Drucksache 17 / 13 735 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Silke Gebel (GRÜNE) vom 07. Mai 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Mai 2014) und Antwort Wann wird Berlins Luft sauber (I): Grenzwerte bereits im April 2014 bedenklich über- schritten Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie bewertet der Senat, dass in der Sil- bersteinstraße in Neukölln die EU-Grenzwerte für Fein- staub für das Jahr 2014 bereits im April überschritten worden sind? Antwort zu 1: Der EU-Grenzwert für Feinstaub, d.h. die Zahl der Tage mit Überschreitungen des Tagesgrenz- wertes, wurde bis Ende April an allen Stationen, auch an der Silbersteinstraße, eingehalten. Zulässig sind 35 Über- schreitungen des Tagesgrenzwertes von 50 µg/m³. Diese werden im April nirgends überschritten, auch nicht in der Silbersteinstraße. Es ist damit zu rechnen, dass im Laufe des Jahres an Stationen auch mehr als 35 Überschreitungen auftreten werden. Ursächlich für die erhöhte Feinstaubbelastung im Vergleich zu den beiden letzten Jahren war eine fast dreiwöchige Episode großräumig erhöhter Luftbelastung von Ende Februar bis Mitte März. Diese Episode war bestimmt von einer lang anhaltenden Hochdruckwetter- lage. Anfangs wurden mit einer östlichen Luftströmung erhöhte Feinstaubwerte über die Deutsch-Polnische Gren- ze nach Berlin und Brandenburg bzw. in den gesamten Nordostdeutschen Raum verfrachtet. Überschreitungen des Tagesgrenzwertes waren daher nicht auf den Bal- lungsraum Berlin beschränkt. Im weiteren Verlauf nahm der Wind ab. Bedingt durch klare Nächte bildete sich eine Kaltluftschicht am Boden. Beides führte zu einem gerin- gen Luftaustausch und zu einer Anreicherung von Luft- schadstoffen aus lokalen Quellen in der Stadt und im Umland. In Verbindung mit dem erhöhten überregionalen Feinstaubpegel stiegen die Tagesmittelwerte der Feinstaubkonzentration über die Schwelle von 50 µg/m³. Im Verlauf der Episode stieg der Anteil lokaler Quel- len im Stadtgebiet auf bis zu 30-50% an. Von erheblicher Bedeutung sind dabei die Emissionen aus der Haushei- zung, insbesondere bei der Nutzung von Holz als Brenn- stoff. Die vergangene Feinstaubepisode hat gezeigt, dass das Problem noch nicht gelöst ist. Dabei besteht Handlungs- bedarf auf allen Ebenen, d.h. sowohl lokal als auch regio- nal, national und europaweit. Frage 2: Wie viele Grenzwertüberschreitungen gibt es an den anderen Messstationen des Senates (Bitte mit Straße und Grenzwerten, sowie Überschreitungen für NOx und PM darstellen). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 735 2 Antwort zu 2: Die folgende Tabelle zeigt die PM10- Messwerte für das Jahr 2013 als Jahresmittelwerte und Anzahl der Überschreitungen des Tagesgrenzwerte von 50 µg/m 3 und für das Jahr 2014 die bis zum 8.05.2014 registrierten Überschreitungen. Im Jahr 2013 wurden die Grenzwerte für PM10 an allen Stationen eingehalten. Kategorie Stations- nummer Straße Jahresmittel- wert [µg/m 3 ] Anzahl der Überschreitungs- tage Anzahl der Überschrei- tungstage vom 01.01.2014 bis 08.05.2014 (vorläufige Werte) Jahr 2013 2013 2014 S ta d tr a n d MC 032 Forst Grunewald 18 12 10 MC 077 Buch, Wiltbergstr. 