Drucksache 17 / 13 169 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Claudia Hämmerling (GRÜNE) vom 01. Februar 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Februar 2014) und Antwort Wann werden die abnormen Zuchtpraktiken im Tierpark unterbunden Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Der Senat nimmt keine Aufgaben beim Vollzug tier- schutzrechtlicher Vorgaben wahr. Die Zuständigkeit für diesen Aufgabenbereich liegt in den Bezirken. Die Ant- wort auf diese Schriftliche Anfrage basiert insofern auf einer Stellungnahme des zuständigen Bezirks Lichten- berg. 1. Ist dem Senat bekannt, dass der gemäß Auszug aus dem Internationalen Zuchtbuch vom 28.11.2002 am 05.05.1990 im Zoo Emden geborene Rothschild-Hybrid- Giraffenbulle Alexander mit der Zuchtbuchnummer *- 2232 nach seinem Wechsel in den Berliner Tierpark als Zuchtbulle für einen Großteil der Tierpark-Giraffen ver- wendet wurde? Zu 1.: Nach Recherchen des Veterinär- und Lebens- mittelaufsichtsamtes (VetLeb) Lichtenberg befand sich der Zuchtbulle „Alexander“ seit 1991 im Tierbestand des Tierparks Berlin. Der Bulle ist am 04.06.2013 altersbe- dingt gestorben. Im Zeitraum von 1994 bis 2014 folgten aus Verpaarungen mit ihm 36 Geburten. 2. Wie erklärt der Senat, dass der im internationalen Zuchtbuch als Rothschild-Hybrid-Giraffenbulle ausge- wiesene Giraffenbulle Alexander im Tierpark nicht als Hybridzucht sondern als Rothschild-Giraffe geführt wird? Zu 2: Rein phänotypisch war Alexander ein Roth- schildgiraffenbulle. 1991 kam er als reine Rothschildgi- raffe in den Tierpark Berlin. Hybrid-Giraffen sind jedoch keine Unterart, diese Bezeichnung würde die Besucherin- nen und Besucher beim Lesen des Tierschildes verwirren. Hybrid-Giraffen werden im Tierpark als „UgandaGiraffe “ ausgeschildert, einer anderen Bezeichnung für Rothschildgiraffe. 3. Wie sinnvoll und notwendig ist aus Sicht der Berli- ner Artenschutzbehörde eine planmäßige und regel- mäßige Verpaarung dieser Hybrid-Giraffe im Interesse der Arterhaltung der Rothschild-Giraffe? Zu 3.: Eine planmäßige und regelmäßige Verpaarung dieser Hybrid-Giraffe war für die Arterhaltung der Roth- schild-Giraffe nicht sinnvoll. Allerdings dienten die Ver- paarungen auch nicht der Arterhaltung. 4. Welche Tierschutzrelevanz hat aus Sicht der für Tierschutz zuständigen Behörde die Verpaarung des Gi- raffenbullen Alexander mit seinen Töchtern und Enkel- töchtern? Zu 4.: Ergänzend zu den Ausführungen in der Antwort zur Kleinen Anfrage Nr. 17/11093 führt die zuständige Behörde hierzu aus: Durch den Giraffenbullen Alexander wurden 36 Nachkommen gezeugt. Bei 13 Trächtigkeiten bzw. Jung- tieren stellten sich Komplikationen ein. Im Jahr 2012 lag die Jungtiersterblichkeit laut Europä- ischem Giraffenzuchtbuch bei 28% (d.h. Jungtiersterb- lichkeit = gestorben innerhalb der ersten 30 Tage nach der Geburt). Im Tierpark Berlin lag die Jungtiersterblichkeit in den letzten 20 Jahren bei 36%. Das ist minimal über der euro- paweiten Jungtiersterblichkeit und es gibt keinen Grund der Besorgnis, dass im Tierpark Berlin ungewöhnlich viele Jungtiere sterben würden. 5. Wie bewertet der Senat dass im Berliner Tierpark seit 20 Jahren planmäßig Inzest-Verpaarungen statt- finden und dass in diesem Zeitraum 16 nicht lebensfähige Giraffen geboren wurden, wohingegen im Tierpark Frankfurt/M im selben Zeitraum lediglich ein nicht le- bensfähiges Giraffenkalb (Steißgeburt) geboren wurde? Zu 5.: Auf die Antwort zur Kleinen Anfrage Nr. 17/11093 wird verwiesen. Über die Jungtiersterblichkeit im Tierpark Frankfurt/M liegen dem Senat keine Kennt- nisse vor. Grundsätzlich ist die Jungtiersterblichkeit im Berliner Tierpark in Relation zur Jungtiersterblichkeit gemäß Europäischem Giraffenzuchtbuch zu beurteilen (vgl. Antwort zur Frage Nr. 4). