Drucksache 17 / 13 170 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Benedikt Lux (GRÜNE) vom 03. Februar 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Februar 2014) und Antwort Ermordung des Tahir Ö. – fehlende Gefährderansprache und Warnung des Opfers Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele V-Personen führte das LKA in den Jahren 2009 bis 2014 – bitte nach Deliktsbereichen aufführen? Wie viele davon führte das LKA außerhalb Berlins? Zu 1.: Die Zahl der im Landeskriminalamt (LKA) Berlin geführten Vertrauenspersonen bewegt sich durch- schnittlich im unteren dreistelligen Bereich. Bei Offenle- gung der genauen Anzahl oder Verteilung der Vertrau- enspersonen auf Phänomenbereiche würde ein sensibles, über Jahre etabliertes und erforderliches Einsatzmittel der Polizei Berlin gefährdet. Die Zuordnung einer Vertrauensperson zu einem be- stimmten Deliktsbereich ist zudem nicht möglich, da die geführten Vertrauenspersonen in der Regel Hinweise zu einer Vielzahl von Delikten geben. Die Vertrauenspersonen haben ihren Wohnort über- wiegend in Berlin oder dem Berliner Umland. 2. Wie viele gelten davon als zuverlässig? Zu 2.: Alle aktiven Vertrauenspersonen gelten als zu- verlässig, andernfalls werden sie abgemeldet. 3. Wie viele Informanten arbeiteten für das LKA in den Jahren 2009 bis 2014 – bitte nach Deliktsbereichen aufführen? Zu 3.: Die Zahl der im LKA geführten Informanten bewegt sich durchschnittlich im unteren zweistelligen Bereich. Diese können Deliktsbereichen statistisch nicht zugeordnet werden. 4. Wie viele Hinweise von V-Personen und Infor- manten erreichten das LKA in diesem Zeitraum, in denen es um Kapitalverbrechen ging? Wie viele, in denen es um Mord ging? Zu 4.: Soweit auswertbar, gingen in den Jahren 2011 bis 2014 insgesamt 67 Hinweise von Vertrauenspersonen und Informanten auf Kapitalverbrechen ein. In 31 Fällen ging es um Mord. Dabei handelt es sich überwiegend um retrograd erlangte Hinweise zu bereits vollendeten Kapi- talverbrechen. Zahlen von vor 2011 sind statistisch nicht vorhanden. 5. In wie vielen Fällen wurden gefährdete Personen aufgrund von den unter 3.) und 4.) genannten Hinweisen angesprochen und gewarnt? Zu 5.: Informationen, die Anlass für polizeiliche Maßnahmen mit Blick auf gefährdete Personen geben, können aus einer Vielzahl von Erkenntnisquellen stam- men. Durchgeführte „Warnungen“ und „Ansprachen“ an gefährdete Personen lassen sich statistisch daher nicht mit einschlägigen Hinweisen von Vertrauenspersonen oder Informanten verknüpfen. 6. Wie oft wurden keine solchen Maßnahmen ergrif- fen? Zu 6.: Die gestellte Frage kann in der von der Verfas- sung von Berlin vorgegebenen Frist zur Beantwortung Schriftlicher Anfragen nicht beantwortet werden. 7. Trifft es zu, dass wie in Medienbeiträgen (etwa Spiegel TV und Berliner Zeitung vom 26.1.2014) berich- tet, das LKA und die Staatsanwaltschaft Hinweise auf einen Mordauftrag gegenüber Tahir Ö. hatte und diese dem später verstorbenen Tahir Ö. nicht mitgeteilt hat? Wenn ja, warum? Wenn nein, was wurde unternommen um den Tahir Ö. zu unterrichten und wieso konnte Tahir Ö. nicht bei seiner Wiedereinreise nach Deutschland unterrichtet werden? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 170 2 Zu 7.: Es trifft zu, dass ein Kommissariat des Fachde- zernates im LKA vor der Einleitung des Ermittlungsver- fahrens wegen einer Straftat gemäß § 30 des Strafgesetz- buches (StGB) innerhalb weniger Tage vier Hinweise einer Vertrauensperson auf einen Mordauftrag gegenüber Tahir Ö. erhalten hat. Diese Hinweise führten in Abspra- che mit der Staatsanwaltschaft zur Einleitung des zuvor genannten Strafverfahrens. Herrn Ö. ist seine Gefährdung aufgrund einer falschen Bewertung der Gefährdungslage nicht mitgeteilt worden. 