Drucksache 17 / 13 797 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Silke Gebel (GRÜNE) vom 06. Mai 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Mai 2014) und Antwort Wann wird Berlins Luft sauber (II) EU-Vertragsverletzungsverfahren Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Was ist der Stand der Dinge in Bezug auf das EU-Vertragsverletzungsverfahren, das Berlin aufgrund der zu häufigen Überschreitung der Stickoxidgrenzwerte? Mit der Bitte um Auflistung eines Zeitplans und der zu- ständigen EU-Behörde.? Antwort zu 1: Die EU-Kommission hat bislang kein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichteinhaltung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid in Berlin eingeleitet. Sie hat im Februar 2013 lediglich gegen die von Berlin im Oktober 2011 notifizierte Verlängerung der Einhaltefrist bis 2015 Vorbehalte eingelegt. Das Land Berlin hat die Notifizierungsunterlagen mit dem neuen Luftreinhalteplan und den darin enthaltenen Maßnahmen ergänzt. Dazu hat sich die Kommission bislang noch nicht rückgeäußert. Ein Zeitplan ist nicht bekannt. Ein EU- Vertragsverletzungsverfahren würde sich formal gegen die Bundesrepublik Deutschland richten. Frage 2: In welcher Höhe ist die Strafzahlung zu er- warten, die aufgrund der Überschreitung der Stickoxid- grenzwerte auf Berlin zukommt? Antwort zu 2: Zur Höhe etwaiger Strafzahlungen ist keine Aussage möglich, da die Höhe solcher vom Europä- ischen Gerichtshof festzustellenden Zahlungen von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängen. Hinsicht- lich der Nichteinhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte gibt es bislang keinen Präzedenzfall. Frage 3: Welche Maßnahmen plant der Senat, um in Zukunft den EU-Grenzwert für Stickoxide einzuhalten? Antwort zu 3: Der Senat hat im Juni 2013 den neuen Luftreinhalteplan 2011-2017 beschlossen. Um die über- wiegend vom Straßenverkehr verursachte NO2-Belastung zu vermindern, werden folgende verkehrsbezogene Maß- nahmen geplant:  Weitgehende Einschränkung der Ausnahmeregelungen für die Umweltzone ab 2015  Förderung von Fahrzeugen mit dem Abgasstandard Euro 6 (Vorgaben bei der Beschaffung der öffentli- chen Hand, Nutzervorteile, wenn dafür rechtzeitig die erforderlichen Regelungen auf Bundesebene ge- schaffen werden)  Förderung von Erdgasfahrzeugen über eine Kooperationsvereinbarung mit der GASAG  Förderung von Elektromobilität im Rahmen des „Schaufensters Elektromobilität“  Saubere Fahrzeuge im ÖPNV durch Nachrüstung von Bussen mit Entstickungssytemen (90 Doppelde- ckerbusse wurden bereits nachgerüstet und die Nachrüstung aus dem Umweltentlastungsprogramm II gefördert.) und Beschaffung von Bussen mit dem Abgasstandard Euro 6  Saubere Kommunalfahrzeuge: Nachrüstung schwerer Nutzfahrzeuge mit Entstickungssystemen soweit technisch machbar, bei Beschaffung von Neufahr- zeugen Einhaltung des Abgasstandards Euro 6  Verstetigung des Verkehrsflusses, soweit Optimierungspotenzial vorhanden und unter Berücksichti- gung der Interessen aller Verkehrsträger, d.h. auch ÖPNV und Fuß- und Radverkehr  Einführung von stadtverträglichen Geschwindigkeiten auf Hauptverkehrsstraßen mit Grenzwertüber- schreitungen unter Berücksichtigung der Leistungs- fähigkeit des Hauptverkehrsstraßennetzes, des ÖPNV sowie anderer Verkehrsträger  Umweltsensitive Verkehrssteuerung für hoch belastete Straßenabschnitte, z.B. für die Invalidenstraße nach Fertigstellung des Umbaus  Förderung des ÖPNV  Förderung des Fuß- und Radverkehrs  Ausbau der Parkraumbewirtschaftung in Abstimmung mit den Bezirken zur Reduzierung des motori- sierten Individualverkehrs  Initiierung von Maßnahmen des Mobilitätsmanagements , u.a. wird dies durch die Serviceleistungen der von Berlin beauftragten Verkehrsinformationszent- rale unterstützt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 797 2  Förderung Carsharing, z.B. durch eigene Stellplätze  Entwicklung eines integrierten Wirtschaftsverkehrskonzeptes Modellrechnungen haben allerdings gezeigt, dass auch mit ambitionierten, aber verhältnismäßigen Maßnahmen eine Einhaltung des NO2-Jahresgrenzwertes an allen Stra- ßen nicht erreichbar ist. Ursächlich hierfür ist, dass der seit etwa 2009 geltende