Drucksache 17 / 13 731 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Ole Kreins (SPD) vom 08. Mai 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Mai 2014) und Antwort Rechtsextreme im Weitlingkiez Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele und welche Straftaten (aufgeschlüsselt nach Straftatbestand, Ermittlungserfolg, Verurteilungen) sind im Jahr 2013 von, im Weitlingkiez wohnenden, Rechtsextremen begangen worden? Zu 1.: Der sogenannte „Weitlingkiez“ umfasst folgende Straßenzüge:  10315 Berlin, Bietzkestr. 1 - 4, Delbrückstr. 1 - 5, Marie-Curie-Allee, Rummelsburger Str. 85 - 92, Za- chertstr. 2  10317 Berlin, Archibaldweg 18 – 40 (gerade), Eduardstr ., Einbecker Str. 16 - 38, Eitelstr., Emanuelstr., Frankfurter Allee 266 – 286 (gerade), Friedastr., Giselastr , Heinrichstr., Irenenstr., Leopoldstr., Lückstr., Margaretenstr., Maximilianstr., Metastr., Münster- landplatz, Münsterlandstr., Rosenfelder Str. 8 - 18, Rupprechtstr., Sophienstr., Weitlingstr., Wönnichstr.  10319 Berlin, Sewanstr. 2  10365 Berlin, Frankfurter Allee 223 - 255a, S-Bahnhof Lichtenberg, U-Bahnhof Lichtenberg, S-Bahnhof Nöldnerplatz. Im Jahr 2013 wurden vier Fälle der Politisch motivier- ten Kriminalität - rechts (PMK - rechts) registriert, die durch zur jeweiligen Tatzeit im Weitlingkiez wohnhafte Personen begangen wurden. Dabei handelte es sich um eine Gefährliche Körperverletzung (§ 224 Strafge- setzbuch - StGB), eine Volksverhetzung (§ 130 StGB) und in zwei Fällen um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB). Straftaten der Allgemeinkriminalität, die durch Perso- nen mit Vorerkenntnissen aus dem Phänomenbereich PMK - rechts begangen wurden, können nicht durch eine automatisierte Abfrage zu bestimmten Örtlichkeiten wie z.B. dem Weitlingkiez über das staatsanwaltliche Daten- erfassungssystem ermittelt werden. 2. Wie viele und welche Straftaten (aufgeschlüsselt nach Straftatbestand, Ermittlungserfolg, Verurteilungen) sind mit rechtsextremistischem Hintergrund im Weitling- kiez im Jahr 2013 verübt worden? Wie beurteilt der Senat die Anzahl der Straftaten hinsichtlich der Bedeutung des Weitlingkiezes für das rechtsextreme Milieu? 3. Differenziert der Senat innerhalb der mit rechtsext- remistischem Hintergrund begangenen Straftaten nach politisch motivierten, rassistischen, antisemitischen, fremdenfeindlichen und homophoben Hintergründen? Wenn ja, lassen sich die Aussagen der Frage 2 dahinge- hend ergänzen? Zu 2. und 3.: Im Weitlingkiez wurden für das Jahr 2013 im Phänomenbereich PMK - rechts 24 Fälle (Berlin: 1361 Fälle) registriert. Es handelt sich hierbei um eine eingangsstatistische Erfassung entsprechend der bundeseinheitlichen Regelung des „Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) mit der Folge, dass ein Fall mehreren Themenfeldern, z.B. „fremdenfeindlich“ und „antisemitisch “, zugeordnet werden kann. Zu zehn Fällen konnten Tatverdächtige namentlich bekannt gemacht werden. Die Fälle verteilen sich auf die einzelnen Delikte wie folgt: Rechtsnorm Anzahl davon asm davon fref davon Rass davon sexOr Gewaltdelikte, davon 4 0 3 1 0 § 224 StGB 1 0 1 0 0 § 223 StGB 3 0 2 1 0 Propagandadelikte, davon 15 2 1 0 0 § 86a StGB 15 2 1 0 0 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 731 2 Sonstige Delikte, davon 5 2 2 1 0 § 