Drucksache 17 / 13 744 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 08. Mai 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Mai 2014) und Antwort Mutmaßliche rechte Tötungsdelikte in Berlin – Fälle zur erneuten Überprüfung Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Berlin hat im Rahmen der von der Innenminister- konferenz beschlossenen Überprüfung bislang ungeklärter Tötungsdelikte mit möglicherweise rechtem Hintergrund zwischen 1990 und 2011 insgesamt 78 Fälle an das BKA zur erneuten Überprüfung gemeldet: Um welche Fälle handelt es sich hierbei im Einzelnen (bitte auflisten nach Tatzeit, Tatort, Straftathergang, Delikt)? Zu 1.: Berlin beteiligt sich an der Überprüfung bislang ungeklärter „Altfälle" im Hinblick auf einen möglichen Bezug zur Politisch motivierten Kriminalität -rechts- (PMK- rechts-). Die Überprüfung erfolgt im Rahmen des Gemeinsamen Abwehrzentrums Rechts (GAR) bzw. der dort angebundenen Arbeitsgruppe „Fallanalyse“. Hierzu war durch die „Ständige Konferenz der Innenminister und – senatoren der Länder“ (IMK) und deren nachgeordnete Gremien eine Konzeption beschlossen worden, die eine Überprüfung der „Altfälle“ in verschiedenen Phasen festlegt. Die erste Phase der Konzeption (bzw. Phase 1a) um- fasst die Überprüfung ungeklärter Tötungsdelikte ohne Tatverdächtige im Zeitraum 1990 bis 2011 - einschließ- lich Versuche - (gemäß §§ 211, 212 Strafgesetzbuch (StGB)) sowie die Überprüfung der Fälle der medial dis- kutierten „Opfer-Liste“/„Jansen-Liste“. Innerhalb dieser Überprüfung hat die Polizei Berlin insgesamt 78 Fälle nach den Kautelen der Phase 1a an das Bundeskriminal- amt (BKA) gemeldet, die zuvor anhand festgelegter und durch die Gremien beschlossener Kriterien ermittelt wor- den waren (68 ungeklärte Tötungsdelikte und 10 Fälle der medial diskutierten „Opfer-Liste“/ „Jansen-Liste“). Hierzu ist anzumerken, dass aufgrund der medialen und politi- schen Diskussion im Zusammenhang mit der „OpferListe “/„Jansen-Liste“ durch das Landeskriminalamt (LKA Berlin) auch ein "Verdachtsfall" übermittelt wurde, der sich zwar nicht auf der auswerterelevanten „OpferListe “/„Jansen-Liste“ (137er Liste) befindet, jedoch von den Journalistinnen und Journalisten von "Die Zeit" und "Der Tagesspiegel", für die auch der Journalist Jansen recherchiert, ebenfalls als Tötungsverbrechen mit vermu- teter rechter Motivation eingestuft wird. Der Fall wurde in den Datenabgleich der Phase 1a einbezogen und wird im BKA - entgegen der Zählweise in Berlin (Zulieferung zur „Opfer-Liste“/„Jansen-Liste“) - als "Altfall" der Phase 1a gezählt. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abge- ordneten Martina Renner unter anderem und der Fraktion DIE LINKE „Prüfung von weiteren ungeklärten Tötungsdelikten auf einen möglichen rechtsextremen und rassisti- schen Hintergrund zwischen den Jahren 1990 und 2011 durch die Bundesregierung“ (BT-Drucksache 18/193) hingewiesen. Im Hinblick auf die 68 an das BKA übermittelten „Altfälle“ kann keine detaillierte Auskunft im Sinne der Anfrage erfolgen, da es sich hierbei um noch nicht abge- schlossene Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Berlin handelt. Auskünfte zu Tatzeiten, Tatorten, Tather- gängen usw. wären geeignet, Einzelsachverhalte zu iden- tifizieren, was zu einer Gefährdung der Ermittlungen führen könnte. Darüber hinaus könnten dadurch auch die Persönlichkeitsrechte der Opfer, deren Angehöriger sowie Hinterbliebener beeinträchtigt werden. Das Informations- interesse des Abgeordneten