Drucksache 17 / 13 299 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Michael Schäfer (GRÜNE) vom 27. Februar 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Februar 2014) und Antwort Werden in den Verfahren zur Einräumung der Wegenutzungsrechte für die Energieversor- gungsnetze Bewertungskriterien an den Bedürfnissen des Landes Berlin vorbei aufgestellt? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Ist der Senat der Meinung, dass bei einem Wechsel des Konzessionärs für das Stromverteilnetz die Versor- gungssicherheit der Berlinerinnen und Berliner garantiert werden kann, ohne dass der Großteil des Personals und der sonstigen Betriebsmittel des Altkonzessionärs auf den Neukonzessionär übergehen? Wenn ja, wie will „Berlin Energie“ die Versorgungssicherheit garantieren? Zu 1.: Die Senatsverwaltung für Finanzen (SenFin) ist für den Senat verfahrensleitende Stelle und darf vorab keine wertenden Konzeptaussagen außerhalb des eigentli- chen Verfahrens, das originär durch die Verfahrensbriefe strukturiert wird, abgeben. Die verfahrensleitende Stelle darf überdies bei einem Wechsel des Konzessionärs für das Stromverteilnetz den Übergang eines Großteils des Personals und der sonstigen Betriebsmittel des Altkonzes- sionärs auf den Neukonzessionär nicht anordnen und auch nicht unterstellen (insoweit auch Antwort zu Frage 2). Sie hat vielmehr ein diskriminierungsfreies und transparentes Verfahren zu gewährleisten. Die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs sind im Gesetz (§ 613a BGB) geregelt. § 46 Abs. 2 Satz 2 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sieht hinsichtlich der Betriebsmittel nur den Anspruch gegen den Altkonzessionär auf Übereignung von »Vertei- lungsanlagen« vor. Weitere Übernahmen (z.B. Leitwar- te(n), Meldestelle(n)) sind - nach Abschluss des Konzes- sionsvertrages zwischen Neukonzessionär und dem Land Berlin - allein zwischen Neu- und Altkonzessionär zu verhandeln. 2. Wird der Senat in der Verfahrenskonzeption und im Kriterienkatalog für die Konzessionsvergabe für das Stromnetz den Betriebsübergang, d.h. den Übergang des Großteils des Personals und der sonstigen Betriebsmittel vom Altkonzessionär auf den Neukonzessionär, unterstel- len? Wenn nein, wie stellt der Senat unter diesen Umstän- den sicher, dass keiner der Bewerber gegenüber einem anderen (insbesondere gegenüber dem Altkonzessionär) diskriminiert wird? Und: Wie wird der Senat gewährleis- ten, dass das Konzessionsverfahren einer rechtlichen Überprüfung standhalten kann? Zu 2.: Siehe bitte auch Antwort zu Frage 1. Das Verfahren wird gegenüber allen Bewerbern dis- kriminierungsfrei durchgeführt. Es bemisst sich natürlich auch an den systemimmanenten Anforderungen für einen reibungslosen Betrieb des Netzes. Insoweit muss bei- spielsweise zwingend eine Beurteilung der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vorgenommen werden, um die Sicherheit des Netzbetriebes gewährleis- ten zu können. Damit ist keine Diskriminierung von Newcomern verbunden, da es sich in Ansehung der tat- sächlichen Umstände wie insbesondere der Netzgröße um ein objektiv nicht verzichtbares Erfordernis handelt. 3. Hat der Senat die Altkonzessionäre für das Gas- und das Stromnetz aufgefordert, im Falle eines Konzessi- onärswechsels den Übergang aller für den Netzbetrieb erforderlichen Abläufe, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie sonstiger Betriebsmittel auf den Neukonzessionär sicherzustellen, um die Versorgungssicherheit zu gewähr- leisten? Wenn nein: warum nicht? Und: Wann wird der Senat dies nachholen? Zu 3.: Eine wie in der Frage 3 der Schriftlichen An- frage definierte Aufforderungspflicht der verfahrenslei- tenden Stelle sieht das Energiewirtschaftsrecht nicht vor. Betreiber von Energieversorgungsnetzen sind gemäß § 11 EnWG verpflichtet, ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz diskriminie- rungsfrei zu betreiben, zu warten etc. (Betriebspflicht). Unterstellt den theoretischen Fall, dass ein Netzbetreiber den Betrieb seines Netzes beendet, so verstieße dies ge- gen die Betriebspflicht aus § 11 Abs. 1 EnWG und die