Drucksache 17 / 13 325 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Fabio Reinhardt (PIRATEN) vom 04. März 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. März 2014) und Antwort »Jailhouse Rock« - Haftkosten im Berliner Abschiebeknast Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie hoch ist derzeit der Tageskostensatz für den Berliner Abschiebeknast, der gemäß § 66 Aufenthaltsge- setz (AufenthG) von den Betroffenen erhoben wird und wie hat sich dieser in den letzten zehn Jahren entwickelt? Zu 1.: Der Tageskostensatz, der gemäß § 66 Aufent- haltsgesetz (Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstä- tigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesge- biet - AufenthaltsG) von den Abschiebehäftlingen erho- ben wird, hat sich in den letzten 10 Jahren wie folgt ent- wickelt: bis September 2005: 61,92 € ab Oktober 2005: 65,99 € ab Oktober 2009: 65,26 € Eine Neuberechnung des Tageskostensatzes befindet sich derzeit in Bearbeitung. 2. Wie setzt sich der erhobene Tagessatz konkret zu- sammen? Welche Kosten werden in welcher Höhe als „Unterbringungskosten“, welche als „Verpflegungskosten “ in Rechnung gestellt? Zu 2.: Der erhobene Tagessatz im Abschiebungsge- wahrsam setzt sich wie folgt zusammen: Personalkosten (einschließlich der Personalkosten für die ärztliche Betreuung) 49,51 € Sachkosten für die Unterkunft, inkl. Reinigung, Verwaltungskosten und Verpflegung 15,55 € (inkl. 5 € Verpflegung) Kosten Rundfunkbeitrag und den Un- terhalt von Fernsehgeräten 0,20 € Tageskostensatz bei 214 Haftplätzen 65,26 € Als Unterbringungskosten werden die Sachkosten für die Unterkunft, inkl. Reinigung, Verwaltungskosten und Verpflegung in Höhe von 15,55 € in Rechnung gestellt. Darin enthalten sind 5 € Verpflegungskosten. 3. Trifft es zu, dass sich der Tagessatz 2005/2006 um gut 5,- € erhöht hat, als die Stelle für eine Psychologin im Abschiebeknast eingerichtet worden ist? Zu 3.: Nein, siehe Antwort zu Frage 1. 4. Wie erklärt sich der Senat die enorme Spreizung der Haftkosten in den Bundesländern von 42,12 € in Bremen über den Berliner Satz von 65,26 € bis hin zu 167,82 € in Brandenburg (Zahlen von 2010)? Zu 4.: Zu den Haftkostenberechnungen anderer Bun- desländer liegen keine Informationen vor. 5. Wie würde sich der Tageskostensatz bei einer mög- lichen Zusammenlegung der Abschiebeknäste in Berlin und Brandenburg in Eisenhüttenstadt verändern? Zu 5.: Hierzu liegen keine Berechnungen vor. 6. Zu welchem Zeitpunkt werden die Inhaftierten über die Erhebung von Haftkosten (Tagessätze) informiert? Wie und durch wen findet diese Information statt? In welchen Sprachen wird informiert? Zu 6.: Die Betroffenen erhalten nach ihrer Aufnahme im Abschiebungsgewahrsam von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde oder der Polizei ein allgemeines Merkblatt, das unter anderem darüber informiert, dass sie die Kosten, die durch ihre Abschie- bungshaft und ihre Abschiebung entstehen, zu tragen haben. Eine konkrete Information über die Höhe der Ta- gessätze erfolgt nicht. Das Merkblatt steht in insgesamt 12 Übersetzungen (französisch, albanisch, türkisch, viet- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 325 2 namesisch, kroatisch, serbisch, spanisch, chinesisch, mongolisch, russisch, arabisch, englisch) zur Verfügung. 