Drucksache 17 / 13 321 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 06. März 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. März 2014) und Antwort Wie stellt sich die Situation einer vorübergehenden bzw. dauerhaften Unterbringung und Pflege von überwiegend pflegebedürftigen, schwerkranken und z.T. mehrfachbehinderten Kindern und Jugendliche in Berlin dar? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche sozialrechtlichen Ansprüche haben Kinder und Jugendliche mit Grundpflegebedarf der Pflegestufen I bis III ohne Behandlungspflege, wenn sie nicht zu Hause leben können? Zu 1.: Kinder und Jugendliche haben bei vorlie- gender Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI auch einen Anspruch auf Pflege in Einrichtungen der vollstationären Dauer-pflege (Pflegeheime), wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheit des Einzelfalles nicht in Betracht kommt (§ 43 SGB XI). Daneben besteht ein Anspruch auf Pflege in einer vollstationären Kurzzeitpflege, wenn die häusliche Versorgung vorübergehend wegen einer Krisensitua- tion nicht möglich ist (§ 42 SGB XI). Der Gesetzge- ber hat hierbei eingeräumt, dass die Finanzierung durch die Pflegekassen auch dann erfolgt, wenn bei der Pflege von Kindern bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres die (vorübergehende) Unterbringung in einer geeigneten Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen oder in einer anderen geeigneten Einrich- tung erfolgt. Hintergrund ist, dass zugelassene Pfle- geeinrichtungen grundsätzlich auf ältere Menschen abstellen und für Kinder und Jugendliche ungeeignet sind. Zusätzlich kommen bei einer vorübergehenden vollstationären Unterbringung Leistungen der Ver- hinderungspflege nach § 39 SGB XI in Betracht. Auch hier sind die Betroffenen nicht an die zugelas- senen Pflegeeinrichtungen gebunden, sondern können insbesondere Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen in Anspruch nehmen. Kinder und Jugendliche haben ebenso wie alte Menschen neben den gedeckelten Leistungen der Pflegeversicherung - in Abhängigkeit von Einkom- men und Vermögen der Eltern – einen Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem SGB XII. Neben den Leistungen der Hilfe zur Pflege kom- men hier ggf. auch Leistungen der Eingliederungshil- fe für Menschen mit Behinderung gemäß § 53 ff. SGB XII in Betracht. 2. In welchen Einrichtungen sind die in Frage 1 genannten Kinder und Jugendlichen in Berlin und aus Berlin untergebracht und um wie viele Kinder und Jugendliche handelt es sich? Zu 2.: In Frage 1 genannte Kinder können in sta- tionären Einrichtungen für Menschen mit körperli- chen und/oder geistigen Behinderungen unterge- bracht werden, wenn ein vordergründiger Bedarf an Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemein- schaft besteht. Im Land Berlin waren zum Stichtag 31.12.2013 ca. 270 Plätze im Bereich der Eingliederungshilfe für Kinder mit einer geistigen, körperlichen und/oder mehrfachen Behinderung vorhanden. 3. Wer hat für die Einrichtungen, in denen die in Frage 1 genannten Kinder und Jugendliche leben die Aufsicht? Zu 3.: Die Einrichtungsaufsicht für stationäre Ein- richtungen für Kinder und Jugendliche obliegt der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissen- schaft als Teil der Einrichtungsaufsicht für Einrich- tungen der Jugend- und Berufshilfe. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 321 2 4. Nach welchen Regelungen und welchen verbindlichen Konzeptionen haben die in Frage 2 ge- nannten Einrichtungen zu arbeiten? Zu 4.: Auf Grundlage von Vereinbarungen gem. § 75 Abs. 3 SGB XII verfügen die Träger der Ein- richtungen der Eingliederungshilfe über eine Leis- tungsvereinbarung, eine Vergütungsvereinbarung und eine Prüfungsvereinbarung. Die Leistungsvereinba- rung enthält Regelungen über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen. Verpflichtender Bestandteil ist dabei eine Konzeption, die verbindliche Aussagen über die fachlichen Leistungen enthält. 