Drucksache 17 / 13 320 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 03. März 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. März 2014) und Antwort Erzwingungshaft: Trotz Bußgeldzahlung in den Knast? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In wie vielen Fällen ist in Berlin seit 2007 in jedem Jahr wegen fehlerhafter Kommunikation zwischen Be- hörden und öffentlichen Institutionen Erzwingungshaft angeordnet worden, d.h. obgleich bzw. mangels Kenntnis des Fakts, dass die betroffenen Personen die ausstehende Geldbuße bereits beglichen hatten? 2. In wie vielen Fällen ist in Berlin seit 2007 in jedem Jahr wegen fehlerhafter Kommunikation zwischen Be- hörden und öffentlichen Institutionen Erzwingungshaft vollstreckt worden, d.h. obgleich bzw. mangels Kenntnis des Fakts, dass die betroffenen Personen die ausstehende Geldbuße bereits beglichen hatten? Zu 1. und 2.: Zu diesen Fragen werden keine Statisti- ken erhoben und sind dem Senat Zahlen nicht bekannt. 3. Wie erklärt der Senat, dass trotz Vorlegens entspre- chender Unterlagen in Kopie ein Betroffener nach der Aufnahme am frühen Morgen des 22. Januar 2014 um 7 Uhr in einer Berliner JVA einen ganzen Tag und die da- rauffolgende Nacht inhaftiert wird und ihm die Möglich- keit eines Telefonats trotz dreimaliger Nachfrage verwei- gert wird, weil das Personal der Haftanstalt – das nach Auskunft des Stationsleiters „zu viele Fälle zu betreuen“ gehabt habe – sich nicht in der Lage sieht, den Vorgang in Rücksprache mit der Bußgeldstelle der Ordnungsbehörde bzw. dem Amtsgericht zu klären? Zu 3.: Mangels Vorliegens konkreter Personaldaten stützt sich die Antwort auf die Schriftliche Anfrage zu 3. auf die vorhandenen Hinweise. Nach dem Vollstre- ckungsplan des Berliner Strafvollzugs kann Erzwin- gungshaft gegen männliche Betroffene ausschließlich in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee und in der Jugendarrestanstalt vollstreckt werden. In keiner der zu- ständigen Anstalten ist ein entsprechender Fall bisher bekannt geworden. In der JVA Plötzensee wurden am besagten Tag zwei Gefangene zur Verbüßung von Erzwingungshaft vorge- führt, von denen wiederum nur einer überhaupt als Be- troffener in Frage käme. Die der Schriftlichen Anfrage zugrunde liegenden Daten stimmen jedoch nicht mit den Daten zu diesem Gefangenen überein. Insbesondere legte dieser Gefangene einen Überweisungsbeleg vor, der zwei Jahre alt und kaum lesbar war. Dieser Beleg wies ohne Benennung eines Verwendungszwecks die Zahlung auf eine Kontonummer aus, die nicht der Tilgung der offenen Geldbuße zugeordnet werden konnte. Außerdem herrschte am besagten Tag in der betroffenen Zugangsabteilung der JVA Plötzensee kein Personalmangel, vielmehr befanden sich die eingeteilten Mitarbeiter im Dienst. Zudem wird insbesondere im Zugangsbereich des Hauses A das Füh- ren von Telefonaten stets ermöglicht. Telefonate sind auch an diesem Tag nicht verweigert worden. Der Gefan- genenpersonalakte ist die Ablehnung eines Telefonats übereinstimmend auch nicht zu entnehmen. Eine Be- schwerde des Gefangenen liegt im Übrigen ebenfalls nicht vor. Hinzu kommt, dass die für Nachfragen zustän- dige Vollstreckungsbehörde in besagtem Fall die Staats- anwaltschaft Berlin und nicht die Bußgeldstelle oder das Amtsgericht gewesen wäre. 4. Wie wird in Fällen wie 3. in der