Drucksache 17 / 13 322 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 04. März 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. März 2014) und Antwort Hat Berlin an der Aufarbeitung der Nazi-„Euthanasie“-Morde kein öffentliches Interesse? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Ermittlungen hat die Berliner Polizei nach einer Strafanzeige aus dem Jahr 2011 wegen Beihilfe zum Mord gegen Unbekannt wegen Verdachts auf einen Nazi- Euthanasie-Mord in den Bucher Kliniken (damalige „Heil- und Pflegeanstalt Buch“) unternommen und aus welchen Gründen kam es zu einer Einstellung des Verfah- rens durch die Staatsanwaltschaft Berlin? Zu 1.: Unter Zugrundelegung der Informationen, die sich aus der Schriftlichen Anfrage entnehmen lassen, konnte bei der Staatsanwaltschaft Berlin kein auf einer Strafanzeige aus dem Jahr 2011 beruhendes Verfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf einen Nazi- Euthanasie-Mord im Dritten Reich in der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Buch festgestellt werden. 2. Welche Erkenntnisse hat der Senat über die Zahl der in den Bucher Kliniken von den Nazis im Rahmen der „Aktion T 4“ ermordeten Menschen? Zu 2.: Es liegen im Landesarchiv Berlin, dem Staats- archiv des Landes Berlin und nachgeordneten Behörde der Senatskanzlei - Kulturelle Angelegenheiten, in dem Patientenakten der Heil- und Pflegeanstalt Buch archiva- risch bewahrt werden, keine genauen Zahlen vor. 3. Was hat der Senat unternommen, um – im Anschluss an die 2005/2006, 2007 und 2011 im Rahmen von Praktika und MAE-Maßnahmen erfolgte Schimmelbe- handlung und zu einem geringen Teil auch Verzeichnung der rund 20.000 Klinikakten – die Erschließung der Bestände zu sichern, damit eine geregelte strafrechtliche und historische Aufarbeitung der T4-Morde in den Bucher Kliniken ermöglicht wird? Zu 3.: Das Landesarchiv Berlin plant gegenwärtig den fachlich betreuten Einsatz von Beschäftigten der Berliner Werkstätten für Behinderte GmbH, die ab April/Mai 2014 eine einfache Namenserfassung der Krankenakten durch- führen könnten. Damit verbunden werden weitere konser- vatorische Maßnahmen, v. a. die Umbettung und ober- flächliche Reinigung der Akten. 4. Wie ist gegenwärtig der Zustand der unter 3. be- zeichneten Unterlagen, welche Gefahren drohen ihrem Bestand absehbar in welchem Zeithorizont in diesem Zustand und welche Bearbeitung ist nötig, um diese Kli- nikakten dauerhaft der Nachwelt zu erhalten und zugäng- lich zu machen? Zu 4.: Die Krankenakten der Heil- und Pflegeanstalt Buch lagern archivgerecht verpackt in den Magazinräu- men des Landesarchivs Berlin unter optimalen klimatech- nischen Bedingungen. Eine unmittelbare Gefahr droht daher nicht. Eine Reinigung der Krankenakten, die noch mit abgetöteten Schimmelsporen behaftet bzw. ange- schmutzt/angestaubt sind, wird im Rahmen der unter 3. genannten Datenerfassung erfolgen können. 5. Welcher personelle, Qualifikations- und Zeitauf- wand ist erforderlich, um die Bearbeitung i.S.v. Frage 4. zu realisieren? Zu 5.: Für Erschließung und Reinigung der ca. 20.000 Krankenakten wären für zwei Personen zwei Jahre zu veranschlagen. Wünschenswert sind eine archivfachliche Aus- oder Vorbildung, die die Lesefähigkeit deutscher Kurrent- und Frakturschrift einschließt, sowie die Kennt- nis der im Landesarchiv Berlin verwendeten AUGIAS- Archiv-Software. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 322 2 6. Welche Schritte hat der Senat unternommen, um über die in anderen Verwaltungsstellen des Naziregimes (Hauptgesundheitsamt, Gauleitung bzw. Reichsverteidi- gungskommissariat, Zentraldienststelle T4, Reichsbeauf- tragter für Heil- und Pflegeanstalten) angelegten Akten in der Verfügung des Landes Berlin einen Überblick zu erhalten, Aktensicherung zu betreiben bzw. Aufarbeitung zu sichern? Zu 6.: Das Landesarchiv Berlin hat in seiner gesetzli- chen Zuständigkeit für die Behörden des Landes Berlin und ihre Rechts- und Funktionsvorgänger die Akten des Hauptgesundheitsamtes Berlin gesichert, erschlossen und stellt diese der Forschung zur Verfügung. Dasselbe gilt für die nur noch fragmentarisch überlieferten Unterlagen der NSDAP-Gliederungen im Gau Groß-Berlin. Für die Archivbestände der Reichs- und Zentralbehörden, wie des Reichsverteidigungskommissariat, der Zentraldienststelle T4 und des Reichsbeauftragten für Heil- und Pflegeanstal- ten ist das Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde zuständig. Beide Archive, wie auch das Brandenburgische Hauptar- chiv sowie das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kultur- besitz kooperieren bei der Sicherung von Beständen. Eine Zusammenarbeit besteht diesbezüglich auch mit der Stif- tung Topographie des Terrors, der Gedenkstätte Deut- scher Widerstand, dem Centrum Judaicum und anderen Gedenk- und Forschungsstätten in Berlin und Branden- burg. 7. Welche Bedeutung misst der Senat der Aufarbei- tung und Dokumentation der „Euthanasie“-Morde sowie der Schaffung von Transparenz hinsichtlich dieses Kapi- tels Berliner Klinikgeschichte durch die Nazis im Rahmen der Aktion T4 bei und was folgt daraus konkret für sein politisches Handeln? Zu 7.: Der Senat misst dem Thema die angemessen hohe Bedeutung bei. Dies wird auch daraus deutlich, dass Gesundheitssenator Mario Czaja am 20. Juni 2013 Frau Dr. Hannelore Dege und Rosemarie Pumb das vom Bun- despräsidenten verliehene Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland über- reicht hat. Dabei hat er in seiner Laudatio, ihre besonde- ren Verdienste im Zusammenhang mit der ehrenamtli- chen Forschungs- und Publikationsarbeit zur Ermordung von Zwangsarbeitern und der systematisch betriebenen Euthanasie, die während der Nazizeit in der Heil- und Pflegeanstalt Berlin-Buch stattfand, gewürdigt. Berlin, den 24. März 2014 In Vertretung Dirk G e r s t l e Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Mrz. 2014)