Drucksache 17 / 13 503 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Martin Beck und Jasenka Villbrandt (GRÜNE) vom 24. März 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. März 2014) und Antwort Bedingungen für Menschen mit Behinderungen in den Berliner Bäderbetrieben Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Inwiefern sieht der Senat die Einhaltung der Ver- pflichtung des Landes Berlin zur Schaffung gleichwerti- ger Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung, die sich aus der seit 26.03.2009 in Deutsch- land gültigen UN-Behindertenrechtskonvention ergeben, bei den Berliner Bäderbetrieben, insbesondere mit der neuen Nutzungssatzung erfüllt? Zu 1.: Artikel 3 Absatz 5 der UN- Behindertenrechtskonvention bestimmt, dass seitens der Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen zu treffen sind, mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen die gleichbe- rechtigte Teilnahme an Erholungs-, Freizeit- und Sportak- tivitäten zu ermöglichen. Nach § 1 Absatz 1 Sportförderungsgesetz (SportFG) soll jedem, d.h. Menschen mit und ohne Behinderung, die Möglichkeit verschaffen werden, sich entsprechend sei- nen Fähigkeiten und Interessen im Sport nach freier Ent- scheidung mit organisatorischer Bindung (Verein) oder ohne organisatorische Bindung zu betätigen. In diesem Sinne regelt die Nutzungssatzung nach Maßgabe des Bäder-Anstaltsgesetzes (BBBG) die unent- geltliche Nutzung der Schwimmbäder für die Geltungsbe- reiche Schulen im Rahmen des obligatorischen Schwimmunterrichts, förderungswürdige Sportorganisati- onen für ihren schwimm- und wassersportlichen Übungs-, Lehr- und Wettkampfbetrieb und Kindertagesstätten, insbesondere zur Wassergewöhnung, sportlichen Betäti- gung und Gesundheitserziehung, unabhängig davon, ob sich die Nutzungen auf Menschen mit oder ohne Behinde- rung beziehen. Daher sieht der Senat auch mit der neuen Nutzungs- satzung, die zum 01.01.2014 in Kraft getreten ist, keine Ungleichbehandlung von Menschen mit Behinderung. 2. Wie bewertet der Senat die Tatsache, dass bei- spielsweise in den Staatlichen Museen zu Berlin eine Ermäßigung beim Eintrittspreis für Menschen mit Behin- derungen ab einem Grad von 50% vorgesehen ist, bei den Bäderbetrieben jedoch nicht, und sind in dieser Hinsicht Anpassungen geplant? Zu 2.: Die Tarifsatzung gilt für Menschen mit und oh- ne Behinderung gleichermaßen. Auch mit der neuen Tarifsatzung, die zum 01.01.2014 in Kraft getreten ist, bleibt der Kreis der Ermäßigungsbe- rechtigten unverändert. Ermäßigungsberechtigt sind ne- ben Kindern bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres, Schülerinnen und Schülern bis zum 21. Lebensjahr, Stu- dentinnen, Studenten und Auszubildenden bis zum 27. Lebensjahr, ausschließlich sozial bedürftige Personen- gruppen wie Empfängerinnen und Empfänger von Ar- beitslosengeld II (ALG II) bzw. Sozialgeld nach SGB II („Hartz IV“), Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe oder Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach SGB XII, Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem Asylbewerber- leistungsgesetz sowie Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft eines Leistungsempfängers. Neben den Ermäßigungsberechtigten erhalten Kinder bis zur Vollendung des fünften Lebensjahres entgeltfreien Zutritt und Familien wird mit der neuen Familienkarte, die für zwei Erwachsene und bis zu fünf Kinder gültig ist, ein vergünstigter Eintritt ermöglicht. Zudem gewährt der "Super-Ferienpass", den Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres erwerben können, wäh- rend der Schulferien einen entgeltfreien Zutritt zu den öffentliche Schwimmbädern (Hallen-, Frei- und Sommer- bäder). Das Landesgleichberechtigungsgesetz (LGBG) be- schreibt in § 1 Absatz 1 das Gleichberechtigungsgebot als „Umsetzung des Benachteiligungsverbotes von Menschen mit Behinderung und die Herstellung gleichwertiger Le- bensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinde- rung gemäß Artikel 11 der Verfassung von Berlin.“ Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 503 2 Nach Auffassung des Senats wird mit der Tarifsatzung und dem entgeltfreien Zutritt für Begleitpersonen von Schwerbehinderten mit dem Merkzeichen “B” im Schwerbehindertenausweis dem Gleichberechtigungsge- bot entsprochen. Darüber hinaus setzt sich der Senat im Rahmen der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel weiterhin für die Bereitstellung barrierefreier Bäder ein, die von Menschen mit und ohne Handicap gleichermaßen genutzt werden können. Eine Anpassung der Tarifsatzung ist nicht geplant. 3. Inwiefern ist es zutreffend, dass Vereinen, die Be- wegungs- und Sportaktivitäten für Menschen mit Behin- derungen jenseits von durch Leistungsträger finanzierten therapeutische oder rehabilitativen Maßnahmen anbieten, im Gegensatz zu herkömmlichen Sportvereinen Schwimmflächen nicht kostenlos zur Verfügung gestellt werden? 4. Auf welcher Grundlage begründet der Senat die Ungleichbehandlung der in Frage 3 genannten Vereine gegenüber Schwimmvereinen bei der kostenlosen Verga- be der Schwimmflächen? Zu 3. und 4.: Nach Maßgabe von § 3 Absatz 1 Num- mer 2 Bäder-Anstaltsgesetzes (BBBG) und § 1 Absatz 1 Nummer 2 der Satzung über die Nutzung der Einrichtun- gen der Berliner Bäder-Betriebe (Nutzungssatzung) ist die Nutzung der Schwimmbäder unentgeltlich sicherzustellen für förderungswürdige Sportorganisationen für ihren schwimm- und wassersportlichen Übungs-, Lehr- oder Wettkampfbetrieb. Die unentgeltliche Bereitstellung ist ausschließlich auf die Sportarten begrenzt, die zu ihrer Ausübung Wasser benötigen. Die einzelnen Sportarten sind in § 2 Absatz 3 Nutzungssatzung abschließend aufgezählt. Im Einzelnen sind das Schwimmen, Wasserrettung, Wasserspringen, Wasserball, Moderner Fünfkampf, Triathlon, Synchron- schwimmen, Unterwasserrugby, Flossenschwimmen, Streckentauchen und Tauchen. Die zur unentgeltlichen Nutzung berechtigenden Schwimm- und Wassersportarten benötigen zum Erlernen ihrer sportartspezifischen Techniken Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie zur Ausübung das Element Wasser, d.h., Schwimmbäder sind dafür die sportartgerechten Sportanlagen. Einige Schwimm- und Wassersportarten (z.B. Schwimmen, Tauchen, Wasserball, u.a.) können auch von Menschen mit Behinderung im Rahmen des schwimm- und wassersportlichen Übungs-, Lehr- oder Wettkampfbetriebs unter Beachtung teilnehmerspezifi- scher Kriterien und Methoden (Art und Grad der Behinde- rung, Alter, Leistungsstand, Leistungsfähigkeit und Leis- tungsbereitschaft sowie unter Einbeziehung entsprechen- der „Hilfsmittel“) ausgeübt werden. Diese Regelungen gelten für alle förderungswürdigen Sportorganisationen, unabhängig davon, ob diese Ange- bote für Menschen mit oder ohne Behinderung ausgeprägt sind. Über die Festsetzung der Belegungskapazitäten für die unentgeltliche Nutzung der Schwimmbäder durch Schu- len, Kindertagesstätten sowie der förderungswürdigen Sportorganisationen entscheidet gemäß § 8 Absatz 3 Nummer 7 BBBG der Aufsichtsrat der BBB. Im Hinblick auf die einzelbadbezogene Verteilung der Nutzungsflä- chen und -zeiten in den Hallenbädern haben die BBB gemäß § 12 Absatz 1 BBBG von den Regionalen Beirä- ten, denen Vertreter aller Bezirke und bezirklichen Sport- arbeitsgemeinschaften angehören, Stellungnahmen einzu- holen. Vor diesem Hintergrund wurden und werden von den BBB im Einvernehmen mit der Senatsverwaltung für Inneres und Sport hinsichtlich des unentgeltlichen Übungs- und Lehrbetriebs der Behinderten-Sportvereine kulante Ermessensentscheidungen getroffen. 5. Ist bekannt, wie viele der Nutzerinnen und Nutzer Menschen mit Behinderungen sind? Bitte nach Art der Behinderung auflisten. Zu 5.: Hierzu liegen keine Informationen vor. 6. Bei welchen Bädern sind Zugang und Nutzung der Infrastrukturen in den Bädern auch für Rollstuhlfahrerin- nen und –fahrer gegeben, bei welchen ist die Schaffung eines solchen in nächster Zeit geplant und bei welchen nicht? Bitte nach Bädern auflisten. 