Abgasstandard Euro 5 nicht - wie eigentlich von der EU beabsichtigt – zur Reduzierung der NOx- und NO2- Emissionen der Fahrzeuge im innerstädtischen Verkehr geführt hat. Erst mit dem seit 1.1.2014 für schwere Nutz- fahrzeuge und ab 2015 für Pkw geltenden Abgasstandard Euro 6 wird nun mit einer deutlichen Emissionsminde- rung gerechnet. Um diese Fehlentwicklung durch kom- munale Maßnahmen der Verkehrspolitik auszugleichen, müsste der Verkehr in den höchst belasteten Straßen um bis zu 50 % reduziert werden. Dies ist nicht umsetzbar. Neben der fehlgeschlagenen EU-Abgasgesetzgebung trägt auch die stetige Zunahme des Anteils von Diesel- Pkw an der Fahrzeugflotte zur NO2-Problematik bei. Anreiz zum Kauf von Diesel-Pkw ist nicht nur der niedri- gere Kraftstoffverbrauch (und der damit oft verbundene CO2-Vorteil), sondern auch der niedrigere Kraftstoffpreis bedingt durch die sehr viel geringere Mineralölsteuer, die für Dieselkraftstoff 18,38 Cent pro Liter niedriger ist als für Ottokraftstoff. Frage 4: Welche Kosten wären mit diesen Maßnah- men verbunden? Antwort zu 4: Es wird geschätzt, dass die für die Um- setzung der Maßnahmen erforderlichen Gutachten, För- derprogramme und Öffentlichkeitsaktivitäten mit Kosten von etwa 6,6 Millionen Euro verbunden sind. Die zeitli- che Realisierung richtet sich nach den Finanzierungsmög- lichkeiten der künftigen Haushalte. Hinzu kommen nicht quantifizierte Kosten für Betriebe, die z.B. Entstickungs- systeme nachrüsten oder Neufahrzeuge anschaffen. Auf der anderen Seite können sich für Verkehrsteilnehmer, die vom eigenen Fahrzeugbesitz auf andere Verkehrsträger inkl. Carsharing umsteigen auch Kosteneinsparungen ergeben, die jedoch ebenfalls schwer zu schätzen sind. Frage 5: Welche gesundheitlichen Folgen entstehen für die Bürgerinnen und Bürger Berlins durch die Über- schreitung des EU-Grenzwerts für Stickoxide? Antwort zu 5: Die Weltgesundheitsorganisation hat in ihrem 2013 an die Kommission gerichteten Bericht zum neuesten Stand der Erkenntnisse der Wirkungen von Luft- schadstoffen auf die menschliche Gesundheit auf toxiko- logische Studien verwiesen, die von entzündlichen Pro- zessen in den Atemwegen, erhöhtem Atemwiderstand und in Tierversuchen nachgewiesenen Zellveränderungen im Lungengewebe berichten. Diese Schadensbilder wurden aber nur bei sehr hohen kurzzeitigen Stickstoffdioxidkon- zentrationen beobachtet, wie sie in Berlin auch an Haupt- verkehrsstraßen nicht vorkommen. So wird der aus den WHO Richtlinien abgeleitete, als Stundenmittelwert defi- nierte Grenzwert für Stickstoffdioxid (200 µg/m³ mit erlaubten 18 Überschreitungen pro Jahr) in Berlin sicher eingehalten. Auch die nochmals deutlich höhere Alarm- schwelle von 400 µg/m³ Stickstoffdioxid über drei Stun- den, die u.a. als Auslöser für die Herausgabe gesundheit- licher Empfehlungen an die Bevölkerung dient, wurde in Berlin noch nie auch nur annähernd erreicht. Unmittelbare akute Folgen für die menschliche Ge- sundheit sind daher in Berlin aufgrund der hier vorherr- schenden Stickstoffdioxidbelastung nicht zu befürchten. Gesundheitlich negative Effekte einer langzeitlichen Exposition gegenüber Stickstoffdioxidwerten über dem Jahresmittelgrenzwert von 40 µg/m³, der mit dem WHO- Richtwert identisch ist, wurden nach Aussage der WHO aber in mehreren epidemiologischen Studien gefunden. Bei den Langzeiteffekten handelt es sich meist um Atem- wegs- und Herz-/Kreislauferkrankungen. Sie können jedoch nicht immer eindeutig und ausschließlich einer erhöhten Stickstoffdioxidbelastung zugeschrieben wer- den, sondern sind zum Teil auch dem hoch toxischen Dieselruß anzulasten, der im allgemeinen stark mit der Stickstoffdioxidkonzentration korreliert. Durch die Einführung der Umweltzone in Berlin konnte die verkehrsbedingte Zusatzbelastung von Diesel- ruß aber mehr als halbiert werden. Auch wenn wegen der erhöhten Stickstoffdioxidwerte ein gesundheitliches Risiko für Anwohnerinnen und Anwohner noch immer besteht, dürfte sich die langzeitige gesundheitsschädliche Wirkung von verkehrsbedingten Luftschadstoffen durch die Rußminderung deutlich reduziert haben. Berlin, den 28. Mai 2014 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Juni 2014)