8. Trifft die Aussage des LKA-Leiters Steiof im Spie- gel TV vom 2.2.2014 zu, man habe im Fall des verstorbe- nen Tahir Ö. keine Erkenntnisse über einen Aufenthalt in Berlin und könne ihn nicht erreichen? Ist es korrekt, dass fünf Tage vor seiner Ermordung ein Telefonmitschnitt Hinweise auf einen Berlinaufenthalt enthielt? Zu 8.: Nein. Dem Kommissariat des Fachdezernates im LKA war bereits vor der Tötung von Tahir Ö. bekannt, dass sich dieser wieder in Berlin aufhält. Vor der Tötung wurde die Übersetzung von drei - auch für die Gefährdungslage des Tahir Ö. relevanten - Telefonaten in Auftrag gegeben. Zumindest eines dieser Telefonate war inhaltlich schon vor der Ermordung im LKA bekannt. Aus diesem Telefonat, aber auch schon aus einem Hinweis einer Vertrauensperson vom November 2013 ging hervor, dass sich Tahir Ö. wieder in Berlin aufhielt. Dem Leiter des LKA waren diese Informationen vor der Pressekonferenz am 24. Januar 2014 nicht mitgeteilt worden. 9. Trifft die Aussage des LKA-Leiter Steiof im Spie- gel TV vom 26.1.2014 zu, man habe „hundertfach im Jahr“ Fälle bei denen Mordhinweise eingehen, aber die Gefährdung im Laufe der Zeit abnehme? Werden in diesen Fälle potentielle Mordopfer nicht unterrichtet? Zu 9.: In der Beantwortung der Frage des Reporters stellte der Leiter des LKA nicht auf Gefährdungssachver- halte ab, die Mordhinweise beinhalten. Vielmehr waren alle der Polizei gemeldeten Gefährdungssachverhalte gemeint, die sich auf einzelne Personen beziehen und alle möglichen Droh- und Gewaltszenarien umfassen. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 4 – 6 verwiesen. 10. Warum wurde bei dem mutmaßlichen Auftragge- ber Kadir P. keine Gefährderansprache vorgenommen, um diesen von seiner Tat abzubringen? Ist die Aussage des LKA-Leiters Steiof im Spiegel-TV- Beitrag vom 2.2.2014 korrekt, dass es nur einen Hinweis aus verdeckter Er- mittlung gab, der auf eine Gefährdung hinwies? Wird in einem solchen Fall standardmäßig von einer Gefährderan- sprache abgesehen? Zu 10.: Die Bewertung der Gefährdungslage, d.h. dass ein gefährdendes Ereignis für den mit dem Tod bedrohten Tahir Ö. für wenig wahrscheinlich gehalten wurde, ist bereits am 5. November 2013 getroffen und bis zur Tö- tung des Tahir Ö. aufrechterhalten worden. Diese Ein- schätzung führte dazu, dass keine angemessenen gefah- renabwehrenden Maßnahmen ergriffen wurden und somit auch keine Gefährderansprache bei Kadir P. in Bezug auf diesen Mordauftrag erfolgte. Zur Aussage des LKA-Leiters siehe Beantwortung zu Frage 8. Es wird in einem solchen Fall nicht standardmäßig von einer Gefährderansprache abgesehen. Polizeiliche Grundlage für die Beurteilung und Bewertung der Ge- fährdungslage des Tahir. Ö. war der Qualitätsstandard zur Verhinderung von Gewalteskalationen (aus dem Jahre 2009). Eine Gefährdungsanalyse und die sich zwingend anschließende Gefährdungsbewertung sind danach immer am Einzelfall und an den risikoverstärkenden bzw. risi- komindernden Faktoren auszurichten. Die Gefährdungs- lage ist fortlaufend zu beurteilen und die Gefährdungsbe- wertung dementsprechend anzupassen. Sie ist keine schematische, an Fristen orientierte Bewertung. 11. Ist es richtig, dass die Gefährdungslage für Tahir Ö. noch einen Monat vor seiner Ermordung als enorm hoch eingestuft wurde? Ist es üblich, bereits nach einem Monat Zeitablauf ohne Vorkommnisse oder neuen Er- kenntnisgewinn die Gefährdungseinschätzung zu senken und auf eine Warnung des potentiellen Opfers und eine Gefährderansprache der potentiellen Täter zu verzichten? Zu 11.: Nein. Die Gefährdungslage war einen Monat vor der Ermordung von Tahir Ö., also am 10. Dezember 2013, nicht als „enorm hoch“ eingestuft worden. Wie in der Antwort zu Frage 10 ausgeführt, wurde die Gefähr- dungslage am 5. November 2013 falsch bewertet und bis zur Tötung von Tahir Ö. aufrecht erhalten. Allerdings ist der darin liegende Widerspruch zur polizeilichen Anre- gung an die Staatsanwaltschaft am 2. Dezember 2013, Telefonüberwachungsmaßnahmen zu erlassen, die abwei- chend von der Gefährdungsbewertung ein hohes Risiko beschreibt, nicht von der Hand zu weisen. Es ist nicht üblich, bereits nach einem Monat Zeitab- lauf ohne Vorkommnisse oder neuen Erkenntnisgewinn die Gefährdungseinschätzung zu senken und auf eine Warnung des potentiellen Opfers und eine Gefährderan- sprache der potentiellen Täter zu verzichten. Berlin, den 08. März 2014 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Apr. 2014)