185 StGB 1 0 1 1 0 § 303 StGB 1 1 0 0 0 § 90a StGB 1 0 0 0 0 § 130 StGB 2 1 1 0 0 PMK-rechts- gesamt 24 4 6 2 0 Legende: asm - antisemitisch fref - fremdenfeindlich Rass - Rassismus sexOr - sexuelle Orientierung In der medialen Darstellung wird der Weitlingkiez partiell als „rechte Hochburg“ bezeichnet, was auf dort befindliche amts- und szenebekannte Treffpunkte und Initiativen verschiedener Bündnisse und Vereine, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, zurückzuführen sein dürfte. Diese Thematisierung führt in der Öffentlich- keit zu einer besonders sensiblen Wahrnehmung und Bewertung von Straftaten hinsichtlich einer mutmaßlich politisch rechten Motivation, die sich bei Betrachtung der tatsächlichen Fallzahlen so nicht bestätigt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu 1. verwiesen. 4. Wie entwickeln sich die Straftaten im Vergleich zu den Vorjahren? Welche Ursachen sieht der Senat hierfür? Zu 4.: Für die Betrachtung der Vorjahre wurde der Zeitraum der letzten zehn Jahre zu Grunde gelegt. 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Gewaltdelikte 7 3 7 3 3 1 0 5 2 4 Propagandadelikte 14 38 33 8 16 16 6 15 14 15 sonstige Delikte 6 21 23 20 13 7 10 28 15 5 PMK - rechts 27 62 63 31 32 24 16 48 31 24 Gewaltdelikte werden häufig situativ ohne erkennbare Vorbeziehung zwischen Täterin bzw. Täter und Opfer begangen. Konkrete Ursachen für Anstieg oder Rückgang der Fallzahlen sind nicht erkennbar. Bei den Propagand- adelikten war das höchste Fallaufkommen im Weitling- kiez in den Jahren 2005 und 2006 zu verzeichnen. Dabei handelte es sich überwiegend um das Anbringen von rechtsgerichteten Symbolen und Schriftzügen, zu denen keine Tatverdächtigen bekannt gemacht werden konnten. Mit sechs Fällen ist im Jahr 2010 das geringste Fallauf- kommen bei den Propagandadelikten zu verzeichnen. Valide Ursachen für Anstieg oder Rückgang des Fallauf- kommens sind nicht erkennbar. Bei den sonstigen Delikten ist das höchste Fallauf- kommen im Jahr 2011 zu verzeichnen. Auch diese Taten wurden überwiegend durch unbekannte Täterinnen bzw. Täter verübt, so dass auch hier keine validen Ursachen für Anstieg oder Rückgang des Fallaufkommens benannt werden können. Im Jahr 2013 ist mit fünf Fällen das ge- ringste Fallaufkommen der letzten zehn Jahre zu ver- zeichnen. 5. Wie viele Rechtsextreme haben im Weitlingkiez ihren Wohnsitz? Wie viele sind davon parteigebunden organisiert und wie viele sind den "Freien Kräften" zuge- hörig? Zu 5.: Im Weitlingkiez wohnen, soweit bekannt, rechtsextreme Personen im unteren zweistelligen Bereich, die nahezu ausschließlich dem aktionsorientierten Rechts- extremismus, insbesondere dem Netzwerk „Freie Kräfte“ und den „Jungen Nationaldemokraten“ (JN), zuzurechnen sind. 6. Wie viele Treffpunkte (Lokale, Vereinsheime oder sonstige Treffpunkte) von Rechtsextremen sind dem Se- nat bekannt? Zu 6.: Dem Senat ist im Weitlingkiez das so genannte „Nationale Jugendzentrum“ in der Lückstr. 58 als zentraler Treffort der aktionsorientierten rechtsextremistischen Szene bekannt, der jedoch Ende Mai 2014 geschlossen wird. Einzelne weitere Lokale in der Umgebung werden von rechtsextremistischen Personen ebenfalls für Treffen genutzt, obwohl der überwiegende Teil des Publikums nicht aus Rechtsextremistischen Personen besteht. 