Drucksache 17 / 13 842 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Benedikt Lux (GRÜNE) vom 20. Mai 2014 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Mai 2014) und Antwort Täterlichtbildfotodatei – außer Spesen nichts gewesen…? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Mit welchem IT-Fachverfahren von welchem Software-Hersteller arbeitet die Berliner Polizei für ihre Täterlichtbildfotodatei? Wann wurde dieses mit welchen Kosten angeschafft? Zu 1.: Das Basissystem mit der Bezeichnung Bild- Daten-Informationssystem (BIDAVIS) war nach europa- weiter Ausschreibung in 1997 durch die Firma UNISYS mit Kosten bis 2000 in Höhe von rund 1,8 Mio. € realisiert worden. In 2000/2001 wurde das System mit einem Aufwand von rund 200.000 € um die „Teillichtbildvorzeigedateien “ erweitert. In den Jahren 2008 bis 2010 wurde zudem das ur- sprüngliche System für rund 1,95 Mio. € um die Fingerabdrucksammlung (FABIS) erweitert und das Gesamtsys- tem durch die Firmen T-Systems und UNISYS in das Polizeiliche Landessystem für Informationen, Kommuni- kation und Sachbearbeitung (POLIKS) integriert. Zuletzt erfolgten in 2013 die Implementierungen „BIDAVIS Änderungsdienst“, „BIDAVIS Gästebuch“, die Schnittstellenanpassung „Sondertastatur“ und die Änderungsanforderung „Erkennungsdienst Löschung Daten“. Die Kosten hierfür betrugen rund 115.000 €. 2. In welchem Umfang findet eine regelmäßige Aktu- alisierung, Wartung und Pflege des IT-Fachverfahrens statt? Welche Kosten fallen jährlich hierfür an? Zu 2.: Da das beschaffte System über den gesamten Gewährleistungszeitraum von 36 Monaten beanstan- dungslos lief, wurde für das Basissystem BIDAVIS aus wirtschaftlichen Erwägungen ein Rahmendienstleistungs- vertrag für Informationstechnik (IT) in Form einer Be- sonderen Vereinbarung (BVB-IT) abgeschlossen. Dieser sah Unterstützungsleistungen auf Anforderung durch den Auftraggeber vor. Größere Weiterentwicklungen oder Anpassungen erfolgten als Einzelaufträge und sind in den vorstehenden Weiterentwicklungskosten enthalten. An fachlichen Unterstützungsleistungen wurden er- bracht: 2006 rund 44.000 € 2007 rund 36.000 € 2008 rund 85.300 € 2009 rund 75.900 € 2010 rund 104.000 € 2011 rund 36.300 € 2012 rund 50.200 € 2013 rund 71.700 € Aufgrund der erheblichen Leistungserweiterungen, der gestiegenen Komplexität des Verfahrens selbst sowie der Integration in das System POLIKS und der großen Bedeu- tung für die polizeiliche Arbeit war Ende 2013 entschie- den worden, dass der bestehende BVB-Vertrag für reine Unterstützungsleistungen nicht mehr ausreichend ist. Es wurde daher ein Pflegevertrag als Ergänzende Vereinbarung (EVB-IT) abgeschlossen. Dieser sieht eine Pflege (im Sinne von Fehlerbehebung an der Basissoft- ware) der Anwendung, in begrenztem Umfang Weiter- entwicklungen sowie wiederum betriebliche Unterstüt- zungsleistungen bei Bedarf (gegebenenfalls gegen zusätz- liche Berechnung) vor. Er hat eine Laufzeit von zunächst 4 Jahren und ein Kostenvolumen von rund 190.000 € jährlich. 3. Welche Ursache führte zum Ausfall der Täterlicht- bildfotodatei vom 29.01.2014 bis zum 06.05.2014 mit welchen Folgen für den Regelgebrauch? Zu 3.: Mit der Einführung von BIDAVIS 2 wurden aufgrund der erweiterten Teilintegration in POLIKS die gesamten Datenbankstrukturen neu aufgesetzt und eine Datenmigration erforderlich. Umfangreiche Tests der Migration mit Testdatensät- zen im Vorfeld der Einführung von BIDAVIS 2 ließen zu keinem Zeitpunkt erkennen, dass es zu einem derartigen Fehlerbild kommen könnte. Wie die Analyse der Migrati- onsdaten in der 12. Kalenderwoche ergab, verursachten Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 13 842 2 insbesondere ältere Datenbestände aufgrund abweichen- der Dateinamensstrukturen die aufgetretenen Phänomene in der zentralen Lichtbildvorzeigedatei. 