5. Wie wird der pädagogische und schulische Bedarf der in Frage 1 genannten Kinder und Jugend- lichen gedeckt? Zu 5.: Die Verordnung über die sonderpädagogi- sche Förderung (Sopäd VO) regelt in § 15 (langfristi- ge Erkrankungen; Hausunterricht) die schulische Förderung und Unterrichtung von längerfristig oder chronisch erkrankten Schülerinnen und Schülern, die nicht am Unterricht einer Regelschule teilnehmen können. Diese Schülerinnen und Schüler erhalten einen speziellen Unterricht, der sowohl in Kranken- häusern, anderen Einrichtungen oder zu Hause statt- finden kann. Der Unterricht orientiert sich dabei an den Rahmenlehrplänen des Bildungsganges, dem die Schülerin oder der Schüler angehört. Der Unterricht soll aber auch Hilfe im Umgang mit der Krankheit geben und einer sozialen Isolation entgegenwirken. Der Umfang des Unterrichts beträgt dabei in der Regel sechs bis zwölf Wochenstunden. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund einer Behinde- rung nicht am Unterricht einer Schule teilnehmen kann, wird ebenfalls Hausunterricht erteilt. Neben diesem speziellen Unterricht werden diese Schülerinnen und Schüler auch an allgemeinen Schu- len unterrichtet, sofern die notwendigen Pflegeleis- tungen in der Schule erbracht werden können. Für ergänzende Pflege und Hilfe stehen dazu Schulhelfe- rinnen und Schulhelfer zur Verfügung, die für eine Schule beantragt werden können. Auch kommen ambulante Pflegedienste in die Schule, sofern die Art der notwendigen Pflegeleistung dies zulässt und die Leistung nicht durch Schulhelferinnen und Schulhel- fer erbracht wird. An Schulen mit dem sonderpädagogischem För- derschwerpunkt „Körperliche und motorische Entwicklung “ sowie „Geistige Entwicklung“ kann auch zusätzliches medizinisch-therapeutisches Personal eingesetzt werden, so dass dort häufig Schülerinnen und Schüler mit einem pflegerischen Bedarf unter- richtet werden. Pädagogische Bedarfe außerhalb des schulischen Kontextes werden auf Grundlage der bestehenden Leistungsvereinbarungen in Verbindung mit den konzeptionellen Vorgaben von fachlich geeignetem Personal gedeckt. 6. Welche sozialrechtlichen Ansprüche haben Kinder und Jugendliche mit Grundpflegebedarf der Pflegestufen I bis III mit Bedarf an einzelnen Maß- nahmen der Behandlungspflege, wenn sie nicht zu Hause leben können? Zu 6.: Siehe Antwort zu Frage 1. 7. In welchen Einrichtungen sind die in Frage 6 genannten Kinder und Jugendlichen in Berlin und aus Berlin untergebracht und um wie viele Kinder und Jugendliche handelt es sich? Zu 7.: Da grundsätzlich die unter Frage 6 genann- ten Kinder auch in stationären Einrichtungen für Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Be- hinderungen untergebracht werden können, wenn ein vordergründiger Bedarf an Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft besteht, wird auf die Beantwortung von Frage 2 verwiesen. Ergänzend kann im individuellen Einzelfall ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege gem. SGB V bestehen. Eine gesonderte Datenerhebung in Bezug auf den Anteil und den Umfang von behandlungspflegeri- schen Maßnahmen je Kind in stationären Einrichtun- gen der Eingliederungshilfe liegt nicht vor. 8. Wer hat für die Einrichtungen, in denen die in Frage 6 genannten Kinder und Jugendliche leben die Aufsicht? Zu 8.: Siehe Antwort zu Frage 3. 9. Nach welchen Regelungen und welchen verbindlichen Konzeptionen haben die in Frage 7 ge- nannten Einrichtungen zu arbeiten? Zu 9.: Siehe Antwort zu Frage 4. 10. Wie wird der pädagogische und schulische Bedarf der in Frage 6 genannten Kinder und Jugend- lichen gedeckt? Zu 10.: Siehe Antwort zu Frage 5. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 321 3 11. Welche sozialrechtlichen Ansprüche haben Kinder und Jugendliche mit Grundpflegebedarf der Pflegestufen I bis III und einem hohen Bedarf an Behandlungspflege (bis 24h-Behandlungspflege), wenn sie nicht zu Hause leben können? Zu 11.: Siehe Antwort zu Frage 1. 12. In welchen Einrichtungen sind die in Frage 11 genannten Kinder und Jugendlichen in Berlin und aus Berlin untergebracht und um wie viele Kinder und Jugendliche handelt es sich? Zu 12.: Da grundsätzlich die unter Frage 11 ge- nannten Kinder auch in stationären Einrichtungen für Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Be- hinderungen untergebracht werden können, wenn ein vorrangiger Bedarf an Leistungen der Eingliede- rungshilfe vorliegt, wird auf die Beantwortung von Frage 2 und Frage 7 verwiesen. Übersteigt jedoch der Bedarf an Behandlungs- pflege die Versorgungsmöglichkeiten im Rahmen der Eingliederungshilfe, können unter Berücksichtigung von § 55 SGB XII individuelle Lösungen zwischen dem Träger der Sozialhilfe und Pflegekassen verein- bart werden. Daher bieten Pflegedienste einzelne Wohngrup- pen für Kinder mit dauerhaftem Intensivpflegebedarf an. Ergänzende Leistungen der Eingliederungshilfe werden auf Grundlage des § 75 Abs. 4 SGB XII mit dem zuständigen Sozialhilfeträger individuell verein- bart. Gesetzlich versicherte Kinder können darüber hinaus Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V (§§ 27 ff. SGB V) beanspruchen. Dies beinhaltet Leistungen der häuslichen Krankenpflege und stationäre Kran- kenhausbehandlung. 