Regulierungsbehörde - die Bundesnetzagentur – würde dann nach § 65 Abs. 2 EnWG die Fortführung, ggf. inkl. verwaltungsrechtlicher Zwangsmaßnahmen, anordnen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 299 2 Das Konzessionierungsverfahren nach dem EnWG sorgt für einen geordneten Übergang. Im Falle der Kon- zessionierung eines neuen Unternehmens wird der Neu- konzessionär Verhandlungen mit dem Altkonzessionär auch über die „operative Netzübernahme“ führen. Bis zu einer Einigung gilt die Betriebspflicht des Altkonzessio- närs weiter, da er bis zur Netzübergabe als Betreiber die tatsächliche Sachherrschaft ausübt, mithin Adressat der Betriebspflicht nach § 11 EnWG bleibt. Im Übrigen hat er auch wirtschaftlich ein Interesse an den anfallenden Netz- nutzungsentgelten. Zur Übertragung von Personal und Betriebsmitteln siehe bitte Antwort zu Frage 1. Die Aushandlung einer Netzübernahme kann im Übrigen bis zu einer Netzüber- tragung zu Auseinandersetzungen zwischen Alt- und Neukonzessionär führen. Dies ändert jedoch nichts an der fortbestehenden Netzbetriebspflicht durch den Altkonzes- sionär. 4. Welche Auswirkungen auf Berlin hat das Urteils des OLG Celle vom 9.1.2014 (13 U 52/13), nach dem kalkulatorische Netzdaten zu den Informationen gehörten, über die der Altkonzessionär der Gemeinde Auskunft zu erteilen habe, und nach dem es den Bewerbern um die Konzession nicht zuzumuten sei, ohne Kenntnis dieser Daten einen Konzessionsvertrag zu schließen? Inwieweit ist die Bestätigung von Bundeskartellamt und Bundes- netzagentur vom 9.4.2013 des erfüllten Datenherausgabe- anspruchs der Altkonzessionäre für Gas- und Stromnetz gegenüber dem Land Berlin durch dieses Urteil überholt? Hat der Senat auf Grundlage des Urteils des OLG Celle die Altkonzessionäre verpflichtet, die kalkulatorischen Netzdaten dem Land Berlin und den Wettbewerbern zur Verfügung zu stellen? Wenn nein: Warum nicht und wann wird der Senat dies nachholen? Wenn nein: Wie schließt der Senat juristische Risiken für das Land aufgrund mög- licher Diskriminierung einzelner Bieter durch eine Infor- mationsasymmetrie aus? Zu 4.: Das Urteil des Oberlandesgerichtes (OLG) Cel- le ist nicht rechtskräftig (offene Revision zum Bundesge- richtshof -BGH-. Es handelt sich um ein erstes Urteil, das einen weitgehenden Datenherausgabeanspruch begründet (anlagenscharfe historische Anschaffungs-/ Herstellungs- kosten - Clusterung genügt nicht; Jahr der Aktivierung sowie kalkulatorische Restwerte und Restnutzungsdau- ern). Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur haben ihr Schreiben vom 9. April 2013 bisher nicht revidiert. Die Bewerber für Gas und Strom erhielten bzw. erhalten zu- dem mit dem 2. Verfahrensbrief ein indikatives Ertrags- wertgutachten und damit bereits eine verlässliche Basis für eine belastbare Ertragswertkalkulation. Gleichwohl hat die SenFin das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur mit Schreiben vom 19.02.14 noch einmal gebeten mitzuteilen, wie die Rechtslage beurteilt wird. Eine Antwort liegt bislang nicht vor. 5. Mit welchen der im 2. Verfahrensbrief Gas ge- nannten Auswahlkriterien will der Senat auf die Erfüllung folgender im Zusammenhang mit der Konzessionsvergabe gesteckten Ziele aus dem Zielkatalog Berlins (vgl. 1. Verfahrensbrief Gas, S. 2 f.) hinwirken? a) Aktive Mitgestaltung der Energiewende durch das Land Berlin; b) Unterstützung der Klimaschutzstrategie des Landes Berlin durch die Netzinfrastruktur; c) Permanentes Einhergehen der Netzinfrastruktur mit den Zielen Klimaschutz, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit der Energieversorgung, auch im Hinblick auf kommunalwirtschaftliche Aspekte; d) Beitrag Berlins als „Speicherstadt“ zur ökologischen Energieversorgung der Bundesrepublik; e) Berücksichtigung bürgerschaftlicher Partizipationsmodelle . Ist der Senat der Ansicht, dass die Wertungskriterien wie im 2. Verfahrensbrief Gas genannt, geeignet sind, um die o.g. Ziele des Landes Berlin zu erreichen? Zu 5.: Die konkreten Auswahlkriterien müssen auf die Aspekte der sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreund- lichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsge- bundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Gas abstel- len, denn nach § 46 Abs. 3 Satz 5 Energiewirtschaftsge- setz ist die Gemeinde bei der Auswahl des künftigen Netzbetreibers diesen Zielen verpflichtet. Im 1. Verfahrensbrief Gas wurden Hinweise auf die Aspekte, die das Land Berlin im Kontext der „Energiewende “ für wichtig erachtet, gegeben. Hierzu wurde ausgeführt : „So bedarf es zur Verbesserung und Umsetzung der Energiewende eines intelligenten und zunehmend innovativen Gasnetzes. Die Netzinfrastruktur muss die Klimaschutzstrategie des Landes Berlin unterstützen und mit den Zielen Klimaschutz, Energieeffizienz und Nach- haltigkeit der Energieversorgung, auch im Hinblick auf kommunalwirtschaftliche Aspekte permanent einherge- hen. Die Stadtregion Berlin kann dabei z.B als „Speicherstadt “ einen Beitrag zur ökologischen Energieversorgung der Bundesrepublik leisten.“ Die mit dem 2. Verfahrensbrief Gas mitgeteilten Wer- tungskriterien sehen unter dem mit 45 von 315 Punkten bepunkteten Themenblock „Umweltverträglicher Netzbetrieb / netzbezogener Beitrag zum Ausbau der erneuerba- ren Energien“ die Prüfung der Angebote auch auf deren Geeignetheit im Kontext der „Energiewende“ vor. Die Bewerber sind aufgefordert, unter Berücksichtigung der Hinweise im ersten Verfahrensbrief hierzu innovative Angebote zu unterbreiten. Die im 2. Verfahrensbrief Gas genannten Wertungskriterien sind geeignet, um diese Ziele des Landes Berlin im Rahmen der Neukonzessionie- rung voranzutreiben. Letztlich bleibt aber abzuwarten, wie die Gebote der Bewerber sich hierzu positionieren. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 299 3 6. Wie berücksichtigt der Senat in den Konzessions- verfahren Gas und Strom die jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH KZR 65/12 und KZR 66/12 vom 17.12.2013), nach der es Kommunen freisteht, die Auswahlkriterien für die Konzessionsvergabe nicht ausschließlich an den Zielen des §1 EnWG auszurichten, sondern darüber hinaus auch „sachgerechte Auswahlkriterien zu finden und zu gewichten, die einen Bezug zum Gegenstand des Konzessionsvertrages aufweisen“? Wird der Senat – angesichts der Tatsache dass der zulässige Umfang dieser weitergehenden Kriterien erst mit der noch ausstehenden Urteilsbegründung geklärt werden wird - die Urteilsbegründung des BGH zur Gewichtung der Kriterien abwarten, bevor er den Kriterienkatalog für die Konzessionsvergabe für das Stromnetz erstellt? Wenn nein, wie will der Senat den zulässigen Gestaltungsspiel- raum des Landes Berlin bei der Vergabe der Konzession voll ausschöpfen, ohne die Rechtssicherheit des Konzes- sionierungsverfahrens zu gefährden? Zu 6.: Der BGH hat mit den Urteilen vom 17.12.2013 zwei Entscheidungen des OLG Schleswig bestätigt, die das Land Berlin bereits in seinen Verfahren berücksichtigt hat. Änderungen für die Gas- und Stromkonzessionie- rungsverfahren haben sich aus den Urteilen des BGH nicht ergeben. Die Auswahl unter mehreren Bewerbern erfolgt in einem transparenten Verfahren. Die Kriterien und deren Gewichtung wurden den Bewerbern mit dem 2. Verfahrensbrief Gas bekannt gegeben bzw. werden mit dem 2. Verfahrensbrief Strom bekannt gegeben werden, so dass die Bewerber rechtzeitig erkennen konnten bzw. können, worauf es dem Land Berlin bei der jeweiligen Entscheidung ankommt. Die Kriterien für die Entschei- dung über die Konzession konkretisieren - im Rahmen des den Kommunen zugestandenen Spielraums - vorran- gig die Ziele des § 1 EnWG, richten sich auf den statthaf- ten Inhalt eines Konzessionsvertrages und berücksichti- gen die Vorgaben des § 3 Konzessionsabgabenverord- nung. Nur rein vorsorglich wird erneut darauf hingewiesen, dass das Land Berlin hinsichtlich der Bewerbung eines landeseigenen Unternehmens keinerlei - andere Bewerber diskriminierendes -Privileg für dieses Unternehmen auf- gestellt hat bzw. in Anspruch nehmen wird (BGH KZR 65/12). Berlin, den 18. März 2014 In Vertretung Dr. Margaretha Sudhof Senatsverwaltung für Finanzen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Mrz. 2014)