50 20 10 16 MC 085 Friedrichshagen, Müg- gelseedamm 307 19 11 9 U rb a n er H G MC 010 Wedding, Amrumerstr. / Lim- burger Str. 24 15 16 MC 042 Neukölln, Nansenstraße 42 23 14 24 MC 171 Mitte, Brückenstr. 6 23 15 19 H a u p tv er k eh rs tr a ß e MC 115 Hardenbergplatz 24 21 MC 117 Schildhornstr. 76 27 20 25 MC 124 Mariendorfer Damm 148 29 27 24 MC 143 Silbersteinstr. 1 27 28 35 MC 174 Frankfurter Allee 86 b 28 25 31 MC 220 Karl-Marx-Str. 77 27 20 30 Für NOx als Summe aus NO und NO2 wurden keine Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit festgelegt, sondern nur für NO2, das für den Menschen sehr viel schädlicher ist als NO. In der folgenden Tabelle sind daher die NO2-Werte dargestellt. Der Grenzwert für die Anzahl der Stundenwerte von 200 µg/m³, der höchstens 18 mal überschritten werden darf, wurde 2013 an allen Stationen eingehalten. Der Grenzwert für das Jahresmittel von 40 µg/m³ wurde 2013 an allen Verkehrs- stationen überschritten. S ta ti o n s- k a te g o ri e Stations- nummer Straße Jahresmittel- wert in µg/m 3 Anzahl der Stunden- werte über 200 µg/m 3 * Anzahl der Stun- denwerte über 200 µg/m 3 *, vom 01.01.2014 bis 08.05.2014 (vorläufige Werte) Jahr 2013 2013 2014 S ta d tr a n d MC 027 Marienfelde, Schichauweg 60 15 0 0 MC 032 Forst Grunewald 13 0 0 MC 077 Buch, Wiltbergstr. 50 13 0 0 MC 085 Friedrichshagen, Müg- gelseedamm 307 13 0 0 MC 145 Frohnau, Jägerstieg 1 12 0 0 U rb a n er H in te r- g ru n d MC 010 Wedding, Amrumerstr. 27 0 0 MC 018 Schöneberg, Belziger Str. 52 27 0 0 MC 042 Neukölln, Nansenstraße 27 0 0 MC 282 Karlshorst, Johanna-und-Willy- Brauer-Platz 17 0 0 MC 171 Mitte, Brückenstr. 6 27 0 0 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 735 3 H a u p tv er k eh rs tr a ß e MC 115 Hardenbergplatz 63 8 3 MC 124 Mariendorfer Damm 148 49 0 1 MC 117 Schildhornstr. 76 50 0 MC 143 Silbersteinstr. 1 54 0 1 MC 174 Frankfurter Allee 86b 41 0 MC 220 Karl-Marx-Str. 77 55 0 1 Frage 3: Wie viele der Berliner und Berlinerinnen sind somit von der Luftverschmutzung betroffen? Antwort zu 3: Die Zahl der von Grenzwertüberschrei- tungen betroffenen Berlinerinnen und Berliner wurde für den Luftreinhalteplan 2011-2017 mit Hilfe von Modell- rechnungen bestimmt. Im Jahr 2009 (Stufe 1 der Umwelt- zone) lebten etwa 48.000 Menschen an Straßen mit PM10-Grenzwertüberschreitungen, für das Jahr 2015 sank im Trendszenario (mit Stufe 2 der Umweltzone) die Zahl der Betroffenen auf etwa 12.000. Von erhöhten Belastun- gen durch NO2 waren laut Modellrechnungen im Jahr 2009 etwa 26.000 Menschen betroffen, im Jahr 2015 sinkt diese Zahl auf etwa 14.000. Da die gesundheitschädigende Wirkung von Luft- schadstoffen linear mit der Konzentration in der Atmos- hpäre steigt und es keine Konzentration gibt, unterhalb derer keine schädlichen Wirkungen auftreten, ist auch bei Einhaltung der Grenzwerte eine Betroffenheit aller Berli- nerinnen und Berliner von der Luftverschmutzung nicht auszuschließen. Frage 4: Was rät der Senat AnwohnerInnen an diesen Straßen, an denen der Grenzwert überschritten wird, um ihre Gesundheit zu schützen? Antwort zu 4: Anders als für