Drucksache 17 / 13 550 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Wolfgang Albers (LINKE) vom 01. April 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. April 2014) und Antwort Die Pflegekammer – Wer will sie denn nun wirklich? Oder: Wie biegt man sich die Welt zurecht? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie verträgt sich die Aussage des Senators für Ge- sundheit in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage „Luftnummer Pflegekammer“ (Drs. 17/13211), in den letzten Jahren sei der Ruf nach einer Pflegekammer durch professionell in der Pflege Tätige immer lauter geworden, mit dem in derselben Drucksache durch die veröffentli- chen Zahlen bestätigten offenkundigen Desinteresse einer großen Mehrheit der in der Pflege Beschäftigten, über- haupt an entsprechenden Befragungen zur Errichtung einer Pflegekammer in den diversen Bundesländern teil- zunehmen? Zu 1.: Die Feststellung, dass der Ruf nach einer Pfle- gekammer durch professionell in der Pflege Tätige in den letzten Jahren immer lauter geworden ist, wird durch die veröffentlichten Zahlen zur Teilnahme an Befragungen in den einzelnen Bundesländern nicht widerlegt. Aus der Nichtbeteiligung an der Befragung kann nicht auf ein Desinteresse oder gar eine Ablehnung aller an der Befra- gung nicht teilnehmenden Personen geschlossen werden. 2. Welche Berufsverbände in Berlin meint der Senator in seiner Antwort auf die oben genannte Anfrage konkret, und wie viele Mitglieder repräsentieren diese unter den in der Pflege Tätigen in Berlin? Zu 2.: In der Antwort auf die Frage 7 der Schriftlichen Anfrage 17/13211 heißt es, dass der Wunsch in Berlin von allen Berufsverbänden unterstützt wird. Aus dem Zusammenhang ist klar, dass damit sämtliche Berufsver- bände der in der Pflege beschäftigten Personen gemeint sind. Wie viele Mitglieder diese Verbände repräsentieren, ist dem Senat derzeit nicht bekannt. 3. Wie viele Personen sind in Berlin in der Pflege be- schäftigt? Zu 3.: Gemäß dem letzten Statistischen Bericht „Ambulante und stationäre Pflege-einrichtungen sowie Emp- fänger von Pflegegeldleistungen in Berlin 2011“ (SB-K VIII 1 - 2j / 11) waren in den Berliner Pflegeinrichtungen zum Stichtag der Bundespflegestatistik 15.12.2011 insge- samt 40.775 Personen beschäftigt. Die Daten zum 15.12.2013 liegen noch nicht vor. 4. Welcher Personenkreis soll einer etwaigen Pflege- kammer in Berlin überhaupt angehören? Zu 4.: Welcher Personenkreis einer etwaigen Pflege- kammer in Berlin angehören könnte, wird derzeit noch geprüft und erörtert. 5. Wie kommt der Senat in der gleichen Drucksache zu der Einschätzung, dass eine Zustimmung von 617 von insgesamt 25.468 Beschäftigten in der Pflege in Schles- wig-Holstein einer Befürwortung der Einrichtung einer Pflegekammer durch jede zweite Pflegekraft entspricht? Zu 5.: Die Aussage des Senats, dass in Schleswig- Holstein jede zweite Pflegekraft die Einrichtung einer Pflegekammer befürwortet, ist in Zusammenhang mit der Ausrichtung und der Form der Befragung zu sehen. Die Befragung in Schleswig-Holstein wurde in Form einer „repräsentativen“ Befragung durchgeführt, bei der aus der interessierenden Grundgesamtheit eine Stichprobe gezo- gen wird. Die Auswahl der Befragten muss bestimmte Kriterien erfüllen: Sie muss sicherstellen, dass die Stich- probe ein verkleinertes Abbild der Grundgesamtheit dar- stellt. Alle Personen der zu untersuchenden Grundge- samtheit müssen