7. In wie vielen Fällen wurde in den Jahren seit 2010 Inhaftierten Bargeld, das sie bei ihrer Festnahme bei sich hatten, als Sicherheitsleistung nach § 66 Abs. 5 AufenthG zur späteren Begleichung der Haftkosten abgenommen und in welcher jährlichen Höhe einbehalten (bitte auf- schlüsseln nach Jahr, Fall und Summe)? Zu 7.: 8. Trifft es zu, dass zumindest einmal ein Inhaftierter (2006 ein 63-Jähriger Mazedonier) versuchte sich zu erhängen, als er davon erfuhr, dass das ihm abgenommene Geld mit den Haftkosten verrechnet wird? Zu 8.: Hierzu liegen keine Informationen vor. 9. Wie häufig kam es in den Jahren seit 2008 dazu, dass Inhaftierte im Berliner Abschiebeknast anlässlich der Informierung, dass das ihnen abgenommene Geld mit den Haftkosten verrechnet wird, sich selbst verletzt bzw. ei- nen Suizidversuch unternommen haben (bitte ggf. einzeln aufschlüsseln)? Zu 9.: Hierzu liegen keine Daten vor. 10. Zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form wer- den Häftlinge, die abgeschoben werden, und Häftlinge, die ohne Abschiebung wieder freigelassen werden, die Tagessätze für die Haft in Rechnung gestellt? Zu 10.: Gemäß. § 66 Abs. 1 AufenthG hat ein Auslän- der die Kosten, die durch seine Abschiebung entstehen, zu tragen. Abgeschobene Ausländerinnen und Ausländer erhal- ten entsprechende Leistungsbescheide in der Regel im Rahmen einer angestrebten Wiedereinreise oder aber nach einer illegalen Neueinreise. Inhaftierte, die aus der recht- mäßigen Abschiebungshaft entlassen werden mussten, haben ebenfalls die entstandenen Kosten zu tragen. Die Kosten hierfür werden nicht unmittelbar nach der Entlas- sung aus der Abschiebungshaft, sondern zu dem Zeit- punkt gefordert, in dem die aufenthaltsbeendenden Maß- nahmen ihre Erledigung gefunden haben. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn wegen erfolgter Eheschließung mit einer oder einem deutschen Staatsangehörigen ein Auf- enthaltstitel erteilt wird. Wird dagegen nach der Haftent- lassung die Aufenthaltsbeendigung weiterbetrieben, wird die Kostenforderung bis zur vollzogenen Abschiebung zurückgestellt und anschließend z.B. im Rahmen eines Wiedereinreiseverfahrens geltend gemacht. 11. Trifft es zu, dass die Kosten für Haft bei Entlasse- nen laut Weisungsordner auch zum Zeitpunkt der Ertei- lung einer Aufenthaltserlaubnis (z.B. nach Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen) eingefordert werden (bitte entsprechende Weisungen zu Haftkosten im Originalwortlaut beifügen)? a) Wenn ja, wie oft ist dies in den Jahren seit 2010 vorgekommen (bitte nach Jahr aufschlüsseln)? Zu 11.: Ja, das trifft zu. Entstandene Kosten für die Unterbringung im Gewahrsam, ärztliche Versorgung während der Haft usw. werden nicht nur im Zusammen- hang mit einer vollzogenen Abschiebung gefordert, son- dern auch, wenn der ausländische Staatsangehörige aus der rechtmäßigen Abschiebungshaft (z.B. wegen Ver- wahrunfähigkeit) entlassen werden musste. Hierzu wird auf die Verfahrenshinweise der Ausländerbehörde – VAB A.66.1.2 http://www.berlin.de/formularserver/formular.php?157323 verwiesen. Ergänzend wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen. Zu 11a).: Hierzu wird keine Statistik geführt. 12. Wie bewertet der Senat diese unter 10. beschrie- bene Praxis, die den Start in einen neuen, scheinbar siche- reren Lebensabschnitt extrem erschwert? Zu 12.: Die Vorschrift des § 66 Abs. 1 AufenthG ent- hält eine zwingende Verpflichtung der Ausländerin bzw. des Ausländers, die Kosten, die durch die Durchsetzung einer räumlichen Beschränkung, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung entstanden sind, zu tragen. Die das AufenthG ausführenden Länder sind ver- pflichtet, diese Kosten in geeigneter Weise geltend zu machen. Den im Einzelfall bestehenden Lebensumständen der Betroffenen wird durch das Angebot, die Kosten im Wege einer angemessenen Ratenzahlung zu begleichen, Rech- nung getragen. Im Falle des Bezugs von öffentlichen Leistungen wird die Ausländerbehörde prüfen, ob die Rückzahlung der Kosten ausgesetzt oder niedergeschla- gen werden kann. Ergänzend wird auf die Antwort zu Frage 16 verwie- sen. 13. Wie vielen Personen wurden in den Jahren seit 2011 jeweils Kostenforderungen für die erlittene Haft zugestellt (bitte nach Jahr aufschlüsseln)? Jahr Fälle Summe 2010 81 37.880,29 € 2011 49 23.327,94 € 2012 16 7.362,17 € 2013 8 4.380,00 € 2014* 0 0,00 € *Stand: 06.03.2014 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 325 3 Zu 13.: Die erbetenen Daten werden statistisch nicht erfasst. 