Drucksache 17 / 13 707 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Sabine Bangert (GRÜNE) vom 02. Mai 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Mai 2014) und Antwort Zum aktuellen Stand der Provenienzforschung in Berlin II Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele der Kunstobjekte und Werke auf Papier im Eigentum des Landes Berlin sind vor 1945 entstanden und wurden nach 1933 von der Stadt angekauft bzw. sind in deren Eigentum übergegangen und in welchen Einrich- tungen inklusive der Archive befinden sich diese derzeit jeweils? a) Wie viele dieser Kunstobjekte haben eine lücken- lose Provenienz? b) Für wie viele der Objekte kann der Senat aus- schließen, dass es sich um NS-Raubkunst handelt? (Wir bitten um eine tabellarische Darstellung, mit Nennung der Einrichtungen) Zu 1.: Im Eigentum des Landes Berlin bzw. im Fach- vermögen der Senatskanzlei-Kulturelle Angelegenheiten befinden sich nur die Bestände des Brücke-Museums und die Bestände der vormaligen Galerie des 20. Jahrhunderts (Berlin-West), die heute als Dauerleihgabe in der Natio- nalgalerie und im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Museen zu Berlin verwahrt werden. Im Übrigen verweise ich auf die Antwort zu 3. Das Brücke-Museum hat im Zeitraum 2010-2012 den Gemäldebestand sowie im Jahr 2013 den Bestand an Zeichnungen und Aquarellen mit lückenhafter Provenienz überprüft. Im Ergebnis geht das Brücke-Museum davon aus, dass alle ermittelten Provenienzen unbedenklich sind und sich unter den Werken keine NS-Raubkunst befindet. 2. Wie viele Fälle von NS-Raubkunst konnten seit Ende des zweiten Weltkrieges im Bestand des Landes Berlin festgestellt werden? Wie viele dieser Fälle wurden restituiert? In wie vielen bzw. in welchen Fällen läuft das Restitutionsverfahren noch? Zu 2.: Auf der Grundlage der „Erklärung der Bundesregierung , der Länder und der kommunalen Spitzenver- bände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungs- bedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdi- schem Besitz“ vom Dezember 1999 hat der Senat im Jahr 2006 ein Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner und im Jahr 2012 auf Empfehlung der Beratenden Kommission zwei Gemälde von Karl Schmitt-Rottluff an die Erben zurückgegeben. Derzeit liegen dem Senat keine Rückga- beersuchen vor. Darüber hinaus wird auf die Antworten zu 1. und 3. verwiesen. 3. Wie lauten die aktuellen Ergebnisse des gemein- samen Projekts des Landes Berlin und der Stiftung Preu- ßischer Kulturbesitz „Galerie des 20. Jahrhunderts“? Sind bis heute die gesamten Werke der Dauerleihgabe des Landes Berlin an die Nationalgalerie untersucht worden? a) Was ist der Stand des angekündigten Folge- bzw. Publikationsprojekts zur „Galerie des 20. Jahrhunderts “? b) Wie bewertet der Senat die Tatsache, dass die sys- tematische Provenienzerforschung der Bestände des Museums Berggruen erst 2014 und nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt begonnen wurde? Zu 3.: a) Gegenstand des Provenienzforschungsprojektes wa- ren insgesamt 530 Werke, die vor 1945 entstanden sind und zwischen 1949 und 1968 angekauft wurden. Darunter waren auch 16 Werke, die erst nach 1968 erworben wur- den. Aus dem Gesamtkonvolut wurden nach zwei Jahren Projektlaufzeit 97 Papierarbeiten zurückgestellt, für die derzeit keine Rechercheansätze vorhanden sind und somit keine Erfolgsaussichten für eine Provenienzklärung be- stehen. Nach dem Abschlussbericht der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vom April 2013 kann ein NS-verfolgungs- bedingter Entzug für 366 Werke (85%) ausgeschlossen werden. Bei 61 Werken konnten Provenienzlücken zwi- schen 1933 und 1945 nicht vollständig geschlossen wer- den. