? Antwort zu 1: Bei sämtlichen Grabungen im Bereich des Tempelhofer Flugfeldes handelt es sich um archäolo- gische Prospektionen. Sie dienen der Vorerkundung, um den Erhaltungszustand der Überreste der erwarteten Zwangsarbeiterinnen- und Zwangsarbeiterstandorte zu erkunden. Das eröffnet die Möglichkeit, sie in die Neuge- staltungen/-bebauungen gegebenenfalls einzubeziehen. Andererseits können die bei bauseitigen Bodeneingriffen nach Veranlasserprinzip erforderlichen Rettungsgrabun- gen hinsichtlich ihres zeitlichen und finanziellen Umfan- ges besser geplant und fristgerecht durchgeführt werden. Im Einzelnen handelt es sich um vier Grabungsberei- che. Zwangsarbeiterinnen- und Zwangsarbeiterlager der Lufthansa „Lilienthallager“ und Alter Zentralflughafen: Grabung vom 09.07.2012-11.10.2012. Die Untersu- chungsflächen befanden sich südlich des Columbiafried- hofs (heute Rasenflächen am Rande des Flugfeldes) und im Bereich des Alten Zentralflughafens (heute hügeliges Gelände auf dem Flugfeld). Zwangsarbeiterinnen- und Zwangsarbeiterlager „Barackenlager am Columbiadamm“ der ehemaligen „Weser Flugzeug GmbH“ (aufgegangen in EADS): Grabung vom 03.06-21.06./22.07.-11.10.2013. Die Untersuchungsflä- chen befanden sich zwischen dem heutigen Columbiaf- riedhof und dem Flughafengebäude (Sagebielbau) am Columbiadamm (heute Rasenflächen am Rande des Flug- feldes). Konzentrationslager (KZ) Columbia: Grabung vom 24.06. bis 19.07. 2013. Die Untersuchungsfläche befand sich am Columbiadamm gegenüber von den Polizeikaser- nen (heute Gehwegbereich). Zwangsarbeiterinnen- und Zwangsarbeiterlager „Barackenstadt Süd“ (am geplanten Standort der Zentral- und Landesbibliothek): Grabung vom 14.10.-29.11. 2013 (wird vom 1.4.-30.06.2014 fortgesetzt und abgeschlos- sen). Die Untersuchungsflächen befinden sich am Tem- pelhofer Damm (heute Rasenflächen am Rande des Flug- feldes). Frage 2: Wie hoch sind die Gesamtkosten für die bis- lang in Auftrag gegebenen Grabungen und wie werden diese finanziert? Antwort zu 2: Die Gesamtkosten setzen sich zusam- men aus reinen Grabungskosten und Baunebenkosten (Baustelleneinrichtung, Erdarbeiten, Beseitigung konta- minierter Böden, Kampfmittelbergungsdienst u.a.m.). Die reinen Grabungskosten für den Zeitraum 09.07.2012- 30.06.2014 betragen rund 628.000,- €. Die Finanzierung erfolgt aus dem Einzelplan 12. Frage 3: Welche Ergebnisse haben die Grabungen in Bezug auf den Nachweis und originale Spuren des frühe- ren SS-Gefängnisses, des Konzentrationslagers Colum- bia-Haus am nördlichen Rand des Feldes sowie der Zwangsarbeiterbaracken an verschiedenen Standorten des Areals erbracht? Antwort zu 3: Es konnten eindeutige und aussage- kräftige Befunde der Zwangsarbeiterinnen- und Zwangs- arbeiterlager und des KZ Columbia nachgewiesen wer- den. So fanden sich neben den Überresten der Unter- kunftsbaracken für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangs- arbeiter auch ehemalige Zaunanlagen, die die Baracken umgaben sowie mit Funden verfüllte Feuerlöschteiche, Abfallgruben und Luftschutzgräben. Die Befunde wider- spiegeln den Lageraufbau und dessen Logistik. Darüber hinaus wurden eine Vielzahl persönlicher Gegenstände der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gefunden, die einen ersten Einblick in das karge Lager- alltagsleben, mangelnde Versorgung und unhygienische Verhältnisse erlauben. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 068 2 Erstmals gelang es auch nachzuweisen, dass das Ge- lände durch die U.S.-Streitkräfte in der Nachkriegszeit stark verändert wurde. Im Bereich des ehemaligen KZ Columbia wurde, un- geachtet der Abrisses des Gebäudes und dessen Tie- fenentrümmerung im Jahr 1938, die nördliche Fassaden- standspur und ein mit großer Wahrscheinlichkeit zum KZ Gebäude gehörendes Mauerteil aufgefunden und als des- sen letztes Relikt geborgen und gesichert. Frage 4: Welche Erkenntnisse haben die Grabungen in Bezug auf die Rolle des Tempelhofer Feldes als Erpro- bungsstelle, Flugzeugfabrik, Forschungsstelle sowie der Luft- und Raumfahrt erbracht? Antwort zu 4: Neben den archäologischen Ausgra- bungen wurden Zeitzeuginnen- und Zeitzeugenberichte gesammelt und im Winter 2012/13 im Tempelhofer Ar- chiv eine erste Aktenrecherche durchgeführt. So konnte archäologisch und durch historische Über- lieferungen nachgewiesen werden, dass auch der Alte Zentralflughafen während des 2. Weltkrieges als Arbeits- stätte für Zwangsarbeiterinnen- und Zwangsarbeiter dien- te und dort für die Rüstungsproduktion und Reparatur