die gleiche bzw. eine berechenbare Chance haben, in die Stichprobe zu gelangen. Damit die Stichprobe in den relevanten Merkmalen dieselbe Struktur hat wie die Grundgesamtheit, wird die Stichprobe entwe- der nach dem Zufallsprinzip gezogen oder es werden Quoten vorgegeben, die der Verteilung der Grundgesamt- heit entsprechen. Wenn diese Kriterien eingehalten sind, sind die Ergebnisse einer Umfrage repräsentativ, das heißt Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 550 2 verallgemeinerbar auf die Grund-gesamtheit. Die Stich- probengröße ist also nicht das ausschlaggebende Kriteri- um für die Repräsentativität. Die TNS Infratest Sozialfor- schung GmbH hat in Schleswig-Holstein eine Befragung unter 1.170 per Zufall ausgewählten Pflegefachkräften durchgeführt. Von diesen tatsächlich befragten Pflege- kräften stimmten 51 % für die Errichtung einer Pflege- kammer. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dieses Er- gebnis der Befragung nicht als repräsentativ für die Ge- samtheit der 25.468 Pflegekräfte in Schleswig-Holstein anzusehen. Es kann somit nach dem Ergebnis der reprä- sentativen Befragung durchaus davon ausgegangen wer- den, dass jede zweite Pflegekraft in Schleswig-Holstein die Einrichtung einer Pflegekammer befürwortet. 6. Ist dem Senat bekannt oder geht es aus den Auswer- tungen der Abstimmungsergebnisse in Rheinland-Pfalz hervor, warum sich aus dem ohnehin kleinen Kreis von 9.321 Personen, die sich zunächst bereitwillig für die Befragung registrieren ließen, letztlich – trotz des in der Drucksache 17/13211 geschilderten Informations- Tsunamis mit 80.000 Info-Flyern, mehr als 120 Informa- tionsveranstaltungen sowie direkter Ansprache von 15.000 in der Pflege Beschäftigter und Auszubildenden, nach 25.000 Schreiben an die Registrierungsinteressierten und rund 11.000 Erinnerungsschreiben an diesen Perso- nenkreis – dennoch weitere 2.277 Personen aus diesem Kreis entschieden haben, sich doch nicht an der Abstim- mung für eine Pflegekammer zu beteiligen? Wurde nach- gefragt, warum sie sich so entschieden? Zu 6.: Dem Senat ist nicht bekannt, warum sich 2.277 Personen der zunächst für die Befragung registrierten 9.321 Personen am Ende dafür entschieden haben, nicht an der Abstimmung für die Pflegekammer in Rheinland- Pfalz teilzunehmen. Dem Senat ist ebenfalls nicht be- kannt, ob die Personen nach den Gründen gefragt wurden, weshalb sie sich so entschieden haben. 7. Ist in den Augen des Senats die Tatsache, dass in Sachsen von 13.085 Pflegenden, denen entsprechende Fragebögen zur Pflegekammer ausgehändigt wurden, 10.503 Personen nicht bereit waren, diese auszufüllen, sozusagen ebenfalls als ein Ausdruck passiver Akzeptanz zu werten? Zu 7.: Wie oben zu Frage 1 dargelegt, besteht für die Pflegenden kein Zwang zur Teilnahme an der Befragung. Die Pflegekräfte in Sachsen waren dementsprechend in ihrer Entscheidung frei, den erhaltenen Fragebogen aus- zufüllen oder nicht. Das Nichtausfüllen der Fragebögen von 10.503 Personen kann weder gänzlich als Ausdruck von Desinteresse oder gar Ablehnung noch gänzlich als Ausdruck passiver Akzeptanz gewertet werden. 8. Welche Aussagekraft besitzt eine solche Befragung überhaupt für den Senat, wenn jedwede Beteiligung als Zustimmung und jedwede Nichtbeteiligung als zustim- mende Akzeptanz gewertet wird und warum setzt er dann seine vermeintlichen Pläne zur Errichtung einer Pflege- kammer in Berlin nicht einfach um, zumal diese ja angeb- lich von großen Mehrheiten unter den Pflegenden getra- gen werden? 