muss hier, nach Abwägung der betroffenen Belange, hinter den berechtigten Geheim- haltungserfordernissen bei noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren zurücktreten, weshalb die ge- wünschten Auskünfte zu diesen Fällen nicht erteilt wer- den können. Da es sich bei den Fällen der sogenannten „OpferListe “/„Jansen-Liste“ (137er Liste) beziehungsweise dem in diesem Kontext zusätzlich übermittelten „Verdachtsfall “ um bereits in der Öffentlichkeit umfänglich dargestellte Verfahren handelt, wird hierzu im Sinne der An- frage berichtet. Die nachfolgend aufgeführten 10 Fälle sind von der Polizei Berlin als Fälle der medial diskutierten „OpferListe “/„Jansen-Liste“ im Rahmen der sogenannten „Alt- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 744 2 fallüberprüfung-Phase 1a“ an das BKA übermittelt worden : Am 10. Dezember 1990 trafen die späteren Täter auf dem Fernbahnsteig des Bahnhofs Lichtenberg auf das spätere Opfer. Eine Person begab sich zu dem Opfer und fragte, ob es seine Schulden beglichen hätte. Als das Op- fer die Frage verneinte, wurde es von einem der Täter einmal mit der Faust in das Gesicht geschlagen. Um wei- teren Schlägen zu entgehen, behauptete das Opfer gegen- über den drei Tätern, das Geld bei einem Bekannten auf- zubewahren, obwohl dies nicht der Wahrheit entsprach. Daraufhin begaben sich alle zu der Wohnung des Bekann- ten. Nachdem einer der Täter die Wohnungstür aufgetre- ten und das Opfer hineingestoßen hatte, räumte das Opfer schließlich ein, dass sich das Geld nicht in der Wohnung befindet und versprach, die Täter nunmehr zum richtigen Versteck zu führen. Die Täter schenkten dem jedoch keinen Glauben und schlugen mehrfach auf das Opfer ein. Dabei wurde unter anderem ein Besenstiel eingesetzt. Nachdem das Opfer von den Tätern aufgefordert worden war, am offenen Fenster frische Luft zu schnappen, sprang es in Todesangst aus dem Fenster und verstarb kurz darauf am 11. Dezember 1990. Am 24. April 1992 kam es im Berliner Ortsteil Mar- zahn aufgrund der fremdenfeindlichen Einstellung des späteren Täters zu Streitigkeiten mit mehreren vietname- sischen Zigarettenhändlern, unter denen sich auch das spätere Opfer befand. Um die Streitigkeiten zu klären bzw. den Täter zur Rede zu stellen, begaben sich das Opfer und weitere Personen aus der Gruppe der Vietna- mesen zu ihm. Hierbei kam es zu einer körperlichen Aus- einandersetzung, in deren Verlauf der Täter dem Opfer mit einem Messer seitlich in die Brust stach. Anschlie- ßend flüchtete der Täter. Das Opfer verstarb kurz darauf im Krankenhaus. Der spätere Täter und dessen Begleiter befanden sich am 29. August 1992, nach starkem Alkoholkonsum, auf dem Weg zu einer weiteren Person. Dabei kamen sie an einem Spielplatz in Berlin-Charlottenburg vorbei, wo sie auf mehrere Personen aus Sri Lanka trafen. Sie forderten die Angetroffenen aufgrund ihrer ausländischen Nationa- lität auf, dort zu verschwinden. Als sie keine Antwort erhielten, gingen sie weiter. Später auf dem Rückweg trafen sie erneut auf die Gruppe der Ausländer, be- schimpften diese wiederum und begaben sich dann zur Wohnung des Täters. Nach weiterem Alkoholkonsum begaben sich beide noch einmal zu dem Spielplatz, um sich mit der ausländischen Gruppe auseinanderzusetzen. Dazu nahm der spätere Täter einen Baseballschläger mit. Bei ihrem Eintreffen befanden sich nur noch zwei Aus- länder vor Ort. Nachdem sich im weiteren Verlauf zu- nächst eine verbale Auseinandersetzung entwickelte, bedrohten der Täter und