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 169 2 6. Weshalb vergleicht das zuständige Veterinäramt in Lichtenberg vgl. Drs. 17/11093 die Mortalitätsrate des Giraffennachwuchses im Tierpark mit der Mortalitätsrate in freier Wildbahn und nicht mit der in anderen Zoos, obwohl der Giraffennachwuchs im Tierpark nicht Beute von Raubtieren sondern ganz überwiegend Opfer abnor- mer Zuchtpraktiken ist? Zu 6.: Nach Auskunft des VetLeb sollte die Mortali- tätsrate in freier Wildbahn lediglich als Vergleichsmaß- stab dienen. 7. Weshalb hat die für Tierschutz zuständige Behörde diese Inzestverpaarungen erneut zugelassen, obwohl die Tochter und zugleich Enkeltochter des Giraffenbullen Alexander „Paula“ in den Jahren 2008, 2011, 2012 bereits jeweils nicht lebensfähige Kälber zur Welt gebracht hat (laut Veröffentlichung in den Jahrbüchern des Tierparks ging aus der Kreuzung von Alexander und Elli Lotti her- vor. Aus der Kreuzung von Lotti mit Alexander entstand Paula. Paula wurde mehrfach von Alexander gedeckt, alle Nachkommen dieser Kreuzung von Blutsverwandten in dritter Generation, einschließlich des am 11.01.2014 ge- borenen Kalbes waren nicht lebensfähig)? Zu 7.: Als Begründung führt das VetLeb an, dass die Verluste nicht zweifelsfrei auf In-zucht zurückgeführt werden können und eine Vielzahl möglicher Ursachen in Frage kommt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Paula in zwei Fällen auf ihr Jungtier getreten ist, zweimal eine Frühgeburt auftrat und einmal das Jungtier nicht aufste- hen konnte und eingeschläfert wurde. Weiter hat das VetLeb darauf verwiesen, dass die me- dikamentöse Kontrazeption von Giraffenweibchen prob- lematisch und noch nicht praxisreif ist. Bei der chirurgi- schen Kontrazeption weiblicher Tiere und der chirurgi- schen Kastration von Giraffenbullen müssen verschiedene Nachteile bedacht werden. Eine getrenntgeschlechtliche Haltung kann zu einer Steigerung des Paarungsdruckes und zu gravierenden Verhaltensstörungen als auch zu gesundheitlichen Schä- den wie hormonell bedingte Uteruserkrankungen der weiblichen Tiere führen. 8. Hält es der Senat für rechtlich zulässig, dass die zu- ständigen Behörden in Lichtenberg grundsätzlich nicht gegen die regelmäßig auch bei anderen Tierarten im Tier- park stattfindenden Inzestverpaarungen einschreiten, wie beispielsweise bei den aus dem Zoo Halle stammenden streng geschützten Hinterindischen Tiger-Geschwister, während das zuständige Veterinär- und Aufsichtsamt nach Aussagen des Senats vgl. Drs. 17/10971 zur planmäßigen Verpaarung der Löwengeschwister im Zoo festgestellt hat: „Die Verpaarung von Geschwistern ist nicht mit der Erhaltung eines gesunden genetischen Pools und damit auch nicht mit dem Artenschutzgedanken und dem ethi- schen Tierschutz vereinbar“ und diese Praktiken demzufolge konsequent unterbindet? 9. Vor dem Hintergrund, dass der Senat in der Drs. 17/10971 erklärt hat, dass er die Auffassung des Vete- rinäramtes Mitte teilt, weshalb unterstützt er dann die tier- und artenschutzwidrigen Inzestzuchtpraktiken im Tier- park durch Zuwendungen in Höhe von mehreren Millio- nen Euro pro Jahr? 10. Welche Erklärung hat der Senat für die unter- schiedlichen Rechtsauffassungen in zwei Berliner Ver- waltungen zum selben Sachverhalt und wann wird der Senat die Rechtsaufsicht einschalten, damit in Berlin einheitlich entschieden wird? Zu 8. bis 10.: Soweit es aufgrund der Größe einer Po- pulation von Tieren der gleichen Art (eingeschlossen der z. B. in anderen Zoos gehaltenen Tiere) möglich ist, sollte durch Austausch von nicht eng verwandten Tieren zu Zuchtzwecken Inzucht vermieden werden. Deshalb arbei- ten die Zoos international im Rahmen von Zuchtpro- grammen wie dem Europäischen Erhaltungszuchtpro- gramm (EEP) zusammen. Der Senat hält es aber für rechtlich zulässig, dass die zuständigen Behörden in Einzelfällen unter Würdigung aller relevanten Sachverhalte nicht gegen Inzuchtverpaa- rungen einschreiten. Aufgrund der dem Senat vorliegen- den Informationen gilt dies z. B. für die in der Frage er- wähnte Zucht mit den Hinterindischen Tigern. Für diese ebenfalls bedrohte Unterart des Tigers gibt es bisher in Europa kein koordiniertes Erhaltungszucht- programm, wie etwa für Amur- und Sumatratiger. Mit dem Ziel, einen Beitrag zur Erhaltung der Art zu leisten, entschied sich der Tierpark, diese Unterart als erster Hal- ter in Europa und noch vor dem Zoo Halle in den Bestand aufzunehmen. 