7. Welche Maßnahmen wurden getroffen, um Men- schen mit Sehbeeinträchtigungen oder Blindheit Zugang und Nutzung der Infrastrukturen in den Bädern zu erleich- tern oder zu ermöglichen? Bitte nach Bädern auflisten. 8. Inwiefern werden Zugang und Nutzung der Infra- strukturen in den Bädern für hörgeschädigte Personen erleichtert, etwa in Bezug auf Sicherheits- oder Warnsys- teme? Zu 6. bis 8.: Für insgesamt acht Bäder der BBB ist be- reits das Signet „Berlin barrierefrei“ gemäß den gültigen Kriterien vergeben worden. In weiteren Bädern sind zu- mindest die Voraussetzungen geschaffen, die Nutzung der Bäder für Menschen mit Behinderung zu erleichtern, wenngleich diese nicht gänzlich barrierefrei gestaltet sind. Folgende Bäder haben das Signet “Berlin barrierefrei“ erhalten und sind somit uneingeschränkt für Rollstuhlfah- rerinnen und Rollstuhlfahrer zugänglich und nutzbar:  Sommerbad Neukölln  Schwimmhalle Holzmarktstraße  Bad am Spreewaldplatz  Schwimmhalle Helmut Behrend am HeleneWeigel -Platz  Kombibad Seestraße  Stadtbad Neukölln  Paracelsusbad  Schwimmhalle Märkisches Viertel Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 503 3 Darüber hinaus sind u. a. die Schwimmhalle Ernst- Thälmann-Park, die Schwimm- und Sprunghalle im Eu- ropasportpark (SSE), das Stadtbad Lankwitz, die Schwimmhalle Hüttenweg und die Kleine Schwimmhalle Wuhlheide für Rollstuhlbenutzerinnen und –benutzer geeignet. Im Rahmen des Bädersanierungsprogramms wurden bzw. werden die Bäder Stadtbad Schöneberg, die Schwimmhalle Finckensteinallee, das Kombibad Gropi- usstadt und das Kombibad Spandau barrierefrei saniert. Die Bäder erhalten ein optisches und taktiles Leitsystem. Es werden bzw. wurden barrierefreie Zugänge, Duschen und WC’s geschaffen. Für den Beckeneinstieg sind entsprechende Hebevorrichtungen installiert bzw. vorgese- hen. Die geplanten Maßnahmen wurden mit den jeweili- gen bezirklichen Beauftragten für Menschen mit Behinde- rung abgestimmt bzw. wurden in die Planungen mit ein- bezogen. Problematisch gestaltet sich der Einbau einer so ge- nannten „Gewöhnungstreppe“. Der nachträgliche Einbau von Gewöhnungstreppen ist auch bei umfänglicher Sanie- rung in den vier genannten Bädern nicht umsetzbar. Dies scheitert an der jeweiligen Bestandssituation (Platzbedarf) und im Einzelfall auch an Denkmalschutzanforderungen, die keine Veränderung am Bestand zulassen. 9. Inwiefern steht zusätzliches Personal bereit bzw. wird benötigt, um Zugang und Nutzung der Infrastruktu- ren in den Bädern für Menschen mit Behinderungen zu erleichtern oder zu gewährleisten? Zu 9.: Nach Aussage der BBB steht hierfür kein zu- sätzliches Personal zur Verfügung. Das vorhandene Per- sonal leiste jedoch benötigte Hilfestellungen, wann immer es dazu in der Lage ist. Den BBB seien zudem keinerlei Beschwerden bekannt, dass benötigte Unterstützung nicht gewährt worden wäre. 10. Inwiefern sieht der Senat in der Ausgestaltung der Nutzungssatzung sowie dem nicht überall gegebenen Zugang der Bäder für Rollstuhlfahrerinnen und –fahrern eine Verletzung der UN-Behindertenrechtskonvention gegeben? Welche Maßnahmen sind geplant, um diesen Zustand zu ändern? Zu 10.: Die Sicherung von Nutzungsmöglichkeiten in öffentlichen Bädern für Menschen mit Behinderungen ist ein wichtiger Beitrag Berlins zu Daseinsvorsorge. Der Senat sieht in der Ausgestaltung der Nutzungssat- zung keine Benachteiligung von Menschen mit Behinde- rung. Nach der Bauordnung von Berlin sind bauliche Anla- gen, die öffentlich zugänglich sind, so instand zu halten, dass sie u. a. von Menschen mit Behinderungen über den Hauptzugang barrierefrei erreicht und ohne fremde Hilfe zweckentsprechend genutzt werden können. Von diesem Grundsatz gibt es bestandsbedingte und wirtschaftliche Ausnahmen. Das Bädersanierungsprogramm war bzw. ist finanziell nicht in der Lage, in allen Bädern einen behindertenge- rechten Zugang zu schaffen. Selbstverständlich setzen sich Senat und die BBB – im Rahmen der finanziellen und baulichen Möglichkeiten – weiterhin für die Bereitstellung barrierefreier Bäder ein. Berlin, den 10. April 2014 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Apr. 2014)