Drucksache 17 / 13 533 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 31. März 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. April 2014) und Antwort Abschiebehaft und die neue Dublin-III-Verordnung Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Personen wurden seit Anfang 2012 in Berlin in Abschiebehaft genommen (bitte nach Monaten getrennt angeben)? Zu 1.: Im Berichtszeitraum vom 1. Januar 2012 bis 3. April 2014 wurden insgesamt 636 Personen in Abschie- bungshaft genommen. 2012 2013 2014* Januar 39 17 22 Februar 31 16 34 März 43 15 31 April 30 13 2* Mai 42 17 Juni 28 27 Juli 29 16 August 16 10 September 12 15 Oktober 19 20 November 14 23 Dezember 23 32 Gesamt 326 221 89* *Stand: 3. April 2014 2. Wie viele Personen wurden seit Anfang 2012 zur Überstellung in ein anderes EU-Land im Rahmen des Dublin-Verfahrens in Abschiebehaft genommen und welcher Anteil an der Gesamtzahl der Inhaftierten ist dies (bitte nach Monaten getrennt angeben)? 3. Wie viele Personen, die seit Anfang 2012 in Abschiebehaft genommen wurden, haben gegen ihre Inhaf- tierung Rechtsmittel eingelegt, wie viele davon waren erfolgreich und wie viele sind infolge gerichtlicher Ent- scheidungen entlassen worden (bitte nach Monaten ge- trennt angeben)? 4. Wie viele Personen, die seit Anfang 2012 zur Überstellung im Rahmen eines Dublin-Verfahrens in Abschiebehaft genommen wurden, haben gegen ihre Inhaftierung Rechtsmittel eingelegt, wie viele davon wa- ren erfolgreich und wie viele sind infolge gerichtlicher Entscheidungen entlassen worden (bitte nach Monaten getrennt angeben)? Zu 2.-4.: Diese Daten werden statistisch nicht erfasst. 5. Welche Auswirkungen und Änderungen folgen für den Senat aus dem Inkrafttreten der neuen Dublin-III- Verordnung, hier insbesondere die Regelungen zur (Un- )Zulässigkeit von Inhaftierungen, und was unternimmt er zur Umsetzung dieser Regelungen? 6. Inwieweit teilt der Senat die Auffassung, dass eine Inhaftierung im Rahmen des Dublin- Überstellungsverfahrens derzeit grundsätzlich unzulässig ist, weil diese nach Art. 28 Abs. 2 der Dublin-III- Verordnung nur bei erheblicher Fluchtgefahr verhängt werden darf (weitere Bedingungen kommen hinzu), deren Prüfung laut Art. 2 lit. n der Verordnung aber auf objekti- ven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen muss, die es jedoch (noch) nicht gibt, zumal wegen des haftrechtlichen Analogieverbots (vgl. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG und Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15.5.2007, 2 BvR 2106/05) eine Übertragung der diesbezüglichen Regelungen zur Abschiebungs- oder Zurückweisungshaft auf die Überstellungshaft nicht zulässig ist, und was folgt hieraus (bitte begründen)? Zu 5. und 6.: Nach Auffassung des Senats bestehen gegen eine Inhaftnahme zur Durchsetzung einer Überstel- lung nach der Dublin-III-Verordnung auf der Grundlage der bestehenden - unionsrechtskonform ausgelegten - nationalen rechtlichen Regelungen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 533 2 Die vereinzelt vertretene Rechtsauffassung, dass eine Inhaftierung im Rahmen des Dublin- Überstellungsverfahrens derzeit wegen des Erfordernisses der objektiven gesetzlichen Festlegung der Kriterien einer erheblichen Fluchtgefahr grundsätzlich unzulässig sei und aus diesem Grund alle nach der Dublin-III-Verordnung Inhaftierten bis zur Schaffung einer speziellen gesetzli- chen Regelung entlassen werden müssten, teilt der Senat nicht. Eine solche Konsequenz kann der Verordnungsge- ber der Europäischen Union nicht beabsichtigt haben. Ein solches Ergebnis kann auch nicht aus der in Frage 6 zitier- ten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgelei- tet werden, denn sie betrifft einen Sachverhalt, in dem eine besonders lange Haftdauer mit dem in § 62 Aufent- haltsgesetz (AufenthG) nicht genannten Zweck der Ver- hinderung weiterer illegaler Einreisen gerechtfertigt wor- den war. Dies verstößt nach Auffassung des Bundesver- fassungsgerichts gegen den Wortlaut des § 62 AufenthG, der die Abschiebungshaft nur zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung zulässt und ist daher auch mit dem Ge- setzesvorbehalt des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz nicht zu vereinbaren. Grundlegende Einwände gegen die Verhängung von Abschiebungshaft im Überstellungsver- fahren nach der Dublin-III-Verordnung ergeben sich daraus nicht, da auch diese Inhaftierungen ausschließlich der Sicherung der Abschiebung dienen und keine anderen Zwecke verfolgen. Auch eine generelle Unzulässigkeit des Rückgriffs auf die Regelungen des § 62 AufenthG kann nach Auffassung des Senats aus diesem Beschluss nicht abgeleitet werden. Nach alledem geht der Senat davon aus, dass Inhaftierungen zum Zwecke der Überstel- lung auch nach der Dublin III-Verordnung weiterhin zulässig sind. Die abschließende Klärung der aufgeworfe- nen Rechtsfragen muss durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erfolgen. Berlin, den 11. April 2014 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Apr. 2014)