Drucksache 17 / 13 213 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Clara Herrmann (GRÜNE) vom 11. Februar 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Februar 2014) und Antwort Rechtsextreme Angriffe und Anschläge auf Flüchtlinge und Flüchtlingseinrichtungen Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Kenntnisse hat der Senat über Angriffe/ Anschläge auf Flüchtlinge bzw. bestehende oder geplante Flüchtlingseinrichtungen in Berlin seit dem 1.1.2011? (Bitte nach Jahren, Bezirken, Ort, Datum und Hintergrund auflisten) Zu 1.: Straftaten der Politisch Motivierten Kriminalität (PMK), die sich gegen den in Rede stehenden Personen- kreis oder die genannten Einrichtungen richten, werden nicht separat statistisch erfasst. Im Zusammenhang mit Flüchtlingseinrichtungen kam es in der Vergangenheit u. a. zu Straftaten, wie beispielsweise Sachbeschädigungen, Hausfriedensbrüchen, Verstößen gegen das Sprengstoff- gesetz (Einsatz von Pyrotechnik), Verwenden von Kenn- zeichen verfassungswidriger Organisationen sowie öffent- liche Aufforderung zu Straftaten. Eine detaillierte Auflis- tung bezüglich der konkreten Straftaten ist der Polizei Berlin aufgrund fehlender Erfassungskriterien derzeit noch nicht möglich. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund verstärkter Anfra- gen aus dem parlamentarischen Raum wurden bereits im Jahre 2013 auf Bund-/Länderebene Überlegungen ange- stellt, Möglichkeiten einer erweiterten und bundeseinheit- lichen Lagedarstellung zu erarbeiten. Es ist vorgesehen, gegebenenfalls retrograd zum 1. Ja- nuar 2014, die Meldeverpflichtungen im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes (KPMD) zu erwei- tern. 2. Welcher der unter 1. abgefragten Vorfälle befindet sich in welchem Verfahrensstand? Welche Verurteilungen liegen ggf. vor? Zu 2.: Eine statistische Erfassung von Verfahren bei der Justiz, die rechtsextreme Angriffe und Anschläge auf Flüchtlinge und Flüchtlingseinrichtungen zum Gegen- stand haben, erfolgt nicht, so dass eine zahlenmäßige Erfassung der Verfahren und Verurteilungen nicht mög- lich ist. 3. Welche Kenntnisse hat der Senat über Organisato- ren/ Initiatoren dieser Angriffe? Welche Übergriffe lassen sich auf Täter/innen aus dem rechtsextremen Milieu zu- rückführen? Zu 3.: Aus den in Beantwortung zu Frage 1 dargeleg- ten Gründen ist eine Beantwortung dieser Frage derzeit grundsätzlich nicht möglich. Gleichwohl geben einige der im Sachzusammenhang vorliegenden Strafanzeigen zumindest Grund zu der An- nahme, dass eine rechtsextremistische Motivation vor- liegt. 4. Welche Kenntnisse hat der Senat über die Beteili- gung der NPD, ihrer Organisationen bzw. Mitglieder der NPD oder ihrer Organisationen an Angriffen/ Anschlägen auf Flüchtlinge bzw. Flüchtlingseinrichtungen in Berlin? Zu 4.: Erkenntnisse liegen in Einzelfällen vor; sie werden jedoch statistisch nicht erhoben. Im Berliner Poli- zeilichen Landessystem für Information, Kommunikation und Sachbearbeitung (POLIKS) wird die Parteizugehö- rigkeit von Personen nicht erfasst, insofern sind Erkennt- nisse im Sinne der Fragestellung nicht recherchierbar. 5. Wie bewertet der Senat die Sicherheitslage der in Berlin lebenden Flüchtlinge vor dem Hintergrund dieser Angriffe? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 213 2 Zu 5.: Die Sicherheitslage in Berlin lebender Flücht- linge und der Unterkünfte ist Gegen- stand einer stetigen Gefahrenanalyse. Sollten im Zusammenhang mit dieser Gefahrenanaly- se gefährdungsrelevante Aspekte im Ergebnis staatliches Handeln erforderlich machen, werden durch die Polizei Berlin, unter anderem in Abstimmung mit anderen Be- hörden und Institutionen, entsprechende lageangepasste und erforderliche Maßnahmen initiiert und/oder durchge- führt. Der Berliner Verfassungsschutz beobachtet weiterhin schwerpunktmäßig insbesondere das rechtsextremistische Agitieren gegen Asylsuchende. 6. Welche Maßnahmen hat der Senat getroffen, um auf die Angriffe/Anschläge im letzten Jahr zu reagieren und die Sicherheit der Flüchtlinge zu garantieren? Zu 6.: Grundsätzlich wird abgestimmt auf jedes ein- zelne Objekt mit dem Betreiber der Unterkunft der Ein- satz von Wachschutz vereinbart und von diesem dann beauftragt. Unabhängig davon ist die Heimleitung gehalten, bei außergewöhnlichen Vorkommnissen in Bezug auf die Sicherheit die Polizei Berlin zu alarmieren. Derartige Vorkommnisse sind durch den Betreiber bzw. die Heim- leitung zusätzlich der Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL) zu melden, damit ggf. mit einer Verstärkung des Wachschutzes reagiert werden kann. Darüber hinaus wird zu Details polizeilicher Maß- nahmen zum Schutz der Einrichtungen keine Stellung genommen, weil durch eine Beantwortung etwaige Maß- nahmen öffentlich bekannt und damit unter Umständen konterkariert werden. 7. Welche Kenntnisse hat der Senat über Initiativen in Sozialen Netzwerken (z.B. Facebook) seit dem 1.1.2011, die gegen Flüchtlinge agitieren (wie viele, in welchen Netzwerken, Initiatoren, gegen welche Unterkünfte etc.)