sein Begleiter diese Personen mit einem Baseballschläger. Während sich zwei vor Ort an- wesende Personen aus dem Obdachlosenmilieu einmisch- ten, entfernten sich die beiden Personen ausländischer Herkunft vom Ort des Geschehens. Daraufhin begaben sich der Täter und sein Begleiter zu den Obdachlosen. Nach einem kurzen Wortwechsel schlug der Täter einem der Obdachlosen mit dem Baseballschläger auf den Kopf. Der Schlag verursachte eine Schädeldachfraktur, in des- sen Folge das Opfer später verstarb. Der zweite Obdach- lose erlitt durch einen weiteren Schlag des Täters mit dem Baseballschläger eine Wunde und eine offene Fraktur. Im Zwischendeck des U-Bahnhofs Samariterstraße in Berlin-Friedrichshain kam es am 21. November 1992 zu einer Rangelei zwischen zwei Gruppen, die vorerst ohne Folgen beendet wurde. Jedoch empörte sich die Gruppe um die späteren Täter darüber, dass es sich bei den ande- ren Personen um „Linke“ gehandelt habe. Zwei Personen zogen ihre Messer und überlegten, ob sie dieser Gruppe auf den Bahnsteig folgen sollten. Zwischenzeitlich wollte die Gruppe um das spätere Opfer den U-Bahnhof wieder verlassen und somit trafen beide Gruppen erneut aufei- nander. Die Gruppe um die späteren Täter entschloss sich nunmehr, die Gruppe der „Linken“ körperlich anzugreifen . Während der Auseinandersetzungen wurde das Opfer gegen die Wand gedrückt und mit einem Messer mehr- fach in den Brustbereich gestochen, so dass es verblutete. Am 23. Juli 1994 begaben sich die vier späteren Täter mit ihrem Opfer, einer Prostituierten, in eine Wohnung in Berlin-Reinickendorf, in der es unter anderem zu einver- nehmlichen sexuellen Handlungen mit mehreren der an- wesenden Männer kam. Währenddessen durchsuchte ein ebenfalls anwesender Zeuge die Sachen des Opfers und nahm einen „Europieper“ und eine Telefonkarte an sich. Bei einer sexuellen Handlung wurden dem Opfer durch einen der Täter mit einer glühenden Speerspitze aus Me- tall Schmerzen zugefügt. Als das Opfer daraufhin die Wohnung verlassen wollte, bemerkte es das Fehlen seiner Sachen und drohte damit, die Polizei zu rufen. Daraufhin wurde dem Opfer das Verlassen der Wohnung untersagt und die Wohnungstür verschlossen. Die Täter hatten einvernehmlich beschlossen, das Opfer gegen seinen Willen weiter in der Wohnung festzuhalten und dessen Angst um sein Leben und körperliche Unversehrtheit auszunutzen. Da die Täter aufgrund der erfolgten massi- ven Misshandlungen befürchteten, von dem Opfer ange- zeigt zu werden, töteten sie es einvernehmlich in wechsel- seitiger Tatbeteiligung. Am 26. Juli 1994 hielten sich sieben jugendliche Tä- ter an einer Badestelle der Spree in Berlin-Friedrichshain auf. Kurze Zeit später trafen sie dort auf die zwei offen- sichtlich alkoholisierten späteren Opfer polnischer Natio- nalität. Aufgrund von vorangegangenen Belästigungen zweier weiblicher Mitglieder der Tätergruppierung durch die späteren Opfer, drängten die männlichen Täter der Gruppe die beiden Opfer ins Wasser und hinderten diese durch Schläge und Tritte daran, wieder an Land zu gelan- gen. Einem Opfer wurde dabei der Kopf unter Wasser gedrückt. Während eines der Opfer durch das Eingreifen von Polizeibeamten gerettet werden konnte, konnte das zweite Opfer nur noch tot geborgen werden. Am 17. April 1997 kam es in einem Personenkraft- wagen in Berlin-Adlershof zwischen den beiden späteren Opfern und den zwei späteren Tätern zu einem Streit über das Gründungsdatum der Freiheitlichen Deutschen Arbei- terpartei (FAP). Nachdem