Drucksache 17 / 13 134 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN) vom 28. Januar 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Januar 2014) und Antwort Spekulation mit Kreditderivaten bei der BVG Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Die Berliner Verkehrsbetriebe – Anstalt öffentlichen Rechts – (BVG AöR) befinden sich gegenwärtig in einem Rechtsstreit in London über ein sog. Collateralized Debt Obligation-Geschäft (CDO-Ge- schäft). Dieses Geschäft wurde im Zusammenhang mit der Absicherung verschiedener sog. Sale-and-Lease- Back-Geschäfte, mit denen die BVG AöR in der Vergan- genheit U-Bahn- und Straßenbahnwagen verkauft und über langjährige Zeiträume zurückgemietet hatte, als sog. Independent Collateral Enhancement abgeschlossen. Zur Absicherung der Leasingraten hatte sich die BVG ver- pflichtet, Garantien von Großbanken mit hoher Bonität (sog. AAA-Rating) beizubringen. Als die Gefahr bestand, dass diese positiven Ratings verloren gehen würden, wur- de der BVG AöR von der Investment-Bank JPMorgan der Abschluss eines Finanztransaktionsmodells vorge- schlagen, das den Austausch von Sicherungsgebern vor- sah. Die Kosten für diesen Austausch sollten durch das CDO-Geschäft kompensiert werden; infolge von Verein- barungen mit JPMorgan sollte die BVG AöR im Ergebnis ein Entgelt von mehreren Millionen US-Dollar ausbezahlt bekommen. Im Gegenzug sollte sie das Risiko der Ab- wertung eines Kreditportfolios von Bank- und Versiche- rungen übernehmen. Das Geschäft verlief für die BVG negativ. JPMorgan hat im Jahr 2008 Klage gegen die BVG AöR aus diesem CDO-Geschäft eingereicht. Die mündli- che Verhandlung begann im Januar 2014. Das Urteil wird im 2. Halbjahr 2014 erwartet. Der Ausgang des Verfah- rens bleibt abzuwarten. 1. Am 19. Juli 2007 schlossen die Berliner Verkehrsbetriebe eine Finanzwette mit der Investmentbank JPMorgan ab. Gewettet wurde um das Pleitegehen von 150 Unternehmen. Bei dieser Wette verlor die BVG über 200 Millionen Dollar. Derzeit läuft in London der Prozess zwischen den BVG, die sich weigern zu zahlen, und JPMorgan. Sollte der Prozess verloren gehen, müsste das Land Berlin für die Verluste haften, da der verantwortliche Senator das Geschäft, ohne es zu verstehen, abgesegnet hat. Ist die zuständige Gewährträgerversammlung von dem Geschäft unterrichtet worden bzw. wurde das Ge- schäft auch von der Gewährträgerversammlung abgeseg- net? 2. Warum wurde der Senat als Ganzes nicht von dem Geschäft unterrichtet? Zu 1. und 2.: Ob der BVG durch den Abschluss des CDO-Geschäfts ein Schaden entstehen wird, steht end- gültig erst nach Abschluss des Rechtsstreits fest. Insofern trifft die Aussage in Frage 1, 3. Satz, nicht zu. Der Gewährträgerversammlung wurde das Finanzge- schäft nicht zur Beschlussfassung, sondern zur Kenntnis- nahme vorgelegt. Die Kenntnisnahme erfolgte im Rah- men der Befassung mit den jeweiligen Jahresabschlüssen. Dem Senat wurde das Finanzgeschäft nicht vorgelegt. Das Land Berlin selbst würde nur dann in Anspruch genommen werden können, wenn die BVG AöR ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen könnte und der Fall der Gewährträgerhaftung einträte. 3. Warum wurde der Vermögensausschuss des Abgeordnetenhauses von Berlin über dieses Geschäft nicht informiert? Zu 3.: Seit dem Jahr 2008 wird der Unterausschuss für Beteiligungsmanagement und -controlling regelmäßig über das CDO-Geschäft informiert, zuletzt in der Sitzung am 23.01.2014. 