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sich bei diesen Werken um NS-Raubkunst handelt, sondern dass die derzeitige Quellenlage keine vollständige Klärung der Provenienz ermöglicht. Ein NS-verfolgungsbedingter Ent- zug kann aber auch nicht von vorneherein ausgeschlossen Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 707 2 werden. Zwei Werke wurden im Rahmen eines 3-mona- tigen Projektes Ende 2013/Anfang 2014 einer weiteren Tiefenrecherche unterzogen, ohne dass sich jedoch weite- re Erkenntnisse zur Provenienz ergeben haben. Die Se- natskanzlei-Kulturelle Angelegenheiten hat inzwischen 9 Werke für die Aufnahme in die Datenbank Lostart gemel- det, um ggf. weitere Hinweise zur Provenienz zu erhalten. Bei drei Werken kommt ein NS-verfolgungsbedingter Verlust in Betracht, der derzeit noch geprüft wird. Ein Rückgabeersuchen liegt für keines der Werke vor. Für drei Werke wurden bereits vor 1968 wegen eines NS-verfolgungsbedingten Entzugs Entschädigungen be- zahlt. Ein Werk wurde bereits vor 1968 restituiert, zwei Werke von Karl Schmitt-Rottluff wurden während der Projektlaufzeit an den Erben des vormaligen Eigentümers zurückgegeben (siehe Antwort zu 2.) b) Die Senatskanzlei-Kulturelle Angelegenheiten und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz haben eine neue Verwaltungsvereinbarung geschlossen, um die Ergebnisse des Forschungsprojektes in Buchform und in einer CD- ROM bis Ende 2015 zu veröffentlichen. Die für die Durchführung des Projektes befristet eingestellte wissen- schaftliche Mitarbeiterin hat ihre Arbeit bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz am 01.04.2014 aufgenommen. c) Nach Mitteilung der Stiftung Preußischer Kulturbe- sitz gibt es bisher keine Hinweise dafür, dass es sich bei einzelnen Werken im Museum Berggruen um NS-Raub- kunst handeln könnte. Gleichwohl wird die Stiftung im Rahmen der systematischen Provenienzforschung auch die Überprüfung der Bestände des Museums Berggruen vornehmen, da der Bereich der klassischen Moderne im Fokus der Raubkunstproblematik steht. 4. Wie lange wird es Schätzungen nach dauern, bis die Provenienz aller Kunstwerke im Eigentum des Landes Berlin eindeutig geklärt ist? Findet nach Einschätzung des Senats eine systematische Provenienzforschung für die Kunstbestände des Landes Berlin statt? Falls der Senat der Auffassung ist, dass eine systematische Provenienz- forschung stattfindet, bitte ich um Begründung und die Darstellung des Verfahrens. Für den Fall, dass die Frage verneint wird, bitte ich um eine Einschätzung des Senats, welche Voraussetzun- gen und Rahmenbedingungen erforderlich sind, um eine systematische Provenienzforschung zu gewährleisten? Zu 4.: Die systematische Provenienzforschung im Brücke-Museum und in der Galerie des 20. Jahrhunderts ist abgeschlossen. Ich verweise hierzu auf die Antworten zu 1. und 3. Eine systematische Provenienzforschung findet jedoch in zahlreichen, rechtlich selbständigen Kul- tureinrichtungen in Berlin statt. Ich verweise hierzu auf die Antwort des Senats auf Ihre Kleine Anfrage Nr. 17/10 176. Die systematische Provenienzforschung, d.h. die systematische Prüfung der Provenienzen der gesamten Bestände einer Einrichtung, setzt insbesondere zusätzli- ches kompetentes Personal, zusätzliche finanzielle Mittel und eine personelle Kontinuität für die Durchführung der Projekte voraus und ist nicht kurzfristig zu leisten. Die Dauer eines Provenienzforschungsprojektes hängt insbe- sondere vom Umfang eines Bestandes und der vorhande- nen Quellenlage ab. Generelle Aussagen sind hierzu nicht möglich. 5. Für welche Schwerpunkte setzt sich der Senat in der von Kulturstaatsministerin Monika Grütters einberu- fenen Bund-Länder-Arbeitsgruppe für ein Konzept zur Provenienzforschung ein? Welchen zeitlichen Ablauf hat sich die Arbeitsgruppe gesetzt? Wer vertritt das Land Berlin in dieser Arbeitsgruppe? Zu 5.: Die Länder haben in der 257. Sitzung des Kul- turausschusses der Kultusministerkonferenz am 27./28.02.2014 die Initiative von Staatsministerin Grütters zur Verstärkung der Provenienzrecherche begrüßt und ihre Bereitschaft zu einer noch engeren Kooperation mit dem Bund auf diesem Gebiet erklärt. Zur Erarbeitung eines Konzeptes und seiner inhaltlichen Ausgestaltung sowie der Klärung praktischer