dieser Streit beigelegt war, forderte einer der Täter kurze Zeit später den Fahrzeug- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 744 3 führer auf, das Fahrzeug anzuhalten. Nachdem alle vier Personen das Fahrzeug verlassen hatten, sprühte einer der Täter den beiden Opfern Reizgas ins Gesicht. Im weiteren Verlauf stach der andere Täter einem der Opfer ein mitge- führtes Messer in den Oberkörper, in Folge dessen dieses noch am Tatort verstarb. Anschließend wandte sich der Täter sofort dem zweiten Opfer zu und stach diesem ebenfalls in Brust und Rücken, wodurch auch dieses töd- lich verletzt wurde. Am 6. Oktober 1999 begegneten die vier Täter ihrem späteren Opfer an einer Tankstelle in Berlin-Lichtenberg, wo es zu einer ersten verbalen Auseinandersetzung kam. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Beteiligten bereits alko- holisiert. Nachdem das spätere Opfer einen Versöhnungs- trunk anbot, einigte man sich daraufhin, den Alkoholkon- sum gemeinsam in einer Wohnung fortzusetzen. Nach- dem sich die späteren Täter darauf geeinigt hatten, das Opfer auszurauben und zusammenzuschlagen, wurde es in einer Parkanlage angegriffen und massiv misshandelt. Nachdem die Tätergruppe in der Wohnung ankam, rühm- te sich jeder Beteiligte jeweils mit seinem Tatbeitrag. Kurz darauf kamen ihnen jedoch Zweifel hinsichtlich eines möglichen Wiedererkennens, und sie fassten ge- meinschaftlich den Entschluss, das Opfer zu töten. Sie kehrten in den Park zurück und verletzten das dort noch am Boden liegende Opfer durch Tritte auf Oberkörper und Kopf sowie einen Stich tödlich. Am 23. Mai 2000 verabredeten sich die vier späteren Täter zu einer Feier in einer Wohnung in Berlin-Pankow, bei der Alkohol konsumiert und Musik mit gewaltverherr- lichenden Texten gehört wurde. Hierdurch versetzten sich die vier Täter in eine aggressive Stimmung. Einer der Täter äußerte im weiteren Verlauf, dass man jetzt „jemanden aufklatschen“ sollte. Als Opfer wählten sie einen im gleichen Wohnhaus lebenden Nachbarn, den sie als „asozial“ betrachteten. Nachdem es ihnen gelungen war, in dessen unverschlossene Wohnung einzudringen, traten sie auf das schlafende Opfer gegen Kopf und Rumpf ein. Während der Ausführung der Tat trugen zwei der Täter Springerstiefel. Danach ließen sie ihr verletztes Opfer zunächst in der Wohnung zurück. Aufgrund der Angst vor Entdeckung und folgender Bestrafung entschlossen sie sich jedoch, das Opfer zu töten. Mittels eines mitgeführ- ten Messers stachen sie ihm in den Rücken und in die Herzgegend, woraufhin es wenige Minuten später ver- starb. Am 5. November 2001 suchten die Täter ihr späteres Opfer in der Wohnung seiner Lebensgefährtin in Berlin- Hellersdorf auf, um ausstehende Geldschulden einzutrei- ben. Des Weiteren sollte das Opfer wegen seines Verhal- tens gegenüber der Lebensgefährtin, der Mutter zweier der Täter, zur Rede gestellt werden. Nachdem das Opfer weder auf die Vorhaltungen reagierte noch der Forderung nach Begleichung der Schulden nachkam, schlugen und traten die Täter mit vereinten Kräften auf das Opfer ein und beendeten ihre Tathandlung erst, als dessen Lebens- gefährtin ankündigte, die Polizei zu alarmieren. Die Täter verließen daraufhin fluchtartig die Wohnung. Kurze Zeit später klagte das Opfer über starke Schmerzen im Kopf- und Brustbereich und verlor das Bewusstsein. Trotz der eingeleiteten Rettungsmaßnahmen verstarb das Opfer in der Wohnung. Berlin, den 22. Mai 2014 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Mai 2014)