4. Kann man davon ausgehen, dass der mögliche finanzielle Schaden, der durch die Wette entstanden ist und noch entstehen wird, vom Land Berlin durch erhöhte Kreditaufnahme gegenfinanziert wird, ohne dass aus diesem Grund eine Erhöhung der Fahrpreise vorgenom- men wird? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 134 2 Zu 4.: Die Festlegung der Höhe der Fahrpreise erfolgt unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. 5. Haben die BVG bzw. andere Anstalten des öffentlichen Rechts in der Vergangenheit (seit 1990) reine Finanzgeschäfte getätigt, die wie z. B. jenes mit JPMor- gan im Jahr 2007 nicht Bestandteil ihres eigentlichen Kerngeschäfts sind? Wenn ja, wann und in welchem Umfang (aufgelistete Einzelangaben über Art und Umfang einschließlich der Cross Border Leasing-Geschäfte nach Anstalten des öf- fentlichen Rechts)? Zu 5.: Zu den abgeschlossenen Finanzgeschäften der Anstalten öffentlichen Rechts wird regelmäßig im Unter- ausschuss Beteiligungsmanagement und -controlling berichtet. Da diese regelmäßigen Berichte Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse beinhalten, erfolgt die Berichter- stattung vertraulich. 6. Wie hoch ist die Gesamtbelastung der Anstalten des öffentlichen Rechts bzw. des Haushalts bzw. der Gesamtschaden nach dem heutigen Stand in Euro? 7. Wie viele Prozesse sind in diesem Zusammenhang vor welchen Gerichten geführt worden? Welche Kanzleien haben das Land bzw. die Anstalten in den jeweiligen Verfahren vertreten? Wie hoch waren die bisher angefallenen Kosten in diesen Verfahren? Zu 6. und 7.: Siehe auch Vorbemerkung und Antwort zu den Fragen 1 und 2. Nach Kenntnis des Senats ist außer dem CDO-Geschäft der BVG AöR keines der abge- schlossenen Finanzgeschäfte als kritisch zu bewerten. Dies ergibt sich aus den laufenden Berichten zum Risiko- Management. Das Risiko-Management ist Gegenstand der jährlichen Wirtschaftsprüfung. 8. Die BVG bezahlte 45.000 Euro für eine Beratung an die Kanzlei C. C., die jedoch auch im Auftrage der Investmentbank JPMorgan arbeitete. Wie oft wurden in den letzten Jahren von den Anstal- ten bzw. von den entsprechenden Senatsverwaltungen für Wirtschaft bzw. für Finanzen Beratungsleistungen von Kanzleien und Unternehmensberatungsfirmen in An- spruch genommen, die für beide Seiten – für den Senat wie für die Gegenseite – arbeiteten (Parteienverrat)? Zu 8.: Unabhängig von der Beantwortung des ge- nannten Vorgangs sind dem Senat keine Fälle des Partei- verrats bekannt. 9. 2009 hat die Senatsverwaltung für Finanzen juristisch geprüft, ob sich die BVG den Schaden von den damaligen Verantwortlichen ersetzen lassen können. Wie ist das Ergebnis dieser Prüfung? 10. Der Vorstandsvorsitzende A. S. blieb trotz der Angelegenheit im Amt, bis sein Vertrag auslief und bezog weiter ein Grundgehalt von 290.000 Euro zuzüglich ei- nem jährlichen Erfolgsbonus von 87.000 Euro. Interne Dokumente belegen, dass der Vorsitzende des Aufsichts- rats der Verkehrsbetriebe und seinerzeitige Finanzsenator, T. S., seiner Aufsichtspflicht nicht ausreichend nachkam und das Geschäft absegnete. Wurden aus diesem Vorgang juristische Konsequen- zen, bezogen auf die Verantwortlichen in den Anstalten bzw. bei den aufsichtsführenden Senatsstellen gezogen? Wenn ja, wann und welche? Wenn nein, warum nicht? Zu 9. und 10.: Mit Hinweis auf das Gerichtsverfahren in London (siehe die Vorbemerkung) kann dazu derzeit nicht Stellung genommen werden. 11. Ist die Staatsanwaltschaft seit 2008 tätig geworden, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen? Und wenn nicht, warum nicht? Wie kommt es, dass hier die Staatsanwaltschaft untä- tig blieb, obgleich hier ein Offizialdelikt vorliegt? 