13. Wer hat für die Einrichtungen, in denen die in Frage 11 genannten Kinder und Jugendliche leben die Aufsicht? Zu 13.: Siehe Antwort zu Frage 3. 14. Nach welchen Regelungen und welchen Konzeptionen haben die in Frage 12 genannten Einrich- tungen zu arbeiten? Zu 14.: Siehe Antwort zu Frage 4. 15. Wie wird der pädagogische und schulische Bedarf der in Frage 11 genannten Kinder und Jugend- lichen gedeckt? Zu 15.: Siehe Antwort zu Frage 5. 16. Wie viele der in den vorherigen genannten Kinder und Jugendlichen wurden durch Jugendämter in Obhut genommen bzw. durch Intervention des Jugendamtes im Rahmen des Kinderschutzes in Ein- richtungen untergerbacht? Zu 16.: In der Hilfeplanstatistik der Berliner Ju- gendämter wird auch die Zugehörigkeit zum Perso- nenkreis gemäß § 53 SGB XII erfasst. Die erfragte Zielgruppe wird hier miterfasst, aber nicht gesondert ausgewiesen. Der Anteil der Kinder/Jugendlichen, die aufgrund ihrer Behinderungen dem Personenkreis des § 53 SGB XII zuzuordnen sind und im Rahmen der Hilfen zur Erziehung bzw. der Eingliederungshilfen gemäß § 35a SGB VIII unterstützt werden, beträgt insgesamt 1,45 % an allen Hilfen und differenziert sich auf die Hilfegruppen wie folgt: Hilfegruppe lfd. Hilfen am Stichtag 31.12.2013 davon Zugehörigkeit zum Personenkreis § 53 SGB XII Anteil in % ambulant 11408 129 1,1 teilstationär 881 13 1,5 Vollzeitpflege 2788 92 3,3 stationär in Einrichtungen 6311 76 1,2 21388 310 1,4 Quelle: Hilfeplanstatistik der Berliner Jugendämter Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 321 4 Von 1200 Inobhutnahmen in stationären Einrichtun- gen der Jugendhilfe in 2013 wurde bei acht Inobhutnah- men auch das Merkmal Zuordnung zum Personenkreis nach § 53 SGB XII erfasst. Dies entspricht 0,7 % an allen Inobhutnahmen. 17. Welche verbindlichen Rückführungskonzepte und Konzepte der Elternarbeit gibt es für die in Frage 16 ge- nannten Kinder und Jugendlichen? Zu 17.: Vor dem Hintergrund der geringen Fallzahlen, wie sie aus der Beantwortung zu Frage 16 ersichtlich sind, werden individuelle Rückführungskonzepte auf Ebene der Einzelfallsteuerung abgestimmt. 18. Welches verbindliche Konzept etwa im Rahmen eine AV gibt es in Berlin für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche, die vorübergehend oder dauerhaft unterge- bracht sind, wie wird für sie durch wen der Kinderschutz garantiert? 19. Wenn es ein in Frage 18 genannten Konzept nicht gibt, warum gibt es dieses Konzept nicht und wann wird es vorliegen? Zu 18. und 19.: Als Bestandteil des „Konzept für ein Netzwerk Kinderschutz“ regeln die seit dem 8.04.2008 in Kraft getretenen gemeinsamen Ausführungsvorschriften über die Durchführung von Maßnahmen zum Kinder- schutz in den Jugend- und Gesundheits-ämtern der Be- zirksämter des Landes Berlin“ (AV Kinderschutz Jug Ges) die Aufgaben-sicherstellung der bezirklichen Ju- gend- und Gesundheitsämter. Das betrifft insbesondere das Verfahren zur Aufnahme einer Kinderschutzmeldung und der Risikoabschätzung, die verbindliche Erreichbar- keit des 'Krisendienst Kinderschutz' in den Jugend- und Gesundheitsämtern sowie Vereinbarungen zur Zusam- menarbeit zwischen Jugendhilfe, Polizei, Schule und Familiengerichten. Die AV Kinderschutz Jug Ges findet auch bei pflegebedürftigen Kindern Anwendung, sofern im Einzelfall Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung vorliegen. 20. Sieht der Berliner Senat den Bedarf für die hier genannten Kinder und Jugendliche das geltende Sozial- recht weiterzuentwickeln, wenn ja wie und wenn nein, warum nicht? Zu 20.: In Bezug auf die hier in Rede stehenden Be- darfe von Kindern und Jugendlichen sind Ansprüche im SGB XI (Pflegeversicherung) und SGB XII (Sozialhilfe) gesichert. Der fachliche Diskurs zur stetigen Weiterentwicklung der Angebotsstrukturen und Stärkung des Kinder- und Jugendschutzes wird fortgeführt. Berlin, den 21. März 2014 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Mrz. 2014)