deutscher Flugzeuge, Funkgeräte und Spezialversionen deutscher Flugzeuge, die in der Schlussphase des 2. Welt- krieges hergestellt wurden, gearbeitet wurde. Des Weite- ren konnte der historische Schriftzug „BERLIN“ des alten Flughafens von 1924 teilweise freigelegt werden. Ferner wurden die beteiligten Firmen und deren Netzwerke während der NS-Zeit ermittelt und wie sie direkt und indirekt von der Flugzeugrüstungsproduktion auf dem Tempelhofer Flugfeld profitierten. Neben den Herstellerfirmen der Flugzeuge und Funkgeräte können mittlerweile auch die Zulieferfirmen und –institutionen der Lager benannt und deren Warenlieferverkehr eruiert werden. Weiterhin ist es möglich Firmen zu benennen, die das KZ Columbia beseitigten, um das von den National- sozialisten konzipierte Flugfeld entstehen zu lassen, bzw. die die Baufelder für den Bau der Zwangsarbeiterinnen- und Zwangsarbeiterlager anlegten. Frage 5: Wo werden die bisherigen archäologischen Funde gelagert und inwieweit gibt es Planungen, diese Funde öffentlich und wissenschaftlich aufbereitet dauer- haft auszustellen? Antwort zu 5: Die archäologischen Funde der Gra- bungen sind derzeit auf dem Flugfeld gesichert verwahrt. Es wird nach einer dauerhaften Unterbringung der Funde, möglicht in einem öffentlichen Rahmen und vor Ort, gesucht. Derzeit werden die Funde wissenschaftlich bear- beitet und der Grabungsbericht wird erstellt. Frage 6: Inwieweit nehmen die geplanten Baufelder und Nutzflächen des Masterplans Rücksicht auf die unter 3 und 4 erfragten Standorte bzw. Erkenntnisse? Antwort zu 6: Über die Sichtbarmachung und Erhal- tung historischer Spuren wird im Expertenkreis des „Runden Tisches“ unter der Leitung von Herrn Prof. Nachama bei der Stiftung Topographie des Terrors noch beraten. Parallel ist die Erhaltbarkeit und Präsentierbar- keit von Funden zu klären. Frage 7: Wie ist der Stand des Konzeptes für die Schaffung eines Gedenk- und Lernortes, wie es 2011 vom Abgeordnetenhaus einstimmig beschlossen wurde (Drs. 16/4267 - Schaffung eines Gedenk- und Informationsortes am Columbiadamm bei der Entwicklung des Tempelhofer Feldes berücksichtigen)? Antwort zu 7: Die Beratungen des o.g. „Runden Tisches“, wie ein solcher Gedenk- und Informationsort am Columbiadamm beschaffen sein kann, sind noch nicht abgeschlossen. Frage 8: Wie ist der konzeptionelle und finanzielle Stand des beabsichtigten Umzugs des Alliierten-Museums in einen der Hangars? Antwort zu 8: Es ist seitens des Bundes und des Lan- des Berlin beabsichtigt, das AlliiertenMuseum im Hangar 7 des Tempelhofer Flughafens anzusiedeln. In diesem Jahr soll ein Architekturwettbewerb für das Projekt aus- gelobt und durchgeführt werden. Eine formelle Entschei- dung über die Umsetzung ist nicht vor 2015 zu erwarten. Die Leiterin des AlliiertenMuseums, Frau Dr. Gundula Bavendamm, ist Teilnehmerin des Runden Tisches „Historische Markierung Tempelhofer Feld“. Auch bestehen enge Kontakte zwischen dem AlliiertenMuseum und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die auf dem Tempelhofer Feld die Ausgrabungen durchführen. Die Finanzierung des AlliiertenMuseums erfolgt durch die Beauftragte des Bundes für Kultur und Medien. Frage 9: Wie bewertet der Senat den Vorschlag, die Erweiterung des islamischen Friedhofes nicht auch dem Areal des ehemaligen Lagers der sowjetischen Kriegsge- fangenen am Columbiadamm, sondern auf dem Fried- hofsgelände in der Lilienthalstraße auf der gegenüberlie- genden Straßenseite vorzusehen? Antwort zu 9: Der Friedhof Lilienthalstraße ist von der Friedhofsverwaltung des Bezirks beschränkt ge- schlossen worden (d.h. keine Neuvergabe von Nutzungs- rechten/ Verlängerungen und Nachbeisetzungen sind möglich). Der Friedhof besitzt eine hohe Anzahl an Grä- bern von Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft, die ein dauerndes Ruherecht haben. Ausreichend große zusam- menhängende Bestattungsflächen zur Ausweisung eines oder mehrerer Grabfelder für islamische Bestattungen gibt es hier nicht. Nach aktuellem Kenntnisstand befand sich das Zwangsarbeiterinnen- und Zwangsarbeiterlager am Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 068 3 Columbiadamm auf der an die geplante Friefhofsflächen- erweiterung westlich anschließenden Fläche des Bezirks Tempelhof-Schöneberg (ehem. Lilienthalstraße). Somit ist das Areal des ehemaligen Lagers am Columbiadamm durch die Friedhofserweiterung nicht betroffen. Berlin, den 10.März 2014 In Vertretung R. L ü s c h e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Mrz. 2014)