14. Wie hoch war in den Jahren seit 2011 jeweils die von den vormals Inhaftierten geforderte Summe für ihre Haftkosten, für Dolmetscherkosten sowie für die ärztliche Versorgung (bitte nach Posten und Jahr aufschlüsseln)? Zu 14.: Die erbetenen Daten werden statistisch nicht erfasst. 15. Wie hoch war die Summe, die in den Jahren seit 2011 jeweils für die Haftkosten (Dolmetscherkosten; Kosten für medizinische Versorgung) tatsächlich einge- trieben werden konnte (bitte nach Posten und Jahr auf- schlüsseln)? Zu 15.: Die erbetenen Daten werden statistisch nicht erfasst. 16. Wie bewertet der Senat die Tatsache, dass Men- schen im Rahmen der Abschiebehaft aufgrund eines rich- terlichen Haftbeschlusses inhaftiert werden und dafür auch noch bezahlen müssen? Zu 16.: Abschiebehaft wird nur beantragt und ange- ordnet, wenn die Betroffenen nachweislich und vorwerf- bar ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen. Sie ist aus- schließlich zur Sicherung der Abschiebung und nicht als Bestrafung vorgesehen. Dass die Verursacherin oder der Verursacher des zusätzlichen Verwaltungsaufwandes an den Kosten beteiligt werden, ist rechtlich vorgesehen. Eine Ausländerin oder ein Ausländer ist gem. § 58 Abs. 1 AufenthG abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder abgelaufen ist, die freiwillige Erfüllung der Ausrei- sepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentli- chen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Die Abschiebungshaft als „ultima ratio“ kommt immer erst dann in Betracht, wenn alle anderen Mittel zur Durchsetzung einer vollziehbaren Ausreiseverpflichtung ausgeschöpft sind. Nach dem Grundsatz der Verhältnis- mäßigkeit ist die Abschiebungshaft ausgeschlossen, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes, ebenfalls ausrei- chendes anderes Mittel erreicht werden kann. Eine Inhaf- tierung erfolgt nur nach sorgfältiger Prüfung des Sachver- haltes und mit richterlichem Haftbeschluss und wird durch die Verhaltensweise der betroffenen Person (z.B. keine erkennbare Ausreisebereitschaft, keine Meldean- schrift, begründeter Verdacht, dass sie oder er sich der Abschiebung entziehen will oder sich bereits einem Ver- such entzogen hat) selbst verursacht. Rechtsgrundlage für die Forderung der im Zusammenhang mit der Abschie- bung des Ausländers entstandenen Kosten ist § 66 Abs. 1 AufenthG. 17. Sieht der Senat hier auch die Gefahr einer zweifa- chen Bestrafung durch Haft und Haftkosten, ohne dass den Betroffenen eine Straftat vorgeworfen wurde? Zu 17.: Nein. Die Abschiebungshaft ist keine Strafe. Sie dient lediglich der Sicherung der Abschiebung (siehe auch Antwort zu Frage 14). Auch die Pflicht zur Kosten- erstattung hat keinen Strafcharakter, sondern dient nur dem Ersatz von staatlichen Aufwendungen. 18. Würde der Senat sich auf Bundesebene für eine Änderung von § 66 AufenthG einsetzen, sodass Abschie- behäftlinge nicht mehr die Kosten der Abschiebung zu tragen haben? Wenn nein, warum nicht? Zu 18.: Nein. Bei den Kosten der Abschiebungshaft handelt es sich um von den Betroffenen selbst verursachte vermeidbare Kosten, die bereits aus fiskalischen Gründen einzufordern sind. Darüber hinaus sollte sowohl aus spe- zial- als auch generalpräventiven Gründen nicht von der Kostenforderung abgesehen werden. Berlin, den 20. März 2014 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Mrz. 2014)