8.: Ziel einer Befragung ist es, nach objektiver Aufklä- rung zu Inhalt und Möglichkeiten einer Pflegekammer ein repräsentatives Meinungsbild zu erhalten. 9. Wenn der Senat aber an einer Befragung der in der Pflege Tätigen in Berlin festhält, welcher Personenkreis soll dann zur Einrichtung einer Pflegekammer befragt werden: - alle in der Pflege Beschäftigten; - alle dreijährig Ausgebildeten; - auch die Hilfspflegekräfte; - alle im ambulanten Bereich Tätigen oder - nur die Pflegenden in den stationären Einrichtungen? 10. Wie kommt man an die Anschriften der zu Befra- genden und wie wird dieser Personenkreis durch wen ausgewählt? Zu 9. und 10.: Der genaue Personenkreis, der zur Er- richtung einer Pflegekammer befragt werden soll, steht noch nicht fest. Die Anschriften der zu Befragenden kön- nen über die einzelnen Verbände, die LIGA der Spitzen- verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin, die AOK-Nordost und Ver.di erlangt werden. Das Verfahren zur Auswahl des Personenkreises wird derzeit noch erör- tert. 11. Welche Kosten wird eine solche Befragung verur- sachen und wo sind die Mittel dafür eingestellt? 12. Wer wird die geplante Befragung durchführen? 13. Wer entscheidet über das Design einer solchen Be- fragung und wer wird mit der Entwicklung der Fragebö- gen beauftragt? 14. Wie werden die Beschäftigtenvertreter der Pfle- genden aus Personal- und Betriebsräten an der Erarbei- tung der Befragung beteiligt? 15. Wie sollen die Gewerkschaften in die Vorberei- tung der Befragung und die Ausarbeitung der Fragebögen einbezogen werden? Zu 11. bis 15.: Die Alice-Salomon-Schule plant, ein Projekt zur Akzeptanz einer Pflegekammer in Berlin durchzuführen. Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales hat ein Interesse an der Durchführung des Pro- jekts und beabsichtigt daher, dies zu fördern. Die Mittel werden im Rahmen der Haushaltswirtschaft aus dem Kapitel 1110 (Senatsverwaltung für Gesundheit und Sozi- ales – Gesundheit) aufgebracht. Die Kosten des Projekts und daher auch die aufzuwendenden Mittel stehen noch nicht fest. Das Design und die Fragebögen sollen von der Alice-Salomon-Hochschule erstellt werden. In diesem Zusammenhang ist geplant, u. a. die Beschäftigtenvertre- tungen der Pflegenden aus Personal- und Betriebsräten Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 550 3 und die Gewerkschaften im Rahmen von Experteninter- views mit einzubeziehen. 16. Wird es, um den Senator für Gesundheit vor wei- teren halsbrecherischen Rechen-Kapriolen und statisti- schen Pirouetten im Hinblick auf die Interpretation desas- tröser Umfragebeteiligungen zu schützen, im Vorhinein bei der Befragung in Berlin ein Beteiligungsquorum ge- ben, das erreicht werden muss, um aus einer solchen Befragung ein eindeutiges Votum für die Errichtung einer Pflegekammer mit Pflichtmitgliedschaft und Pflichtbei- trag ableiten zu können? Zu 16.: Die Frage der Festlegung eines Beteiligungs- quorums vor der Durchführung der Befragung ist noch nicht geklärt. Zuvor ist erst noch die Form der Befragung zu klären, ob die Befragung als repräsentative Befragung durch Befragung einer Stichprobe von mindestens 1.000 Pflegefachkräften oder als umfassende Befragung durch Befragung aller Pflegekräfte erfolgen soll. Berlin, den 17. April 2014 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Apr. 2014)