Ozon ist eine Informati- onsschwelle für Feinstaub zur Information vor gesund- heitlichen Problemen nicht festgelegt worden, weil ein Konzentrationswert, ab dem kurzzeitige gesundheitliche Probleme zu erwarten sind, aus den vielen Studien zur Wirkung von Feinstaub nicht abgeleitet werden konnte. Daher gibt es für PM10 keine Alarmschwelle, ab der der Senat kurzfristige Maßnahmen ergreift und Empfehlun- gen für die Bevölkerung ausspricht. Für NO2 gibt es zwar eine Alarmschwelle (3 stündige Überschreitung eines Stundenwertes von 400 µg/m³), die jedoch in Berlin si- cher unterschritten wird. Die für Hauptverkehrsstraßen bei hoher Lärmbelas- tung empfohlene Anordnung des Schlafraums auf der zur Straße abgewandten Seite der Wohnung ist auch in Bezug auf das Lüften des Schlafraums günstig, da auf der abge- wandten Seite die Luftbelastung in der Regel niedriger ist. Zur Reduzierung der Luftbelastung und der Zahl der von Grenzwertüberschreitungen Betroffenen sind nach Ansicht des Senats nur langfristig und dauerhaft wirksa- me Maßnahmen sinnvoll. Frage 5: Welche zusätzlichen Maßnahmen wird der Senat, insbesondere an den am stärksten betroffenen Stra- ßen ergreifen, um die Umwelt und die Gesundheit der BerlinerInnen zu schützen? Antwort zu 5: Zur Reduzierung der Luftbelastung setzt der Senat auf dauerhafte Maßnahmen, wie die Um- weltzone, wodurch der Ausstoß krebserregender Diesel- rußpartikel um etwa 2 Drittel abgenommen hat. Der neue Luftreinhalteplan sieht vor, dass die Ausnahmen vom Fahrverbot bis Ende 2014 weitgehend auslaufen. Auch die den ÖPNV und Radverkehr fördernde Berli- ner Verkehrsplanung trägt zur Verbesserung der Luftqua- lität in Berlin bei. Um die Stickoxidemissionen der Lini- enbusse zu reduzieren, wurden bis Ende April etwa 90 Doppeldecker – kofinanziert aus Mitteln des Umweltentlastungsprogramms II – zusätzlich zum bereits vorhandenen Partikelfilter auch mit Entstickungssystemen nachge- rüstet. Dadurch sinken die NOx-Emissionen dieser Busse um bis zu 70 %. Weitere Nachrüstungen, aber auch die Beschaffung neuer Busse mit dem besonderes sauberen Abgasstandard Euro 6 sind geplant. Für besonders hoch belastete Straßen wird derzeit au- ßerdem geprüft, wie durch Maßnahmen der Verkehrslen- kung eine lokale Emissionsminderung erreicht werden kann. Dies umfasst Maßnahmen zur Stauvermeidung, Anpassung der Geschwindigkeit und der umweltsensiti- ven Verkehrslenkung. Mit besonderen Anforderungen an die auf öffentlichen Baustellen eingesetzten Baumaschinen, die die modernste Abgasstufe oder eine Filternachrüstung verlangen, werden die krebserregenden Dieselpartikelemissionen weiter vermindert. Diese und weitere 30 Maßnahmen des Berli- ner Luftreinhalteplans werden den Eigenanteil der Berli- ner Quellen an der Luftbelastung weiter vermindern. Schon heute steht Berlin vergleichsweise gut da: So er- reichten die Feinstaubkonzentrationen trotz einer ver- gleichbaren Wetterlage nur etwa 60% des Niveaus der Belastung in Paris, wo vor einigen Wochen kurzfristig Smogalarm mit Fahrverbot ausgelöst werden musste. Berlin, den 19. Mai 2014 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Mai 2014)