14. Wurden die Staatsanwaltschaften bezogen auf ei- nen „Untreuetatbestand“ gem. § 266 StGB einbezogen bzw. tätig? Zu 11. und 14.:Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Berlin wurde in Folge der damaligen Presseberichterstat- tung ein AR (Allgemeines Register)-Vorgang angelegt, im Rahmen dessen geprüft werden sollte, ob hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straf- tat vorliegen, wobei die Würdigung unter allen rechtli- chen Gesichtspunkten - also auch dem Gesichtspunkt einer etwaigen Untreue gemäß § 266 Strafgesetzbuch - erfolgte. Nur bei Vorliegen eines solchen Anfangsver- dachts ist die Staatsanwaltschaft berechtigt, in strafrecht- liche Ermittlungen einzutreten. Dies gilt unabhängig da- von, ob es sich um ein sog. Offizialdelikt handelt oder nicht. Der Prüfvorgang ist aufgrund der mittlerweile ab- gelaufenen gesetzlichen Aufbewahrungsfristen vernichtet worden. Aus dem Umstand, dass kein Ermittlungsverfah- ren eingeleitet wurde, ist zu schließen, dass damals das Vorliegen eines Anfangsverdachts verneint wurde. 12. Gab es Anweisungen an die Staatsanwaltschaften, die Tatbestände nicht zu verfolgen? Zu 12.: Nein. 13. Wurde der Landesrechnungshof über die Tatbestände informiert, und ist er bezogen auf die jeweiligen Tatbestände tätig geworden? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 134 3 Zu 13.: Der Landesrechnungshof ist im Rahmen der Unterrichtung nach § 69 LHO über die Tatsachen infor- miert worden. Nach § 1 des Rechnungshofgesetzes ist der Rechnungshof eine bei der Durchführung seiner Aufga- ben unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene oberste Landesbehörde. Er hat bislang weder in seinen Jahresbe- richten noch in Sonderberichten hierzu berichtet. 15. Haben landeseigene Anstalten des öffentlichen Rechts weiterhin die Möglichkeit, Geschäfte solcher Art zulasten des Landes bzw. der Berlinerinnen und Berliner zu tätigen? Zu 15.: Das Abgeordnetenhaus hat in seiner Sitzung am 02.04.2009 den Antrag der damaligen Regierungs- fraktionen angenommen und Folgendes beschlossen: „Der Senat wird aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass künftig weder von den unmittelbaren noch den mit- telbaren Verwaltungen noch von Unternehmen privaten Rechts, an denen das Land Berlin mehrheitlich beteiligt ist, noch von mittelbaren Beteiligungen solcher Unter- nehmen, an denen das Land mehrheitlich beteiligt ist, noch von den Anstalten öffentlichen Rechts des Landes Sale-and-Lease-Back-Verträge abgeschlossen werden. Darüber hinaus soll der Senat dafür Sorge tragen, dass keine Vertreterinnen und Vertreter des Landes Berlin in Aufsichtsgremien von Unternehmen, an denen das Land unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, dem Abschluss von Sale-and-Lease-Back-Verträgen zustimmen.“ Der Senat setzt diesen Beschluss um. Die landeseige- nen Anstalten können daher seit dem Jahr 2009 keine Sale-and-Lease-Back-Geschäfte mehr abschließen. Ein Aspekt in der gerichtlichen Auseinandersetzung ist, dass das CDO-Geschäft / ICE-Transaktion nicht hätte abgeschlossen werden dürfen. Dies gilt für sämtliche öffentlichen Unternehmen der Daseinsvorsorge. Darüber wird seit 2009 der Berliner Corporate Gover- nance Kodex angewendet. Verbesserungen bei der Aus- wahl und Qualifizierung von Mitgliedern der Aufsichts- gremien erfolgen kontinuierlich, z. B. durch Schulungen. Berlin, den 04. März 2014 In Vertretung Dr. Margaretha Sudhof Senatsverwaltung für Finanzen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Mrz. 2014)