4. Zu welchen Beeinträchtigungen bei der polizeili- chen Arbeit kam es durch den Systemausfall? Welcher Arbeitsrückstau ist dadurch entstanden? Zu 4.: Es kam zu Störungen des gewohnten Arbeitsab- laufes und zu längeren Wartezeiten, ein Bearbeitungsstau konnte nicht quantifiziert werden. Dabei handelte es sich um Fehler bei den Rechercheergebnissen, der Bereitstel- lung von Daten (Performance) und deren Darstellung. In Ausnahmefällen von schwerer Kriminalität oder Schwerstkriminalität konnten Einsichtnahmen mit einem Alt-Personal-Computer BIDAVIS 1 noch zentral oder dezentral in den Fachdienststellen durchgeführt werden. Gegebenenfalls mussten über manuelle Recherchen Ein- sichtnahmeergebnisse an die Ermittlungssachbearbeiter übermittelt werden. Zusätzlich wurde durch die Ermitt- lungsdienststellen auf andere polizeiliche Ermittlungs- möglichkeiten zurückgegriffen. 5. Welche Mehr- und Folgekosten sind der Berliner Polizei daraus entstanden, dass die Täterlichtbildfotodatei in der Zeit vom 29.01.2014 bis zum 06.05.2014 defekt war (Kosten des Software-Herstellers, einbezogener ande- rer IT-Dienstleister, Arbeitsstunden eigener Fachkräfte etc.) Zu 5.: Im Rahmen der Sofortmaßnahmen zur Daten- basiskorrektur und Herstellung der Datenkonsistenz (Da- tenbank-Qualität) als einer der Hauptgründe für die zeit- weise Nichtverfügbarkeit der zentralen Zeugeneinsicht- nahme sind folgende Zusatzaufwände entstanden:  17. - 21. März 2014: 10.000 € für a. 7.500€ für Vor-Ort-Einsatz eines eingeflogenen Spezialisten aus dem Software-Entwicklerteam (Ungarn) b. 2.500€ für Vor-Ort-Einsatz von lokalen UNISYS -Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern als Be- gleitung und Analysepartnerinnen und - Analysepartner des Experten  24. März bis 4. April 2014: 11.220 € für 10 Manntage Vor-Ort-Einsatz lokale UNISYS-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter (zur Umsetzung der Maßnahmen aus der Expertenanalyse) Zur Fehleranalyse, Fehleraufbereitung und zu umfang- reichen Tests wurden von Seiten der Fachdienststelle des Landeskriminalamtes (Kriminaltechnik) vom 29. Januar – 5. Mai 2014 zwei dauerhaft eingesetzte Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter (mindestens 5 Stunden pro Arbeitstag) und fünf variable Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter (mindestens zwei Stunden pro Arbeitstag) eingesetzt. Im Rahmen der originären Aufgabenwahrnehmung und zur Verfügung stehenden Arbeitszeit wirkten auch technische Fachkräfte der Polizei Berlin regelmäßig an der Fehlerbe- seitigung mit. 6. Sind die Mehr- und Folgekosten von der Berliner Polizei zu tragen und wenn ja in welcher Höhe? Hat der Senat geprüft, inwieweit die Kostenlast (zumindest zum Teil) beim Software-Hersteller liegt – wenn ja mit welchem Ergebnis, wenn nein warum nicht? Sind solche Prüfungen noch geplant? Wie sehen die vertraglichen Regelungen dazu aus? Zu 6.: Grundsätzlich ist zunächst festzustellen, dass für das ursprünglich beschaffte Produkt nach nunmehr fast 14 Jahren nahezu fehlerfreien Betriebes keine Ge- währleistung mehr besteht. Insoweit sind die seinerzeit getroffenen vertraglichen Regelungen nicht mehr rele- vant. Für die aufgetretenen Fehler war nicht die Basis- software BIDAVIS ursächlich. Die Fehlerbehebung ist mithin nicht von der Firma UNISYS zu vertreten. Inso- weit greift auch der abgeschlossene EVB-IT- Pflegevertrag nicht. Die Fehlerbehebung erfolgte als Ein- zelauftrag (Dienstleistungsvertrag) in Anlehnung an die EVB-IT. Daher müssen die zusätzlichen Kosten von der Polizei Berlin getragen werden. 7. Wie kann und wird der Senat gewährleisten, dass das System bei weiteren Softwareupdates nicht wieder zusammenbricht? Zu 7.: Bei komplexen IT-Systemen mit Hardware, Be- triebssystemen, Datenbanken und Anwendungen unter- schiedlicher Hersteller wird eine dauerhafte absolute Fehlerfreiheit nicht zu gewährleisten sein. Das Risiko, dass vergleichbare Fehlerbilder wiederholt auftreten, wurde durch den aktuell abgeschlossenen EVB-IT- Pflegevertrag erheblich minimiert. Zudem werden Up- dates vor dem Einsatz im Echtbetrieb regelmäßig fachlich und technisch getestet. 8. Inwieweit ist eine Kompatibilität der Täterlichtbild- fotodatei mit sämtlichen anderen von der Polizei verwen- deten IT-Fachverfahren gegeben? Zu 8.: Die Täterlichtbildfotodatei ist so konzipiert, dass diese zum Vorgangsbearbeitungssystem der Polizei Berlin kompatibel ist. Eine darüber hinausgehende Kom- patibilität zu anderen IT-Fachverfahren ist weder vorge- sehen noch erforderlich. Berlin, den 03. Mai 2014 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Juni 2014)