Behördenroutine nachsorgend verfahren, um den Betroffenen eine Ent- schuldigung zukommen zu lassen, eine unbürokratische Schadensersatzregulierung (Verdienstausfall, Kosten, Schmerzensgeld) zu gewährleisten? Gibt es hierzu Ver- waltungsvorschriften oder Dienstanweisungen? Zu 4.: Für den Fall eines Fehlers der unter 3. beschrie- benen Art wird in der JVA Plötzensee regelhaft eine Feh- lerkultur geübt, in deren Rahmen sich die jeweils zustän- digen Führungskräfte bei dem Betroffenen entschuldigen. Falls die Möglichkeit des Eintritts eines Vermögensscha- dens besteht, wird der Betroffene auf seine Rechte zur Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen gegen- über der JVA oder der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz hingewiesen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 320 2 5. Welche Vorkehrungen sind in Berlins Ordnungsbe- hörden vorgesehen, um Fälle wie den unter 3. geschilder- ten grundsätzlich auszuschließen? Wie wird insbesondere gesichert, dass im Fall (rechtzeitig) bezahlter Bußgelder von vornherein kein Antrag auf Erzwingungshaft beim zuständigen Amtsgericht gestellt wird? Zu 5.: Bei dem beim Polizeipräsidenten in Berlin im ordnungsbehördlichen Staatsschutz angebundenen Be- reich für die Bearbeitung von Ordnungswidrigkeiten wird einem von dort gestellten Antrag auf Erzwingungshaft stets das Zwangsvollstreckungsverfahren der Landes- hauptkasse Berlin vorangestellt. Im Rahmen dieses Zwangsvollstreckungsverfahrens können die Betroffenen ihren Zahlungswillen durch For- derungsbegleichung oder – nach regelhaft erfolgter Aufklärung – einen Antrag auf Zahlungserleichterung (Stundung ) erklären. Erst wenn der Zahlungswille nachhaltig nicht erkennbar ist, wird beim zuständigen Amtsgericht als letztes Mittel die Erzwingungshaft beantragt. Unmittelbar vor Antragstellung und parallel zum dann beim Amtsgericht anhängigen Erzwingungshaftverfahren wird fortlaufend das elektronische „Schuldnerkonto“ des Betroffenen auf Eingänge überprüft. Sobald der Eingang der geschuldeten Forderung auf dem „Schuldnerkonto“ verzeichnet ist, wird der Antrag auf Erzwingungshaft unverzüglich zurückgenommen. Bei Eingang eines Teils des geschuldeten Geldbetrags wird beim Gericht die Aus- setzung der Vollstreckung der Erzwingungshaft angeregt. Dies gilt auch in Fällen, in denen erst beabsichtigt ist, dem Betroffenen Zahlungserleichterungen einzuräumen oder sogar begründete Zweifel am Zahlungswillen beste- hen, weil der Betroffene wiederholt Zahlungen trotz Zah- lungserleichterungen grundlos nicht geleistet hat. Mit diesem gesetzmäßigen Verfahren wird das Risiko rechtsgrundloser Inhaftierungen auf ein Minimum redu- ziert. 6. Welche Aufwendungen entstehen dem Land Berlin pro Fall einer solchen unfreiwilligen „Übernachtung im Hotel JVA“ wegen fehlerhaft angeordneter Erzwingungshaft insgesamt an Vollstreckungs- und Haftkosten? Zu 6.: Für den Fall fehlerhaft angeordneter Erzwin- gungshaft sind dem Senat angefallene Vollstreckungskos- ten zahlenmäßig nicht bekannt. Nach der veröffentlichten Tageshaftkostenberechnung für 2012 betrugen die Tageshaftkosten im Land Berlin im Jahr 2012, ohne Baukosten, 111,48 Euro, mit Baukosten 149,63 Euro. Für die Folgejahre liegen noch keine Be- rechnungen vor. Berlin, den 20. März 2014 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Mrz. 2014)