7. Sind dem Senat, nach Aufgabe des Vereinsheims in der Lückstraße 58, Bemühungen des Vereins Sozial engagiert in Berlin e.V. oder anderer rechtsextremer Tarnvereine bekannt, erneut Infrastruktur anzumieten? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 731 3 Zu 7.: Nach dem Wegfall des Treffortes in Neukölln, der Schließung des Lokals „Zum Henker“ in Schöneweide und der Schließung des „JUZ-Lichtenberg“ in der Lückstr. 58 im Weitlingkiez Ende Mai 2014 muss damit gerechnet werden, dass sich rechtsextremistische Perso- nen darum bemühen werden, Ersatzobjekte anzumieten. Die Interessentinnen und Interessenten können dabei als Einzelpersonen und Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen (wie etwa des oben angegebenen Sozial enga- giert in Berlin e.V.) oder Institutionen (etwa als „Bürgerinitiative “ oder „Bürgerbewegung“) auftreten. Entsprechende Aktivitäten dürften sich vor allem auf die regiona- len Schwerpunkte des Netzwerkes „Freie Kräfte“ in Pankow , Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Treptow- Köpenick und Neukölln konzentrieren. Aktuell sind noch keine Versuche von rechtsextremistischen Personen be- kannt, eine Immobilie anzumieten. 8. Sind dem Senat Aktivitäten des Vereins Sozial en- gagiert in Berlin e.V. oder Aktivitäten seiner Mitglieder bekannt, die ein Vereinsverbot nach §3 Absatz 1 Ver- einsG rechtfertigen würden? Zu 8.: Siehe Antwort zu Frage 5. der Drucksache 17/12 096. 9. Welche Bedeutung haben die Aktivitäten des Kreisverbandes der NPD und der NPD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg für die rechtsextreme Szene im Weitlingkiez? Zu 9.: Anders als in anderen Bezirken wie beispiels- weise Neukölln sind die Führungsriege der Nationalde- mokratischen Partei Deutschlands (NPD) und die aktions- orientierten rechtsextremistischen Personen in Lichten- berg unterschiedliche Personenkreise. Dennoch gibt es zwischen den aktionsorientierten rechtsextremistischen Personen und der Lichtenberger NPD (Partei/Verordnete in der Bezirksverordentenversammlung) Kontakte. Zu den Wahlkämpfen unterstützen aktionsorientierte rechtsext- remistische Personen aus dem Weitlingkiez die NPD beim Plakatieren oder durch die Organisation von Info- ständen. Zu einzelnen NPD-Veranstaltungen erscheinen in Lichtenberg auch aktionsorientierte rechtsextremisti- sche Personen. 10. Wie schätzt der Senat die Anziehungskraft rechts- extremer Strukturen im Weitlingkiez insgesamt ein? Zu 10.: Das wichtigste rechtsextremistische Netzwerk in Lichtenberg, die vormals so genannten „Autonomen Nationalisten“, hat in den letzten Jahren Anhänger verloren . Der aktive Teil dieses regionalen Netzwerks hat sich aus taktischen Gründen überwiegend in den JN organi- siert und bietet im Weitlingkiez weiterhin Strukturen an, in denen sich aktionsorientierte rechtsextremistische Per- sonen engagieren können. Allerdings wird der Weitlingkiez durch die Schlie- ßung des einzig verbliebenen rein rechtsextremistischen Treffpunktes in Berlin in der Lückstr. 58 an Bedeutung als Anlaufpunkt verlieren. Öffentliche Lokale in der Um- gebung werden keine derartige Anziehungskraft wie ein geschützter Raum entfalten, in dem rechtsextremistische Personen unter sich sind. Berlin, den 22. Mai 2014 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Mai 2014)