1996 wurde daher ein Paar aus dem Zoo Singapur importiert. Dieses Paar ließ sich nicht verpaaren und deshalb wurde eine Katze aus der Zucht des Zoos Halle ausgewählt. Auch hier scheiterte die Verpaarung. Da zu dieser Zeit keine andere Zucht und auch keine anderen Gründertiere in Europa vorhanden waren, ver- paarte der Tierpark die Katze mit einem ebenfalls aus Halle stammenden jungen Kater (einem Bruder aus einem anderen Wurf). Es dauerte über ein Jahr, dieses Paar aneinander zu gewöhnen, welches nunmehr gemeinsam seine Jungen aufzieht. 2010 zog dieses Paar seinen ersten Wurf auf, einen gesunden Vierlingswurf. Bis heute gibt es neben der Zucht in Halle nur dieses züchtende Paar in ganz Europa. Der Tierpark wählte diese Geschwisterverpaarung be- wusst, weil zu dieser Zeit keine anderen unverwandten Tiere in Europa gab und die Paare innerhalb einer be- stimmten Zeit zusammengeführt werden müssen, um sie überhaupt erfolgreich zusammenführen zu können. Es handelt sich um Inzucht in der ersten Generation und inzwischen sind drei unverwandte Tiere nach Europa gekommen. Der Tierpark Berlin vertritt die Inzucht in der ersten Generation, weil die Nachkommen zukünftig mit den hoffentlich zukünftigen Jungen eines der neu nach Europa verbrachten Paare vereint werden können. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 169 3 Inzucht ist stets reversibel, sprich wenn die Jungen aus dieser Geschwisterverpaarung mit unverwandten Partne- rinnen und Partnern zusammen einmal Nachkommen haben werden, ist deren Inzuchtkoeffizient gleich Null. Keines der Jungtiere ist verstorben oder krank. Die vier Jungen von 2010 können im Zoo Berlin und im Zoo Sosto (Ungarn) in ihrer Entwicklung beobachtet werden. Der Tierpark Berlin züchtet also mit diesem Paar, damit überhaupt Jungtiere dieser Unterart in Europa leben und einen Grundstock für die angestrebte Zucht mit zukünftig nach Europa verbrachten nicht verwandten Tieren aufzu- bauen. Auch in nicht wenigen koordinierten Erhaltungszuch- ten im Rahmen eines EEP ist ein gewisser Grad an In- zucht erforderlich, weil die Zahl der Gründertiere in Eu- ropa limitiert ist und bei dem größeren Teil keine zusätz- lichen Gründertiere mehr nach Europa verbracht werden können. Ohne Inzucht in Menschenhand gäbe es heute bei- spielsweise keine Wisente, Arabischen Oryxantilopen, Davidshirsche oder Urwildpferde mehr auf der Welt. Diese Arten wurden ausschließlich durch Zucht in Men- schenhand, anfängliche Inzucht und spätere Einkreuzung von blutsfremden Tieren (wenn überhaupt vorhanden) oder spätere Zusammenlegung von mehreren Inzuchtli- nien als gesunde Population erhalten und wieder erfolg- reich ausgewildert. Die Unterstellung, die Zuwendungen des Senats an den Tierpark würden der Unterstützung tier- und arten- schutzwidrigen Inzestzuchtpraktiken dienen, entbehrt jeglicher sachlichen Grundlage. Das Land Berlin hält sich bei der Zuwendungsgewährung an die Tierpark Berlin- Friedrichsfelde GmbH an die Vorgaben des Haushaltsge- setzgebers und beachtet bei der Mittelausreichung die maßgeblichen haushalts- und zuwendungsrechtlichen Vorschriften. Demgemäß erhält die Tierpark Berlin- Friedrichsfelde GmbH eine institutionelle Förderung zur Erfüllung ihres Gesellschaftszweckes sowie vertraglich vereinbarte Kostenerstattungen. Die bisherigen Prüfungen zur zweckentsprechenden Verwendung der ausgereichten Zuwendungsmittel haben zu keinen Beanstandungen geführt. Berlin, den 21. Februar 2014 In Vertretung Sabine Toepfer-Kataw Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Mrz. 2014)