Fragen der Umsetzung wurde die Einsetzung einer Arbeitsgruppe mit Vertrete- rinnen und Vertretern des Bundes, der Länder Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Sachsen- Anhalt und Thüringen, der kommunalen Spitzenverbände und der Kulturstiftung der Länder beschlossen. Die Koor- dinierungsstelle Magdeburg, der Deutsche Museumsbund und die Arbeitsstelle für Provenienzforschung wurden gebeten, als Gäste an den Sitzungen teilzunehmen. Bisher haben zwei Sitzungen der „AG Provenienzforschung“ stattgefunden, in denen ein Konzeptpapier zur Bündelung, zum Ausbau und zur Stärkung der Provenienzforschung beraten wurde. Die 3. und voraussichtlich letzte Sitzung ist für den 27.05.2014 vorgesehen, so dass erst dann ein Ergebnis der Bera-tungen vorliegen wird. Dieses Ergebnis wird Thema der 258. Sitzung des Kulturausschusses der Kultusministerkonferenz am 05./06.06.2014 sein. Das Land Berlin wird in der „AG Provenienzforschung“ durch die Senatskanzlei-Kulturelle Angelegenheiten vertreten. 6. Welche Berliner Einrichtungen setzen neben den Mitteln für „Thematische Untersuchungen“/ Provenienzforschung im Landeshaushalt und Bundes-Fördermitteln für Provenienzforschung eigene Mittel zur Erforschung ihrer Bestände ein und in welchem Umfang (bitte die Einrichtungen mit den jeweiligen Summen und Projekten auflisten)? Zu 6.: Die Bewilligung von Fördermitteln für die sys- tematische Erforschung von Sammlungskonvoluten, Ge- samtbeständen oder für die Grundlagenforschung durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung setzt in der Regel 50 % Eigenmittel des Antragstellers voraus. Zu den Eigenmitteln der Einrichtungen zählen auch diejenigen Mittel, die sie aus Kapitel 0310/Titel 52609 (vormals 54010) des Haushaltsplanes des Landes Berlin erhalten. Im Zeitraum 2012-2014 haben folgende Einrichtungen in Berlin Fördermittel von der Arbeitsstelle für Prove- nienzforschung für langfristige Projekte erhalten: Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 707 3 Einrichtung Bewilligte Mittel Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin 116.701,71 € Centrum Judaicum 51.500,00 € Staatsbibliothek zu Berlin 173.036,00 € Kupferstichkabinett, SMB 47.850,00 € Stiftung Stadtmuseum 72.106,04 € Stiftung Preußische Schlösser und Garten Berlin- Brandenburg 61.320,00 € Domäne Dahlem 56.980,00 € insgesamt 579.493,75 € 7. In seinem Bericht zum künftigen Umgang mit NS- Raubkunst (Drs.Nr.17/0506) vom 10.09.12 weist der Senat daraufhin, es fehle in Berlin eine übergreifende Datenbank, in der die Forschungsergebnisse aller Einrich- tungen erfasst werden könnten. Wie hat sich der Senat seit diesem Bericht für eine solche Datenbank eingesetzt bzw. an welcher Stelle könnte er eine solche unterstützen? Zu 7.: Sofern Berliner Einrichtungen eine Förderung durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung erhalten, werden die Projektergebnisse in einer Datenbank der Arbeitsstelle erfasst, die insoweit die Funktion einer über- greifenden Datenbank erfüllt. Aufgrund der unterschiedli- chen IT-Infrastrukturen für den Betrieb der Datenbanken in den Einrichtungen und den zu erwartenden Kosten für die Schaffung einer landesweiten Metadatenbank favori- siert der Senat die bessere Vernetzung vorhandener Da- tenbanken, insbesondere durch Verlinkungen zu den je- weiligen Themenfeldern, wie sie zum Beispiel Einrich- tungen der Staatlichen Museen zu Berlin und die For- schungsstelle für Entartete Kunst eingerichtet haben. Eine weitergehende Beantwortung der Fragen könnte nur durch umfangreiche und zeitaufwändige Nachfor- schungen beantwortet werden. Der Senat wird zudem auf der Grundlage des Be- schlusses des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 29.05.2008 (Drs. Nr.16/1403) turnusmäßig zum 30.09.2014 über den Stand der Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999 berichten. Berlin, den 19. Mai 2014 In Vertretung Tim Renner Der Regierende Bürgermeister von Berlin Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Mai 2014)