? Wie lange sind/ waren diese Initiativen aktiv bzw. gibt es Überschneidungen oder Nachfolgeinitiativen z.B. nach Löschung von Facebookseiten der Initiativen? Wenn ja, welche genau? Welche Verbindungen bestehen zur NPD und deren Organisationen bzw. deren Mitgliedern? Wel- che Verbindungen bestehen zur rechtsextremen Szene? Zu 7.: Eine Betrachtung derartiger Initiativen in Sozia- len Netzwerken erfolgt anlassbezogen, beispielsweise bei strafbaren Inhalten oder Lebenssachverhalten, die eine Gefährdungslage implizieren. Daran schließt sich u. a. eine rechtliche Bewertung an, die im Einzelfall polizeili- che Maßnahmen nach sich zieht. Eine gesonderte statisti- sche Erfassung und Auswertung erfolgt im Sachzusam- menhang nicht. Gleichwohl war die in Rede stehende Thematik bereits mehrfach Gegenstand von Kleinen Anfragen. Beispielhaft wird auf die Kleinen Anfragen des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 1. August 2013, Drs 17/12500, über „Refugees welcome! Zur Gefährdungssituation in den Not- und Sammelunterkünften für Flüchtlinge in Berlin (Teil I – Hellersdorf)“ und des Abgeordneten Oliver Höfinghoff (PIRATEN) vom 23. August 2013, Drs 17/12582, über „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ verwiesen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die regionalen Schwerpunkte derartiger Initiativen nach Kenntnislage des Senats die Bezirke Pankow, Treptow-Köpenick, Hel- lersdorf-Marzahn und Neukölln darstellten und/oder dar- stellen, da für diese Bezirke entsprechende Internetprä- senzen bekannt wurden. Die Nähe von Bürgerinitiativen zu Rechtsextremistin- nen und Rechtsextremisten wird offenkundig infolge des zeitgleichen Auftretens von vermeintlichen oder tatsächli- chen Anhängerinnen und Anhängern der Bürgerinitiativen und Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten bei verschiedenen Veranstaltungen und Versammlungen zum Thema Gemeinschaftsunterkünfte. Das Thema „Flüchtlinge“ ist aus Sicht des Senats grundsätzlich geeignet, durch Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten und/oder die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) vereinnahmt und für deren eigene Zwecke missbraucht zu werden. Diese Wertung wird unter anderem durch thematische Überschneidungen auf den Internetpräsenzen der Bürgerinitiativen, rechten Internetpräsenzen und Internetpräsenzen der NPD bestä- tigt. Im Internet agierende Bürgerinitiativen sind solange aktiv, bis sie entweder durch Betreiberinnen und Betreiber der Plattform, z.B. Facebook, eigeninitiativ oder aufgrund von Hinweisen anderer Nutzerinnen und Nutzer gelöscht werden. Anschließend folgen neu erstellte Seiten bei Facebook unter anderem Namen, aber im gleichen Design. Unter nachfolgenden Facebook-Profilen sind die Geg- ner der Asylbewerberheime durch gegenseitiges Teilen/ „liken“ vernetzt: Aktuelle Facebook-Accounts:  Bürgerbewegung Hellersdorf (Nachfolgeportal der Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf - BMH)  Nein zum Heim in Pankow  Nein zum Heim in Köpenick  Nein zum Camp am Oranienplatz  Bürgerinitiative Neukölln  Bürgerinitiative Rahnsdorf Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 213 3 Gesperrte/gelöschte Facebook-Accounts :  Infoportal Berlin Brandenburg  Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf (BMH)  Bürgerbewegung Neukölln  Asylantenheim Berlin Pankow  Berliner Bürgerinitiativen (Vernetzungsseite für al- le Initiativen gegen Flüchtlingsheime)  Tag der Meinungsfreiheit  Bürgerinitiative Mahlsdorf  Bürgerinitiative Treptow-Köpenick Twitter-Accounts:  Infoportal BB: @Infoportal_BB  Bürgerbewegung Hellersdorf: @BB_Hel  Bürgerinitiative Marz-Hellersdorf: @BIMarzHellersd1 (offline)  BBI: @BlnBuergInitia  BI-Rahnsdorf: @BI_Rahnsdorf  BI-Pankow: @BI_Pankow  BI-TrepKoep: @BITrepKoep  BIMahlsdorf: @BI_Mahlsdorf Youtube-Kanal:  Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf Google+  Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf Die Facebook-Seiten werden von einer Vielzahl von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten, darunter NPD-Mitglieder, „geliked“ bzw. kommentiert. Die Heimgegner -Seiten weisen Verbindungen zu rechtsextremisti- schen Portalen und allen einschlägigen Anti-Heim-Seiten deutschlandweit auf. 8. Welche Kenntnisse hat der Senat über ein mögliche Vernetzung Berliner und Brandenburger Initiativen gegen Flüchtlingsunterkünfte? Zu 8.: Wie unter anderem in den Medien thematisiert, gab es in der Vergangenheit wechselseitige Beteiligungen von Berlinerinnen und Berlinern sowie Brandenburgerin- nen und Brandenburgern an Veranstaltungen im Zusam- menhang mit Flüchtlingsunterkünften im jeweils anderen Bundesland. Rechtsextremistische Gegnerinnen und Gegner von Flüchtlingseinrichtungen aus Berlin und Brandenburg vernetzen sich über ihre Facebook-Seiten, z.B. auf „Infoportal Berlin Brandenburg“. Berlin, den 09. März 2014 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Mrz. 2014)